Welchen Einfluss hat Sucht in der Familie/auf die Lebenssituation von Kindern in suchtbelasteten Familien? In Familien, in denen ein Elternteil suchtmittelabhängig ist, bestimmt diese Suchtbelastung den familiären Alltag. Der sich steigernde Suchtmittelkonsum geht meist einher mit sozialen und beruflichen Abstiegstendenzen. In diesem Zusammenhang entwickeln die Partner Suchtkranker sogenannte co-abhängige Verhaltensmuster, mit denen sie die Kontrolle über und Verantwortung für den Partner übernehmen wollen, und eigene Bedürfnisse zurückstellen. So entwickelt sich ein innerfamiliäres Suchtsystem, in dem die Eltern/Partner mit der Sucht, bzw. Co-Abhängigkeit nahezu vollends beschäftigt sind. Das Kind/die Kinder rücken dabei aus dem Blickfeld. Insofern verhindert die Dynamik in suchtbelasteten Familien, dass dem Kind/den Kindern die Aufmerksamkeit zuteil wird, die es für eine gesunde Entwicklung braucht, und durch die Problematik Sucht verstärkt bräuchte.
Beispiel: Der zwölfjährige Julian ist Sohn einer alkoholabhängigen Mutter, Frau J. Ihre Alkoholabhängigkeit besteht seit ca. acht Jahren, ihr Konsum hat sich im letzten Jahr deutlich gesteigert. Sein Vater ist Schichtarbeiter. Er hat noch eine sechsjährige Schwester. Die Eltern haben sich getrennt und leben in Scheidung. Aus der Vergangenheit ist bekannt, dass Frau J. seit dem Tod ihres Vaters (vor ca. acht Jahren) regelmäßigen, missbräuchlichen Alkoholkonsum hatte. In der Beziehung zu Herrn J. traten zu dieser Zeit erste Spannungen auf. Die Geburt des zweiten Kindes zwei Jahre später war von den Eltern nicht geplant. Die sich anbahnenden Konflikte verschärften sich. Julian selbst erlebte sich in dieser Zeit, in der seine Eltern mit der Sucht- und Paarproblematik, sowie mit der Versorgung der jüngeren Schwester beansprucht waren als zurückgesetzt. Seine Bedürfnisse fanden in dem familiären und Sucht-Konfliktfeld wenig bis gar keinen Raum. Die Kinder leben aktuell zusammen mit dem Vater. Die Mutter hat im letzten Jahr einen stationären Alkoholentzug absolviert und zog danach in eine eigene Wohnung. Julian besucht sie tageweise während der Woche und vierzehntägig an den Wochenenden. Julian ist durch die familiäre Situation stark verunsichert. Er fällt in der Schule dadurch auf, dass er nahezu keine Kontakte zu Mitschülern pflegt und eigentlich niemals offen seine Meinung oder Bedürfnisse äußert. Durch den Einsatz eines Familienhelfers wird deutlich, dass Julian sich emotional tief zurückgezogen hat. Er kann gar nicht über seine Gefühle im Zusammenhang mit der Sucht und dem Weggang der Mutter sprechen. Sein Vater ist mit seinem Beruf und der familiären Alltagsorganisation zu stark gefordert, um auf ihn ausreichend eingehen zu können.
Wie und womit setzt das Angebot KiZ an? KiZ (Kinder im Zentrum) ist ein Gruppenangebot, in dem die Kinder regelmäßig über die familiäre Situation und daraus resultierende Probleme reden können. Sie machen die Erfahrung, dass nicht nur sie alleine in einer suchtbelasteten Familie leben und dass sie sich über Gespräche mit den anderen Gruppenmitgliedern und Betreuern Entlastung schaffen können. Durch bestimmte Gruppenaktivitäten erhalten die Kinder außerdem Zugang zu ihren Gefühlen und Bedürfnissen und lernen, sich darüber zu äußern und damit umzugehen.
Beispiel: Der Familienhelfer initiiert, dass Julian die KiZ - Gruppe besucht. Nach anfänglicher Zurückgezogenheit fasst er Vertrauen und beteiligt sich an den Gesprächen und Aktionen. Besonders positiv nimmt er gestalterische Angebote, bei denen es um die verbildlichte Darstellung von Gefühlen und Stimmungen geht, an. So fertigt er zusammen mit den anderen Kindern eine traurige Gipsmaske von seinem Gesicht an, und ermöglicht dadurch im Anschluss sich selbst und den Gruppenbetreuern einen guten Zugang zu seiner Traurigkeit und seinen Ängsten in Bezug auf die Sucht seiner Mutter und die Belastung seines Vaters. In den nächsten Gruppenstunden zeigt er zunehmend Bereitschaft, über diese Thematik zu sprechen und beginnt, Lösungsideen für eine Äußerung seiner Bedürfnisse an die Eltern zu entwickeln. In der Schule hat er inzwischen Kontakte zu einigen Kindern aus seiner Klasse und besucht regelmäßig ein Judo-Training.
Wie werden die Eltern in die Arbeit einbezogen? Neben den Gruppenveranstaltungen sind regelmäßige Gespräche mit den Eltern Bestandteil des KiZ -Angebotes. Hierin vermitteln die Gruppenbetreuer den Eltern ihren Eindruck zu der Befindlichkeit und den Bedürfnissen des Kindes und erarbeiten mit ihnen zusammen Lösungsideen. Die Kinder nehmen an diesen Gesprächen entweder selbst mit teil, oder sind zumindest damit einverstanden. Wichtig ist hierbei, dass ein vertraulicher Umgang mit den Informationen des Kindes geübt wird, so dass es sich weiterhin traut, in der Gruppe offen zu sprechen.
Beispiel: In Einzelgesprächen mit jeweils Vater und Mutter von Julian wird zurückgemeldet, was Julian momentan für eine positive Entwicklung benötigt. Die Eltern erhalten Hinweise und Vorschläge für die Übernahme der elterlichen Verantwortung und Fürsorge im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Beide sind daran interessiert, dass Julian nicht unter der familiären Problematik leiden soll. Unter Einbezug des Familienhelfers werden Perspektiven erarbeitet, die den Kindern größtmögliche Sicherheit in ihrer Wohn- und Lebenssituation verschaffen sollen. Für Julians sechsjährige Schwester wird ebenfalls ein KiZ Gruppenangebot (für Kinder in ihrer Altersgruppe) installiert, da in den Gesprächen deutlich wird, dass auch sie dabei ist, Auffälligkeiten zu entwickeln. Diese Maßnahme entlastet die Eltern weiter. Sie eignen sich zunehmend Möglichkeiten an, trotz der Trennung und trotz der bestehenden Suchtproblematik ihre Rolle als Eltern wahrzunehmen und die Kinder im Blickfeld zu behalten.