Resilienz und systemisches Arbeiten in der psychosozialen Praxis



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Transkript:

2. Fachtagung Klinische Sozialarbeit Ressourcenaktivierende Verfahren in der psychosozialen Praxis und Beratung Freitag, 5. Juni 2009 10.30 12.30 Uhr Raum ORI 104 Workshop Nr. 7 Resilienz und systemisches Arbeiten in der psychosozialen Praxis Hermann Corinna A., lic.phil. Fachpsychologin für Psychotherapie FSP Zentrum für Systemische Therapie und Beratung, Bern

Mitten im Winter habe ich erfahren, dass es in mir einen unbesiegbaren Sommer gibt. Albert Camus

Risikoforschung Die Risikoforschung identifiziert Individuen, welche mit einer hohen Wahrscheinlichkeit gefährdet sind im Verlauf ihres Lebens psychische Störungen auszubilden. Sie hat zum Ziel über die Ermittlung von Risikofaktoren die Gefahr von psychopathologischen Erkrankungen zu verringern. Dorsch, 1994 Corinna A. Hermann, lic. phil. Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Zentrum für Systemische Therapie und Beratung, ZSB Bern 3

Definition: Risikofaktoren Risikofaktoren, sind Einflussfaktoren, welche die Wahrscheinlichkeit der Entwicklung einer psychischen Störung erhöhen. Personale Einflüsse: z.b. genetische Faktoren, Persönlichkeitsmerkmale Kontextuelle Einflüsse: z.b. Armut, kindliche Misshandlung Stress: z.b. berufliche Belastungen, Tod eines Elternteils, chronische Auseinandersetzungen in der Familie Nach Kirby & Faser, 1997 Corinna A. Hermann, lic. phil. Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Zentrum für Systemische Therapie und Beratung, ZSB Bern 4

Definition: Schutzfaktoren Schutzfaktoren sind internale oder externale Faktoren, welche die Wirkung von belastenden Umweltbedingungen oder anderen Risikoerhöhenden Faktoren auf den Menschen abpuffern. Corinna A. Hermann, lic. phil. Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Zentrum für Systemische Therapie und Beratung, ZSB Bern 5

Einleitung: Resilienz Von Unverletzbarkeit zu Resilienz Resilienz in der Physik: Fähigkeit eines Körpers nach einer Deformation seine ursprüngliche Grösse und Form wieder zu erlangen. Biegen statt brechen Resilience (engl.) = Belastbarkeit, Elastizität, Widerstandsfähigkeit Vulnerable but invincible - Verletzlich, aber unbesiegbar Corinna A. Hermann, lic. phil. Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Zentrum für Systemische Therapie und Beratung, ZSB Bern 6

Kauai Studie von Werner uns Smith N = 698 Kinder mit Jahrgang 1955 t = 6, jeweils im Alter von 1, 2, 10, 18, 32 und 40 Jahren Bei 30% (N = 210) der Gesamtpopulation bestand ein hohes Entwicklungsrisiko. 1 /3 von diesen 30% (N = 72) entwickelten sich trotz allem zu leistungsfähigen, zuversichtlichen und fürsorglichen Erwachsenen z.b. Werner, 1999, 2006 Corinna A. Hermann, lic. phil. Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Zentrum für Systemische Therapie und Beratung, ZSB Bern 7

Definition: Resilienz... the capacity to rebound from adversity, strengthened and more resourceful. It is an active process of endurance, self-righting, and growth in response to crisis and challenge Walsh, 1998 Corinna A. Hermann, lic. phil. Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Zentrum für Systemische Therapie und Beratung, ZSB Bern 8

Modell zur Entstehung von Resilienz Stress Risikosituation Kompetenzentwicklung Resilienz Ressourcen interne Ressourcen - biologisch - psychologisch externe Ressourcen - familiäres Umfeld - soziales Umfeld Adaptiert nach Oser et al., 2004 Corinna A. Hermann, lic. phil. Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Zentrum für Systemische Therapie und Beratung, ZSB Bern 9

Erstes Fazit Resilienz ist ein Prozess, welcher von der Person selber und von ihrem sozialen Umfeld beeinflusst wird und welcher sich durch die Bewältigung von Krisen entwickelt (Rutter, 1985). Ohne Krise, keine Resilienzentwicklung Chinesisches Zeichen für Krise besteht aus den Piktogrammen Gefahr und Chance. Resilienz ist eine psychische und physische Stärke, die es Menschen ermöglicht Lebenskrisen ohne längerfristige Beeinträchtigungen zu meistern, daran zu wachsen und neue Kompetenzen zu entdecken und zu entwickeln. Corinna A. Hermann, lic. phil. Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Zentrum für Systemische Therapie und Beratung, ZSB Bern 10

Resilienzfaktoren des Individuums Intelligenz Soziale Fähigkeiten Autonomie Internale Kontrollüberzeugung Sense of Coherence Corinna A. Hermann, lic. phil. Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Zentrum für Systemische Therapie und Beratung, ZSB Bern 11

Sense of Coherence - Kohärenzsinn Gefühl der Verstehbarkeit: Erwartung bzw. Fähigkeit Reize als geordnete, konsistente, strukturierte Informationen verarbeiten zu können. Gefühl von Handhabbarkeit / Bewältigbarkeit: Überzeugung, dass Schwierigkeiten lösbar sind und dass über die dafür geeignete Ressourcen verfügt wird. Gefühl von Sinnhaftigkeit / Bedeutsamkeit: Ausmass, in dem man das Leben als emotional sinnvoll empfindet: Dass wenigstens einige vom Leben gestellte Probleme und Anforderungen es wert sind, dass man Energie in sie investiert, dass man sich für sie einsetzt und sich ihnen verpflichtet, dass sie eher willkommene Herausforderungen sind, als Lasten, die man gerne los wäre (Antonovsky, 1997, S.36). Corinna A. Hermann, lic. phil. Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Zentrum für Systemische Therapie und Beratung, ZSB Bern 12

Resilienzfaktoren der Familie Bindungs- und Identifikationsfiguren Positive Elternschaft Glaube Corinna A. Hermann, lic. phil. Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Zentrum für Systemische Therapie und Beratung, ZSB Bern 13

Resilienzfaktoren des weiteren sozialen Umfeldes Freunde Lehrer und Schule Dorf / Gemeinde Corinna A. Hermann, lic. phil. Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Zentrum für Systemische Therapie und Beratung, ZSB Bern 14

Zweites Fazit Resilienz ist kein stabiles Persönlichkeitsmerkmal. Die Entwicklung von Resilienz wird als Prozess verstanden (Rutter, 1985). Resilienz ist innerhalb einer Entwicklungsperspektive zu verstehen und kann sich innerhalb des gesamten Entwicklungskontextes entfalten (Sroufe, 1997). Risikofaktoren und Schutzfaktoren sind nicht immer klar von einander abzugrenzen, ihre Funktion kann sich innerhalb eins Entwicklungsverlaufes ändern. Ein heutiger protektiver Faktor kann Morgen ein Risikofaktor sein. Das Wissen um Faktoren der Resilienz soll für Prävention und Therapie genutzt werden können. Corinna A. Hermann, lic. phil. Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Zentrum für Systemische Therapie und Beratung, ZSB Bern 15

Systemische Therapie und Resilienz: Schlüsselprinzipien zur Förderung von Resilienz Stressoren und Adaptionsprozesse über die Zeit verfolgen Genogrammarbeit Timelinearbeit Nach Sinn und Bedeutung in der Krise suchen Attributionen der einzelnen Familienmitglieder zur aktuellen Situation Wie war es bei früheren Krisen? Was hat dort geholfen, was nicht? Was konnte daraus gelernt werden? Normalisieren von familiärem Stress Entpathologisieren und Kontextualisieren der Problemsituation Respektvolle Sprache und Konstrukte benutzen Reframing und Relabeling Corinna A. Hermann, lic. phil. Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Zentrum für Systemische Therapie und Beratung, ZSB Bern 16

Identifizieren, bestätigen und aufbauen von familiärer Stärke Anstrengungen und Errungenschaften würdigen Empathische Verbindungen zwischen den Familienmitgliedern stärken und aufbauen Positiver, zukunftsorientierter Fokus Von Klagen auf Ziele umfokussieren Installierung von Hoffnung Walsh, 1998 Corinna A. Hermann, lic. phil. Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Zentrum für Systemische Therapie und Beratung, ZSB Bern 17

Zitat aus: Jenseits der Liebe Sobald man überlegt, wo man ist, ist man schon an einem bestimmten Punkt. Man muss dann nur den nächsten Schritt tun. Mehr als den nächsten Schritt kann man überhaupt nicht tun. Wer behauptet, er wisse den übernächsten Schritt, lügt. So einem ist auf jeden Fall mit Vorsicht zu begegnen. Aber wer den nächsten Schritt nicht tut, obwohl er sieht, dass er ihn tun könnte, tun müsste, der ist feige. Der nächste Schritt ist nämlich immer fällig. Der nächste Schritt ist nämlich nie ein grosses Problem. Man weiss ihn genau. Eine andere Sache ist, dass er gefährlich werden kann. Nicht sehr gefährlich. Aber ein bisschen gefährlich kann auch der fällige nächste Schritt werden. Aber wenn du ihn tust, wirst du dadurch, dass du erlebst, wie du ihn dir zugetraut hast, auch Mut gewinnen. Während du ihn tust, brichst du nicht zusammen, sondern fühlst dich gestärkt. Gerade das Erlebnis, dass du einen Schritt tust, den du dir nicht getraut hast, gibt dir ein Gefühl von Stärke. Es gibt nicht nur die Gefahr, dass du zuviel riskierst, es gibt auch die Gefahr, dass du zuwenig riskierst. Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füsse. Martin Walser, 1976, zitiert nach Short & Weinspach, 2007, S.43 Corinna A. Hermann, lic. phil. Fachpsychologin für Psychotherapie FSP, Zentrum für Systemische Therapie und Beratung, ZSB Bern 18