Lampedusa in Hamburg Kirchliche Unterstützung seit Mai 2013

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Dokumentation für die Synode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (20.-22.9.2013): Lampedusa in Hamburg Kirchliche Unterstützung seit Mai 2013 Vorgeschichte Etwa 300 Menschen vor allem aus Nigeria, Togo, Mali, der Elfenbeinküste und Ghana, die 2011 vor dem Krieg in Libyen geflohen sind, leben seit dem Winter 2012/2013 in Hamburg. Es handelt sich überwiegend um Männer. Die Wanderarbeiter waren nach ihrer Flucht über das Mittelmeer auf der italienischen Insel Lampedusa angekommen. Sie lebten in italienischen Flüchtlingscamps, bis diese ab November 2012 geschlossen wurden: Die Finanzierung durch den europäischen Flüchtlingsfonds, mit dem die Auffanglager zum Teil finanziert wurden, lief aus. Von den italienischen Behörden mit Papieren ausgestattet, wurden die Flüchtlinge nach Norden weitergeschickt. Viele kamen nach Hamburg und wurden im Winternotprogramm aufgenommen. Seit dessen Ende am 15. April hatten sie auch keine Übernachtungsstätte mehr. Die Flüchtlinge haben einen humanitären Aufenthaltsstatus in Italien erhalten dort aber weder soziale Leistungen noch eine Unterkunft. In Hamburg bekommen sie keine Arbeitserlaubnis. Die Freie und Hansestadt sah sich zunächst nicht zuständig und bot den Flüchtlingen lediglich eine kostenlose Bahnfahrt zurück nach Italien an. Der Senat bezog sich auf die Dublin-Verordnung, auf die sich die Regierungen der EU- Staaten geeinigt haben: Sie besagt, dass ein Asylverfahren in dem Land durchgeführt werden muss, in dem ein Flüchtling erstmals den Fuß auf europäischen Boden gesetzt hat. Somit konnten die Flüchtlinge auch nur in Italien einen Asylantrag stellen. Die meisten haben das auch getan. Sie lehnen die Rückkehr nach Italien jedoch ab. Wie auch von Journalist_innen, Flüchtlingsexpert_innen, Politiker_innen und Kirchenleuten vielfach dokumentiert, sind die Verhältnisse in Italien für Flüchtlinge außerordentlich schwierig. Deshalb liegen inzwischen auch mehr als 250 deutsche Gerichtsentscheidungen gegen eine Rückführung von Flüchtlingen nach Italien vor. Beginn des kirchlichen Engagements auf dem Kirchentag Beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hamburg besuchte Bischöfin Kirsten Fehrs eine Kunstinstallation des dänischen Künstlers Jens Galschiøt: Ein nachgebildetes Flüchtlingsschiff. Das Zentrum für Mission und Ökumene der Nordkirche (ZMÖ) hatte das Kunstprojekt zum Kirchentag nach Hamburg eingeladen. Die Absicht war, damit so abstrakte Probleme wie EU-Außengrenzen, Fluchtursachen, Fluchtwege und Nord-Süd- Zusammenhänge sichtbar zu machen und dazu weitere Programmpunkte anzubieten. Dann wurde dieses Szenario real: Auf dem Ponton im Hafen, neben dem Informations-Zelt des ZMÖ, standen rund 60 der Lampedusa-Flüchtlinge, die Banner und Zettel hochhielten. Als anerkannte Flüchtlinge forderten sie eine Unterkunft, das Recht zu arbeiten und medizinische Versorgung. An die Kirche wandten sie sich mit der Bitte, möglichst schnell für einen ungestörten Schlafplatz zu sorgen und wenn es nur ein geschützter Kirchhof sei da sie 1

überall vertrieben werden würden. Nach dem Kirchentag Mai 2013 Diese Anfrage löste eine ganze Reihe von kirchlichen Aktivitäten aus mit dem Ziel, für die obdachlosen Lampedusa-Flüchtlinge eine Unterkunft auf kirchlichem Boden oder eventuell auch in Kooperation mit städtischen Behörden zu organisieren. Die Suche wurde umso dringlicher, weil das Wetter nach dem Kirchentag und den ganzen Mai hindurch nass und kalt war.zwar öffnete schon Mitte Mai die Erlöserkirche in Borgfelde ihre Türen, zunächst an jedem Samstag für ein afrikanisches Essen. Damit war aber das Problem der Obdachlosigkeit noch nicht gelöst. Die Suche nach einem kirchlichen Quartier, die mit einem leer stehenden Jugendheim begann und beispielsweise mit Ideen für ein Zeltlager auf Kirchengelände weiterging, blieb über Wochen ebenfalls erfolglos erschwert durch die Unklarheit über die wirkliche Anzahl der Libyenkriegsflüchtlinge, da deren Anzahl schnell von 60 über 140 auf geschätzte 300 stieg. Auch wollten die Flüchtlinge unbedingt als Gruppe zusammenbleiben. Begonnene Gespräche zwischen der Sozialbehörde und der Nordkirche sowie dem Diakonischen Werk wurden Ende Mai unterbrochen. Die städtische Seite hatte zur Bedingung gemacht, dass sie die Unterbringung der Flüchtlinge als Teil der Abschiebung betrachte. Das widersprach der kirchlichen Vorstellung von einer perspektivisch offenen Prüfung der Einzelfälle, die im Rahmen der Unterbringung erfolgen sollte. St. Pauli öffnet sich Juni 2013 Die Pastoren der St. Pauli-Kirche beschlossen Anfang Juni 2013, als humanitäre Nothilfe ihre Türen für einen Teil der obdachlosen Flüchtlinge zu öffnen. Einige von ihnen waren gerade aus dem Park am Bismarck-Denkmal vertrieben worden. In den ersten Nächten übernachtete der Küster mit den Männern in der Kirche. Nach und nach kamen immer mehr Menschen, die mithelfen und sich engagieren wollten. Bald konnten Nachtdienste und Frühstücksdienste eingeteilt werden. Nach einigen Tagen wurden Sanitärcontainer aufgestellt und der Boule-Platz im Kirchgarten zur Embassy of Hope umfunktioniert. Letztere wurde mit einem Pavillon und einem Zelt zu einem Begegnungsort, an dem Besucherinnen und Besucher von den afrikanischen Gästen, wie die Pastoren sie nennen, willkommen geheißen werden. In kürzester Zeit wurden zahlreiche Spenden gebracht: Essen, Kleidung, Hygieneartikel, Schreibmaterial und vieles mehr. Als Stauraum wurde die Empore genutzt. Später wurden die Spenden sogar aus der Kirche ausgelagert, weil die Kapazitäten dort ausgeschöpft waren. Seitdem können die Flüchtlinge ihre persönlichen Dinge auf der Empore unterstellen jeder hat dort einen mit Namen versehenen Platz. Neben der Unterstützung, die überlebensnotwendig ist, wird von über 40 Ehrenamtlichen auch Freizeitprogramm und Deutschunterricht angeboten. Inzwischen sind es etwa 80 Männer, die seit mehr als drei Monaten im Kirchenschiff auf Holzbohlen schlafen, die ursprünglich Schiffsplanken waren. Die St. Pauli-Kirche ist über Hamburgs Grenzen hinaus zum Symbol einer Gemeinde geworden, die den Stadtteil und die 2

Unterstützung für die Flüchtlinge zusammenbringt. Das zeigt sich im gemeinsamen Picknicken am Hafen, Sommerfesten und Partys, Schmuckbasteln, Stadtteilführungen, zusammen gefeierten Gottesdienste oder durch Fußballtraining und Freundschaftsspiele gegen eine der Amateurmannschaften des FC St. Pauli. Zugleich jedoch wird deutlich, dass die Unterbringung in der Kirche kein Zustand auf Dauer ist. Die Situation verlangt der Gemeinde und den ehrenamtlichen Helfer_innen sehr viel ab. Für die Presse ist die St.Pauli-Kirche ein zentraler Ort, um in direkten Kontakt mit den Beteiligten zu kommen. Bundesweit und sogar in den europäischen Nachbarländern haben die Medien breit berichtet und eine große Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst. Afrikanisches Zentrum in der Erlöserkirche Borgfelde Die Partner des Afrikanischen Zentrums Borgfelde öffneten schon früh die Türen der Erlöserkirche für ein warmes afrikanisches Mittagessen in ihrem Café Mandela und für anschließende Versammlungen der Lampedusa-Gruppe in der Kirche. Frauen aus der African Christian Church, der Kirchengemeinde St. Georg-Borgfelde und vom African Christian Council Hamburg e.v. kochten erst samstags, dann auch zusätzlich dienstags Mittagessen für über 100 Menschen. Als Ansprechpartner für Fragen aller Art standen neben den Pastoren vor Ort von Anfang an die haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiter_innen der Beratungsstelle AKONDA Eine Welt Café zur Verfügung. Im Laufe der Zeit wurde das Angebot immer stärker angenommen: Es kamen mehr Gäste zum Essen, aber auch mehr afrikanische und deutsche ehrenamtliche Helfer_innen, von denen viele vorher wenig mit dem Afrikanischen Zentrum Borgfelde zu tun hatten und nun eine praktische Möglichkeit fanden sich einzubringen. Diese Unterstützung belebte die gesamte Dynamik dieses Begegnungsortes für Afrikaner und Deutsche. Ebenso den Dialog mit den muslimischen Freund_innen aus der benachbarten afrikanischen Moschee der Barmherzigkeit, die schon seit Anfang des Jahres täglich Essen für die Flüchtlinge kochen und von der Kirchengemeinde durch einen gemeinsamen Spendenaufruf finanziell unterstützt wurden. Um die steigende Zahl der Essensgäste aufzunehmen, wurde vor dem Café Mandela ein Zelt aufgebaut, das gerade für die kommenden kalten Monate noch mit einem festen Boden und Zeltwänden aufgerüstet wird. Seit Juli 2013 werden die Mahlzeiten durch ein erweitertes Gesprächsangebot begleitet. Ehrenamtliche Mediator_innen, Psycholog_innen, Therapeut_innen, Sozialarbeiter_innen und Seelsorger_innen bieten Gespräche an, nehmen Ängste und Sorgen auf und hören zu. Die auf Englisch und Französisch geführten Gespräche werden beim gemeinsamen Mittagessen begonnen. Da eine Traumatherapie derzeit durch die ungewisse Situation noch nicht für sinnvoll erachtet wird, ist es umso wichtiger, erfahrene Gesprächspartner_innen zur Seite zu stellen. Diese werden selbst durch zweiwöchentliche Treffen beraten und informiert. Weitere Unterkünfte und Verpflegungsstellen Auch andere kirchliche Einrichtungen und Gemeinden haben Unterkünfte bereitgestellt und sind mit Taschengeld und praktischer Unterstützung für jeweils mehrere Flüchtlinge da. Mehrere Paare, darunter auch werdende Eltern, werden unter dem Dach der Kirche 3

untergebracht. So kümmert sich beispielsweise eine sehr aktive Jugendgruppe, deren Mitglieder zum Teil an die Kirchengemeinde angebunden sind, zum Teil aber auch noch nie Kontakt zur Kirche hatten, um ein Paar, das bald ein Kind erwartet. In einer anderen Kirchengemeinde übernachten mehrere Flüchtlinge im Jugendkeller, der tagsüber weiterhin als solcher genutzt wird. Auch die diakonische Basisgemeinschaft Brot & Rosen reagierte schnell auf die Not und nahm mehrere der Gruppensprecher von Lampedusa in Hamburg auf - trotz eigentlich voller Belegung. Die Sprecher erhalten Verpflegung und bei Bedarf materielle Unterstützung. Vor allem sind sie in das gemeinschaftliche Leben mit eingebunden. In dem leerstehenden Gebäude einer Kirchengemeinde wurde Mitte Juni 2013 eine Küche eröffnet. Eine Ehrenamtliche kocht dort jeden Tag mit vier helfenden Flüchtlingen aus der St. Pauli-Kirche, um 100 bis 200 Menschen mit Abendessen zu versorgen. Während des muslimischen Fastenmonats Ramadan wurde die Essenszeit spät in die Nacht verlegt, und den Fastenden wurden Essenspakete für das frühe Frühstück mitgegeben. Die Lebensmittel werden zum Teil durch Spenden, zum Teil von der Hamburger Tafel gebracht, größtenteils jedoch von Mitarbeitenden der St. Pauli-Kirche von Spendengeldern eingekauft. Neben der Koch- und Essmöglichkeit dient dieser Raum auch als Lager für die zahlreichen Spenden. Dort können sich die Flüchtlinge die Dinge mitnehmen, die sie brauchen. Beratungsstelle fluchtpunkt Die kirchliche Beratungsstelle fluchtpunkt des Kirchenkreises Hamburg West/Südholstein bietet sowohl rechtliche als auch psychologische Beratung für die Gruppe an und unterstützt die politische Forderung nach einer Gruppenlösung, d.h. nach einem Bleiberecht in Hamburg. Darüber hinaus bietet fluchtpunkt vertrauliche dolmetschergestützte Beratungsgespräche im Einzelfall. Am Ende des Beratungsprozesses erhalten die jeweiligen Flüchtlinge eine Einschätzung über ihre Situation und evtl. mögliche Perspektiven. Jeder Flüchtling, der ggf. Ansprüche mit Unterstützung von fluchtpunkt geltend machen möchte, erhält eine individuelle Vertretung seiner Interessen unter strikter Wahrung der gesetzlichen Schweigepflicht und der Vertraulichkeit. fluchtpunkt arbeitet in der kirchlichen Koordinierungsrunde mit und ist zum Teil in Verhandlungen zwischen Kirche und der Stadt Hamburg in Flüchtlingsfragen involviert. Das Engagement der Nordkirche Die Flüchtlinge werden sowohl durch finanzielle Mittel als auch durch Sachspenden von der Nordkirche und von den Kirchenkreisen Hamburg-Ost und Hamburg-West/Südholstein unterstützt. In Verantwortung des Dezernats M (Mission, Ökumene und Diakonie) im Landeskirchenamt wurden mehrere Personalstellen zur Koordination des Projekts eingerichtet: eine Vollzeitstelle (seit 01.06.2013) für die Gesamtkoordination sowie eine Teilzeitstelle (seit 01.07.2013) für die Koordination von medizinischer Versorgung und Deutschkurs-Angeboten und eine weitere Teilzeitstelle (seit 1.9.2013) für die Organisation der 4

künftigen Unterbringung der Flüchtlinge zur Entlastung von St.Pauli und anderen nur zeitweise zur Verfügung stehenden Quartieren. Haupt- und ehrenamtlich Mitarbeitende aus der kirchlichen Flüchtlingsarbeit waren von Beginn an in das Projekt involviert. Ende Mai wurde eine kirchliche Koordinierungsrunde eingerichtet, die hauptsächlich aus den zuständigen hauptamtlichen Mitarbeitenden besteht und regelmäßig die aktuellen Geschehnisse bespricht und organisiert. Auch verschiedene Formen von Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sind wichtiger Bestandteil des kirchlichen Engagements: Die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs hat sich mehrfach in der Presse für die Unterstützung der Flüchtlinge ausgesprochen. Das Amt für Öffentlichkeitsdienst und die Arbeitsstelle für Ökumene, Menschenrechte, Flucht, Friedensbildung haben mit deutsch- und englischsprachigen Flyern über die Situation der Flüchtlinge und über Unterstützungsmöglichkeiten informiert. In den Verhandlungen mit den politischen Entscheidungsträger_innen spielt die Nordkirche eine zentrale Rolle (s.u.). Einzelne kirchliche Einrichtungen haben Veranstaltungen organisiert, mit deren Hilfe Informationen zur Situation der Flüchtlinge verbreitet, weitere Spenden akquiriert und Begegnungsräume eröffnet wurden. Dazu gehörten zum Beispiel Informationsveranstaltungen mit Menschenrechtsexperten, etwa in der kirchlichen Beratungsstelle Akonda. Dort gab es auch ein Benefizkonzert und Filmabende. Politischer Protest der Gruppe Lampedusa in Hamburg Die Flüchtlinge haben die Gruppe Lampedusa in Hamburg gegründet. Form und Ausmaß dieses selbst organisierten Protestes von Flüchtlingen sind neu. Diese Gruppe, die etwa 300 Personen umfasst, wird nach außen vertreten von vier Sprechern. Ausgehend von der Hilfe durch die Menschenrechtsorganisation Die Karawane für die Rechte der Flüchtlinge und Migrant_innen hat sich ein weitverzweigtes Unterstützungsnetzwerk entwickelt. Viele Einzelpersonen aus verschiedenen politischen und kirchlichen Zusammenhängen sowie Gruppen, Vereine und Gewerkschaften sind involviert. Beraten lässt sich die Lampedusa- Gruppe auch von Rechtsanwält_innen. Zwar verhinderte die Polizei die Besetzung einer Verkehrsinsel zum Aufbau eines Zeltlagers gegenüber der Hamburger SPD-Parteizentrale. Ermöglicht wurde aber, ab dem 22. Mai zwischen Hauptbahnhof und ZOB auf einem Platz in St. Georg ein Informations-Zelt zu errichten. Dort wird bis heute Tag und Nacht eine Dauermahnwache gehalten. Das Zelt dient als organisatorisches Zentrum, ist öffentlicher Anlaufpunkt für Interessierte und Ausgangspunkt für Demonstrationen der gesamten Flüchtlingsgruppe. Ein regelmäßig stattfindendes Plenum der Unterstützer_innen diskutiert aktuelle Fragen, organisatorische Aufgaben und Strategien für das weitere Vorgehen. Zu Beginn wurde hier auch die notwendige humanitäre Hilfe koordiniert, also die Versorgung mit Essen, Übernachtungsplätzen etc. Seitdem die Nordkirche sich aktiv und umfassend mit engagiert, hat sie in weiten Teilen diese humanitäre Hilfe übernommen (s.o.). Auch Vertreter der Flüchtlinge sind dabei, sofern Bedarf für gemeinsame Besprechungen besteht. Ebenso nehmen auch einzelne Unterstützer_innen an den meisten Besprechungen der Flüchtlinge teil. 5

Die politischen Forderungen von Lampedusa in Hamburg sind darauf gerichtet, als Gruppe in Deutschland bleiben zu können. Sie fordert vom Hamburger Senat ihre Anerkennung als spezifische Gruppe vor dem Hintergrund des Kriegs in Libyen sowie der humanitären Notlage in Italien. Eine entsprechende Aufenthaltserlaubnis könne ein Bundesland nach 23 Aufenthaltsgesetz erteilen, wenn der Bundesinnenminister zustimmt. Es geht der Gruppe damit nicht um Asylanträge (diese wurden bereits in Italien gestellt), sondern um ein Bleiberecht. Der Hamburger Senat hat mehrfach deutlich gemacht, dass er grundsätzlich nicht bereit ist, den 23 in diesem Fall anzuwenden. Zudem wird eine Zustimmung des Bundesinnenministers, bei der darüber hinaus das Einvernehmen mit den Landesinnenministerien hergestellt werden müsste, für aussichtslos gehalten. Anfänglich vertraten Senatsmitglieder öffentlich die Ansicht, dass alle Lampedusa- Flüchtlinge unverzüglich nach Italien zurückkehren müssten. Inzwischen äußert sich der Senat differenzierter und betont, dass jeder Einzelfall sorgfältig geprüft werden solle. Die Gruppe "Lampedusa in Hamburg" formuliert und vertritt ihre politischen Ziele eigenständig und ohne Beteiligung kirchlicher Einrichtungen. Grundsätze, Ziele und Methoden unterscheiden sich daher teilweise von kirchlichen Positionen: Für kirchliche Institutionen und Beratungseinrichtungen gilt der Grundsatz, dass die Bedürfnisse des einzelnen Flüchtlings im Zweifelsfall Vorrang vor politischen Erwägungen haben müssen. Unterschiedliche Herangehensweisen sind nach Ansicht beider Seiten legitim und werden auch in Gesprächen thematisiert. Verhandlungen Unter kirchlicher Vermittlung und nach diversen Vorgesprächen, an denen unter anderem die Bischofskanzlei und die landeskirchliche Beauftragte beteiligt waren, hat Mitte Juli ein erstes Gespräch zwischen Vertretern der Innenbehörde und den Sprechern der Gruppe Lampedusa in Hamburg stattgefunden. Eingeladen dazu hatte das Diakonische Werk. Die Rolle von Kirche und Diakonischem Werk als Vermittlerin und Moderatorin wird sowohl vom Senat als auch von den Flüchtlingen anerkannt und gewürdigt. Der Gesprächsprozess wird seither fortgesetzt und soll den Weg bereiten für eine konstruktive Lösung. Wann diese erreicht sein wird, ist gegenwärtig noch nicht abzusehen. Hamburg, im September 2013 Dezernat M und Bischofskanzlei Hamburg 6