Pharmakotherapie der Psychosen - Warum weniger mehr ist?



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Transkript:

Pharmakotherapie der Psychosen - Warum weniger mehr ist?!"#$%&'()*+',"#*( -&%./'0( 12345/5(67'(8"9:&#;3<=,:&5':+( Gliederung! Dopaminsystem und Schizophrenie! Dopaminsystem und Neuroleptika Positiv-Symptomatik Negativ-Symptomatik Neurokognition Neurodegeneration Plötzlicher Herztod - Metabolisches Syndrom Diabetes! Neuroleptika bei älteren u. jüngeren Menschen! Therapeutische Konsequenzen Kontrolluntersuchungen - Niedrigdosierung - Neuroleptikafreie Behandlung - Reduktion und evtl. Absetzen! Fazit 1 2 &2(*+'(>2:?+'3:5@5(A'+:63B&#*( Dopaminsystem und Schizophrenie ( 3 4 Positiv-Symptome - Dopamin Basalganglien D2 Rezeptoren erhöhte präsynaptische Dopamin-Ausschüttung (aus der vorderen Synapse) bei akuter Psychose phasische Sensibilisierung oft nicht dauerhaft " Positiv-Symptome 5 6 1

Wirkung der Neuroleptika zentraler Wirkmechanismus: dauerhafte postsynaptische D2 Rezeptorblockade (der hintere Synapse) therapeutisches Fenster = 50-80% D2-Blockade 2 mg Haldol " 60-70% D2-Blockade Niedrigdosierung Durchschnittliche Akutdosis in Haldoläquivalenten 2-6 mg pro Tag (McEvoy AGP 1991) Akutdosis bei Ersterkrankten in Haldoläquivalentn 1-3 mg pro Tag von unten langsam Aufdosieren 7 8 Dosierungsstrategie + 1 mg Haloperidol 4 3 1 -- 1... Wochen Verhältnis von Dosis und Zeit Dosiserhöhung +1mg: nach 4 3 1 1. Wochen 0.5 mg 3 % 1 Pat 1 mg 52 % 15 Pat 2 mg 17 % 5 Pat 2.5 mg 7 % 2 Pat 3 mg 10 % 3 Pat 4 mg 10 % 3 Pat Durchschnittsdosis nach 3 Monaten: 1.78 mg Hal N=32 10 Positiv-Symptomatik Verlauf Schizophrenie über 5 Jahre Schizophrenie ist in 50-70% episodisch akute Psychosen enden oft auch ohne Neuroleptika Spontanremission zum Teil kontextabhängig Nicht jede akute Psychose muss mit Neuroleptika behandelt werden 11 A: alle Patienten mit Schizophrenie der Region N =107 B: nur ersterkrankte Patienten N = 48 57-67 % psychotische Episoden ohne zunehmendes Residuum 12 2

Langzeitverlauf bei Schizophrenen Menschen (Ciompi/Müller 1976) Akutbehandlung ohne Neuroleptika!!!Eine Subgruppe von ca. 40 % der ersterkrankten akut schizophrenen Patienten kann dauerhaft gleich gut oder besser ohne Neuroleptika behandelt werden kann. Dies wird durch 5 von 6 existierenden experimentellen Studien (Kontrollgruppe) belegt. Eine Kohortenstudie über 5 Jahre: 65% ohne NL. 13 14 Therapeutisches Vorgehen Bei Erstbehandlung einer psychotischen Episode: initial 3-4 Wochen Behandlung ohne NL Geeignete Kontexte: Soteria Bedürfnisangepasste Behandlung N=53 Bei Rezidiven nach Vollremission Lorazepam bei 50% der Patienten ausreichend. Akutstation mit gutem Milieu? Psychosebegleitung in Selbsthilfe? 15 16 Reaktion der D2 Rezeptoren auf NL Vermehrung (upregulation) Sensibilisierung höhere Empfindlichkeit für Dopamin vermehrte präsynaptische Dopaminsynthese präsynaptische D2 Blockade THC Seeman et al Synapse 2006 17 18 3

Unerwünschte Folgen # ansteigende erforderliche Dosis partielle Neuroleptikatoleranz # Abnahme der Wirksamkeit von NL im Verlauf # nach abruptem Absetzen: - kurzfristige Reboundphänomene - 3 - fach höhere Rückfallrate Unerwünschte Folgen # verstärkte Positiv- und Negativ-Symptomatik in nachfolgenden Psychosen # erhöhte Vulnerabilität für Psychosen nach Absetzen von NL # NL induzierte Supersensitivitätspsychosen Durchbruchpsychosen (selten) 19 20 Non-Responder 15-20 % der schizophrenen Patienten sind weitgehende Non-Responder auf Neuroleptika Längerfristige Wirksamkeit von NL Der Anteil nimmt bei längerfristiger Behandlung zu. Häufige Fehlbehandlung mit hohen Dosierungen und NL-Kombinationen Psychotherapie ist wirksam - mangelhafte Forschung 21 22 38 RCT N=7327 meist Zulassungsstudien: + Selektion Vergleich Responseraten: Neuroleptika = 41% vs. Placebo = 24% " Δ 17% - NNT = 6 Differenz in PANSS = 10 Pkt (46 items à 6 Pkte) minimale Verbesserung im CGI = 15 Punkte 47% Drop Out eingeschlossen: " Δ 14% - NNT = 7 23 Weitere Einschränkungen: noch weiter abnehmende Response im Verlauf Placebogruppen: alle Studien NL abrupt abgesetzt 2 4 Tage nur 1 Studie 8 Tage " 3-fach erhöhte Rückfallraten Qualität der therapeutischen Milieus? Rückfallraten NL vs. Placebo: Δ 20% - NNT = 5 4

Die Antwort auf abnehmende Response: steigende Dosierungen Kombination mehrerer NL (Polypharmazie) 25 Polypharmazie 2 und mehr Neuroleptika: Keine wissenschaftliche Evidenz Frühe Kombination vollkommen unsinnig Meist mehr Nebenwirkungen + höhere Gesamtdosis Meist Verschlechterung der Neurokognition Bei partieller Response ist Clozapin am wirksamsten Clozapin und weiteres Neuroleptikum Geringfügig besser nur: + Sulpirid / + Amisulprid (600 mg) schwache Evidenz: + 18% - kleine Minderheit v. Pat. 12 Wochen abwarten, dann über Fortsetzung entscheiden Kontrollparameter überwachen Neurokognition? Polypharmazie Schizophrenie Keinerlei wissenschaftliche Evidenz für eine Kombination von NL + Lithium NL + Valproat NL + Carbamazepin NL + Lamotrigin Polypharmazie Zusammenhang mit erhöhter Mortalität in 2 von 4 Studien in den qualitativ besseren Studien (Weinmann et al Schizo Res 2009) 27 28 Neuroleptika im Langzeitverlauf Kein Nachweis einer wesentlichen Verbesserung des Langzeitverlaufs seit Einführung der NL. Metaanalyse Hegarty 1995 seitdem keine weitere 29 Selektive Neuroleptikabehandlung Schizophrenie : Pat die keine NL benötigen: 40% (evtl. 60%) Pat die insgesamt von NL profitieren: 40% - 50% Pat die NL nur kurzfristig benötigen: 10% - 30% Pat die nicht/kaum ansprechen auf NL10 % -15% Andere Psychosen: Schizoaffektive Psychosen: bis zu 75% ohne NL kurze Psychosen: 90 % ohne NL 30 5

Kontinuum der Medikationsstrategien Kontinuum (1) höhere Erhaltungsdosis (2) Reduzierte Erhaltungsdosis (3) very low dose NL (10 %) + NL bei Krisen (4) very low dose NL (10 %) + Benzo bei Krisen (5) Frühmedikation NL nur in Krisen (6) Frühmedikation Benzo nur in Krisen (7) ohne Medikation 31 Dopamin - Belohnungssystem Dopamin ist das neurobiologische Substrat für: Motivation Lebensfreude Belohnung Bedeutung Attraktives und aversives Erleben von sonst neutralen Reizen Zuschreibung von Bedeutung ( salience ) Erleben von Vorfreude, Interesse, Wunsch nach Anreizen Erleben von sexueller Lust und Lebensfreude 32 Psychische Wirkung der Neuroleptika! Distanzierung Entaktualisierung! Abnahme des Bedeutungserlebens! Keine Korrektur der Wahninhalte durch NL " Identische Wahnthematik bei Rezidiven! Meist erst durch psychotherapeutische Arbeit vollzieht sich Korrektur des Wahns und Integration der Wahnerfahrung! NL lösen keine Lebens- und Beziehungsprobleme 33 Neuroleptikainduziertes Defizit-Syndrom (NIDS) Symptome: o Akinese - akinetische Depression o Sedierung Energieverlust o Affektverflachung - Dysphorie o erschwertes gerichtetes Denken Gedankenverarmung Nur schwer und unscharf von primärer und sekundärer Negativ-Symptomatik 34 zu unterscheidenc! NL und Negativ-Symptomatik Geringere Negativ-Symptomatik als unter Haldol nur unter Niedrigdosierung und Monotherapie mit $ Amisulprid mit 50-100mg (- 14% - jeder 7.) $ Olanzapin mit 5 mg (- 8% - jeder 12.) NL und Negativ-Symptomatik Geringst mögliche Dosierungen verringern Negativ-Symptome am wirksamsten. Psychotherapie/Familientherapie ist wirksamerc( $ Aripiprazol? 35 36 6

Neuroleptika und Neurokognition Neurokognition Arbeitsgedächtnis verbales Gedächtnis Exekutivfunktionen (Planung Koordination Ziel) Aufmerksamkeit Verarbeitungsgeschwindigkeit Problemlösen logischen Denken 37 38 Neurokognition und Neuroleptika Verschlechterung der Neurokognition durch NL um bis zu 38%. Dosisabhängigkeit Kognitiven Defizite bei Ersterkrankten nach 2 Jahren am geringsten ohne Neuroleptika. (Dose über Albus 2002) Arbeitsfähigkeit ohne NL am besten Herz et al 1991; Johnstone et al 1990 Wundering et al 2007, Seikkula et al 2006 39 Neurokognition und Medikation Anticholinerge Effekte von Neuroleptika vermindern die Neurokognition Um 20% geringere Übungseffekte (Cogpack) Besonders ausgeprägt unter: D#"9&;:2(EFF(%0G(H#&29&;:2(IF(%0G(J/+4&;:2(EFF(%0G(-&#";+':*"#(IF%0(((!&#;'":23@/'+(KFFF(%0GG(A&.&;+242(LFF(%0G(M&%"5':0:2+(KFF(%0G(( M:5,:/%(NOF%0G((((P:'5&9&;:2(QF(%0G(R'&9"*"2(KOF(%0( (Vinogradov et al AJP 2009 Zusätzlicher Gehirnabbau durch Neuroleptika Reduktion der Grauen Substanz Neurodegeneration Neurotoxizität Frontale Neurodegeneration durch Neuroleptika Insgesamt 8 Langzeitstudien 2 Messzeitpunkte ausreichende Auflösung des MRI (Weinmann et al Psychosis 2010) 41 7

Neurodegeneration und NL 6 Studien von 8 Studien Reduktion der grauen Substanz in Korrelation mit Neuroleptikamenge oder Dosishöhe Symptomschwere dabei als Einfluss kontrolliert Wenn Patienten ohne NL geringste Reduktion Graue Substanz insgesamt Frontal z.t. weitere Regionen Madsen et al Lancet 1998 Gur et al Arch Gen Psychiat 1998 Cahn et al Arch Gen Psychiat 2002 Dazzan et al Neuropsychopharm 2005 Lieberman et al Arch Gen Psychiat 2005 McClure et al Psychiatry Res 2006 Van Haren et al 2007 Thompson et al Cerebral Cortex 2009 43 Neurokognitive Defizite unter/durch NL Signifikant verschlechtert Verbales Gedächtnis Problemlösen Motorische Fertigkeiten Kognitive Leistungsfähigkeit Trend zur Verschlechterung Geschwindigkeit/Aufmerksamkeit Sprachliche Domänen Andreasen et al (2005): Schizo Bull 31:348 44 (((((Interview mit Nancy Andreasen über eine noch nicht publizierte 18-Jahres Verlaufsstudie. 45 Wir begannen mit 538 Menschen mit der Diagnose Schizophrenie. 18 Jahre später begleiten wir immer noch 305. Ich habe das bisher noch nicht veröffentlicht. Die große Entdeckung ist, dass Menschen mit Schizophrenie Hirngewebe einbüßen mit einer deutlich höheren Verlustrate im Vergleich zu gesunden Menschen gleichen Alters. Einige verlieren mehr als 1 Prozent pro Jahr, was einen furchtbarer Verlust in einer Zeitspanne von 18 Jahren bedeutet. 46 Ein weiterer Befund ist die Tatsache, dass der Hirngewebeverlust um so größer war, je mehr Medikamente den Patienten gegeben wurden. Nun, was machen diese Medikamente genaugenommen? Sie blockieren die Aktivität der basalen Ganglien. Der präfrontale Cortex bekommt nicht mehr den Input, den er benötigt, und wird so durch Medikamente heruntergefahren (shut dow). Das reduziert psychotische Symptome, führt aber auch zu einem langsamen Schwund des präfrontalen Cortex. Der Grund dafür, dass ich diese Forschungsergebnisse für einige Jahre ruhen ließ, war, dass ich absolute Gewissheit haben wollte, dass der Befund richtig ist. Meine größte Befürchtung ist, dass Menschen, die diese Medikamente benötigen, aufhören sie zu nehmen. Die 1. Folgerung ist, dass diese Medikamente in der niedrigst möglichen Dosis verabreicht werden, was bisher nicht der Fall ist. Es gibt einen großen ökonomischen Druck, Patienten rasch auf Medikamente zu setzen, damit sie die Klinik bald wieder verlassen können. 47 8

Die 2. Folgerung ist, dass wir andere Medikamente brauchen, die auf andere Systeme und Teile des Gehirns einwirken. Die 3. Folgerung ist, dass man die medikamentöse Therapie unabhängig von dem jeweils verabreichten Medikament mit nicht-medikamentösen Behandlungsmethoden kombinieren muss, z.b. mit kognitiver und sozialer Therapie. Bis heute keine Publikation der Studie Gründe? N. Andreasen ernst nehmen? nihil nocere = schade nicht 49 50 Neurodegeneration durch NL Vermutlich abhängig von der kumulativen Gesamtdosis eine bedeutende Gruppe mit 1% pro Jahr Reduktion Möglicherweise initial stärkere Effekte (1. Jahr) Bei Typika stärkere Effekte als bei Atypika? Ähnliche Effekte nach einem Jahr Frontale Degeneration verursacht neurokognitive Defizite. Neurodegeneration durch NL! ( Nutzungsabhängige Neurodegeneration! Neurotoxizität Reversibel? Tierexperimente sind widersprüchlich Grundsätzliche Neuroplastizität " Abnahme der Dichte von Dendriten " Zelluntergang von Neuriten/Apoptose 51 52 Neurodegeneration durch NL Es gibt auch von Neuroleptika unabhängige Reduktion Grauer Substanz im Krankheitsverlauf, auf die jedoch auch Atypika nicht neuroprotektiv wirken. P"'5&#:5@5(/2*(S+/'"#+;4$&( 53 9

!+'$7'95+(M+.+23+'B&'5/20( Lebenserwartung von Menschen mit Schizophrenie bzw. schweren psychischen Erkrankungen aktuell: USA (2000): 25-32 Jahre früher Finnland (2006): 22,5 Jahre früher Der Unterschied in der Lebenserwartung zur Normalbevölkerung hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich vergrößert. Mortalität durch Neuroleptika Plötzlicher Herztod Metabolisches Syndrom weitere somatische Erkrankungen 55 T#U59#:=,+'(-+'95"*( Plötzlicher Herztod ca. 4.5 % der Pat. durch NL bei 30 Jahre Einnahme Bei Typika und Atypika gleich häufig Dosisabhängigkeit Risikoerhöhung um Faktor 95 bei schwerer kardiovaskulärer Erkrankung (Ray et al AGP 2001) Polypharmazie: auch Antidepressiva, Li, Antibiotika Substanzabhängigkeit individuelle Disposition Was tun? Regelmäßig EKG bei Medikamenten-Wechsel: vierteljährlich bei Herzerkrankungen öfter immer alle 6 Monate Metabolisches Syndrom Geringst mögliche Dosis Möglichst keine Polypharmazie 59 60 10

Metabolisches Syndrom (MS) P+5&."#:3=,+3(82*'"%( Metabolisches Syndrom Definition - abdominelles Übergewicht - HDL-Erniedrigung - Hypertonus - Triglyceriderhöhung - erhöhter Nüchtern-Blutzucker - Diabetes Mind. 3 Kriterien müssen erfüllt sein. Übergewicht ist obligat. ; 61 47% der 689 Patienten in der CATIE- Studie hatten ein metabolisches Syndrom (MS). Ein MS in der Allgemeinbevölkerung findet sich bei 24% in USA Beitrag der Neuroleptika/Atypika zum MS ist nicht sicher einschätzbar, jedoch eindeutig vorhanden. 62 Metabolisches Syndrom )##:3"2(+5(&#()VT(KWWWX(KLEL(Y(KLWL( Metabolisches Syndrom durch Neuroleptika große Abhängigkeit von der Substanz des NL geringe Dosisabhängigkeit individuelle Disposition Polypharmazie Folgen des Metabolischen Syndroms kardiovaskuläre Erkrankungen Verdopplung des 10-Jahres Risikos = 200% Bei Alter 25 44: 6.6-fach erhöhtes Risiko = 660% Zusätzlich: andere Gefäßerkrankungen Diabetes Altersdemenzen vermehrte Rhythmusstörungen unter NL 66 11

Rauchen und KHK 1,7 fache Vermehrung des KHK Risikos zusätzlich durch Rauchen = 170% 67 Was tun? Möglichst Übergewicht vermeiden Hüftumfang Medikamentenwechsel? Gewichtsreduktion Diät und Bewegung Kontrolle Nüchternblutfette: 3 x monatlich dann jährlich Erniedrigung des LDL-Cholesterins auf 130 mg/dl Lipidsenker 68 Diabetes durch Neuroleptika N=38.632 Mehr Diabetes unter Typika und Atypika unter 40 Jahre Zusätzlich 9% mehr Diabetes unter Clozapin, Olanzapin, Quetiapin Datenlage für Risperidon nicht schlüssig Sernyak: Am J Psychiatry 2002; 159:561 566 Diabetes durch Neuroleptika Substanz Individuelle Disposition Dosishöhe Anzahl der Neuroleptika (Polypharmazie) Diabetes auch durch Antidepressiva 7-fach höheres Risiko für koronare Herzerkrankungen in 10 Jahren = 700% Was tun? Regelmäßige Blutzuckerkontrollen anfangs vierteljährlich dann immer halbjährlich Diabetes am Anfang oft reversibel Med-Wechsel Gewichtsreduktion Erniedrigung des LDL-Cholesterins auf 100 mg/dl Lipidsenker? 72 Diabetesbehandlung 12

Marketing vs. Moral Diabetes - Das Beispiel Zyprexa: Lilly wusste seit spätestens 1999 von dem Problem. Lilly verfälschte für die Zulassung bei der FDA die Inzidenz von Hyperglycämien von 3,6 vs. 1,05 auf 3,1 vs. 2,5. Zahlung von 1,19 Mrd.$ von Lilly an 26.000 Diabetesopfer in den USA 2006. Jahresumsatz durch Zyprexa: 4.3 Mrd $ Unabhängige wissenschaftliche und öffentliche Kontroll-Systeme haben versagt oder existieren nicht. 73 Neuroleptika bei älteren Menschen Studienlage Mortalität durch NL bei Demenz Erhöhte Mortalität unter Typika u. Atypika Doppelte Todesrate unter NL: 59% vs. 30% in 2 J Vermehrte Schlaganfälle unter Typika u. Atypika höchstes Risiko in der ersten Woche (OR 9.9) (((((((( ( ( ( ( Vermehrte schwere Zwischenfälle Typika u. Atypika ((( ( ( ( ( ( ( ( (( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ( ((((((((((("#$%&'!())*!+;/.( N = 165 Vorbehandlung NL mind. 3 Monate RCT: NL weiter oder Placebo NL: Risperidon (67%), Haloperidol (26%), weitere NL bei Kindern und Jugendlichen Steigerung um 400% von 2000-2006 in BRD Bei 50% nicht-psychotische Störungen: ADHD PTSD Aggressives Verhalten Bipolare Störung (USA) Erhöhte Sensibilität für wichtige Nebenwirkungen N=505 Alter: 4-19 RCT AP naiv Dauer: Median 10.8 Wochen Diagnosen: Affektiver Störungen: 48% Schizophrenie Spectrum: 30% disruptiv aggressives Verhalten: 22% 77 13

Correll et al JAMA 2009 Insgesamt entwickeln 10% bis 36% der Patienten Übergewicht und Adipositas innerhalb von 11 Wochen. Kommentare in der NYT Correll: Jeder sollte zweimal nachdenken, bevor er tatsächlich diese Medikamente verordnet. Es ist nicht wahrscheinlich, dass die beobachteten Veränderungen Folge einer neu entwickelten psychiatrischen Störung oder der Hospitalisierung sind. JAMA Editorial: Diese Ergebnisse stellen den weit verbreiteten Gebrauch atypischer antipsychotischer Medikation in der Jugend in Frage. Pharmakologische Forschung 90 % aller neuropharmakologischen Studien von der Pharmaindustrie finanziert. (Report House of Commons 2004). In 90 % dieser Studien Präparat des Sponsors überlegen. (Heres et al AJP 2006) Die aktuelle biologisch pharmakologische Forschung wird den klinischen Erfordernissen nicht gerecht. 81 40% der Einnahme von Psychopharmaka werden für Marketing ausgegeben 4% für Meinungsbildner und Meinungsmacher in der Psychiatrie: ca.1,6 Mrd. pro Jahr weltweit 8 000! bis 13 000!/Jahr für jeden einzelnen Arzt Es ist genug Geld im System. Versicherten finanzieren es über Medikamente. 82 Therapeutische Konsequenzen 83 Kontrolle somatischer Nebenwirkungen! Körpergewicht BMI Hüftumfang! Blutdruck! Lipidprofil HDL LDL! Plasmaglucose! Blutbild! Kreatinin Leberenzyme! Prolactin! Augen (Katarakt) 84 14

Behandlung ohne Neuroleptika 40% bei Schizophrenie mehr bei anderen psychotischen Störungen 85 86 Niedrigdosierung Reduktion und möglicherweise Absetzen von Neuroleptika 87 88 Reduktion + evtl. Absetzen Nur unter therapeutischer Begleitung anzuraten Vorab Netzwerkgespräch mit allen Bezugsperson. Krisenplan Engmaschige Kontakte: 1-2 mal wöchentlich Reduktion um 10-20% alle 4-6 Wochen Eigenes Verlaufsprotokoll Viel Schlaf ab 23.00 Uhr Emotionale Reaktionen erwarten und abreagieren Entzugssymptome kommen schnell Evtl. Rückkehr zur letzten Dosis (kurz auch mehr) 89 Stabilität jeweils für (2-) 4 Wochen Reduktion + evtl. Absetzen Mehrere Versuche sind sinnvoll Begleitende psychosoziale Behandlung Entspannungstechniken Grundsätze des Recovery Coping bei Stimmen Familientherapie Einzeltherapie - Traumatherapie Traditionelle Chinesische Medizin (Kräuter) In 50-60% der Fälle ist die minimale Dosis das Ziel Psychotische Episoden evtl. 90 nur mit Diazepamen 15

Positive Prädiktoren Absetzen Keine sicheren Prädiktoren 6 Monate ohne Symptomatik 2 Jahre ohne Rezidiv Niedrige Ausgangsdosierung kurze Episoden und Hospitalisierungen gutes psychosoziales Funktionsniveau späteres Manifestationsalter keine psychiatrische Behandlung der Eltern Positive Prädiktoren Absetzen deutliche Auslöser bei Episoden zuvor Internale Attribuierung Effektive Coping Techniken Fähigkeit zum Selbstmanagement in Krisen Wirksame Psychotherapie (Einzel, Familie) keine belastenden Lebensereignisse stressarmes soziale Umfeld, low EE Untersützung von Familie und andere 91 92 Kontraindikationen des Absetzens Risikoverhalten in akuter Psychose Plötzlich auftretende akute Psychose Zunehmendes Residuum nach Rezidiv Schwer behandelbare Rezidive in der Vorgeschichte High Expressed Emotions in der Familie Stressreiches soziales Umfeld Geringe soziale Unterstützung 93 Die Hauptfehler keine Akutbehandlung ohne NL für 2-4 Wochen bei Ersterkrankten Überhöhte Akutbehandlungsdosierungen zu schnelle Dosissteigerungen weitere Dosiserhöhung bei nur partieller Response Überbehandlung von Non-Respondern Kombinationsbehandlungen keine Kontrolle metabolischer Parameter mit Konsequenzen Zu wenig kompetente Psychotherapie 94 NICE Guidelines Schizophrenie 2009 Für jeden Patient obligat: 10 Sitzungen Familientherapie mindestens 16 Sitzungen CBT mindestens Möglicherweise Kunsttherapie Keine Adherence-Therapie Therapeutische Begleitung bei Absetzwunsch nach Information über Rückfallrisiko Langsame Aufdosierung vom unteren Drittel Keine Kombinationsbehandlung bis auf kurze Phasen Integration adaptierter Traumatherapie( Sexueller und/oder physischer Missbrauch in Kindheit und oder Jugend bei 50% der Patienten mit Schizophrenie-Diagnose. 95 96 Morgan et al (2007) Schizo Bull 33:3-10 + emotionale Misshandlung und Vernachlässigung Zusammenhang zwischen Trauma und Stimmen (ca. 15 Studien). Integration traumatherapeutischer Konzepte und Methoden in die Psychosenbehandlung Zwangsbehandlung ist oft Retraumatisierung 16

Fazit( Psychiatrische Versorgung ist oft an der Chronifizierung von Patienten beteiligt. Das Fundament einer guten Psychosenbehandlung ist ein komplexes und fokussiertes psychosoziales Behandlungsmodell. Kerninterventionen Arbeit mit den Familien und den sozialen Netzwerken von Anfang an und kontinuierlich. Beziehungskontinuität über 5 Jahre (nicht nur Behandlungskontinuität) Neuroleptika müssen in einem solchen Behandlungssystem nur noch selektiv und wenn in meist niedrigen Dosierungen gegeben werden. Sie ergänzen die psychosoziale Behandlung nur dann, wenn diese allein nicht hinreicht. 97 Mindestens eine dauerhafte tragfähige therapeutische Beziehung, die hoffnungsvoll begleitet. (Passung) Einzeltherapie bei individueller Indikation 98 Kerninterventionen Reizschützende, traumasensible, psychosebegleitende Milieus. Zwangsbehandlung ist oft Retraumatisierung Direkter Lebensfeldbezug und größtmögliche Normalität Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Vortrag über Frühestmögliche Integration in Ausbildung und Beruf Selbsthife und Trialog Alle weiteren Interventionen sind m. E. nachrangig. 99!"##$%&'$($%&)*$'+!"$,"-.'/($ 100 17