Gefilterte Druckentlastung für den Sicherheitsbehälter von Leichtwasserreaktoren, Anforderungen für die Auslegung

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Transkript:

Richtlinie für schweizerische Kernanlagen Gefilterte Druckentlastung für den Sicherheitsbehälter von Leichtwasserreaktoren, Anforderungen für die Auslegung Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen (HSK) zu beziehen bei: Hauptabteilung für die Sicherheit der Kernanlagen (HSK) CH-5232 Villigen-HSK/Schweiz

Verteiler HSK: Direktion, Abteilungsleiter, Sektionschefs, Anlagekoordinatoren, F+I, Administrationsdienst KSA: Mitglieder (13), Experten (2), Sekretariat (1) BEW: Sektion NS, Rechtsdienst Anlagen: KKB (30), KKM (32), KKG (7), KKL (3), PSI (4) Firmen: NOK Baden, COLENCO Baden, ABB Baden, EWI Zürich, Gebr. SULZER, Winterthur, NAGRA (2), GNW bearbeitende Abteilungen: AR, AS alle Mitarbeiter

Inhalt 1 Einleitung Seite 1 2 Klassen von Ereignisabläufen 1 2.1 Druckwasserreaktoren mit Volldruck-Containment 2 2.2 Siedewasserreaktoren mit Druckabbausystem 2 3 Auslegungsparameter für die gefilterte Druckentlastung 3 3.1 Zielsetzung 3 3.2 Kapazität 3 3.3 Rückhaltefaktoren 5 3.4 Weitere Auslegungsparameter 6 3.4.1 Auslegung und Wartung 6 3.4.2 Strahlenschutz und Handhabung radioaktiver Stoffe 7 3.4.3 Betrieb der gefilterten Druckentlastung 7 3.4.4 Unabhängigkeit der gefilterten Druckentlastung und Auswirkungen 8 auf die Anlage 4 Zusätzliche passive Entlastung 8 Anhang: Definition des Versagensdruckes 10

Seite 1 1 Einleitung Die Richtlinien der schweizerischen Sicherheitsbehörden legen dar, wie diese ihre gesetzlichen Aufträge konkretisieren wollen. Den Projektanten und Betreibern von Kernanlagen soll damit aufgezeigt werden, nach welchen Kriterien die zuständigen Behörden die Gesuche beurteilen und die Aufsicht durchführen. Eine Möglichkeit, das Risiko von Kernkraftwerken noch weiter zu verkleinern, besteht darin, technische Massnahmen an den Anlagen vorzunehmen, die eine unkontrollierte Freisetzung von radioaktiven Stoffen infolge Überdruckversagens des Sicherheitsbehälters nach einem schweren Unfall verhindern. Eine dieser Massnahmen ist die gefilterte Druckentlastung des Sicherheitsbehälters. Sie kann bei einem Teil der denkbaren schweren Unfälle eine bedeutende Reduktion der freigesetzten radioaktiven Stoffe erbringen. Im Abschnitt 2 werden die Ereignisabläufe hinsichtlich der Gefährdung des Containments näher erläutert. Die HSK hat auch die internationalen Trends zur gefilterten Druckentlastung des Sicherheitsbehälters verfolgt und diskutiert. Auf der Basis dieser Diskussion und unter Berücksichtigung der Zielvorstellungen der HSK sind dann die Anforderungen und Randbedingungen für ein derartiges System zusammengestellt worden. Diese Anforderungen werden im 3. Abschnitt beschrieben. Weil die gefilterte Druckentlastung nicht bei allen Ereignisabläufen wirksam ist und andererseits mit der Abgabe radioaktiver Stoffe verbunden ist, kann sie nicht als Ersatz für die Notfallschutzplanung und die entsprechenden Notfallmassnahmen in der Umgebung der Kernkraftwerke betrachtet werden. Diese Richtlinie formuliert die Anforderungen für die Auslegung und Installation der gefilterten Druckentlastung. Nicht Gegenstand dieser Richtlinie sind Fragen des "Accident Management", wie z.b. Entscheidungskriterien für den Einsatz und die Beendigung der Druckentlastung oder Vermeidung von Unterdruck im Containment. 2 Klassen von Ereignisabläufen Die nachfolgenden Listen geben eine Übersicht über die wichtigsten Klassen von Ereignisabläufen bei schweren Unfällen. Deren Einteilung erfolgt gemäss der Art und Weise der Gefährdung des Containments. Die grundsätzlichen Unterschiede zwischen Druckwasser- und Siedewasserreaktoren, im vorliegenden Zusammenhang vor allem in bezug auf den Aufbau und die Funktionsweise des Containments, ergeben für die beiden Reaktortypen einen unterschiedlichen Satz von wichtigen Ereignisabläufen.

Seite 2 2.1 Druckwasserreaktoren mit Volldruck-Containment D1: Ereignisabläufe mit langsamem Druckaufbau im intakten Containment oder mit einer kleinen Containment-Leckage, welche den Druckaufbau im Containment nicht wesentlich beeinflusst. D2: Ereignisabläufe mit schnellem Druckanstieg, z.b. infolge Wasserstoff-Deflagration, Druckspitze nach Versagen des RDB unter hohem Druck, Containment "direct heating". D3: Ereignisabläufe bei denen die Integrität des Containments durch lokale mechanische oder thermische Einwirkungen zerstört wird (Beispiel: Durchschmelzen des Fundaments). D4: Ereignisabläufe, bei denen das Containment umgangen wird (Beispiel: Kühlmittelverluststörfall über eine Leitung, die direkt nach ausserhalb des Containments führt). D5: Ereignisabläufe mit Versagen der Schliessfunktion von Abschlussorganen des Containments (Beispiel: eine offene Lüftungsklappe schliesst nicht). Bei diesen Ereignisabläufen ist eine Leckage mit grossem Leckagequerschnitt denkbar, welche den Druckaufbau im Containment wesentlich reduziert oder überhaupt verhindert. 2.2 Siedewasserreaktoren mit Druckabbausystem S1: Ereignisabläufe mit langsamem Druckaufbau im intakten Containment oder mit einer kleinen Containment-Leckage, welche den Druckaufbau nicht wesentlich beeinflusst. Die Funktion des Druckabbausystems ist nicht oder nur teilweise beeinträchtigt. S2: Ereignisabläufe mit schnellem Druckanstieg, z.b. infolge Wasserstoff-Deflagration (nur für nicht inertierte Containments), oder Druckspitze nach Versagen des RDB unter hohem Druck, Containment "direct heating". S3: Ereignisabläufe bei denen die Integrität des Containments durch lokale mechanische oder thermische Einwirkungen zerstört wird (Beispiel: Kontakt Schmelze/Containment oder Durchschmelzen des Fundaments). S4: Ereignisabläufe bei denen das Containment umgangen wird (Beispiel: Kühlmittelverlust über eine Leitung, die direkt nach ausserhalb des Containments führt). S5: Ereignisabläufe mit Versagen der Schliessfunktion von Abschlussorganen des Containments (Beispiel: eine offene Lüftungsklappe schliesst nicht). Bei diesen Ereignisabläufen ist eine Leckage mit grossem Leckagequerschnitt denkbar, welche den Druckaufbau im Containment wesentlich reduziert oder überhaupt verhindert.

Seite 3 S6: Ereignisabläufe mit Versagen der Reaktorabschaltung und der Vergiftungsfunktion. S7: Ereignisabläufe mit Kühlmittelverlust und schwerwiegendem Versagen der Druckabbaufunktion des Containments (Beispiel: Offene Lüftungsklappen oder Vakuumbrecher zwischen Drywell und Wetwell). Die gefilterte Druckentlastung kann bei den Ereignisabläufen der Klassen D1 und S1 ein Containmentversagen verhindern und eine bedeutende Reduktion der freigesetzten radioaktiven Stoffe bewirken. Die Klassen D1 und S1 werden daher als Auslegungsgrundlage für die gefilterte Druckentlastung gewählt. Die Linderung anderer Ereignisabläufe ist in unterschiedlichem Ausmass möglich, wird aber nicht zur Auslegung herangezogen. Gemäss den vorliegenden Resultaten der Risikostudien stellen die Ereignisabläufe der Klassen D1 und S1 in bezug auf die Auftretenswahrscheinlichkeit den Hauptteil. Die verbleibenden Ereignisabläufe müssen, sofern das entsprechende Risiko nicht akzeptabel erscheint, durch andere Massnahmen verhindert oder in ihren Auswirkungen beschränkt werden (siehe auch HSK-AN-1827). 3 Auslegungsparameter für die gefilterte Druckentlastung 3.1 Zielsetzung Das primäre Ziel für die gefilterte Druckentlastung ist die Verhinderung des Überdruckversagens des Containments bei den Ereignisabläufen der Klassen D1 (DWR) und S1 (SWR). Das System zur gefilterten Druckentlastung soll derart ausgelegt werden, dass alle diese Ereignisabläufe so beherrschbar sind, dass der Druck im Containment jederzeit auf einen unbedenklichen Wert begrenzt werden kann. Die Auswirkungen auf die Umgebung sollen so weit gemildert werden, dass Gebiete mit langfristiger Geländekontamination vermieden oder eng begrenzt werden können. 3.2 Kapazität Innerhalb der Klassen D1 und S1 ist ein breites Spektrum von einzelnen Ereignisabläufen denkbar. Um dieser Variabilität in bezug auf die erforderliche Kapazität der gefilterten Druckentlastung gerecht zu werden, kann eine konservative Auslegung ohne rechnerische Nachweise getroffen werden. Eine solche Auslegung soll von einem Richtwert der Dampfproduktion von 1% der thermischen Reaktorleistung ausgehen. Zwischen SWR- und DWR-Anlagen besteht ein wesentlicher Unterschied in bezug auf das Verhalten des Containments. Bei den SWR mit Druckabbaucontainment ist der zeitliche Druckverlauf von der Wirksamkeit des Kondensationsbeckens abhängig und wird somit von internen Leckagen mehr oder weniger stark beeinflusst. Beim Volldruck-

Seite 4 Containment des DWR gibt es demgegenüber keine Versagensmechanismen, welche zu einem schnelleren Druckaufbau führen als im intakten Containment. Für SWR-Anlagen wird die anzunehmende teilweise Umgehung des Kondensationsbeckens indirekt durch Vorgabe einer Abblasemenge von 1% Reaktorleistung berücksichtigt, welche der Nachwärmeleistung nach ca. 3 Stunden entspricht. Mit dieser Vorgabe lässt sich auch ein Teil der Ereignisabläufe der Klasse S7 beherrschen, indem ein frühes Containmentversagen verhindert wird. Der zugrundegelegte Ereignisablauf innerhalb der Klasse S1 entspricht einer Transiente mit Versagen der Kernkühlung. Nach dem Versagen des Reaktordruckbehälters wird angenommen, dass der dann entstehende Dampf das Kondensationsbecken umgeht. Da dieser Ereignisablauf innerhalb der Klasse S1 einen seltenen Extremfall darstellt, können auch Kapazitätsreserven der Druckentlastung in Anspruch genommen werden, welche eine Reduktion der nominellen Abblasekapazität (definiert als Abblasemenge beim nominellen Abblasedruck) erlauben. Für DWR-Anlagen kann eine anlagespezifische Druckaufbaurechnung zur Bestimmung der Abblasemenge herangezogen werden. Dafür ist der Fall einer voll kühlbaren Schmelze zu wählen, weil dieser zum stärksten Druckaufbau innerhalb der Klasse D1 führt. Die nominelle Abblasemenge entspricht der Nachwärme zum Zeitpunkt, wo der nominelle Abblasedruck erreicht wird. Da eine kühlbare Schmelze im Rahmen der schweren Unfälle relativ wahrscheinlich ist, soll die derart errechnete Abblasemenge ohne Inanspruchnahme von Kapazitätsreserven als nominelle Abblasekapazität abgeführt werden können. Als Kapazitätsreserve wird eine Steigerung der Abblasemenge über den nominellen Wert verstanden, wobei eine eventuell dazu notwendige Drucksteigerung im Containment in Form von Festigkeitsreserven gerechtfertigt sein muss. Unter Berücksichtigung dieser Überlegungen gilt für die Auslegung der Abblasekapazität: Wenn mit dem System die Dampfproduktion aus einer Nachwärmeleistung von 1% der thermischen Reaktorleistung abgeführt werden kann, sind keine zusätzlichen Nachweise bezüglich Abblasemenge zu führen. SWR-Anlagen können davon bis zu 0,2% Abblase- Leistung in Form von vorhandenen Kapazitätsreserven (z.b. Durchsatzsteigerung durch Druckerhöhung über den nominellen Abblasedruck) vorsehen, was einer Reduktion der nominellen Abblasemenge auf 0,8% entspricht. Für Anlagen mit einem Volldruck- Containment kann der Richtwert 1% auf die auf der Basis einer anlagespezifischen Druckaufbaurechnung ermittelte Abblasemenge reduziert werden. Liegt die derart errechnete Abblasemenge unter 0,5%, so kann die nominelle Abblasekapazität auf die errechnete Menge, jedoch nicht unter 0,4%, reduziert werden. Voraussetzung ist aber, dass der Differenzbetrag zu 0,5% in Form von Kapazitätsreserven (z.b. Durchsatzsteigerung durch Druckerhöhung über den nominellen Abblasedruck) vorhanden ist.

Seite 5 In bezug auf den nominellen Druck im Containment, bei dem die gefilterte Druckentlastung in der Lage sein muss, die vorgängig spezifizierte nominelle Nachwärmeleistung zu verarbeiten, gilt die folgende Festlegung: Nicht inertiertes DWR-Containment: Entweder der Auslegungsdruck oder der halbe Versagensdruck 1). Diese Spezifikation berücksichtigt eine eventuelle weitere Druckerhöhung infolge einer Wasserstoff-Verbrennung um maximal einen Faktor 2 (absolute Drücke). Inertiertes SWR-Containment: Maximal 1,5-facher Auslegungsüberdruck oder 2/3 Versagensüberdruck. Es ist nachzuweisen, dass bei diesen Drücken unzulässige Leckagen ausgeschlossen werden können. Andernfalls ist der Prüfdruck zu wählen. Nicht inertiertes SWR-Containment mit Zündsystem: Für die Phase der Wasserstoff-Zündungen: Entweder der Auslegungsdruck oder 1/2 Versagensdruck (absolute Drücke). Für die Phase ohne Wasserstoff-Zündungen: Entweder 1,5-facher Auslegungsüberdruck oder 2/3 Versagensüberdruck. Es ist nachzuweisen, dass bei diesen Drücken unzulässige Leckagen ausgeschlossen werden können. Andernfalls ist der Prüfdruck zu wählen. Voraussetzung für die Anwendung des Druckkriteriums ohne Wasserstoff-Zündungen ist der Nachweis, dass die Funktion des Wasserstoff-Kontrollsystems die Wasserstoff- oder Sauerstoff-Konzentration unter die Zündgrenze verringern kann, wobei auch die inertierende Wirkung der angenommenen Dampffreisetzung unter Umgehung des Kondensationsbeckens berücksichtigt werden kann. Alle oben genannten Druckkriterien, welche vom Auslegungsdruck abgeleitet werden, sind dadurch gerechtfertigt, dass die Auslegung der schweizerischen Containments einen Versagensüberdruck von grösser 2 mal Auslegungsüberdruck erwarten lässt. 3.3 Rückhaltefaktoren Entscheidend für die Auslegung des Systems zur gefilterten Druckentlastung ist die Minderung des Ausmasses der Aktivitätsfreisetzung an die Umgebung. Betreffend der Zusammensetzung, der Transporteigenschaften und der Rückhaltung der radioaktiven Stoffe im Containment bei schweren Unfällen bestehen auch heute noch Kenntnislükken bzw. kein internationaler Konsens. Für die gefilterte Druckentlastung sind deshalb die folgenden Rückhaltefaktoren - die heute technisch realisierbar sind - im Sinne einer Zielvorstellung anzustreben: 1) Definition des Versagensdruckes vgl. Anhang

Seite 6 Primäres Ziel: Zur weitgehenden Vermeidung einer langfristigen Geländekontamination vor allem durch radioaktives Cäsium: Rückhaltefaktor von 1000 für die Aerosole. Sekundäres Ziel: Zur wirksamen Beschränkung der Schilddrüsendosen bei der Bevölkerung und zur weitgehenden Vermeidung von Evakuationen: Rückhaltefaktor von 100 für elementares Jod. Die Rückhaltefaktoren der gewählten technischen Lösung sind mittels Experimenten oder Berechnungen auf der Basis von Experimenten in einem Bereich von 30% bis 100% des Auslegungsdurchsatzes zu demonstrieren. Für geringere Abblasemengen kann intermittierendes Abblasen zugelassen werden. Das anzunehmende Aerosol-Spektrum soll dem heutigen Stand des Wissens entsprechen. Es sollen Massnahmen getroffen oder vorbereitet werden, um längerfristig eine Wiederfreisetzung der radioaktiven Stoffe aus dem Filter zu vermeiden. 3.4 Weitere Auslegungsparameter Im weiteren sind für die Anlage eine Reihe anderer Auslegungsparameter einzuhalten bzw. Faktoren zu berücksichtigen, die im folgenden lediglich stichwortartig aufgelistet werden: 3.4.1 Auslegung und Wartung - Einhaltung der Containmentspezifikationen bis und mit der zweiten Containment-Abschlussarmatur. - Die übrigen Systemteile ausserhalb des Containments, aber vor der Drosselstelle, sind gemäss der Sicherheitsklasse 4 entsprechend HSK-R-06 und SSE (Erdbebenklasse 1) auszulegen. Die Druckauslegung soll mindestens 1,5 mal dem gemäss Abschnitt 3.1 anzunehmenden Abblasedruck entsprechen. - Konservative Berücksichtigung der zu erwartenden Temperaturen, Berücksichtigung der Möglichkeit einer lokalen Ansammlung von Wasserstoffgas. - Funktion des Systems auch bei variablem Druck im Containment und bei variablem Durchsatz. - Funktion des Systems auch nach Flutung des Drywells und Auffüllen des Wetwells (gilt speziell für das Mark-I-Containment).

Seite 7 - Durchsatz einstellbar. - Ableitung des gefilterten Dampf/Luft-Gemisches über den Kamin oder eine andere zweckmässige Leitung. - Möglichkeit der periodischen Kontrolle der Ausrüstung. - Konservierung des Filtermaterials. - In bezug auf die Filterbeladung mit radioaktiven Stoffen und inaktivem Material soll eine Aerosolmenge von 150 kg zugrunde gelegt werden, die von der Anlage verarbeitet werden muss. Ein grosser Teil dieser Aerosolmenge besteht dabei aus inaktiven Stoffen. 3.4.2 Strahlenschutz und Handhabung radioaktiver Stoffe - Keine unzulässige Strahlenbelastung für das Personal bei manueller Bedienung (Planungswert für Notfallsituation: Individualdosis kleiner als 0,1 Sv). - Die infolge der Filterbeladung verursachte Strahlung soll am Zaun des Kraftwerkareals keine wesentliche Erhöhung der durch Direktstrahlung aus der Kraftwerksanlage verursachten unfallbedingten Dosisleistung ergeben. Die Anlage zur gefilterten Druckentlastung ist nötigenfalls mit einer geeigneten Abschirmung zum Schutz von Personal und Bevölkerung zu versehen. Bei Mehrblockanlagen ist diese Aussage sinngemäss auch in bezug auf die nicht direkt betroffenen Anlagen anzuwenden. - Möglichkeit der Handhabung der zurückgehaltenen radioaktiven Stoffe nach dem Unfall. 3.4.3 Betrieb der gefilterten Druckentlastung - Das System soll flexibel, einfach und auf möglichst passive Weise funktionieren. Im Anforderungsfall soll lediglich das Öffnen und Schliessen der Druckentlastung mit aktiven Komponenten erfolgen. - Es kann davon ausgegangen werden, dass Betriebspersonal verfügbar ist. Die Einleitung, Steuerung und Beendigung der Druckentlastung soll nicht automatisch, sondern vom Personal vorgenommen werden. - Die Bedienung des Systems soll einerseits - fernbedient von einer gegen Direktstrahlung und luftgetragene Radioaktivität geschützten Steuerstelle (Kommandoraum oder Notsteuerstelle), andererseits - manuell vor Ort möglich sein.

Seite 8 - Das System soll jederzeit betriebsbereit sein (keine Montagearbeiten für die Inbetriebnahme im Anforderungsfall). - Instrumentierung zur Überwachung des Entlastungsvorgangs, sowie eine Instrumentierung zur Überwachung und Registrierung der an die Umgebung abgegebenen radioaktiven Stoffe. - Möglichkeit des Nachfüllens resp. Auswechselns der Wasservorlage bei Verwendung eines Nasswäscherfilters. - Beherrschung des Anfahrvorgangs (z. B. Kondensationsschläge). - Ableitung und Lagerung einer möglicherweise beträchtlichen Menge von radioaktivem Kondensat. 3.4.4 Unabhängigkeit der gefilterten Druckentlastung und Auswirkungen auf die Anlage - Kein nachteiliger Einfluss auf den normalen Anlagenbetrieb. - Kein nachteiliger Einfluss auf die bestehenden Sicherheitsfunktionen und Sicherheitssysteme; insbesondere die Isolation des Containments darf im Rahmen der Auslegungsstörfälle nicht beeinträchtigt werden. - Autarkie der Instrumentierung für ca. 100 Stunden. - Funktionsfähigkeit des Systems auch bei Ausfall der nicht zum System gehörenden elektrischen Einrichtungen. 4 Zusätzliche passive Entlastung Es ist eine zusätzliche passive Entlastung vorzusehen, welche unabhängig von aktiven Systemen oder Personalhandlungen funktioniert. Der Ansprechdruck soll so gewählt werden, dass die folgenden Schutzziele erreicht werden: 1. Vermeidung des Überdruckversagens des Containments 2. Vermeidung des zu frühen Abblasens Dabei ist dem Schutzziel 1 im Zweifelsfalle Priorität einzuräumen. Im weiteren sind folgende Bedingungen zu beachten: - Die Auslegungsstörfälle dürfen nicht nachteilig beeinflusst werden.

Seite 9 - Die bisherigen Auslegungsgrundlagen der Containment-Druckentlastung werden nicht verändert. - Eine Berstscheibe, deren Einstellung genügend hoch über dem Auslegungsdruck des Containments liegt, kann als passiver Teil des Containments betrachtet werden und ist deshalb als Abschluss ausreichend. - Falls eine Berstscheibe verwendet wird, soll sie parallel zu den Absperrarmaturen installiert werden. - Die passive Entlastungsstrecke muss mit mindestens einer Armatur absperrbar sein. - Die Absperrarmatur soll von der gleichen Steuerstelle wie für die "normale" Entlastung fernsteuerbar sein. - Eine manuelle Bedienung dieser Absperrarmatur muss ebenfalls möglich sein. - Die Absperrarmatur(en) der passiven Entlastungsstrecke müssen ohne Hilfsenergie (Strom, Druckluft) sowohl in offener als auch in geschlossener Stellung gehalten werden können. - Die Druckentlastung unterhalb des Ansprechdruckes der Berstscheibe muss nach wie vor möglich sein. - Die Schluckfähigkeit der passiven Entlastungsstrecke bei Ansprechdruck soll der nominellen Abblasemenge gemäss HSK-AN-2026 entsprechen. - Die dynamischen Belastungen der Rohrleitungen und des Filters beim Öffnen der passiven Entlastung müssen berücksichtigt werden.

Seite 10 Definition des Versagensdruckes ANHANG Als Versagensdruck des Sicherheitsbehalters wird eine konservativ ermittelte untere Schranke für den Kollapsdruck im Sinne des statischen Grenzwertsatzes der Theorie ideal plastischer Strukturen definiert. Dabei sind die folgenden Bedingungen und Voraussetzungen zu beachten: - Es wird vorausgesetzt, dass der Werkstoff duktil ist. - Konservative Annahmen für die Berechnung: - Fliessspannung σ F = 0,5 (R p 0,2 + R m ) - garantierte Mindestwerte von R p 0,2 und R m - Schubspannungshypothese - Mindestwanddicken - Alle Bereiche der Struktur sind zu untersuchen. Der kleinste Wert der so berechneten Versagensdrücke wird als Versagensdruck des Sicherheitsbehälters festgelegt. - Es ist zusätzlich nachzuweisen, dass bis zum Erreichen des festgelegten Versagensdruckes keine im Sinne der Auslegung nicht beherrschbaren Leckagen entstehen.