Die Kunst des Fragens



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Anne Brunner Die Kunst des Fragens ISBN-10: 3-446-41244-1 ISBN-13: 978-3-446-41244-6 Leseprobe Weitere Informationen oder Bestellungen unter http://www.hanser.de/978-3-446-41244-6 sowie im Buchhandel

9 1 Einleitung So kam es, dass Momo sehr viel Besuch hatte. Man sah fast immer jemand bei ihr sitzen, der angelegentlich mit ihr redete. Und wer sie brauchte und nicht kommen konnte, schickte nach ihr, um sie zu holen. Und wer noch nicht gemerkt hatte, dass er sie brauchte, zu dem sagten die andern: Geh doch zu Momo! Dieser Satz wurde nach und nach zu einer feststehenden Redensart bei den Leuten der näheren Umgebung. So, wie man sagt: Alles Gute! oder Gesegnete Mahlzeit! oder Weiß der liebe Himmel!, genauso sagte man also bei allen möglichen Gelegenheiten: Geh doch zu Momo! Aber warum?... Was die kleine Momo konnte wie kein anderer, das war: Zuhören. Das ist doch nichts Besonderes, wird nun vielleicht mancher Leser sagen, zuhören kann doch jeder. Aber das ist ein Irrtum. Wirklich zuhören können nur ganz wenige Menschen. Und so, wie Momo sich auf Zuhören verstand, war es ganz und gar einmalig. Momo konnte so zuhören, dass dummen Leuten plötzlich sehr gescheite Gedanken kamen. Nicht etwa, weil sie etwas sagte oder fragte, was den anderen solche Gedanken brachte, nein, sie saß nur da und hörte einfach zu, mit aller Aufmerksamkeit und aller Anteilnahme. Dabei schaute sie den anderen mit ihren großen, dunklen Augen an, und der Betreffende fühlte, wie in ihm auf einmal

10 1 Einleitung Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm steckten. Sie konnte so zuhören, dass ratlose und unentschlossene Leute auf einmal genau wussten, was sie wollten. Oder dass Schüchterne sich plötzlich frei und mutig fühlten. Oder dass Unglückliche und Bedrückte zuversichtlich und froh wurden. Und wenn jemand meinte, sein Leben sei ganz verfehlt und bedeutungslos und er selbst nur irgendeiner unter Millionen, einer, auf den es überhaupt nicht ankommt und der eben schnell ersetzt werden kann wie ein kaputter Topf und er ging hin und erzählte alles das der kleinen Momo, dann wurde ihm, noch während er redete, auf geheimnisvolle Weise klar, dass er sich gründlich irrte, dass es ihn, genau so, wie er war, unter allen Menschen nur ein einziges Mal gab und dass er deshalb auf seine besondere Weise für die Welt wichtig war. So konnte Momo zuhören! Michael Ende Achten Sie einmal auf ein typisches Gespräch zwischen zwei Menschen: Wie oft redet jeder bloß von sich selbst? Wie oft wird dem anderen wirklich zugehört? Und wie häufig wird mit echtem Interesse nachgefragt? Zuhören ist eine hohe Kunst. Dazu gehört auch die Kunst des Fragens. Wer fragt, führt das ist ein geflügeltes Wort. Doch wo lernt man, Fragen bewusst und achtsam einzusetzen und nicht als Machtinstrument zu missbrauchen? Es gibt verschiedene Arten, zu fragen. Man kann dabei viele Fehler machen. Zu den schlimmsten Fehlern gehört es, wenn sich jemand ausgefragt fühlt. Der Befragte fühlt sich unter Druck, an der Wand oder bloßgestellt. Wie ein Gefangener sucht er nach

1 Einleitung 11 Auswegen, um den Handschellen der Fragen zu entkommen. Falls er dies nicht schafft, ist die Verärgerung danach umso größer. Auch wenn es dem Fragesteller nicht bewusst ist: Das Ausfragen ist tatsächlich ein Machtinstrument. Es baut Gitterstäbe auf und macht den Befragten unfrei, er fühlt sich wie ein Vogel im Käfig. Auf diese Weise wird die Chance des Fragens vertan, ja missbraucht. Es ist die Schattenseite, die Obszönität des Fragens (Bodenheimer). Auf der anderen Seite gibt es die einfühlsame Frage, die sich in den anderen hineindenkt und Anteil nimmt. Diese Form des Fragens spielt eine zentrale Rolle in der Psychotherapie, in der Lehre, in einem gut geführten Interview, im Gespräch mit dem Mitarbeiter, Nachbarn oder Partner. Diese Fragen halten das Gespräch in Gang der Fragende nimmt die Rolle des Zuhörenden ein und versetzt sich in die Perspektive des Sprechenden. Er bleibt in der Rolle des Zuhörers, statt immer wieder in die Rolle des Sprechers zu wechseln. Es gibt verschiedene Situationen, in denen gefragt wird, z. B. das Gespräch mit einem Bekannten auf der Straße, mit einem Unbekannten im Zug. Es gibt aber auch Berufe, in denen Fragen zum professionellen Handwerkszeug gehören, z. B. der Arzt bei der Anamnese, der Richter bei einem Verhör, der Vorgesetzte bei einem Einstellungsgespräch oder der Reporter beim Interview. Relevant sind Fragen auch im Zusammenhang mit Gruppen, z. B. Unterricht, Fortbildungen, Vorträge oder Moderation. Es gibt extreme Situationen, in denen auf professionelle Weise offensiv gefragt werden muss, z. B. bei einem Strafprozess, Unfallprotokoll oder bei einer mündlichen Prüfung. Was in üblichen Gesprächs-

12 1 Einleitung situationen als ungünstig oder zu vermeiden eingeordnet wird, kann in besonderen Fällen legitim und notwendig sein. Dieser Pocket Power-Band stellt die verschiedenen Formen der Fragen vor (wobei diese Auflistung nicht vollständig sein kann), und ordnet sie nach bestimmten Kriterien. Ein Teil handelt von Fragen, die man in üblichen Gesprächssituationen eher vermeiden sollte und warum. Es werden Fragen vorgestellt, die Sie in verschiedenen Situationen anwenden können: wenn Sie kreativ sein bzw. Kreativität fördern wollen, Meetings leiten, Teams begleiten oder Prob leme lösen möchten. Ein weiterer Teil behandelt Fragen, die sich eignen, wenn Sie eine lernende Gruppe vor sich haben. Nicht zu vergessen sind Fragen, die Sie an sich selbst richten können; hierzu gibt es eine Auswahl aus einigen beliebten Fragebögen. Wenn Sie danach bewusster fragen, auch einmal anders fragen oder auf das Fragen verzichten, und insgesamt besser zuhören lernen, hat der Band sein Ziel erfüllt.

13 2 Fragesystematik ein Überblick Hin und wieder ist es sinnvoll, ein Fragezeichen hinter Dinge zu setzen, die wir schon lange für selbstverständlich nehmen. Bertrand Russell 2.1 Fragen als Werkzeuge WORUM GEHT ES UND WAS BRINGT ES? Fragen sind wertvolle Werkzeuge für ein Gespräch. Es gibt verschiedene Fragetypen, so, wie es unterschiedliche Werkzeuge gibt. Je mehr Werkzeuge in Ihrem Werkzeugkasten liegen, desto besser können Sie damit arbeiten. Wer nur einen Hammer hat, dem scheint alles, was er sieht, ein Nagel zu sein und entsprechend wird er handeln: einfach draufhauen. Für eine Schraube ist ein Hammer nicht sehr hilfreich. Für ein Blatt Papier auch nicht. Es lohnt sich also, seinen Werkzeugkasten mit verschiedenen Werkzeugen auszustatten: mit einem Schraubenzieher, einer Zange, einem Stift oder einer Schere. Damit werden Sie der Wirklichkeit besser gerecht. Sie können sich differenzierter verhalten und angemessener reagieren. Es gibt viele verschiedene Fragearten, da kann man schnell den Überblick verlieren. Als Orientierungshilfe gibt es einige Grundprinzipien, mit denen man Fragen charakterisieren kann.

14 2 Fragesystematik ein Überblick 2.2 Grundformen WORUM GEHT ES? Ein wichtiges Kriterium, um eine Frage einzuordnen, ist der Freiheitsgrad im Hinblick auf die Antwort. Es geht darum, wie sehr die Möglichkeit, zu antworten, offen gelassen bzw. eingeengt wird. Die Grundformen der Fragen unterscheiden sich im Hinblick auf zwei Dimensionen: n Freiheitsgrad des Antwortenden, n Informationsgehalt bzw. Neuigkeitswert der Antwort (Bild 1). offen Informationsgehalt der Antwort geschlossen Spielraum, Freiheitsgrad des Antwortenden Bild 1: Fragen lassen sich nach dem Informationsgehalt der Antwort und dem Freiheitsgrad des Antwortenden unterteilen