Jahresbericht 2007 2010 Herausgeber: Krisendienst Psychiatrie München Bavariastr. 11, 80336 München info@krisendienst-psychiatrie.de www.krisendienst-psychiatrie.de Verbundpartner: Caritasverband der Erzdiözese München und Freising e.v., Diakonie Hasenbergl e.v., gemeinnützige GmbH des Projektevereins, Isar-Amper-Klinikum gemeinnützige GmbH, Klinikum München-Ost, Soziale Dienste Psychiatrie gemeinnützige GmbH, in Kooperation mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns
Vorwort Im Frühjahr 2010 besteht der Krisendienst Psychiatrie München drei Jahre. Seine Gründung war das Ergebnis eines längeren Prozesses, in dem sich, ausgehend von bereits bestehenden Krisenversorgungsangeboten, unterschiedliche Einrichtungen und Träger aus dem ambulanten und stationären Bereich zusammengeschlossen haben. Gemeinsam mit Psychiatrieerfahrenen, Angehörigen und politisch Verantwortlichen wurde ein stadtweit einheitliches Angebot entwickelt, das den Münchener Bürgerinnen und Bürgern qualifizierte psychiatrische Soforthilfe bei seelischen Krisen und psychiatrischen Notfällen zur Verfügung stellt: eine Krisentelefonnummer, stadtweit zuständig und täglich erreichbar kein Ausschluss bestimmter Krisen und Notfälle Angebot für Betroffene, Angehörige, Fachstellen und Dienste/Einrichtungen, die mit Menschen in Krisen zu tun haben persönliche Krisenberatungen und mobile Einsätze durch den Krisendienst verbindliche Vermittlung von Soforthilfe Lotsenfunktion in der psychiatrischen/psychosozialen Versorgungslandschaft Durch dieses Angebot können Menschen in akuten Krisen aber auch bereits im Vorfeld von krisenhaften Entwicklungen die für sie geeignete Hilfe frühzeitig, niedrigschwellig und unbürokratisch sowie abgestimmt auf ihre persönlichen Bedürfnisse erhalten. Im Sinne dieser Zielsetzung halten wir jedoch weitere Entwicklungsschritte für erforderlich (siehe Ausblick). Wir arbeiten deshalb im Trägerverbund und gemeinsam mit unterschiedlichen Partnern daran, die regionale Krisen versorgung mit allen dafür notwendigen Angeboten, Strukturen und Kooperationen weiter auszubauen. Qualifizierte Soforthilfe bei seelischen Krisen jeder Art Ein Angebot für Betroffene, Angehörige, Bezugspersonen und Fachstellen Ein Angebot von erfahrenen, speziell in Krisenintervention geschulten psychiatrischen und psychozozialen Fachkräften Telefonische Beratung und Krisenintervention Mobile Einsätzevor Ort Leitstelle Krisendienst Psychiatrie München täglich 9 bis 21 Uhr Information Abklärung Wegweisung Lotsendienst Vermittlung in ambulante (Krisen-) Beratung und Behandlung Vermittlung in stationäre (Krisen-) Behandlung
Daten und Fakten zur Entwicklung des Krisendienstes Wie häufig wird der Krisendienst in Anspruch genommen? Die Auslastungszahlen machen deutlich, dass der Krisen dienst sich im psychiatrischen Versorgungssystem etabliert hat und wir unser Angebot den potentiellen Nutzerinnen und Nutzern gut vermitteln können. Bei gleichbleibender Personalausstattung stieg die Inanspruchnahme stetig in allen Tätigkeitsbereichen, am stärksten von April 2008 bis Ende März 2009 um 35,5%. Woher kommen die Anrufe? Wir verzeichnen eine Zunahme der Anfragen aus dem Umland von München. Diese Anruferinnen und Anrufer werden selbstverständlich telefonisch beraten und unterstützt. Wir können jedoch außerhalb des Stadtgebiets keine aufsuchende Krisenhilfe anbieten, was den Betroffenen oft schwer zu vermitteln ist. 100 90 80 70 60 80,2 % LK Umland 35,8 % 10.000 50 8.000 35,5 % 9.540 40 30 LK München 64,2 % 6.000 14,8 % 6.133 7.038 20 10 19,8 % N = 2.841 4.000 % München LK München und Umland 2.000 Verhältnis zwischen den Anrufen aus dem Landkreis München und aus den umliegenden Landkreisen 800 700 600 500 400 300 200 100 1. Jahr 2. Jahr 3. Jahr Entwicklung der Anzahl der Telefonkontakte Zeitraum 1.4.2007 31.3.2009 Damit stiegen auch die akuten Krisenfälle, die einen Einsatz oder eine persönliche Krisenberatung notwendig machten, seit Gründung des Krisendienstes jährlich an. 21,3 % 512 26,9 % 621 788 Wer meldet sich beim Krisendienst? In 2009 haben sich in der Hälfte (50,1%) der Fälle die Betroffenen selbst an den Krisendienst gewandt. Bezugspersonen, Angehörige, Freunde und Bekannte waren die zweitgrößte Gruppe der Anrufer. Unter Fachstellen (10,8%) sind verschiedenste Einrichtungen und Professionelle zusammengefasst wie Beratungsstellen, therapeutische und ärztliche Praxen, aber auch die Polizei. Sonstige Anrufer waren z.b. Vorgesetzte, Lehrerinnen oder Hausverwaltungen. Gelegentlich möchten die Anrufer/innen auch anonym bleiben, was wir respektieren. 10,8 % 4,7 % 34,4 % 1. Jahr 2. Jahr 3. Jahr Anzahl der Einsätze und persönlichen Beratungen Zeitraum 1.4.2007 31.3.2009 50,1 % N = 4.113 (keine Angaben: 134) Angehörige Klient selbst Fachstellen sonstige Anrufer
Welche Anliegen haben die Anrufer/innen? Die Bandbreite der Anliegen und Nöte der Menschen, die sich an den Krisendienst wenden, ist groß. Häufige Anliegen sind: Suche nach Informationen zur geeigneten ambulanten oder stationären Behandlung, erste Orientierung zum weiteren Vorgehen bei einer erstmals aufgetretenen Depression, Ratsuche zum Umgang mit einem psychisch erkrankten Familienmitglied, Vermittlung eines zeitnahen Termins bei einem Psychiater, Suche nach einem Psychotherapieplatz. 2009 handelte es sich bei jedem fünften Anruf um eine akute Krisensituation, die einer zeitnahen, meist tagesgleichen, Intervention bedurfte. 79,9 % 20,1 % Telefonkontakte gesamt tel. Krisen intervention Kurzkontakte, Verlaufskontakte Beratungen Krisenintervention N =1.820 Beratung N = 2.427 Kurzkontakte N = 1.587 Verläufe N = 3.240 Um welche Arten von seelischen Krisen handelt es sich? Am Leitstellen-Telefon werden keine Diagnosen gestellt, die Mitarbeiter/innen treffen stattdessen eine Einschätzung über den aktuellen psychischen Zustand ( Leitsyndrom ) im Zusammenhang mit der geschilderten Krisensituation. Auf der Basis dieser Einschätzung wird gemeinsam mit den Anrufern eine Entscheidung über nächste Schritte und ein konkretes Hilfsangebot getroffen. Im Vordergrund stehen 2009 wie in den Vorjahren Krisen in Verbindung mit affektiven, meistens depressiven Störungen, gefolgt von psychotischen Zuständen und Belastungsreaktionen auf unterschiedlichste, häufig auch psychosoziale Krisenauslöser wie Verlust eines nahestehenden Menschen, familiäre Verluste oder Arbeitsplatzprobleme. Wie hilft der Krisendienst? In vielen Fällen ist eine telefonische Krisenintervention bereits ausreichend, bei akuten psychiatrischen Notfällen, insbesondere in Verbindung mit Selbst- oder Fremdgefährdung, kann der Krisendienst auch direkt vor Ort kommen. 67,1 % Die meisten Krisen können ambulant aufgefangen werden. Bei etwa 1/7 der Kriseneinsätze und persönlichen Krisenberatungen wird eine stationäre Aufnahme in die Wege geleitet. Von diesen Klinikaufnahmen ist der überwiegende Teil freiwillig. keine Angaben 2,7 % Hilfe zunächst abgelehnt 3,9 % vor Ort nicht angetroffen 3,7 % somatische Abklärung 1,2 % stationäre Einweisung 15,3 % Vorstellung psychiatr. Ambulanz Anregung behördl. Überprüfung 32,9 % Alle telefonischen Kriseninterventionen 1,9 % 6,1 % Beratung Dritter 4,0 % Einleitung nicht sofortiger Hilfe Krisenintervention durch KPM-Team ausreichend 9,2 % Häufige Maßnahmen bei Einsätzen und Persönlichen Beratungen Mobiler Einsatz als Ergebnis der telefonischen Krisenintervention N = 598 N = 1.820 stationäre Einweisungen Rechtsgrund 88 11 nach UG (Polizei) 11 1 freiwillig N = 752 Einsätze/PB nach UG (KVR) Notaufnahme 57,6 % Affektive Störung Störung des Realitätsbezugs Belastungsreaktion Keine Angabe/nicht einschätzbar Phobische- und andere Angststörungen Suizidales Syndrom Psychotrope Substanzen Krise bei Persönlichkeitsstörung 19,8 % 13,9 % 8,1 % 7,4 % 6,2 % 4,6 % 4,6 % 30,9 % Störung des Sozialverhaltens Sonstige 3,0 % 1,4 % N = 1.820 Leitsyndrome bei telefonischer Krisenintervention
Trägerstruktur, Mitarbeiter, Finanzierung Organisationsstruktur Diakonie Hasenbergl e.v. Soziale Dienste Psychiatrie ggmbh Der Krisendienst Psychiatrie München weist als Zusammenschluss unterschiedlicher Träger eine komplexe Organisationsstruktur auf. Über seine beispielhafte Trägerkooperation ist der Krisen dienst in die vielfältige psychiatrische Versorgungslandschaft eingebunden und kann sein Angebot an den aktuellen Entwicklungen und Bedarfen orientieren. Im Lenkungsausschuss, dem übergeordneten Steuerungsorgan des Krisendienstes, der für die langfristigen Zielsetzungen und die konzeptionellen Weiterentwicklungen zuständig ist, kommen die unterschiedlichen Bereiche der psychiatrischen Versorgungslandschaft zum Tragen: klinische Versorgung, ambulanter und sozialpsychiatrischer Bereich, Vertreter der Psychiatrie erfahrenen und Angehörigen, der niedergelassenen Nervenärzte und Psychiater sowie der Politik. Kassenärztliche Vereinigung Vertreter/in Bayerns der Fachgruppe der Nervenärzte/ Psychiater München Niedergelassene Nervenärzte Komplementäre Versorgung Caritas München und Freising e.v Münchner Psychiatrie- Erfahrene e.v. (MüPE) Betroffene ggmbh des Projektevereins Lenkungsausschuss Klinik Angehörige Delegation der APK Politik und Gesellschaft Isar-Amper- Klinkum/KMO Bezirk Oberbayern Landeshauptstadt München Die trägerübergreifende Organisationsstruktur des Krisendienstes spiegelt sich auch auf der Ebene des KPM-Leitungsteams wider, das durch verschiedene Träger gestellt wird und mit einer Diplom-Sozialpädagogin/Master Mental Health einer Diplom-Psychologin und einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie multiprofessionell besetzt ist. Auch auf der Ebene der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kommt die Vielfalt der beteiligten Organisationen zum Tragen. Beim Krisendienst arbeiten zwischen 35 und 40 haupt- und nebenamtliche Fachkräfte folgender Berufsgruppen: Diplom-Sozialpädagogen/innen Diplom-Psychologen/innen Fachschwestern und -pfleger für Psychiatrie Diplom-Pädagogen/innen, viele davon mit therapeutischer oder anderer fachspezifischer Qualifikation. Die meisten Mitarbeiter/innen sind neben ihrer Tätigkeit im Krisendienst auch in anderen psychiatrischen oder psychosozialen Einrichtungen tätig. Der Krisendienst verfügt damit über ein breites Spektrum an Fachwissen, beruflicher Erfahrung und Vernetzung mit anderen Fachstellen und Einrichtungen. Über die Mitarbeit von vier Sozialpsychiatrischen Diensten, die innerhalb ihrer Regelöffnungszeiten die mobilen Kriseneinsätze durchführen, ist es gelungen, SPDis mit ihren speziellen Ressourcen der regionalen Verankerung in den Krisendienst verbindlich einzubeziehen. Fachärztlich-psychiatrische Kompetenzen kann der Krisendienst bei Bedarf hinzuziehen über verbindliche Kooperationen mit dem psychiatrischen Bereitschaftsdienst der niedergelassenen Nervenärzte und Psychiater, mit psychiatrischen Ambulanzen und psychiatrischen Praxen. Finanzierung Die Leistungen des Krisendienstes Psychiatrie München werden vorrangig durch den Bezirk Oberbayern finanziert, ergänzend durch die Landeshauptstadt München und das Isar-Amper-Klinikum gemeinnützige GmbH. Das Bayerische Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen fördert die Informations- und Aufklärungskampagne. Unsere Öffentlichkeitsarbeit wird außerdem durch Beiträge der Förderkreismitglieder und Spenden unterstützt. Wir danken allen Institutionen und Einzelpersonen, die durch ihre finanzielle Unterstützung unsere Arbeit ermöglichen!
Öffentlichkeitsarbeit Neben der laufenden Öffentlichkeitsarbeit, zu der im wesentlichen der Versand von Informationsmaterialien Kooperationsgespräche mit Fachstellen und Einrichtungen sowie Informationsveranstaltungen und Kurzfortbildungen für verschiedene Zielgruppen gehören, standen im Jahr 2009 folgende Aktivitäten im Vordergrund: In einer Arbeitsgruppe des Krisendienstes und des Sozialreferates Bezirkssozialarbeit und Jugendamt wurde eine Kooperationsvereinbarung erarbeitet, die Mitte 2010 abgeschlossen werden wird. Wir konnten die verbindliche Kooperation mit verschiedenen psychiatrischen Praxen intensivieren und erweitern, die bereit sind, über den Krisendienst vermittelten Akutpatientinnen und -patienten zeitnahe Termine anzubieten. Der Krisendienst beteiligte sich über den Initiatorenkreis und verschiedene Veranstaltungen aktiv an der 1. Münchner Aktionswoche für seelische Gesundheit. Unser neu erstellter Wegweiser Krisenhilfe, der die Adressen aller wichtigen Krisenanlaufstellen, behandelnden und beratenden Institutionen enthält, wurde an viele Einrichtungen und Fachstellen verschickt und stieß auf große Resonanz. Planungen und Ausblick Für eine bedarfsgerechte Weiterentwicklung der ambulanten Krisenversorgung in München und im Landkreis halten wir folgende nächste Schritte für sinnvoll und notwendig: Erweiterung des Zeitfensters für die Krisendienst-Leitstelle und die mobilen Krisenteams täglich bis 24:00 Uhr; im nächsten Schritt 24stündige telefonische Erreichbarkeit. Ausweitung des Krisenversorgungsangebots (telefonische und aufsuchende Krisenintervention) auf den Landkreis München Personelle Verstärkung der Krisendienst-Leitstelle bei weiterhin steigender Inanspruchnahme Verbesserung der Krisenversorgung insbesondere für Kinder und Jugendliche Menschen mit Migrationshintergrund, die muttersprachliche Beratung und Behandlung benötigen, durch den Aufbau von Kooperationsstrukturen und den Ausbau von zielgruppenspezifischen Angeboten. In unserer Öffentlichkeitsarbeit halten wir an der Zielsetzung fest, allen Münchener Bürgerinnen und Bürgern den Krisendienst bekannt zu machen denn Krisen gehören zum Leben. Förderkreis seelische Gesundheit Neu entstanden im Jahr 2009 ist unser Förderkreis Seelische Gesundheit. Die Mitglieder des Förderkreises Menschen mit persönlichem oder fachlichem Bezug zum Thema seelische Krisen unterstützen unsere Informations- und Aufklärungskampagnen finanziell, um damit Stigmatisierung und Ausgrenzung entgegenzuwirken, Prävention und seelische Gesundheit zu fördern. Wichtige Zahlen im Überblick für 2009 Pro Monat ca. 650-800 Telefonkontakte Pro Monat ca. 60-70 mobile Einsätze und persönliche Krisenberatungen durch den KPM Bei ca. 1/7 der Einsätze und persönlichen Krisenberatungen war aufgrund von Dringlichkeit und Gefährdungsmomenten eine stationäre Klinikaufnahme notwendig. Davon sind fast 80% freiwillige Klinikaufnahmen. In den letzten drei Jahren (01.04.2007 bis 31.03.2010) hat der Krisendienst 9664 dokumentierte telefonische Beratungen und Kriseninterventionen bei 8714 Klientinnen und Klienten sowie 1920 Einsätze und persönliche Krisenberatungen bei 1670 Klientinnen und Klienten durchgeführt.