Gundobad und Brunichilde



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Transkript:

Gundobad und Brunichilde Von Claude Longchamp, Hinterkappelen Einleitung Unsere zwei Hauptfiguren des heutigen Abends sind Gundobad, lateinisch Gundobadus, französisch Gondebaud, und Brunichilde, deutsch Brunhilde, französisch Brunehaut. Gundobad ist der erste König der Burgundia; er stirbt im Jahre 516 nach Christus. Brunichilde ist fränkische Königin und die erste Frau, die über fast das ganze Frankenreich regiert, zu dem Burgund 534 kommt. Brunichilde stirbt 613 nach Christus. Gundobad ist heute kein Held mehr; die meisten Menschen haben ihn in den 1500 Jahren seit seinem Tod vergessen. Ganz anders verhält es sich mit Brunichilde: In verwandelter Form ist sie vielen noch geläufig, denn sie ist der Star der Nibelungen, dem germanischen Nationalepos, und das beginnt so: "Uns ist in alten Mæren wunders vil geseit von Helden lobebæren, von grôzer arebeit, von freuden, hôchgezîten, von weinen und von klagen, von küener recken strîten muget ír nu wunder hœren sagen..." Meine Absicht ist es jedoch nicht, eine weitere Sage zu erfinden, sondern den geschichtlichen Zusammenhang aufzuzeigen, denn der verweist uns auf die Ursprünge Burgunds. Ihren Ursprung hat die Burgundia in der Ansiedelung des germanischen Stammes der Burgundiones auf römischem Gebiet zwischen 413 und 443. Mit dem rechtlichen Niedergang des Kaiserreiches im Jahre 476 dehnt sich dessen Herrschaftsgebiet ins Rhone- und Sâonetal aus. Seit 501 steht es unter der alleinigen Führung von König Gundobad.

Nach 534 verschwindet es als unselbständiges Königreich und kommt unter fränkische Herrschaft, geleitet durch Unterkönige aus der Dynastie der Merowinger, die im untergehenden römischen Kaiserreich ebenfalls ein Königreich aufgebaut haben, das als Frankenreich zum erfolgreichsten werden und auf dem westeuropäischen Festland die Nachfolge des römischen Kaiserreiches antreten wird. Gundobad, rex Burgundionum Der Aufstieg der Burgunden im römischen Reich Die Burgundiones stammen aus dem Gebiet der Ostsee. Früher glaubte man, sie seien aus dem heutigen Schweden oder von der heute dänischen Insel Bornholm gekommen. Daran zweifelt man heute. Man ordnet die Burgundiones den Ostgermanen zu, die sich in ihrer Südwanderung seit dem 3. Jahrhundert zwischen Weichsel und Oder aufhielten, vorübergehend ins römische Reich einfielen, besiegt wurden und sich danach im Gebiet des Mains niederliessen, wo sie sich mit den Alamannen um die Gunst der Römer als Grenzvolk stritten. Unter König Gundahar drangen die Burgundiones 406 erneut ins römische Kaiserreich ein. Diesmal gelang es ihnen zu bleiben. 413 gründeten sie rund um Worms ihr erstes Königreich auf römischem Boden. 434 wollten sie unter ihrem neuen König Gundowech jedoch mehr; die ehemalige Kaiserstadt Trier war ihr Ziel. Doch das misslang den Burgundiones. Sie wurden vom Statthalter des Kaisers, General Aetius, militärisch besiegt, und sie wurden 443 in der Saupadia angesiedelt. Sapaudia heisst eigentlich nichts anderes als "Waldgegend". Und diese gab es damals vielerorts, weshalb man lange darüber spekulierte, wohin die besiegten Burgundiones geführt worden waren. Heute nimmt man aufgrund archäologischer Funde an, dass es das Gebiet zwischen Jura und Lac Léman war. Die Burgundiones wurden hier angesiedelt, um die ehemals römisch beherrschte Gegend, die seit Mitte des 3. Jahrhunderts stark entvölkert war, vor Vorstössen der Alamannen in der Grenzregion nach Süden zu schützen. 2

In der Saupaudia wurden die Burgundiones von einem zweiten König, Chilperich, regiert. Er siedelte seine Sippen in den Wäldern der Sapaudia an, denn man erhielt einen Drittel des unbebauten Landes, liess es kräftig abholzen und lieferte die Ware nach Genf und Lyon. Chilperich tat das gut, und die Burgundiones wurden so zu einem rasch wachsenden Volk, das willig mit den Römern zusammenarbeitete. König Chilperich schaffte es sogar, selber ins grösste regionale Zentrum, Genava, dem heutigen Genf, zu ziehen und von hier aus zu regieren. Die Völkerwanderung unter dem Eindruck der Hunnen Die Zeit, in der die Ansiedlung der Burgundiones geschah, zählt man zur germanischen Völkerwanderung. Dies war eine der grossen Herausforderungen des Römischen Reiches, und es sollte im Westen auch daran scheitern. Gewandert sind nie alle Germanen miteinander, sondern nur einzelne Stämme - und das in verschiedenen Wellen. 375 ist eine neuerliche Wanderungswelle durch den Einfall der asiatischen Hunnen ausgelöst worden, die aus der Mongolei über die Steppenstrasse nach Westen kamen, sich in Pannonien, dem westlichsten Teil der Steppe, niederliessen und von hier aus zahlreiche Germanenstämme ausserhalb des Kaiserreiches unterwarfen. Wer das vermeiden wollte, suchte - wie die Westgothen - Einlass ins Kaiserreich. Sie drangen vom Schwarzen Meer über die Donau in die Nähe Konstantinopels, dem zweiten Rom, vor, siegten gegen Kaiser Valens und wurden vorerst in Makedonien angesiedelt. Als sie sich nach Rom aufmachten, geriet der ganze Westen in Aufruhr, und die Römer zogen ihre Truppen von Britannien und Germanien ab, um Italien zu schützen. Doch damit gaben sie die Rheingrenze frei. Nicht nur die Burgundiones nützten diese Gelegenheit, auch die Wandalen drangen ins Kaiserreich ein, das sie in kleinen Gruppen rasch nach Süden durchquerten, um in Südspanien und Nordafrika ein wandalisches Königreich zu errichten. Die Westgothen wurden ihnen, nachdem sie Rom geplündert hatten, im Auftrag Roms auf die Fersen geheftet, und sie liessen sich schliesslich rund um Toulouse in Acquitanien nieder. Im Norden waren schliesslich die germanischen Franken 3

auf römisches Gebiet in Toxandrich vorgestossen, und sie beherrschten den Rhein nördlich von Mainz beidseitig. Zwischen 430 und 450 hatte General Aetius, der das Westreich nördlich der Alpen kontrollierte, mit den Hunnen einen Pakt geschlossen. Er bezahlte die Hunnen dafür, dass sie ihm halfen, ausserhalb und innerhalb des Kaiserreiches die Germanen in Schach zu halten. 450 endete diese Zusammenarbeit jedoch, denn die Römer bezahlten unter ihrem neuen Kaiser Valentian III. die Hunnen nicht mehr, sondern rüsteten sich zum Kampf. Die Hunnen bliesen ihrerseits zum Angriff und überquerten den Rhein. So geriet das römische Reich im Westen ganz in Schieflage, und Aetius organisierte all seine verbündeten Germanen, die Westgothen im Osten, die Franken im Norden und die Burgunden im Süden, um die Hunnen zu bekämpfen. Auf den Katalaunischen Feldern, die man heute mit der Gegend von Chalons-sur- Marne identifiziert, kam es zum grössten Kräftemessen des Jahrhunderts. Schliesslich scheint niemand gewonnen zu haben, doch das war für Aetius schon so etwas wie ein Sieg, denn die Hunnen galten unter ihrem Khan Attila als unbesiegbar. Schnurstracks beanspruchte er, neuer Kaiser zu werden, was er mit dem Leben bezahlte. Der Kaiser brachte ihn höchstpersönlich um, doch auch dieser überlebte das nicht, denn die Schergen von Aetius erstachen ihrerseits den Kaiser auf offener Strasse. So haben die Weströmer zwar nicht auf dem Schlachtfeld verloren, aber sich unmittelbar danach selber weitgehend eliminiert. Die Burgundia entsteht im untergehenden weströmischen Reich Im politischen Vakuum, das in Gallien so entstand, begannen sich die Burgunden auszudehnen. Rasch besetzten sie nach Genève auch Vienne, Lyon und Besançon. Lyon machten sie zu ihrer neuen Hauptstadt, und Genf, das vorher diesen Rang hatte, blieb Hauptstadt im ursprünglichen Kerngebiet. Jetzt besass man drei Landstriche in Gallien: 4

die Sapaudia, die dem alten Helvetien von Aventicum gleichkam, die Sequana, die mit dem Gebiet auf der anderen Seite des Juras identisch war, sowie das mittlere Rhonetal- und Sâonetal, das heisst die nördlichen Teile der Lugdunensis. Der Eingang von Norden war südlich von Strassburg zwischen den Vogesen und dem Jura, - eine Ebene, die bis heute Burgunderpforte heisst. Die Burgundiones nutzten ihre starke Stellung im Rhonetal, wo der Handel noch funktionierte, und machten Druck auf den römischen Kaiser. Dieser war nur noch ein Hampelmann, denn er hing auf Biegen und Brechen von den germanischen Heeren in Italien ab. Wichtigster Germanengeneral in römischen Diensten war seit Aetius Ricimer, der Kaiser ernannte und absetzte, wie es ihm passte. 472 schloss sich Gundobad Ricimer an, mit dem er verwandt war. Gemeinsam griffen sie mit ihren Soldaten Rom an und plünderten es. Ricimer verschied hierbei, und Gundobad übernahm den Posten des patricius, wie der oberste General der kaiserlichen Truppen hiess. Auch er ernannte einen weströmischen Kaiser, den drittletzten, zog sich danach aber aus Rom zurück. In diesen Jahren endete auch die kaiserliche Herrschaft in Westrom. In Ostrom herrschte dagegen unvermindert Kaiser Zenon, und dieser übernahm jetzt auch rechtliche Herrschaft über Westrom. Gundobad und seine drei Brüder auf Bewährungsprobe Nach dem Tod seines Vaters Gundowech, der noch den burgundischen Angriff auf Trier geleitet hatte, trat Gundobad, wie es bei den Germanen Sitte war, die 5

Nachfolge als burgundischer Unterkönig an. Noch hatte er den alten Chilperich, der den Aufstieg in der Sapaudia begleitet hatte, über sich. Und Gundobad hatte auch drei Brüder an seiner Seite, die auch ohne römische Titel gleiches burgundisches Recht für sich beanspruchen konnten. Die vier Unterkönige teilten sich die vier burgundischen Zentren auf: Gundobad nahm Lyon, sein Bruder Godomar bekam Vienne, Giselbert regierte in Besançon, und Chilperich II. ging nach Genf. 7 Jahre regierte man unter der formellen Herrschaft des alten Chilperich I. gemeinsam bis dieser im Jahre 480 starb. Jetzt mussten die Brüder beweisen, was sie konnten. Das germanische Recht verlangte von einem Prinzen, dass er neues Land erobere und so den Reichtum des Volkes mehre. Gab es mehrere Prinzen, sollte der, der das am besten tat, neuer König werden. Unter den Bedingungen, welche die Burgunden im untergehenden römischen Reich vorfanden, war das gar nicht so einfach. Gundobad hatte nur eine Chance, und er nutzte sie: Er überquerte die Alpen und eroberte Ligurien mit der Hauptstadt Pavia. Die kräftige Bevölkerung der Ligurier schleppte er als Sklaven in sein Königreich ab. Gundobad konnte dies deshalb nur tun, da in Oberitalien ein Machtvakuum herrschte, das die Ostgothen, vormals von den Hunnen beherrscht, erst langsam zu füllen begannen. Alles andere wäre mit erheblichen Konsequenzen verbunden gewesen, die Gundobad mied. So blieb ihm und seinen drei Brüdern nichts anderes übrig, als sich untereinander zu bekriegen, um herauszufinden, wer unter ihnen der Stärkste war. Zuerst ermordete Gundobad gemeinsam mit seinem Bruder Godegisel ihren gemeinsamen Bruder Godomar, der in Vienna herrschte. Dann hatten sie es auf Chilperich abgesehen, der in Genf die Nachfolge seines Onkels angetreten hatte. Auch ihn brachten Gundobad und Godegisel um, liessen aber seine Töchter am Leben. Godegisel kümmerte sich um ihre Erziehung, vor allem auch um jene von Chrodechilde. 6

Für eben diese Chrodechilde interessierte sich der König der Franken Chlodwig. Er hielt um ihre Hand an und führte die Nichte Gundobads an seinen Hof in Paris. Seinerseits versprach Chlodwig eine Tochter aus erster Ehe dem Ostgothenkönig Theoderich in Ravenna, und dieser gab Gundobad seine Tochter Ariadne zur Frau. So war man miteinander verbandelt, und das half, dass nicht mehr jeder gegen jeden kriegte. Nicht in dieses System der germanischen Königreiche auf römischem Boden passten die Alemannen im Schwarzwald als Kerngebiet. Doch auch sie forderten ihren Teil und drangen vom Schwarzwald aus ost- und westwärts vor. Als sie sich auch nordwärts den Rhein entlang auszudehnen versuchten, gerieten sie mit den Franken in Konflikt. Diese besiegten die Alemannen militärisch bei Zülpich, in der Nähe des heutigen Bonn, und betrachteten sie fortan als ihre Untertanen. Chlodwig fühlte sich nun als etwas Besseres. Er sah die Chance, der eigentliche Chef unter den Germanenkönigen auf römischem Boden zu werden. Dazu fehlte ihm jedoch eines: Er war nicht Katholik, und die römische Bevölkerung kannte das Christentum seit dem 4. Jahrhundert als Staatsreligion. Ein neuer römischer Staat ohne Katholizismus liess sich kaum bauen und so liess er sich nach dem Sieg über die Alemannen in Reims taufen. Nicht ohne Wirkung dürfte dabei gewesen sein, dass Chrodechilde, seine burgundische Frau, schon katholisch war. Sie hatte sich nach dem Tod ihrer Familie in der burgundischen Fehde taufen lassen, und sie war als Katholikin zu Chlodwig nach Paris gegangen. Denn die Franken waren wie die Westgothen und Burgunder Arianer. Das waren zwar auch Christen, aber nicht solche, welche die orthodoxe katholische Kirche des Papstes anerkannte hatte. Die katholische Kirche hat es Chrodechilde gedankt, dass sie den Frankenkönig und mit ihm 3000 seiner wichtigsten Krieger von der katholischen Taufe überzeugen konnte. Sie hat sie als Clotilde heilig gesprochen, und sie ruht heute noch in Paris. Nach der Taufe setzte Chlodwig auf die grosse Karte. Er spannte eine unglaubliche Hinterlist gegen die Burgunder auf. Im Geheimen verhandelte er mit Gundobad und Godegisel einzeln und gab beiden vor, mit ihnen die Stadt Dijon 7

erobern zu wollen. Beide Burgunderkönige setzten zur Verteidigung der Stadt an, im Glauben, dass Chlodwig mit ihnen verbündet sei. Doch als sie vor der Stadt Stellung bezogen hatten, musste Gundobad erkennen, dass sich Chlodwig für Godegisel und gegen ihn entschieden hatte. Dieser wandte seine Truppen gegen die des Bruders, dem nur noch die Flucht nach Avignon, ganz im Süden seines Herrschaftsgebietes, blieb. Dort stützten ihn die verbündeten Westgoten, und es gelang Gundobad, den Abzug der fränkischen Truppen zu erwirken. Kaum waren diese weg, revanchierte er sich an seinem Bruder, der Vienne besetzt hielt. Über das Aquädukt drang Gundobad überraschend in die belagerte Stadt ein und beseitigte Godegisel. Gundobad, Alleinherrscher über die Burgundia Jetzt hatte Gundobad drei Brudermorde auf dem Gewissen, aber er war alleiniger burgundischer König. Nach germanischer Sitte hatte er sich durchgesetzt und beanspruchte zu Recht, burgundischer König zu sein. So gab er seinem Volk das erste Gesetz, und er liess seine 32 Stellvertreter im Rang eines Grafen den Eid darauf ablegen. Dieses erhielt den Namen Lex Romana Burgundionum, besser bekannt als Lex Gundobada oder auch als Loi Gombetta. Es war eines der ersten Male, dass ein germanisches Volksrecht aufgeschrieben wurde. Es zeugt davon, wie gut die königliche Jagd geschützt war, und wer wie bestraft wurde, wenn er dagegen verstiess. Man kann daraus auch ablesen, wer wie viel Wert in der Gesellschaft hatte, und wie man Taten wie Diebstahl und Todschlag bestrafte. Freilich ist die Lex Gundobada nicht rein germanisch, denn Gundobad war bemüht, die Germanen im Rhonetal den Galloromanen mit seinem Gesetz gleich zu stellen. Hierfür musste er Konzessionen machen, etwa im Eherecht, das im germanischen und romanischen nicht gleich war. Gundobad machte sich mit seinem Gesetz auch zum Herrn über die Kirchen. Er führte die arianischen und katholischen Bischöfe in den spätantiken Zentren. Einfacher wäre es gewesen, wenn auch Gundobad zum Katholizismus übergetreten wäre. Doch das unterliess er. Zu stark wäre das aus seiner Sicht ein Nachgeben an die Adresse der Franken gewesen, die ihn einmal angegriffen hatten. 8

Denen half er zwar, die Westgoten zu bekämpfen, und in der Tat wurden sie mit Ausnahme eines schmalen Streifens am Mittelmeer aus dem Gebiet nördlich der Pyrenäen vertrieben. Aber Gundobad machte keine weiteren Konzessionen, und das hatte seine Ursache im grossen Gegenspieler Chlodwigs. Der Ostgothenkönig Theoderich hatte ausgehend von Ravenna in Italien ein ebenso prächtiges germanischen Königreich aufgebaut wie Chlodwig in Gallien, und er stand Gundobad näher, denn auch er war Arianer und vermittelte wie er zwischen Germanen und Romanen. Theoderich bedankte sich für den Ausgleich bei Gundobad. Er anerkannte ihn als Ehrenkonsul, nannte sein regnum offiziell Burgundia, und beschenkte Gundobad mit der technischen Errungenschaft seiner Zeit. Gundobad erhielt 507 als erster in ganz Gallien eine Wasseruhr, mit der man die Zeit messen konnte, auch ohne dass die Sonne schien. Das war die beste Zeit Gundobads. Nach dem konfliktreichen Aufstieg hatte er nun zwei Verbündete in Gallien und Italien auf jeder Seite, die darauf bedacht waren, das Gleichgewicht der Macht nicht aus der Balance zu bringen, denn gemeinsam verwaltete man nun wesentliche Teile des ehemaligen weströmischen Kaiserreiches. Nachfolgeregelung mit Gundobads Söhnen Sigismund und Godomar Gundobad machte sich jetzt daran, seine Nachfolge zu regeln. Er bestimmte seinen ältesten Sohn Sigismund, den er mit seiner Frau Carétène hatte, zum Unterkönig, der in Genf über die alte Sapaudia regieren sollte, während Gundobad in Lyon blieb und das untere Rhonetal kontrollierte. Gundobad hatte keine Freude, dass Sigismund auf Druck der Bischöfe zum Katholizismus übergetreten war, aber er tolerierte es. Sigismund sollte die Kontakte zu den katholischen Franken sichern, während Gundobad die Verbindung mit den arianischen Ostgothen pflegte. Immerhin, Gundobad gelang es so, das alte Germanenrecht in der Nachfolge, das ihm während seines Aufstiegs so viel Schwierigkeiten bereitet hatte, zu überwinden. Godomar, sein zweiter Sohn, wurde nur Stellvertreter Sigismunds und nicht gleichberechtigter Unterkönig. 9

Sigismund profilierte sich denn auch so, wie man es von einem katholischen Prinzen erwartete. Er ging nach Rom, besuchte den Papst, traf in Ravenna seinen Schwiegervater Theoderich, den Ostgotenkönig, und kehrte als frommer Mann nach Genf zurück. Er förderte den Märtyrerkult in seinem Land und gründete hierfür ein Kloster in Agaune im Rhonetal. Gestiftet wurde es St. Maurice, der der Legende nach aus Ägypten stammte, Christ war und in einer römischen Armee diente, die man nach Gallien geschickt hatte, um gegen die Christen vorzugehen. Maurice soll seine Truppen zurückgehalten haben, als er davon erfuhr, und dafür von den damals noch heidnischen Römern umgebracht worden sein. Genau dort, wo das geschehen sein soll, liess Sigismund nun das Kloster aufbauen, dessen Gebäude bis heute da stehen. Nur ein Jahr danach starb Gundobad, und das markierte eine Wende im Burgunderreich. Denn der Katholik Sigismund wurde nun einziger König der Burgunder. Sigismund scheint indessen weniger ein Mann der Tat gewesen zu sein als ein Mann der Religion. Er bekam das Burgunderreich nie im gleichen Masse in den Griff wie sein Vater. Er blieb von den mächtigen Bischöfen in Vienne und Lyon abhängig. Und er war deutlich weniger geschickt im Umgang mit seinen Nachbarn, auf die er angewiesen blieb. Von seiner ersten Frau, der Ostgothin, liess er sich trennen, und als seine zweite Frau, einer Dienerin aus seinem Hof, deren Sohn Sigerich verklagte, gegen den Vater einen Putschversuch vorzuhaben, liess ihn Sigismund kurzerhand umbringen. Er bereute die Tat im Affekt umgehend, und auf Anraten des Bischofs von Vienne zog er sich auch ins Kloster St. Maurice zurück, um Busse zu leisten. Die Ostgothen unter Theoderich verziehen den Tod ihres jungen Verwandten nicht, und in Paris hatte Chrodechilde immer noch eine Rechnung wegen ihren Eltern offen, die einmal Genf beherrscht hatten, offen. Sie schickte ihre drei Söhne Chlodomir, Chlothar und Chilperich auf die germanische Bewährungsprobe, und sie sollten die Burgundia erobern. Jetzt leisteten die Ostgothen nochmals Hilfe an die Burgunder. Godomar gelang es, einen der drei Unterkönige der Franken, Chlodomir, im Kampf von Vézorance im Val d'isère zu besiegen. Die beiden anderen zogen sich darauf zurück, ermordeten aber ihrerseits den gefangenen Sigismund und die Königsfamilie, indem sie sie Kopf voran in einen Brunnen in Orléans stürzten. Seither gilt Sigismund selber als Märtyrer, und 10

auch er wurde zum Lokalheiligen. Seine Gebeine wurden später nach St. Maurice überführt, wo sie weitgehend noch heute aufgebahrt sind. Der Sieg Godomars blieb jedoch nur eine Episode. Theoderich, der Ostgothenkönig, starb nur wenig später eines natürlichen Todes, und die Franken besiegten Godomar in Autun militärisch. Godomar kam dabei ums Leben, und damit endete auch burgundische Königsdynastie, die mit Gundowech in Worms begonnen hatte, mit Chilperich den Aufstieg in der Sapaudia erlebt hatte, mit Gundebad den ersten grossen Krieger und König kannte, und schliesslich mit Sigismund einen Heiligen in ihren Reihen weiss. Die Burgundia hörte auf, ein selbständiges Königreich zu sein. Die geteilte Herrschaft über Burgund übernahm die beiden überlebenden Eroberer und ihr Halbbruder Theuderich. Dieser war mit Sigismund verschwägert gewesen und hielt sich deshalb zurück, als man in Chrodechildes Auftrag die Burgundia eroberte. Während die Halbbrüder Burgund bekämpften, machte er sich die Auvergne eigen, für die er jetzt eine Verbindung brauchte. Er bekam 534 dafür das ganze Mittelland bis Genf. Das hatte aber Folgen ungeahnten Ausmasses: Das schweizerische Mittelland, wo sich die Burgundiones ursprünglich als römische Föderaten niedergelassen hatten, wurde jetzt fränkisch, und innerhalb des Frankenreiches kam es unter den Einfluss der Könige von Reims. Diese waren aber auch die Herren über die besiegten Alamannen, und sie begannen damit, auch diese im Mittelland anzusiedeln. Die fränkischen Herzöge, die Alemannien jetzt regierten, wählten Aventicum zum Zentrum südlich des Rheins, und sie nannten die ehemalige Römerstadt jetzt Wiflisburg. 11

Brunichilde, regina Francorum Grosse Aenderungen Das Jahr 535 war für die Zeitgenossen ein Einschnitt. Aus Gründen, die bis heute nicht geklärt sind, verdunkelte sich die Welt, die Sonne schien noch halb so viel und im Sommer lag in Europa Schnee. Doch es änderte sich nicht nur das Klima, auch die geopolitische Lage im römischen Reich hatte sich geändert. Theoderich der Grosse, der Ostgotenkönig, war nicht mehr, und seine Schwester Amalswinta, die als Ostgotenkönigin regierte, verfügte nicht über die militärische Macht, Einfluss zu nehmen. Zudem herrschte in Konstantinopel seit geraumer Zeit Kaiser Justinian mit seiner Heräterin Theodora. Denen missfiel die unerwartete Stellung der Wandalen in Africa und der Ostgoten in Italien, und sie schickten ihre Feldherren Belisar und Narses aus, den Germanenreichen auf römischem Boden ein Ende bereiten. Es scheint ganz so zu sein, dass sie dafür das Frankenreich, das in den 50 Jahren seit dem Untergang Westroms entstanden war, akzeptieren würden. Die Frankenkönige von Reims, die mit Theuderich, heute würde man sagen: Dietrich - drei Generationen lang als Nachfahren von Chlodwig über den Ostteil des Reiches regiert hatten, und die sich schon weitgehend verselbständigen konnten, wurden aber von der 557 auf ausbrechenden Pest gestoppt. Diese war die stärkste der Spätantike, und sie beendete auch die fränkische Expansion bis in die Mitte des 8. Jahrhunderts. Chlothar I., der Soissons regierte, avancierte dabei zum König aller Franken. Mit Chlothars I. baldigen Tod im Jahre 561 ging auch so etwas wie die Spätantike im ehemaligen Gallien zu Ende. Caesar hatte das reiche keltische Gebiet bis 52 vor Christus erobert und zum Teil der römischen Republik gemacht. Diese ging mit seiner Diktatur unter, und sein Nachfolger, Octavianus, regierte das Reich von 30 vor Christus an als Kaiser. Dieses erste Kaiserreich ist 260 an den Kriegen mit den Persern und Germanen untergegangen, unter Kaiser Diokletian 12

284 aber neu entstanden. Die Rolle Roms war relativiert, denn es gab jetzt in der Regel zwei Kaiser, einen im Westen gegen die Germanen und einen im Osten gegen die Perser. Entlang dieser Abgrenzung wurde das Kaiserreich 390 definitiv geteilt, der Osten überlebte zunächst als oströmisches, dann als byzantinisches Reich bis 1453, während der Westen wie wir gesehen haben 451 faktisch, 476 auch rechtlich unterging. Nur vorübergehend konnte Justinian die Germanen stoppen, und in Gallien hatten sie sich bleibend festgesetzt. Die Macht von Chlothar I. gründete jedoch auf brutaler Gewalt, gegenüber seiner Familie genau so wie seinen Untertanen, gegenüber anderen Königen wie auch ihren Töchtern. Chlothar war es auch, der die Polygamie in der Merowinger Sippe zum Machtsymbol gemacht hatte. Insgesamt hatte er sechs Frauen. Das Frankenreich unter den Söhnen Chlothars I. Seine Nachfolge regelte Chlothar nach fränkischer Sitte unter seinen vier Söhnen: Chilperich erhielt den Norden mit Sitz in Soissons, Charibert den Westen mit Sitz in Paris, Guntram den Süden mit Sitz in Chalons-sur-Sâone und Sigibert den Osten mit Sitz in Metz. Chilperich war jedoch nur der Halbbruder der drei anderen Könige. Nur väterlicherseits war man verbrüdert, während Chilperichs Mutter die Schwester der Mutter der drei anderen Könige war. Chilperich erhielt den Norden mit Soisson als Hauptstadt. Charibert residierte in Paris, Guntram in Orléans und Sigibert in Metz. Charibert, der älteste, starb schnell und damit war Guntram, der von Orléans aus Burgund regierte der Doyen unter den Königen. Die Grenze Burgunds zu Sigibert, dessen Herrschaftsgebiet jetzt Austrasien genannt wurde, zog man neu. Der ducatus ultraioranorum kam wieder zu Burgund, bezog sich aber nur noch auf die Gebiete des Mittellandes links der Aare. Rechts der Aare war jetzt der ducatus alemanorum, und der gehörte zum Königreich von Austrasien. Das hatte seinen besonderen Grund: Links der Aare war die burgundische Bevölkerung aus der Zeit der Sapaudia vorherrschend geblieben, während sie rechts der Aare kaum mehr vertreten war. 13

Sigibert, der dritte im Bunde, richtete sein Augenmerk nach Osten. Dort bekam er eine neue Aufgabe, hatten sich doch in Pannonien die asiatischen Awaren, wie seinerzeit die Hunnen sehr gute Reiter, und mehr noch als diese Herren der krummen Säbel, niedergelassen. Sie verdrängten die Langobarden aus Pannonien, die sich nach dem Tode Justinians als Nachfolger der Ostgothen in Italien installierten. Das alles verlangte von Sigibert, die Front im Westen, wo er auch über die Auvergne regierte, zu befrieden, und genau das tat der junge König auch. Der Krieg zwischen Austrasien und Neustrien Entgegen der Sitte im fränkischen Könighaus hatte Sigibert keine Konkubinen, die er aus den Dienerinnen des Hofes auswählte. Er hielt um die Hand der Tochter von Anthanagild, dem westgotischen König, an, und er heiratete mit viel Pomp, das der führende Geistliche des Frankenreichs, Gregor von Tours, organisiert. Seine Auserwählte war Brunichilde, die in Spanien eine gute Bildung erhalten hatte. Beide waren so etwas wie das Vorbild im Frankenreich. Vor allem gefielen sie den katholischen Bischöfen. Nicht zuletzt hatten sie ihre Freude, dass Brunichilde deswegen, als sie Sigibert heiratete, dem Arianismus abgeschworen hatte und Katholikin geworden war. 14

Das Powercouple in Metz konnte jedoch König Chilperich in Neustrien nicht leiden. Umgehend hielt er beleidigt um die Hand der Schwester Brunichildes, Galswintha, an, und er erhielt sie, selbst wenn sich ihr Vater beschwerte, da Chilperich schon einmal verheiratet gewesen war und auch eine Konkubine zur Frau genommen hatte. Chilperich schwor, fortan nur noch eine Frau zu haben, und so willigte man in die Hochzeit ein. Die Freude dauerte jedoch nicht lange. Galswintha wurde innert Jahresfrist erwürgt, denn Chilperich fand keinen Gefallen an ihr, und man hat Fredegunde, die ehemalige Geliebte Chilperichs dafür verantwortlich gemacht. Der Verdacht fiel auf sie, denn sie wurde kurz nach Galswintas Tod Chilperichs Gattin und die neue Königin von Neustrien. Brunichilde, die erst drei Jahre am austrasischen Hof lebte, musste für ihre ermordete Schwester Rache nehmen, und das hiess Krieg. Doch das war mehr als der Bruderkrieg, wie man ihn in den germanischen Königreichen gekannt hatte. Es war der Krieg zwischen Austrasien und Neustrien, die jetzt um die Vorherrschaft im ganzen Frankenreich buhlten. Sigibert war zu Beginn erfolgreich, und er eroberte Paris. Damit bedrohte er Chilperich und Fredegunde unmittelbar. Doch soweit kam es nicht: Als er zum König von Neustrien erhoben werden sollte, wurde er von den Getreuen Fredegundes umgebracht. Brunichilde wurde jetzt sogar verhaftet und Chilperich und Fredegunde vorgeführt. Sie wurde zuerst eingekerkert und dann nach Rouen in die Verbannung geschickt. Doch was jetzt geschah, hatte niemand erwartet: Brunichilde gelang es Merowech, Chilperichs Sohn aus erster Ehe, der sie in Rouen observierte, zu verführen und auch zu ehelichen. Chilperich war erneut ausser sich, als er das erfuhr, und er liess Merowech zuerst in ein Kloster stecken, dann ganz beseitigen. Typisch barbarisch würde man sagen. Brunichildes erwies sich dagegen als Strategin. Ihr zweiter Coup lies nicht lange auf sich waren, war aber entscheidend: Die zweifache Witwe heiratete nicht mehr, kehrte aber an den austrasischen Hof zurück und übernahm für ihren unmündigen Sohn Childebert die Regentschaft. Aus letztlich nicht geklärten Gründen starb kurz darauf auch König Chilperich, und wieder machte es die Runde: Fredegunde habe jetzt sogar ihren Mann umgebracht, um mit Brunichilde 15

im Kampf um das Frankenreich gleich zu ziehen. Denn auch sie hatte mit Chlothar einen Sohn, der das Erbe antreten konnte, aber der minderjährig war. Er war noch nicht einmal ein Jahr alt, als sein Vater starb, sodass auch Fredegunde die Regentschaft für ihn übernehmen würde. Nur in Burgund war mit König Guntram ein fränkischer König verblieben. Jetzt ruhten alle Hoffnungen auf ihm, und er übernahm sowohl für Childebert wie auch für Chlothar die Patenschaft. Doch war es Childebert, der Burgund erben sollte, weil er der ältere war, denn Guntram hatte seine beiden Söhne während einer Seuche an seinem Hof in Châlons verloren. Nach Guntrams Tod nahm Childebert den Titel eines Königs der Franken an, denn er regierte über Austrasien und Burgund. Auch hatte er zwei Söhne, Theudebert und Theuderich, und alles schien sich so zu entwickeln, wie man es sich erhofft hatte. Doch auch Childebert war nicht lang Herrscher. Er überlebte seine Königskrone nur um drei Jahre. In dieser Zeit hatte er es aber nicht unterlassen, seine Nachfolge durch seine beiden Söhne zu regeln, wobei er merkwürdigerweise den jüngeren Theuderich bevorzugte. Er legte nämlich fest, dass dieser einmal Burgund erben sollte, und Theudebert in Austrasien König werden sollte. Doch sollte Theudrich von Theudebert auch das Moselland, das Elsass und Alemannien bekommen. Der docuatus alemannorum wurde so wieder burgundisch. Die Serie austrasischer Herzöge über Alemannien, die auch über das schweizerische Mittelland regierten, nahm hier ihr Ende. Der Bischof von Aventicum/Wiflisburg, Marius, verliess seinen Sitz und installierte ihn neu in Lausanne, das hoch auf der Burg von den Alemannen besser geschützt, denn man fürchtete, dass die Alemannen neuerliche Kriegszüge unternehmen würden. Zunächst mussten jedoch beide Jungs, die als Könige vorgesehen waren, volljährig werden, weshalb die Grossmuter Brunichilde die Regentschaft ein zweites Mal übernahm. Das war ihr dritter Coup. Jetzt regierte sie aber nicht nur über Austrasien wie nach dem Tod ihres ersten Mannes Sigibert, sondern auch über Burgund, das ihr Sohne Childebert von Gunther geerbt hatte. 16

Brunichildes Regentschaft über Theudebert und Theuderich Nur 70 Jahre nachdem der stolze Krieger Chlowig, der Reichgründer, gestorben war, hatten sich seine Nachfahren gegenseitig soweit ausrangiert und umgebracht, dass jetzt zwei Frauen an die Spitze des Frankenreiches traten. Das passte den Bischöfen, die dem König unterstellt waren, gar nicht. An einer ihrer Bischofskonferenzen erörterte man nämlich die Frage, ob denn Frauen auch Menschen seien, und ob sie damit berechtigt seien, direkt in den Himmel zu kommen. Krasser hätte man es nicht sagen können. Und man sorgte vor: Zuerst verfügte man, dass die Bauern nach der Regel der Bibel leben müssten, und der Sonntag arbeitsfrei sein sollte. Was man an den sechs anderen Tagen der Woche produzierte, das sollte zu einem Zehntel auch an die Kirche gehen, die sich immer mehr als eigene Organisation im Frankenreich verstand. Für Brunichilde war das die schwerste Zeit. Im Osten stand Austrasien im Krieg mit den Awaren, und im Innern brodelte es in den Kirchen. Sie setzte auf ein rasches Ende des Krieges, und hielt die Awaren mit Tributzahlung vor weiteren Angriffen ab. Das schwächte aber ihr Ansehen, und ihr Einfluss am Hof in Metz ging zurück. Auch Theudebert tat nicht so, wie sie es sich vorgestellt hatte. Der Junge spielte mit der Sklavin Bilichilde, die ihm die Grossmutter auf dem Markt gekauft hatte, nicht nur, er heiratete sie gleich, als er volljährig wurde. Und Bilichilde zog den ganzen Hof an sich, der vorher Brunichilde zu Füssen gelegen hatte. Entnervt wandte sich die ausgetrickste Strategin von Metz ab und Orléans zu, wo Theoderich war. Doch auch der war nicht minder aktiv gewesen in ihrer Abwesenheit, und hatte schon als Minderjähriger vier Söhne mit Konkubinen gezeugt. Um König der Franken zu werden, war das keine gute Voraussetzung. Da griff Brunichilde zum vierten Mal an. Sie forderte Columban, den irischen Missionar in Burgund auf, Theuderichs Söhne aus den Verbindungen mit den Konkubinen katholisch zu taufen. Der aber dachte nicht daran, die Bastarde, wie er sie nannte, zu legitimieren. Er zog es vor, Burgund zu verlassen, nicht ohne mit 17

dem verfeindeten Hof in Neustrien Kontakte mit einer neuen Mission bei den Alemannen geknüpft zu haben. Eine Verschwörung der Kirche und der Neustrier gegen Brunichilde deutete sich an. Der Krieg zwischen Austrasien und Burgund Jetzt wollte Theudebert, der König von Austrasien, die Zurücksetzung Austrasiens an der Mosel, im Elsass und in Alemannien nicht mehr akzeptieren, und er wiegelte die Bevölkerung, die unter der Herrschaft Burgunds stand, auf. Uncelin, der Herzog in Burgunds Diensten über die Alemannen, ging nach Châlons und brachte dort den Hausmeier Protadius um. Der war aber gleichzeitig auch Brunichildes Geliebter gewesen. Brunichilde revanchierte sich dafür mit dem fünften Coup. Gegen Theudebert baute sie eine Intrige auf: Er sei gar nicht der Sohn Childeberts, sondern vom seinem Gärtner gezeugt worden, und nur Theuderich habe den Anspruch, Childeberts Erbe weiter zu führen. Deshalb sei er im Erbvertrag vom König auch benachteiligt worden. In Seltz, im Elsass, trafen sich die beiden Brüder 610 zu einer Aussprache. Theudebert kam jedoch gleich mit seinem Heer angerückt, sodass Theuderich nachgeben musste. Jetzt war Krieg zwischen Austrasien und Burgund. Die Alemannen fielen im Elsass und im schweizerischen Mittelland über die burgundische Bevölkerung herein. An der Aare kam es zum grossen Gefecht bei Wangan. Das könnte Wangen an der Aare gewesen sein, aber auch Niederwangen bei Bern, genau weiss man es nicht. Es siegten die Alemannen, und sie drangen weit über die Aare ausgreifend in burgundisches Siedlungsgebiet ein. Sie zerstörten Aventicum, oder was davon noch stand, und sie machten das Kloster Romainmôtier im burgundischen Jura dem Erdboden gleich. Nur St. Maurice, das in Stein gehauene Kloster am Eingang ins Wallis, blieb stehen.. Auch wenn die Alemannen im schweizerischen Mittelland damit ihre Vorherrschaft sichern konnten, war es für sie kein grosser Sieg. Ihr König, Theudebert, wurde nämlich durch Vorstösse der Awaren an die Ostgrenze gerufen, und Theuderich nutzt die Abwesenheit des Königs, um das Heer Austrasiens in Tours zu besiegen. Jetzt ging er aufs Ganze: In Zülpich kam es zu einer zweiten Schlacht, die Theuderich wieder gewann, und er nahm jetzt den herbei geeilten Bruder gefangen. Damit war Brunichilde fast am Ziel. Ihr Lieblingsenkel Theuderich würde bald der alleinige der König sein. 18

Doch es kam ein letztes Mal anders, als man es erwartet hatte. König Theuderich starb am Hof in Metz an einer Seuche, vielleicht an Pest. Kurz vor ihrem Ziel, griff Brunichilde deshalb zum äussersten, was es je gegeben hatte: Sie machte sich zum dritten Mal zur Regentin, und kürte Theuderichs minderjährigen Sohn Sigibert II. zu seinem Nachfolger. Doch jetzt sollte ihr Ende nahen. In Austrasien war ihr Einfluss soweit zurückgegangen, dass sich die Bischöfe gegen den unmündigen Thronfolger erhoben. Unter Arnulf von Metz und Pippin von Landen formierte sich der Aufstand des austrasischen Adels, und Brunichilde wurde vertrieben. Sie flüchtete von Koblenz, und wollte in burgundische Gebiete. Vorübergehend versteckte sie sich in Orbe, und wollte von da mit dem Thronerben nach Châlons ins Burgund. Doch jetzt hatte sich auch Chlothar II., der Sohn Chilperichs und Fredegundes, der König von Neustrien, dem Aufstand in Austrasien angeschlossen, und er nahm die alte Dame und das junge Kind gefangen. Königin und König von Burgund wurde der Prozess gemacht. Chlothar bracht Sigibert II. um, und klagte Brunichilde an, für den Tod seines Vaters Chilperich und für jenen von 9 weiteren Königen des Frankenreichs verantwortlich zu sein. Für Brunichilde war das das definitive Ende. Sie wurde drei Tage lang gefoltert, dann halb entblösst den Soldaten vorgeführt und schliesslich auf schändlichste Art hingerichtet. Chlothar II. wurde nun via seinen Grossvater Chlotar I. König der Franken. Würdigung und Ausblick Fast das Ende der Merowinger Der Aufstieg der ersten fränkischen Dynastie zur Macht hatte damit ein schreckliches, vorläufiges Ende genommen. Die austroburgundische Königsfamilie war ganz ausgerottet, und in Neustrien hatte sich gerade noch Chlothar halten können. 19

Das fränkische Erbrecht, das die Teilung der Güter des Königs unter seine Söhne vorsah, war in Zeiten, als das Reich expandieren konnte, von Vorteil gewesen. Das hatten Chlodwig und seine Söhne bewiesen. Die Franken waren im Nordosten des ehemaligen römischen Reiches zur führenden Macht aufgestiegen, und hatten vom oströmischen Kaiser die Anerkennung bekommen. Jetzt, wo die Ablösung des weströmischen Kaisers durch das Ende der Völkerwanderung an ihre Grenze gestossen war, erwies sich das germanische Erbrecht als explosive Mischung, die sich auch nach Innen wenden konnte. Die Kombination mit der Blutrache zwischen Brunichilde und Fredegunde führte zu barbarischem Verhalten in der Königssippe und schwächte diese letztlich entscheidend. Die Geschichtsschreibung ist sich bis heute nicht einig geworden, wie sie die beiden Frauen bewerten soll. Gregor von Tours, der heilig gesprochene Bischof, der Sigibert und Brunichilde getraut hatte und als erster die Geschichte der Franken auszeichnete, steht hinter Brunichilde. Er sieht in ihr eine kraftvolle, politisch denkende Person, die allen Widerwärtigkeiten zum Trotz an einem starken Königtum im Frankenreich gearbeitet habe. Hätte sie das geschafft, wäre sie als Überwinderin des problematischen fränkischen Erbrechts bekannt geworden. Vielleicht würde man dann ihren Sohn Childebert statt Karl dem Grossen als den Vorzeigefranken feiern. Fredegar, der ebenfalls eine Chronik der Franken geschrieben hat und das Pseudonym für einen Mönch im Burgund ist, sieht in Brunichilde die fremde Hetzerin gegen die Prinzipien des Frankenreichs, die in ihren Exzessen der Liebe, des Streits und des Mordes nur dank der katholischen Kirche gebremst wurde. Bis heute scheiden sich daran die Geister. Dies ist nicht zuletzt eine Folge davon, dass es ausser den beiden genannten Chroniken keine zeitgenössische Geschichte der Franken gibt, vielmehr die mündliche Tradition das Geschichtsbewusstsein prägte. Aus dieser sind 500 bis 600 Jahre später die isländische Edda und das deutsche Nibelungenlied entstanden, in den alle Personen, die hier vorgestellt wurden, weiterleben, wenn sich auch in ihren Taten und Leben reale Begebenheit und freie Erzählung mischen. 20

Und in diesen wurde Brunichilde zum ersten weiblichen Star des frühen Mittelalters. Noch mehr Mühe hat die Geschichtsschreibung mit den Merowingern überhaupt. Die katholische Kirche hat in ihnen die ersten Christen gesehen, womit viele Mitglieder der Merowingersippe heilig gesprochen wurden. Die französischen Könige und auch Kaiser Napoléon haben sich auf Chlodwig und seine Nachfahren berufen. Napoléon selber nutzte den Thron Dagoberts, als er sich an seine Truppen wandte. Die Revolutionäre von 1798 konnten mit den Meros gar nichts mehr anfangen; sie haben sie, allen voran Dagobert mit Kinderliedern lächerlich gemacht, und den Adel vor der Revolution pauschal als seiner Nachfolger beschimpft, während das Volk die Nachfahren der wahrhaft tapferen Gallier sei. Interessant ist aber, dass auch die französischen Konterrevolutionäre in den Verdacht gerieten, Nachfahren von verwandten der Burgundiones zu sein. "Vandalismus" ist seit dieser Zeit der stehende Begriff für blinde Zerstörung, und bezieht sich direkt auf die Erinnerung an die Invasion von Barbaren, wie man aus römischer Sicht die Völkerwanderung sieht. Aus heutige Sicht ist klar: Es waren sehr raue Zeiten. Es galten andere Sitten, und es gab nicht mehr die römische Herrschaft, aber auch noch nicht die hochmittelalterliche mit der Symbiose von Papst und Kaiser. Es war ganz offensichtlich eine unruhige Zeit, in denen sich die Regionenbildung vollzog, die kulturell so entscheidend werden sollte. So sind die Merowinger heute keine Vorbilder mehr, aber Teil der Geschichte unseres Raumes. Neustrien, Austrien und Burgund waren zwar Teil des fränkischen Königreiches, das sich nach 561 als Monarchie über verschiedene Vaterländer verstand. Und als patria galten damals eben dieses Austrien, dieses Neustrien und dieses Burgund. Das waren untrügerische Zeichen, dass das römische Reich mit seinen Provinzen, seinen Städten und seinen Völkern nicht mehr war. Verlierer und Gewinner ihrer Zeit Den Streit in der merowingischen Königssippe des späten 6. Jahrhunderts bezahlt haben in erster Linie die Völkerschaften, deren Zuordnung zu einem der drei Teilreiche Austrien, Neustrien und Burgund, aus denen das Frankenreich zwischenzeitlich bestand, nicht eindeutig war. Das Beispiel des schweizerischen Mittellandes zeigt, wie prägend die Konflikte zwischen Austrasien und Burgund werden konnten. Zunächst war alles klar, denn die Burgunder waren südlich des Rheins die ersten germanischen Siedler. Dann wurden sie mit dem Untergang des Königreichs Burgund getrennt, und sie gerieten in den Einflussbereich Austra- 21

sien. Erstmals orientierte sich das Mittelland damit nicht nach Westen wie bei den Kelten oder nach Süden wie bei den Römern, sondern nach Norden. Schliesslich einigte man sich auf die Aare als herrschaftliche Grenze, doch die Nachbarschaft der zwei ungleichen Völker vertrug sich nicht. Das hatte mehrere Gründe: Die burgundischen Siedler mit Genf als Hauptstadt hatten die spätantike Kultur aufgenommen. Sie waren Romanen geworden, gehörten zum Königreich der Burgunderkönige Chilperich und Gundobad, und sie waren unter König Sigismund Christen geworden. Auf der anderen Seite standen die ewigen Verlierer, zuerst von Römern besiegt und als Föderaten gegen die Franken ausgetauscht, dann von diesen besiegt und als unselbständiges Volk betrachtet, gelang es ihnen nie, ein eigenes Königtum zu etablieren. Im austrasisch-burgundischen Krieg von 610 bis 613 erlebte man im schweizerischen Mittelland erstmals, was es heisst, im Schussfeld gegensätzlicher Kräfte zu sein. Diese Gegensätzlichkeit sollte noch mehrfach zurückkehren, wenn das fränkische Königtum schwach war. Vorerst aber stieg ein neuer Machtfaktor im Frankenreich auf. Der eigentliche Gewinner der Auseinandersetzung um Brunichilde war Austrasien. Hier ordnete der neue Hausmeier, Pippin von Landen, die Macht, und er machte seinen 22

Verbündeten in der Revolte gegen Brunichilde, Arnulf von Metz, zum Bischof der Hauptstadt. Die beiden gelten denn auch als die Stammväter der Karolinger, die 140 Jahre später selber Könige von Frankreich wurden. Vorerst aber regierten er und seine Nachfahren als Kanzler am austrasischen Hof mit Strenge über ihr Land. Eben die Hausmeier führten jetzt auch die Armee, und Austrasien eroberte 687 so Neustrien. Nun brauchte es nur noch eines, dass der austrasische Adel das ganze Frankenreich für sich beanspruchen konnte: den Islam. Dieser dehnte sich unter Mohammeds Nachfolgern, den Kalifen, rasant über Afrika nach Spanien aus, brach das westgotische Reich zu Fall und dehnte sich im Frankenreich über Acquitanien und Burgund aus. Jetzt setzten die Hausmeier unter Karl Martell 737 zum entscheidenden Gegenschlag an, vertrieben die Mohammedaner aus ihrem Reich und eroberten Burgund zurück. Sein Bruder Karlmann eroberte 747 auch Alemannien zurück, und so wurde Karl Martells Sohn, Pippin der Jüngere, 751 fränkischer König, und der Papst bemühte sich erstmals über die Alpen, um ihn auch als Teil der christlichen Gemeinde Rom aufzunehmen. Damit gingen das päpstliche Rom und das Frankenreich der Pippinien eine Symbiose ein, aus dem das weströmische Kaiserreich noch einmal, als lateinisch-fränkischen Kaiserreich entstehen sollte. Im Jahre 800 wurde Pippins Sohn, Karl, der das Frankreich geeint und erweiterte hatte, zum römischen Kaiser gekrönt. Burgund war jetzt wieder ganz eingedeckt durch das mächtige Frankenreich. Gundobads erben sollten jedoch die nächste Krise der Franken nutzen, um ihr burgundisches Königreich wieder auferstehen zu lassen! Claude Longchamp, Historiker, Politwissenschafter / Dezember 2005 23