Institut für Lebensbegleitendes Lernen AHS und BMHS Donnerstag, den 5. März 2009 Von der schwierigen zur gestörten Persönlichkeit entwicklungspsychologische und pädagogisch-therapeutische Aspekte Prim. Univ. Prof. Dr. Reinhard Haller
Persönlichkeit ist das überdauernde Muster wiederkehrender interpersoneller Situationen, die ein menschliches Leben charakterisieren
Definition Persönlichkeitszüge sind überdauernde Formen des Wahrnehmens, der Beziehungsmuster und des Denkens, und zwar im Hinblick auf die Umwelt und auf sich selbst. Sie kommen in einem breiten Spektrum von wichtigen sozialen und persönlichen Situationen und Zusammenhängen zum Ausdruck. Wir sprechen von Persönlichkeitsstörungen nur dann, wenn Persönlichkeitszüge unflexibel und wenig angepasst sind und die Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen oder zu subjektiven Beschwerden führen.
Charakter Zusammengenommen beinhaltet Charakter für Abraham die mögliche Gesamtheit der triebhaften Reaktionen des Einzelnen auf das Gemeinschaftsleben (Abraham, 1982, S.137). Von ihm wird deshalb letztlich als normal im sozialen Sinne eine Person betrachtet, die nicht durch eine besonders extreme Ausprägung bestimmter Charakterzüge daran gehindert werde, sich den Interessen der Gesamtheit anzupassen.
Charaktertypen nach Fromm Rezeptive Charaktere Ausbeuterische Charaktere Hortende Charaktere Merkantile Charaktere Nekrophile Charaktere
Definition von Persönlichkeit P E R S Ö N L I C H K E I T Gesamtheit der psychischen Eigenschaften und Verhaltensweisen, die den Menschen eine charakteristische Individualität verleihen Individuelle Eigenschaften wie Charakter, Temperament, Intelligenz und körperliche Grundbedingungen machen die Persönlichkeit aus Diese individuellen Züge sind weitgehend stabil und lange Zeit überdauernd
Definition von Charakter und Temperament C H A R A K T E R Gesamtheit der konstanten Einstellungen, Handlungsweisen, individuellen Besonderheiten und Werthaltungen T E M P E R A M E N T Art des Antriebs und der Aktivität, die sich in Form von Gefühlen, Willensbildung und Triebleben zeigt
Unsere Beobachtung zeigt uns, dass die einzelnen menschlichen Personen das allgemeine Bild des Menschen in einer kaum übersehbaren Mannigfaltigkeit verwirklichen. Sigmund Freud
Was stört???? Komplexe Störungen des Interaktionsverhaltens Störungen der Emotionalität Störungen der Realitätswahrnehmung Störungen der Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung Störungen der Impuls- und Selbstkontrolle Dennoch: Vorrangig Interaktionsstörungen
Kriterien der Persönlichkeitsstörungen laut Internationaler Klassifikation psychischer Störungen ( ICD-10) 1. Deutliche Unausgeglichenheit in den Einstellungen und im Verhalten in mehreren Funktionsbereichen wie Affektivität, Antrieb, Impulskontrolle, Wahrnehmen und Denken sowie in den Beziehungen zu anderen. 2. Das auffällige Verhaltensmuster ist andauernd und gleichförmig und nicht auf Episoden psychischen Krankheiten begrenzt. 3. Das auffällige Verhaltensmuster ist tiefgreifend und in vielen persönlichen und sozialen Situationen eindeutig unpassend.
Kriterien der Persönlichkeitsstörungen laut Internationaler Klassifikation psychischer Störungen ( ICD-10) 4. Die Störungen beginnen immer in der Kindheit oder Jugend und manifestieren sich auf Dauer im Erwachsenenalter. 5. Die Störung führt zu deutlichem subjektiven Leiden, manchmal jedoch erst im späteren Verlauf. 6. Die Störung ist meist mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden.
Spezifische Persönlichkeitsstörungen nach ICD-10 Paranoide Persönlichkeitsstörung: Schizoide Persönlichkeitsstörung: Dissoziale Persönlichkeitsstörung: misstrauisch, streitsüchtig, fanatisch, querulatorisch freudlos, distanziert, emotional kühl, einzelgängerisch gefühlsarm, verantwortungslos, bindungsschwach, aggressiv Emotional instabile Persönlichkeitsstörung: Impulsiver Typ: Borderline Typ: unbeherrscht, bedrohlich, reizbar, aggressiv instabile Stimmung, Gefühl innerer Leere, suizidal
Spezifische Persönlichkeitsstörungen nach ICD-10 Histrionische Persönlichkeitsstörung: Anankastische Persönlichkeitsstörung: Ängstliche Persönlichkeitsstörung: Abhängige Persönlichkeitsstörung: dramatisierend, theatralisch, übertreibend, oberflächlich gewissenhaft, pedantisch, eigensinnig, zweiflerisch besorgt, unsicher, angespannt, kontaktgestört entscheidungsschwach, nachgiebig, hilflos, unselbstständig
Persönlichkeitsstörungen, die sich aufgrund veränderter Gesellschaftsverhältnisse normalisiert haben und nicht mehr in ICD-10 oder DSM-IV enthalten sind (1) Bezeichnung Haltlose, insbesondere sexuell Haltlose, auch sog. geborene Prostituierte Willenlose Dienstverweigerer Fanatische (politisch, religiös) Veränderte Vorstellungen größere Akzeptanz sexueller Promiskuität Aufgabe des Konzeptes des Willens in der Psychiatrie, ersetzt durch das Konzept Antrieb z.t. auch bei den Willenlosen oder Haltlosen subsummiert; politische Berechtigung zur Kriegsdienstverweigerung größere Toleranz für politisches und religiöses Außenseitertum; weniger Sanktionen gegen Außenseiter
Persönlichkeitsstörungen, die sich aufgrund veränderter Gesellschaftsverhältnisse normalisiert haben und nicht mehr in ICD-10 oder DSM-IV enthalten sind (2) Bezeichnung Veränderte Vorstellungen Arbeitsscheue, Gemeinschaftsunfähige, Landstreicher Querulanten Infantile Persönlichkeit Leichtere Rückkehrmöglichkeit für Aussteiger in die bürgerliche Gesellschaft; erweitertes Sozialversicherungssystem; Verwendung anderer Diagnosen (zb Alkoholismus) Leichtere Akzeptanz von Rechtsansprüchen durch Versicherungen und Sozialsystem; Durchsetzung vermeintlicher Rechtsansprüche durch clevere Rechtsanwälte; Verwendung anderer Diagnosen (zb paranoid) Infantilität als Bestandteil des kulturellen Lebens (zb Zeitschriften, Fernsehen, Discokultur, Lolitatyp)
Dimensionales System der Persönlichkeitsstörung
Abnorme Gewohnheiten und Störungen der Impulskontrolle Pathologisches Spielen (Spielsucht) Pathologische Brandstiftung (Pyromanie) Pathologisches Stehlen (Kleptomanie) Pathologisches Haareausreißen (Trichotillomanie)
Einteilung der Sexualstörungen 1. Abnormes Sexualobjekt (Paraphilie) 2. Abnorme Sexualpraktiken 3. Abnormes Geschlechtsbewusstsein 4. Abnorme Triebstärke 5. Potenzstörungen
Abnormes Sexualobjekt (Paraphilie) 1. Homosexualität 2. Pädopilie 3. Gerontophilie 4. Bestiosexualität (Sodomie) 5. Nekrophilie 6. Fetischismus
Abnorme Sexualpraktiken Sadismus Masochismus Voyeurismus (= Schaulust) Exhibitionismus (= Zeigelust) Frotteurismus (= Extragenitales Reiben) Transvestitismus
Einteilung der Neurosen Phobische Störungen Angsterkrankungen einschließlich Panikstörungen Zwangsstörungen Reaktionen auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen Konversionsstörungen (dissoziative Störungen) Somatoforme Störungen
Ätiologie der Persönlichkeitsstörungen 1. Biologische Störungsmodelle: 1.1 Genetik 1.2 Hirnstrukturelle Auffälligkeiten 1.3 Neurophysiologische Befunde 1.4 Biochemische Befunde 2. Psychoanalytische Störungsmodelle: 2.1 Strukturelle Störungen 2.2 Neurotische Persönlichkeitsorganisation 3. Lerntheoretische Modelle: 3.1 Diathese-Stress-Modell 3.2 Vulnerabilitätskonzept Favorisiert werden heute kombinierte (biopsychosoziale) Modelle!
Die psychosexuelle Entwicklung Alter 1. Lj. 2. Lj. 3. Lj. 3./4. Lj. 4./5. Lj. 6. 11. Lj. 11. 16. Lj. 16. 25. Lj. Stadium Orales Stadium Anales Stadium Urethrales Stadium Phallisch-narzisstische Phase Ödipales Stadium Latenzzeit Pubertät; Reifes genitales Stadium Adoleszenz Orientierung saugen, beißen, essen Lust an Kotabgabe Lust an Kotverhaltung Lust an Urinabgabe Manipulation am Genitale Interesse an Vater und Mutter Bildung der ersten Identität Partnerschaftliche Orientierung Bildung der zweiten Identität
Theorie der Persönlichkeitsstörungen CIRCUMPLEX-MODELL
Therapie der Persönlichkeitsstörung 1. Psychopharmakotherapie 2. Psychoanalytische Verfahren 3. Verhaltenstherapeutische Techniken 4. Pädagogische Maßnahmen Therapeutischer Nihilismus ist nicht angebracht!
Schema zur Problemanalyse und Therapieplanung in der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen Allgemeine Angaben (kurz und knapp) Beschreibung einzelner Problembereiche (aus der Sicht des Patienten) Störungsdiagnose, allgemeines Ätiologiemodell Problemanalyse, individuelles Ätiologiemodell (aus Sicht des Therapeuten) Prognosebewertung Zielanalyse Therapieplanung und Therapieevaluation
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