Die Trainingsmethode. - unter besonderer Berücksichtigung kultureller Faktoren. Dr. Şebnem Bahadır



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INTERPRET Fachtagung 2013: Was ist interkulturell am interkulturellen Dolmetschen? Die Trainingsmethode - unter besonderer Berücksichtigung kultureller Faktoren Arbeitsbereich Interkulturelle Germanistik Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft Germersheim

Die Aus-/Fort-/Weiterbildungsmethode Dolmetschinszenierungen Forschung, Methodenentwicklung und Anwendung seit 1998 in unterschiedlichen außeruniversitären und akademischen (Fach)Dolmetscherausbildungsmaßnahmen (vgl Bahadır 2004, 2007, 2008a+b, 2009, 2010, 2011) Seit 2002: im Einsatz (und ständig weiterentwickelt) im Rahmen der Qualifizierung zum Sprach- und Kulturmittler bzw. Sprach- und Integrationsmittler im Rahmen des Projekts SprInt Transfer (Diakonie Wuppertal); seit 2011 fester Bestandteil des Curriculums als Dolmetschtrainingsmethode (www.sprint-transfer.de) Institutionelle Vorarbeiten am FTSK Germersheim/Johannes Gutenberg Universität Mainz: MedInt - Development of a Model Curriculum For Healthcare Interpreters (2007-2009) (www.medical-interpreting.eu) 2

Aktuelle Entwicklungen am Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft, Arbeitsbereich Interkulturelle Germanistik, Johannes Gutenberg Universität Mainz in Germersheim: 1) Spezialisierung (ab WiSe 2012/2013) / Studienschwerpunkt (ab WiSe 2013/2014) am Arbeitsbereich Interkulturelle Germanistik Fachdolmetschen in medizinischen, sozialen und behördlichen Einsatzbereichen im Master Translation (Arbeitsbereich Interkulturelle Germanistik, unterstützt vom Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen RLP; www.uni-mainz.de/presse/54644.php) 2) Innovatives Lehrprojekt Dolmetschen als Inszenierung ein neuer kritischer und emanzipatorischer Ansatz in der Dolmetschdidaktik, (gefördert durch das Gutenberg Lehrkolleg, Johannes Gutenberg Universität Mainz; vgl. www.glk.uni-mainz.de/622_deu_html.php ) 3) Kooperation des Arbeitsbereichs Interkulturelle Germanistik mit und Mitarbeit an außeruniversitären Qualifizierungs-, Qualitätssicherungs- und Standardisierungsmaßnahmen z.b. Qualitätssicherungskommission von SprInt Transfer z.b. Methodenentwicklung für Train-the-Trainers-Seminare für transkulturelle Dolmetschtrainings (Trainer/innen für die Methode der Dolmetschinszenierung ) 3

Eine innovative Aus-/Fort-/Weiterbildungsmethode: Dolmetschinszenierungen Dolmetschen als ganzkörperliche (ganzheitliche) Handlung Dolmetschen als eigenständige und gleichzeitig fremdbestimmte, neutrale und gleichzeitig beteiligte/subjektive Haltung und Handlung Dolmetschen als Pendelbewegung zwischen Distanz und Nähe, als Bricolage, als Aufführung und Inszenierung Theoretische Grundlagen 1: Translationswissenschaftliche Ansätze, die Translator(inn)en nicht nur als Kopf- sondern auch als Körpermenschen betrachten (Emotionen Körpersprache psychosoziale Kompetenz) 4

Eine innovative Aus-/Fort-/Weiterbildungsmethode: Dolmetschinszenierungen Dolmetscher/innen als teilnehmende Beobachter/innen, Schauspieler/innen, Regisseure Dolmetscher/innen mit Dazwischenidentitäten als Experten des Dazwischenraums, als Dritte (Partei/Seite) in der Kommunikation, als Fremde/Späterkommende (Dolmetschen im Trialog) Theoretische Grundlagen 2: Ethnographische, soziologische, theateranthropologische und theaterpädagogische Ansätze, Theorien der Performance Studies, die sich mit der Position(ierung) des Dritten/des Anderen/des Fremden beschäftigen 5

Dolmetschinszenierungen Rollen, die die Teilnehmer/innen übernehmen: 1) Schauspieler/in: teilnehmen/darstellen - Aktive Teilnahme an den Übungen, Workshops, Proben, Aufführungen - Szenarien werden zunächst in Fragmenten, dann als Gesamtheit in Teams vorbereitet - Jede(r) TN spielt mit, stellt verschiedene Personen dar, spielt unterschiedliche Rollen. - Der/Die Dolmetscher/in ist die zentrale Rolle in den Szenarien, trägt aber auch immer etwas von den anderen Beteiligten in sich, ist immer ein bisschen Migrant, Arzt, Lehrer, Polizist, Psychologe, Sozialarbeiter etc. - Deswegen spielen die TN auch alle anderen Rollen (aber auch: Einbezug von realen Fachkräften) Empathiefähigkeit als eine grundlegende Kompetenz fürs Dolmetschen: MITGEFÜHL versus Mitleid/Sympathie Mitleiden 6

Dolmetschinszenierungen Rollen, die die Teilnehmer/innen übernehmen müssen: 2) Beobachter/in: beobachten, reflektieren, bewerten - Eigenes Dolmetschverhalten (somit eigene Dolmetschstrategien und -techniken, nach dem Spielen und später auch während des Spielens ) - Haltung/Verhalten/Handlungen der anderen Kommunikationspartner in der Dolmetschsituation - Dolmetschverhalten der anderen TN (somit Dolmetschstrategien und -techniken der Anderen) teilnehmende Beobachtungsprotokolle: Selbstreflexion Fremdreflexion 3) Regisseur/in: entscheiden, verändern 1. Diskutieren über die Inszenierungen, kritisieren und kritisiert werden / Kritik annehmen 2. Mitarbeiten an der Gestaltung und Veränderung der Szenarien, vor, während nach den Inszenierungen Kritikfähigkeit Entscheidungskompetenz 7

Dolmetschinszenierungen Die 4 Phasen der Dolmetschinszenierungsmethode Folgende Arbeitsschritte führen von einem Grobszenario zu multiplen Inszenierungen: 1. Übungen (Training) 2. Workshops 3. Proben 4. Aufführungen ( Dolmetschinszenierungen ) Die phasenweise Erarbeitung eines Grobszenarios in diesen vier Phasen dauert normalerweise mindestens einen Tag, also ca. 8 Stunden. Bei besonders komplexen Dolmetschszenarien bietet sich eine Streckung auf zwei Tage an. 8

Dolmetschinszenierungen 1. Übungen (Training) A. Übungen am Anfang jeder Inszenierungsarbeit a) Grundlegende Atem-, Körper- und Artikulationsübungen, z.b. Atmen, Sprechen und Sich- Bewegen in vollen/leeren, engen/weitläufigen Räumen, draußen/drinnen; richtig/angemessen atmen, die Stimme richtig/angemessen einsetzen und das Gesagte richtig/angemessen betonen b) Übungen zum Raumverhalten, zur Körperhaltung und -sprache (Gestik, Mimik, Gang, proxemische Beziehungen, Berührungsverhalten) B. Szenarienspezifische Übungen zum Raum z.b. Nähe- und Distanz-, und Berührungsverhalten in einem Raum mit vielen Interaktionspartnern (Interaktionsrituale Machtverhältnisse) C. Szenarienspezifische Übungen zu Mimik, Gestik, Blick z.b. in Interaktionen, in denen mehrere Ansprechpartner/innen miteinander konkurrieren D. Szenarienspezifische Übungen zur Stimme: z.b. Einsatz der Stimme als Regulierungsinstrument bei Gesprächen, in denen alle durcheinander sprechen (beruhigend, dominant, bestimmt, in den Hintergrund gedrängt, zurückhaltend, sanft...) 9

Dolmetschinszenierungen 2. Workshops (immer anhand von Fragmenten des Grobszenarios) A. Themenspezifisch (allgemeiner sozio- und migrationspolitischer / soziokultureller Kontext) z.b. Kulturalisierung, kulturelle Vorurteile und Stereotypisierung, Vertrauen, Bevormundung, Macht, Vorurteile, Geschlechterverhältnisse, etc B. Rollenspezifisch (Rollenprofile der beteiligten Akteure) C. Szenarienspezifische Dolmetschtechniken und strategien: Konsekutivdolmetschen, Flüsterdolmetschen, Sitzposition im Dreieck, Ich-Form vs 3.Person-Singular, Vorgespräch, Nachgespräch, Rückfragen, Zwischenfragen, kulturelle Erläuterungen D. Berufspolitische/-ethische Aspekte: Neutralität / Unparteilichkeit / Allparteilichkeit Transparenz Vollständigkeit Genauigkeit Transparenz 3. Proben Zusammensetzung der Szenenfragmente Durchprobieren multipler Lösungen (Änderung der Auftragsspezifikationen / Rollenprofile / Beziehungskonstellationen etc) 4. Inszenierungen und immer wieder andere Aufführungen: und noch einmal von vorn, aber anders 10

Dolmetschinszenierungen Ziel der Inszenierungsarbeit Mit dieser Methode soll ein FLEXIBLER und (SELBST)REFLEXIVER UMGANG mit den RÄUMLICHEN, KÖRPERLICHEN, EMOTIONALEN, NONVERBALEN und VERBALEN, aber auch SITUATIVEN und POLITISCH-SOZIAL-KULTURELLEN (also auch RATIONALEN) Bedingungen der jeweiligen Dolmetschsituation entwickelt werden. Die Teilnehmer/innen sollen dazu befähigt werden, in jeder Situation als Dolmetscher/innen neue Entscheidungs- und Durchführungsprozesse zu erproben, sich somit an den neuen Inszenierungsmodalitäten zu orientieren, neue Darstellungstechniken und Konfliktlösungsstrategien zu suchen und anzuwenden. Dolmetschtätigkeit bedeutet dabei immer Arbeit am Partiellen/Fragment und gleichzeitig am Gesamten. Für diese Arbeit benötigt der/die Dolmetscher/in eine flexible, spontane, kreative und berufs- und migrationspolitisch untermauerte Haltungs- wie auch Handlungsfähigkeit. 11

Grundannahmen / Voraussetzungen Was ist Dolmetschen? Wie verläuft eine dolmetschervermittelte Fachkommunikation? Physische, menschliche UND fachliche Präsenz einer DRITTEN PERSON: Fachkraft der interkulturellen Mittlung/des Dolmetschens (= FACHdolmetscherin) Übergang vom Dialog (klassisches Beratungs-/ Betreuungsgespräch: intime Zweisamkeit ) zum Trialog und oft zum POLYLOG 12 Bedingung für das Glücken der Kommunikation in der Triade: Neue Kooperationsstrukturen Neuverteilung von MACHT, VERANTWORTUNG bzw. Verantwortlichkeiten und VERTRAUEN

Vom Dialog zum Trialog / Polylog in der verdolmetschten Fachkommunikation: Aufeinandertreffen zweier Fachkulturen und mindestens einer Migranten-/ Minderheitenkultur Neue Situation für Fachkraft + (FACH)Dolmetscher/in + Klient/in: (Fach)Dolmetscher/in als DRITTE d.h. Späterdazugekommene, Ursprünglich nicht-eingeplante, Fremde bis hin zum Eindringling und Störfaktor (in den Augen von Klient/in wie auch von der ursprünglichen Fachkraft ) Mythos/Ideal des gleichschenkligen Dreiecks, d.h. ÄQUIDISTANZ der Dolmetscherin ist gleichzeitig MYTHOS und IDEAL 13

(In)Fragestellungen Was ist MACHT (in der dolmetschervermittelten Fachkommunikation)? Hierarchie(n) Ermächtigungen Kontrollschleifen: (Selbst)Kontrolle Wer hat warum und wann welche Macht? Was ist VERANTWORTUNG? Jemanden sprechen lassen oder für jemanden sprechen? Wer übernimmt warum wann für wen/wofür die Verantwortung? Was ist VERTRAUEN? Wer fordert von wem wann wofür Vertrauen ein? Wie wird Vertrauen gewonnen und gewährt? Und was ist mit TRANSPARENZ und ETHIK? 14

Ethische Prinzipien des Dolmetschens (universell? kulturen-/sprachenübergreifend? einsatzbereichübergreifend? fachübergreifend?) 1) Transparenz 2) Neutralität / Unparteilichkeit / Allparteilichkeit 3) (Professionelle) Distanz und Nähe (professionelle Empathie) 4) Genauigkeit / Richtigkeit 5) Vollständigkeit 6) Verschiegenheit /Schweigepflicht Professionalität = Unparteilichkeit Natürliche Dolmetscher/innen sind natürlicherweise (meist) parteilich (FÜRSPACHE) - und wie schaffen es interkulturelle Dolmetscher/innen un- bzw. allparteilich zu sein und sich zu distanzieren? 15

Und noch einmal Grundannahmen: Was ist (interkulturelles) Dolmetschen eigentlich (nicht)? Sprach- und Kulturmittlung? Sprach- und Integrationsmittlung? Kulturdolmetschen / kulturelles Dolmetschen / interkulturelles Übersetzen? d.h. - Mehr als Dolmetschen? Wenn ja, was ist das mehr? - Weniger als Dolmetschen? Wenn ja, ist zusammenfassend, mit nicht so perfekten Deutschkenntnissen, das Wichtigste übertragend noch dolmetschen/auch dolmetschen? - Doch Dolmetschen aber anders? Wenn ja, wie und warum anders? Ambivalente, paradoxe Beziehung zum klassischen Dolmetschen: Dolmetschen ist nur wörtlich übertragen (also keine Kulturmittlung?) Dolmetschen ist ganz genau und alles übertragen (was schon zuviel bzw. zu wenig ist?) Hervorhebung der MIGRANTENZENTRIERTHEIT der Tätigkeit: Alleinstellungsmerkmal (Empowerment) oder Kulturalisierung (Stigmatisierung)? 16

Grobszenario 1: Elterngespräch (Schule): Bisher hat für die Eltern eines 12-jährigen Mädchens aus.. der ältere Bruder (16 Jahre) gedolmetscht, der auf die gleiche Schule geht. Das Mädchen will mit auf einen Schulausflug (1 Woche). Die Eltern scheinen es ihr nicht zu erlauben. Die Lehrerin denkt, dass religiöse und/oder kulturelle Gründe vorliegen könnten. Die Schulleitung beauftragt für ein Elterngespräch eine interkulturelle Dolmetscherin. Zum Gespräch kommt auch der Bruder mit, der bisher gedolmetscht hatte. 17

Grobszenario 2: Hausbesuch Das Jugendamt (die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde) beauftragt eine interkulturelle Dolmetscherin damit, eine Sozialarbeiterin/einen Sozialarbeiter während eines (un)angemeldeten Hausbesuchs bei einer Migrantenfamilie zu begleiten. Die Sozialarbeiterin/der Sozialarbeiter soll sich einen direkten Eindruck vom familiären Umfeld des Kindes verschaffen. Es handelt sich dabei um einen Kontrollbesuch bei einer Familie, deren Tochter (8 Jahre alt) seit einer Weile verwahrlost und mit blauen Flecken auf dem Körper in der Schule erschienen sei. Es liegt eine Beschwerde der Schule beim Jugendamt vor. Die Familie habe zuvor schon einige Briefe von der Schulleitung zu dieser Thematik zugeschickt bekommen, habe sich aber nie gemeldet. 18

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit! Kontakt: bahadir@uni-mainz.de 19

Auswahlbibliographie Bahadir, Şebnem (2004). Moving In-Between: The Interpreter as Ethnographer and the Interpreting Researcher as Anthropologist. In: Meta: journal des traducteurs / Meta: Translators' Journal. 49:4, 805-821. ----- (2007). Verknüpfungen und Verschiebungen. Dolmetscherin, Dolmetschforscherin, Dolmetschausbilderin. Berlin: Frank und Timme. ----- (2008a). Das Theater des Dolmetschens: Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen, verändern. In: Bischoff, Alexander+Meyer, Bernd (Hrsg.): curare Zeitschrift für Medizinethnologie. Vol. 31: Nr. 2-3. Spezialheft: Die fremden Sprachen, die fremden Kranken: Dolmetschen im medizinischen Kontext, 176-186. ----- (2008b). Dabei, dazwischen und durchmischt: Dolmetscher als Akteure der Veränderung. In: Das Zeichen. Zeitschrift für Sprache und Kultur Gehörloser. Heft 78, März 2008, 128-136. ----- (2009). Body-and-Enactment-Centred Interpreting Pedagogy: Preliminary Thoughts on a Train-the-Trainers Concept for (Medical) Interpreting. In: Andres, D.+Pöllabauer, S. (Hrsg.): Is Everything all Topsy Turvy in Your Tummy? Healthcare Interpreting. München: Martin Medeinbauer, 29-43. ----- (2010a). Dolmetschinszenierungen. Kulturen, Identitäten, Akteure. Berlin: SAXA Verlag. ----- (2010b) The Task of the interpreter in the struggle of the other for empowerment. Mythical utopia or sine qua non of professionalism? In: Translation and Interpreting Studies 5:1, 124-139 ----- (2011). Interpreting Enactments: A New Path For Interpreting Pedagogy. In: Kainz, K., Prunč, E.+ Schögler, R. (Hrsg.): Modelling the Field of Community Interpreting. Wien/Berlin: Lit Verlag 177-210. 20