Depression als Problem der Allgemeinmedizin Vortrag Prof. Dr. med. Klaus-Dieter Kossow Hauptstadtsymposium der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde Volkskrankheit Depression, Pro und Contra der Behandlung mit Antidepressiva 1 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
Depression, ein häufiges und schwerwiegendes Problem auf allen Versorgungsebenen Google nennt unter Depression 73.300.000 Fundstellen Unter Psychotherapie Depression 339.000 Unter Psychiatrie Depression 334.000 Unter Selbsthilfe Depression 134.000 Unter Allgemeinmedizin Depression 68.000 Unter Therapie Depression 414.000 Unter Pharmakotherapie Wirksamkeit Depression Allgemeinmedizin immer noch 2.930 Fundstellen Fazit: Unser Thema ist umstritten, meine Ausführungen sind es zwangsläufig auch, zudem überblicke ich nicht die gesamte Literatur 2 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
Depression - Häufigkeit BMG: 4 Millionen Deutsche = ca. 5 % der Wohnbevölkerung leiden derzeit an Depressionen 40 % der Depressiven haben während der Episode Angstsymptome 10% der Bevölkerung bekommen einmal im Leben eine Depression in den Industriestaaten deutliche Trends zu früherer Psycho- und Pharmakotherapie. Die Suizidrate hat von 18000 / Jahr (1980) auf 12000 / Jahr (2006) abgenommen. Ober- und Mittelschicht lassen sich öfter behandeln. Frauen lassen sich doppelt so oft behandeln wie Männer Die Suizidrate ist bei Männern doppelt so hoch wie bei Frauen 3 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
K 1 7% FA 22 % HAUSÄRZTE 70 % SELBSTHILFE LAIEN KOSTENANTEILE ca.: 40 % 30 % 22 % 8 4 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
Bio-Psycho-Soziales Paradigma der Medizin nach von Uexküll als eine Grundlage der Allgemeinmedizin Gesundheit wird bestimmt durch Vorgänge, die nach den Regeln der Biologie, Physik, Chemie (Physiologie, Anatomie, Pathologie), also der Naturwissenschaften, der Psychologie, also der Geisteswissenschaften, der Gesellschaftswissenschaften beschreibbar aber nicht immer quantifizierbar und standardisierbar sind. Das gilt ganz sicher auch für Depressionen 5 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
Depression - Symptome Antriebshemmung (auch mit Denkhemmung) Stimmungseinengung, Freudlosigkeit Innere Unruhe, Grübelzwang, Schuldgefühle Schlafstörung (als Folge eines gestörten 24- Stunden Rhythmus bei Stimmung und Antrieb) Keines dieser Leitsymptome ist in einem physikalischen Maßsystem voll objektivierbar Somatoforme Störungen (Rücken-, Brust-, Kopfschmerzen, etc.) sind bei Depressiven sowie bei Angstkrankheiten besonders häufig und in der Allgemeinpraxis oft Erst- und Präsentationssymptome 6 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
Klassifikation nach ICD 10 F 32.0 leichte depressive Episode (berufliche und häusliche Pflichten sind zu bewältigen) F 32.1 mittelschwere d. E. ( arbeitsunfähig) F 32.2 schwere d. E. ohne psychotische Symptome (ständige Betreuung notwendig) F 32.3 schwere d. E. mit Wahngedanken F 32.8 sonstige d. E. F 32.9.d. E., nicht näher bezeichnet 7 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
Probleme der Klassifikation Die Klassifikation der Depressionen ist nach WHO noch wesentlich umfangreicher und differenzierter. Dieser Ausschnitt zeigt bereits die Abhängigkeit der Diagnosen von Tagesform und subjektiver sowie gesellschaftlicher Bewertung. Je niedriger der Krankenstand bei hohem Wettbewerb um Arbeitsplätze, desto geringer die Chance des Depressiven auf Toleranz am Arbeitsplatz. 8 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
Depression - Diagnostik Hamilton Depressionsscala HAMD Beck- Depressionsinventar BDI Inventar depressiver Symptome IDS Diese Hilfen sind Ergebnis der Bemühungen um eine qualitative Verbesserung und Standardisierung der Diagnostik. Sie sind insbesondere in der Primärversorgung wenig verbreitet, werden dort nicht entsprechend dem Zeitaufwand oder gar nicht bezahlt. Etwa 50 % der Depressionen werden wesentlich oder ausschließlich vom Hausarzt behandelt. Depressive finden gerade als Privatpatienten oft nicht zum Psychiater wenn dieser als Fachberater gefragt ist sich aber als Mitbehandler anbietet. 9 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
Depression Erscheinungsformen Unterschiedliche Bezeichnungen Endogene Depression = von innen heraus entstanden Neurotische Depression = als Folge nicht verkrafteter seelischer Belastung und Erschöpfung Reaktive Depression = als Folge eines belastenden Ereignisses, heute: depressive Reaktion (F 32.10) Bipolare Affektive Störung (Depression im Wechsel mit Manie, selten), auch manisch depressive Erkrankung, Zyclothymie Winterdepression = durch Mangel an Sonnenlicht Altersdepression = unterscheidet sich nicht von Episoden in jüngeren Jahren, aber Episoden treten im Alter häufiger auf Larvierte oder somatisierte Depression = D. im Erscheinungsbild körperlicher Symptome wie Rücken-, Herz-, Bauch-, oder Kopfschmerzen Organische Depression = D. als Folge einer körperlichen Erkrankung 10 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
Depression - Ursachen Es gibt eine genetische Komponente, ca. 10 bis 15 % der Kinder eines und bis 35% der Kinder von beiden depressiven Elternteilen erkranken Auch die emotionale Stresstoleranz hat eine genetische (und erzieherische ) Komponente Bei Depressiven sind serotonale oder noradrenale Transmittersysteme gestört Im Blut von Depressiven sind oft die Kortisolspiegel erhöht (Stresshormon), Dauerstress macht depressiv. Mangel an Tageslicht macht depressiv Medikamente wie Malariamittel, Interferon, Betablocker, Gestagene können Depressionen auslösen. Die Gesamtverordnungsmenge dieser Arzneimittel nimmt eher zu. Depression als unerwünschte Arzneimittelwirkung wird in der zunehmend spezialisierten Medizin oft nicht erfasst. 11 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
Depression und Verlusterlebnisse Todesfälle Partnerschaftskonflikte, Ehescheidungen, Trennungen der Kinder vom Elternhaus, Arbeitsplatzverlust, geplatzte Hausfinanzierung, Konkurse, etc. können Depressionen auslösen letzteres insbesondere dann, wenn in Familie oder Nachbarschaft keine Menschen für eine unterstützende Begleitung der Betroffenen vorhanden sind. Eine zunehmende Zahl von Singles, Ehescheidungen, Anforderungen an Mobilität im Arbeitsleben und auch mehr Wettbewerb stärken den Trend zu depressiven Reaktionen. 12 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
Depression - Behandlungsteam Angehörige (Kümmerer) Hausarzt-Nervenarzt-Psychotherapeut Pflegekräfte Soziale Dienste Selbsthilfegruppen Ergotherapeuten Physiotherapeuten / Logopäden / Sportbetreuung Tagesklinik, Betreuung bei sinnstiftenden Aktivitäten 13 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
Hilfeplan Restfähigkeiten? Besonders wichtig bei Betagten. Differentialdiagnose? Kodiagnosen? Soziale Kontakte? Finanzierung der Betreuung bei Einsamkeit? Wie ist die Ist-Situation? Was leistet der Patient selber? Was leistet die Familie selber? Was muss beschafft werden? 14 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
Depression Behandlungsziele Stabilisierung des Selbstwertgefühles Respektieren der Persönlichkeitsrechte Respektieren der Patientengefühle Stärken der Autonomie trotz Behinderung Training und Förderung von Fähigkeiten Insbesondere Gedächtnistraining bei Kodiagnose Demenz Aktivierung ohne Überforderung Soziale Aktivierung, Entlastung von Scham- und Schuldgefühlen Verbesserung der Lebensqualität der Kranken Entlastung der Bezugspersonen 15 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
Depression Pharmakotherapie(1) Vermeiden von Depressions- verstärkenden Therapiemaßnahmen z.b. bei Blutdrucksenkung, Absetzen von Cortikoiden etc. Behandlung devitalisierender Grundkrankheiten wie z.b. Herzinsuffizienz, schmerzhafter Erkrankungen, COPD, Leber- und Niereninsuffizienz, Anämien, Immundefiziten etc. Beratung bei Selbstmedikation mit Johanneskraut (Hypericum), Passioflora, Hopfen, Melissenblätter, L-Tryptophan, Vitaminen, Baldrianextract, Mystica, Lichtduschen etc. 16 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
Depression Pharmakotherapie (2) Trizyclica, Monoaminooxydase-Hemmer, Serotonin- und Serotonin-Noradrenalin- Wiederaufnahmehemmer. Bei Suizidalität, schwerer Depression, bipolarer Störung, längeren Phasen sollte immer Mitbehandlung durch Psychiater erfolgen, Coaching ist besser als Parallelbehandlung Bearbeitung der Sucht- und Compliance- Problematik ((Alkohol, hyperkalorische Ernährung (Depressionen nach Gewichtsabnahme, bei Übergewicht und nach Nikotinentzug), Nikotin, Cannabis, synth. Suchtmittel)) Anxiolyse möglichst ohne Benzos 17 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
Depression Pharmakotherapie (3) Bei agitiert ängstlich Depressiven: Amitryptylin und Analoge, z.b. wie Saroten, Equilibrin Stimmungs-aufhellend, Antriebs-neutral: Imipramin, wie z.b. Tofranil Bei gehemmt Depressiven: Desimipramin- Analoge, die nach Konsultation eines Psychiaters in der Allgemeinpraxis gegeben werden sollten. (Suizidversuche nach Aktivierung). Analoges gilt bei Verordnung von MAO-, SR- und SNR-Hemmern. 18 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
Doxepin (Aponal ) als Genericum verfügbar, wird in der Allgemeinpraxis häufig bei Depressionen mit Schlafstörungen und Angstproblemen auch ohne Konsultation des Nervenarztes verordnet Placeboproblematik: Der Wirksamkeitsnachweis ist in randomisierten Studien üblich aber umso schwieriger, je leichter die Depression ist. Geprüft wird gegen Placebo. Bei leichten Depressionen treten auch in der Placebogruppe bis zu 40 % Therapieerfolge auf. Für den signifikanten statistischen Wirksamkeitsnachweis sind in der Verumgruppe mindestens etwa 70 % Therapieerfolge erforderlich. Complianceprobleme sind wegen der unerwünschten Wirkungen des Verums nicht in der Placebogruppe (wohl aber in der Verumgruppe mit der Folge von Therapielücken) zu erwarten 19 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008
Zweifel an der Wirksamkeit Treten bei Patienten oft schon deshalb auf, weil die Wirkung oft bis zu drei Wochen nach Therapiebeginn verzögert eintritt Kritische Veröffentlichungen in der Laienpresse verstärken den Effekt und erschweren den Therapiebeginn Die Kritik liefert Argumente für Regressanträge der Krankenkassen. Unwirtschaftliche oder umstrittene Arzneimittel dürfen Ärzte zu Lasten der Kassen nicht verordnen Auf Regressrisiken reagieren Ärzte schnell mit der Verweigerung von Verordnungen Es resultiert dann ein Teufelskreis: Wegen der Regressrisiken wird die erste depressive Phase nicht oder ungenügend behandelt Dies verschlechtert die Prognose erheblich. Suizidrisiken können zunehmen. 20 Depression als Problem der Allgemeinmedizin, Vortrag 2.4.2008