Die arabische Revolution



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Das Ende der orientalischen Despotie ist eingeläutet Die arabische Revolution Wolfgang Günter Lerch Vor dem Sklaven, wenn er die Kette bricht, vor dem freien Menschen erzittert nicht! (Friedrich Schiller) Es begann am 17. Dezember 2010. In der mitteltunesischen Stadt Sidi Bouzid zündete sich der Gemüsehändler Mohammed Bouazizi an, um gegen zahlreiche, als reine Willkür erscheinende Übergriffe der Behörden gegen seine berufliche und private Existenz zu protestieren. Schon am folgenden Tag kam es zu einer Massendemonstration gegen das Regime von Staatspräsident Zine al-abidine Ben Ali, der seit 1987 herrschte. Kurz darauf sprang der Funke auf die Hauptstadt Tunis über und erlosch nicht mehr; am Ende der Eskalation dieser Jasmin-Revolution, wie man sie schon früh nannte, verließen der Diktator und seine Familie, die sich viele Jahre lang schamlos bereichert und dem Land eine politische Grabesruhe verordnet hatten, Hals über Kopf Tunesien in Richtung Saudi-Arabien. Nach fast einem Vierteljahrhundert war die Herrschaft Ben Alis und des Trabelsi-Clans zu Ende gegangen. Seither versucht eine Übergangsregierung, die Grundlagen für eine Zweite Republik zu legen, die von der Mehrheit der Demonstranten und Revolutionäre auch gewünscht wird. Mit einigen wenigen Retuschen soll es nicht getan sein. Tunesien, das war schon nach wenigen Tagen bald klar, schrieb Geschichte, Weltgeschichte wie sich bald herausstellen sollte. Hier hatten nicht Generäle ein Regime weggeputscht, wie üblich, oder fanatisierte Religiöse und/oder arabische Nationalisten einen Umsturz herbeigeführt, es waren vielmehr normale, weitgehend auch unideologische Bürger, die das erreicht hatten. Wir wollen leben wie ihr in Europa, war eine ihrer Parolen: nicht länger in Armut, endlich auch im Besitz der Menschenrechte und demokratischer Freiheiten, wie sie zwischen Los Angeles und Warschau selbstverständlich sind. Duft des Jasmins von Tunis nach Kairo Und der Duft des Jasmins verflüchtigte sich nach Ben Alis Sturz nicht; ganz im Gegenteil, er wurde stärker: Beflügelt durch die tunesischen Ereignisse, versammelten sich ägyptische Oppositionelle tagtäglich auf dem zentralen Tahrir- Platz zu Kairo, demonstrierten jedoch auch in anderen Städten wie etwa Alexandria und Suez. Auf dem Höhepunkt der Proteste waren bis zu zwei Millionen Menschen in Kairos Innenstadt versammelt und forderten, der Pharao Präsident Husni Mubarak möge zurücktreten. Noch länger als Ben Ali, seit dem Oktober 1981 nämlich, hatte Mubarak mit seiner Familie in Ägypten das Sagen gehabt. Seine zunehmend rigider werdende Herrschaft hatte sich mit wachsender Korruption und Repression gepaart; auch dass der in weiten Kreisen unbeliebte Mubarak-Sohn Gamal für die Nachfolge vorgesehen war, erbitterte viele derjenigen, die auf dem Tahrir-Platz demonstrierten. Mubarak machte es den Demonstranten freilich nicht so leicht Seite 42 Nr. 498 Mai 2011

Die arabische Revolution wie Ben Ali. Doch schließlich musste auch er nachgeben. Zwei etwas konfuse Reden an die Ägypter konnten ihm seinen Thron ebenso wenig retten, wie das zwischenzeitlich brutale Vorgehen bezahlter Schergen aus den Reihen der Sicherheitsdienste. Es war schließlich die Führung der Armee, vor allem die graue Eminenz Generalfeldmarschall Mohammed Hussein al Tantawi, die den ehemaligen Fliegergeneral Mubarak zum Abtreten nötigten. Anders als in Tunesien verließ der gestürzte Diktator das Land nicht. Wie Ben Ali ist er krank: Wir wollen nur, dass er geht, aber wir wollen ihm nichts tun, sagten viele auf dem Tahrir- Platz. Auch den von ihnen gestürzten König Faruk hatten die Ägypter im Jahre 1952 mit Salutschüssen ins römische Exil verabschiedet. Nun herrscht einstweilen das Militär, im September soll ein neues Parlament nach fairen Bedingungen gewählt werden, drei Monate danach dann der Präsident. Der arabische Frühling strahlt aus Inzwischen sind alle Länder der arabischen Welt obschon mit unterschiedlicher Intensität von der Arabellion erfasst worden, wie man diesen politischen und sozialen Aufbruch hier und da nennt. Vergleiche mit den weltgeschichtlichen Umwälzungen der Jahre 1989 und 1990, die das Ende des Ostblocks und des Kalten Krieges brachten, sind schon angestellt worden, ja sogar die Französische Revolution wird zum Vergleich mit dem arabischen Aufstand herangezogen. Tatsächlich spricht manches dafür, dass diese Vergleiche nicht übertrieben sind auch wenn niemand weiß, zu welchem Ende die Entwicklung gelangen wird. Vieles wird davon abhängen, wie sich die Lage in Tunesien und Ägypten, vor allem jedoch in Libyen weiterentwickeln wird. Wird es zu einem Domino-Effekt der Herrschaftsdämmerung kommen, der ausnahmslos alle jene Länder umfasst? Oder werden sich einige der Herrscher und Staatsparteien noch halten können, und wenn ja, welche und wie lange? Die Tage des libyschen Despoten Muammar al-gaddafi scheinen immerhin gezählt, wenn auch eine westlich-arabische militärische Intervention mit Billigung der UN und der Arabischen Liga notwendig war, um den Aufständischen günstigere Bedingungen für einen endgültigen Sieg über Gaddafis Regiment zu verschaffen. Tunesien, Ägypten und Libyen strahlen auf die beiden anderen Maghreb- Staaten aus, auf Algerien ebenso wie auf Marokko. Auch in Algier sitzt ein verschleiertes Militärregime, das der Front de Libération Nationale (FLN, Nationale Befreiungsfront ), seit 1962 an den Hebeln der Macht mit einem Präsidenten Abdelaziz Bouteflika, der zu den Fossilien der algerischen Revolution gehört. Das Regime hat einen Bürgerkrieg mit der islamistischen Bewegung des Landes erfolgreich überstanden, doch keines der sozialen Probleme des Landes ist wirklich gelöst. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird sogar tiefer. In Marokko hat der König, Mohammed VI., den Vorteil, ungleich gefestigter zu sein als die säkularen Autokraten in der Nachbarschaft, ist doch seine Dynastie, die der Alawiten, seit Jahrhunderten in der Doppelfunktion als weltliche und religiöse Herrschaft verwurzelt, die Legitimität weitaus größer. Nun hat der König in einer großen Rede angekündigt, er werde Marokko in eine parlamentarische Monarchie verwandeln; die Opposition zeigte sich zufrieden. Nun bleibt abzuwarten, ob der Monarch diesen Plan auch in die Tat umsetzt und auch die Anstrengungen verstärkt, soziale Verwerfungen auszugleichen. Wie in allen anderen Ländern der Region, wird auch in Marokko der Anteil der Jugendlichen immer größer, und viele von ihnen haben mangels Ausbildungs- und Arbeitsplätzen nur schlechte Zukunftsaussichten. Nr. 498 Mai 2011 Seite 43

Wolfgang Günter Lerch Sozialer Protest ist jedoch die Hefe, der Treibsatz dieser Arabellion, gekoppelt mit dem Wunsch nach demokratischen Freiheiten, nach Parteien, die diesen Namen verdienen, freien Wahlen und individueller Selbstbestimmung; zumindest gilt dies für den politisch bewussten Teil der Oppositionellen. Es fiel außerdem auf, dass viele junge Frauen sich an den Protesten beteiligten und noch beteiligen. Dezidiert religiöse Kreise halten sich bis jetzt zurück, sie versprechen sich von politischen Reformen eine Ausweitung ihrer Spielräume, was den Diktatoren bis heute immer als Vorwand gedient hat, eine Pluralisierung abzuweisen. Und dem Westen waren, aus teilweise durchaus verständlichen Gründen, stabile, berechenbare Verhältnisse ebenso lieb wie den Herrschern selbst. Dynamik in den kleinen Staaten Auf der Arabischen Halbinsel fällt auf, dass die kleinen, von der Bevölkerungszahl her überschaubaren Staaten noch am wenigsten mit der Arabellion zu kämpfen haben mit einer Ausnahme: Bahrain. In diesem kleinen Königreich herrscht die sunnitische Familie der Al Khalifa über eine zu siebzig Prozent schiitische Bevölkerung, die lange Zeit vom Iran aus beherrscht wurde und viele historische wie religiös-kulturelle Wurzeln dort hat. Immer wieder einmal haben Bahrains Schiiten aufbegehrt. Sie fühlen sich nicht nur diskriminiert im politischen System, sondern sie sind es auch. Und wer in Bahrain arm ist, stammt in der Regel ebenfalls aus der schiitischen Bevölkerungsmehrheit. Die Schiiten verlangen, dass Bahrain endlich in eine konstitutionelle Monarchie umgewandelt werde, wie das schon im Jahre 2001 vom Herrscher angekündigt worden war. Ein Parlament soll nach dem Willen der Opposition eingerichtet werden, in dem es auch etwas zu beschließen, nicht nur abzunicken gibt; dazu gehört natürlich die Möglichkeit, Parteien ins Leben zu rufen, was bis dato verboten ist. Radikale wollen sogar den Sturz der Monarchie. Nur mithilfe saudischer Truppen ist es den Al Khalifa einstweilen gelungen, den Protesten die Spitze abzubrechen. Doch sie können jederzeit wieder aufflammen. Die kleinen Beduinen-Monarchien der Halbinsel haben den Vorteil, sehr überschaubar zu sein. Ihre Bevölkerungszahl ist klein, und der Öl- und Erdgasreichtum erlaubt es den Herrschern Kuwaits, Katars oder der Vereinigten Arabischen Emirate, die Bevölkerung notfalls mit finanziellen Leistungen erst einmal ruhig zu stellen. Auch wenn es dort soziale Verwerfungen gibt, so sind sie doch längst nicht so gravierend wie in den meisten anderen Ländern Nordafrikas und des Maghreb. Hinzu kommt, dass auch die Herrscherhäuser, die Al Sabah in Kuwait, die Al Thani in Katar oder die Al Nahayan und Al Maktum, in Abu Dhabi oder Dubai, ihre Legitimation aus der traditionellen Stellung des Scheichs beziehen. Der Scheich ist unter den Beduinen seit alters her kein Autokrat, sondern ein primus inter pares ein Erster unter Gleichen. Trotz ihrer großen Machtfülle sind die Golf-Emire nicht mit den Militärdiktatoren des Nahen Ostens und Nordafrikas zu vergleichen. So haben etwa einfache Bürger Zutritt zu ihrem Herrscher in der Madschlis, das heißt jener Sitzung, die in der Regel nach dem Freitagsgebet stattfindet und den Untertanen die Gelegenheit gibt, ihre Wünsche und Klagen gegenüber dem Herrscher vorzutragen. Dennoch bietet auch dieser wohlwollende Paternalismus, wie die jüngsten Ereignisse zeigen, den Autokraten keine Sicherheit gegen die berechtigten, nur allzu verständlichen Reformwünsche der Bevölkerung, die auf erweiterte demokratische Mitsprache und gesellschaftliche Partizipation dringt. Besonders deutlich wurde dies in Oman, wo insbesondere die Industrie- Seite 44 Nr. 498 Mai 2011

Die arabische Revolution stadt Zohar nur wenige Monate nach dem vierzigsten Thronjubiläum des Sultans zum Zentrum von Demonstrationen wurde. Auch hier waren offenbar soziale Spannungen unter den Ölarbeitern der Auslöser. Dies überraschte umso mehr, als der Herrscher, Sultan Qabus Bin Said Bin Taimur, sein Land auf behutsame Weise modernisiert hat in der Hoffnung, es möge nicht zu den Verwerfungen kommen, die andernorts zu beobachten sind. Im Unterschied zu Bahrain, wo der Widerstand obwohl geschwächt fortdauert, haben die Demonstranten in Oman die Herrschaft des Sultans nicht infrage gestellt. Dies gilt ebenso für die jordanische Monarchie. König Abdullah II. hat auf die Proteste mit Entlassungen der Regierungen reagiert und weitere Reformen zugesagt. Proteste insbesondere der in das System eingebundenen islamischen Fundamentalisten sind in Jordanien nichts Besonderes. Bedenklich musste allerdings stimmen, dass drei Dutzend Stammesführer der ostjordanischen Beduinen- Clans in einem offenen Brief an den König Klage über die Verschwendung des Hofes führten und damit Königin Rania meinten. Deren westlicher Lebenszuschnitt passt nicht allen. Die Haschemiten-Monarchie in Amman stützt sich seit ihrer Etablierung 1922 auf eben diese Stämme und muss zudem dafür Sorge tragen, dass die im Lande lebenden Palästinenser etwa sechzig Prozent der Bevölkerung nicht in Aufruhr geraten. Alarmstimmung in Saudi-Arabien Der traditionelle Rivale der jordanischen Haschemiten, das wahabitische Königreich der Al Saud, ist spätestens seit Mubaraks Sturz in Alarmstimmung. Das riesige Land, spirituelles Zentrum des Islam, obwohl in seiner strengsten Auslegung Hüter der heiligen Stätten in Mekka und Medina, verfügt über die größten nachgewiesenen Erdölreserven der Erde. Und es ist nach wie vor der wichtigste arabische Verbündete der Vereinigten Staaten in der Region. Nicht von ungefähr war es Saudi-Arabien, das beim kleinen Nachbarn Bahrain mit Sicherheitskräften aushalf, um die dortigen Unruhen einzudämmen. Seit Jahrzehnten schon hat das Reich der Ölprinzen immer wieder einmal Schwierigkeiten mit der schiitischen Minderheit, deren größter Teil noch dazu in den Ölfördergebieten Ostarabiens lebt. In der wichtigen Ölstadt Qatif kam es im März zu Äußerungen des Unmuts, die der greise König Abdullah gerade noch befrieden konnte. Doch wie lange noch? Auch im übrigen Königreich gibt es Kräfte, denen die kosmetischen Korrekturen des Königs im System nicht weit genug gingen. Vorsichtshalber verabreichte der Monarch, als er von einer längeren medizinischen Behandlung in Marokko nach Riad zurückkehrte, seinen Untertanen drastische finanzielle Zuwendungen in der Hoffnung, damit dem Ausbruch weiterer Proteste fürs Erste die Spitze abgebrochen zu haben. Zerfall des jemenitischen Staates Doch mit großer Sorge beobachtet man in der saudischen Hauptstadt zudem den allmählichen Zerfall des jemenitischen Staates. Auch dort scheint der Langzeit- Präsident, der seit 1978 regierende Ali Abdullah Salih, vor dem Schicksal Mubaraks zu stehen. Schon hat sich ein Teil des Militärs auf die Seite der Protestbewegung geschlagen, angeführt vom Halbbruder des Präsidenten, sodass der Abgang Salihs wohl nur noch eine Frage der Zeit sein dürfte. Der Jemen zählt schon seit Jahren unter die scheiternden Staaten. Wenn Salih vor dem Chaos warnt, hat er nicht ganz Unrecht. Im Norden haben die Houthi-Rebellen um die Stadt Saada ihren eigenen Krypto- Staat errichtet, im Süden, dem ehemaligen marxistisch regierten Süd-Jemen, droht die Sezession vom Gesamtstaat. Nr. 498 Mai 2011 Seite 45

Wolfgang Günter Lerch Außerhalb der Hauptstadt Sanaa haben Stämme das Sagen, weniger die Zentralregierung. Auch El Kaida mischt mit und macht sich die Schwäche des Jemen zunutze. In kaum einem Land beharren die Demonstranten so hartnäckig darauf, dass der Präsident weichen und eine neue Ordnung eingerichtet werden müsse. Wie die aussehen könnte, vermag in dem besonders archaischen Jemen aber kaum jemand zu sagen. Die Zukunftsaussichten für die Jugend sind so schlecht wie in kaum einem anderen Land des Krisenbogens zwischen Rabat und Maskat. Erschwerend kommt hinzu, dass der Jemen an einer Stelle liegt, die strategisch und für die Schiffsrouten von besonderer Bedeutung ist: am Horn von Afrika. Dort hat mit der Piraterie ein Phänomen wieder um sich gegriffen, das man längst für erledigt hielt. Hartnäckige Repressionen in Syrien Als letztes Land ist Syrien von der Protestwelle ergriffen worden. Als in Libyen der Aufstand schon im Gange war, bekräftigte der syrische Staatschef Baschar al-assad in aller Öffentlichkeit, sein Land gehe das alles gar nichts an, denn in Syrien sei alles in bester Ordnung. Doch heftige Zusammenstöße zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften in der südsyrischen Stadt Daraa zeigten, dass er unrecht hatte: Die Arabellion hat auch das Land an Orontes und Euphrat erreicht. Die Unruhe führte dazu, dass die herrschende Baath-Partei den seit 1963 herrschenden Ausnahmezustand aufheben wollte, und Assad entließ die amtierende Regierung. Eine groß angekündigte Rede vor dem Parlament am 30. März entpuppte sich freilich als Enttäuschung. Von Reformen war darin kaum die Rede. Einstweilen scheint sich zu bewahrheiten, was viele ohnehin denken: dass es in Syrien möglicherweise länger als anderswo dauern wird, Breschen in das versteinerte Regime zu schießen, das in vierzig Jahren nur zwei Präsidenten kennt Hafez und Baschar al-assad. Ihnen ist es gelungen, über den Apparat der Baath-Partei die Machtposition ihrer Alawiten-Familien aus Westsyrien zu erringen und zu festigen. Das will der junge Assad keineswegs aufs Spiel setzen. Trotzdem kann man darüber spekulieren, ob nicht kluge und weitreichende Reformen geeigneter wären als die endemisch gewordene Repression, diesem Ziel zu dienen. In diesem Sinne versucht die Türkei, die ihre lange Zeit angespannten Beziehungen zu dem südlichen Nachbarn normalisiert hat, auf die syrische Führung einzuwirken. Arabien vor einer Demokratisierung? Wird der arabische Frühling zu einer umfassenden Demokratisierung des Vorderen Orients und Nordafrikas führen? Vor zu optimistischen Prognosen sollte man sich in Acht nehmen. Sicher ist, dass nach der Jasmin-Revolution in Tunesien und ihrer Ausbreitung, dass insbesondere nach dem Sturz Mubaraks und möglicherweise auch Gaddafis nichts mehr so sein wird wie früher. Vieles spricht dafür, dass künftige politische Ordnungen, wenn sie bestehen wollen, ihren Bevölkerungen ein größeres Maß an Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit werden zugestehen müssen. Dafür wird schon jene Internet-Szene sorgen, die ihren Anteil an der Arabellion hat und von den Regierungen auf die Dauer nicht mehr mundtot zu machen ist. Die Blogger werden nicht lockerlassen. In vielen der Länder ist der Keim für die Entstehung und Vergrößerung einer Zivilgesellschaft gelegt worden. Ideologische und religiöse Diskurse erscheinen, verglichen mit früheren Zeiten, zweitrangig. Die Demonstrationen und Unruhen haben zudem gezeigt, dass all jene falsch liegen, die Autokratentum und Despotismus zum sozusagen natürlichen, unveränderlichen Bestand arabi- Seite 46 Nr. 498 Mai 2011

Die arabische Revolution scher Kultur und Herrschaft rechnen. Das Ende dessen, was Karl Wittfogel die Orientalische Despotie genannt hat, scheint wenigstens eingeläutet zu sein. Schwer ist einzuschätzen, welche Rolle in den künftigen veränderten Ordnungen die dezidiert islamischen Kräfte spielen werden. Rolle der Türkei Unübersehbar bringt sich die Türkei ins Spiel, deren Regierungspartei AKP unter Recep Tayyip Erdogan und Abdullah Gül die Wende vom Islamismus zu einer islamisch grundierten, konservativen Volkspartei geschafft hat. Die Muslimbrüder in Ägypten, deren Erstarken manche befürchten mögen, könnten den Beweis führen, dass ihre dauerhafte Einbindung in eine demokratischere Ordnung möglich ist (siehe hierzu auch Die Politische Meinung, Nr. 497, April 2011, Michael A. Lange, Seiten 12 16). Schon vor Beginn der Arabellion haben arabische Intellektuelle verschiedentlich Interesse an der Entwicklung in der Türkei gezeigt; die AKP (Adalet ve Kalkinma Partisi Park für Gerechtigkeit und Entwicklung ) wolle Islam und Demokratie miteinander versöhnen und biete der arabischen Welt eine Alternative zu den Militärdiktaturen einerseits und den rigiden, freiheitswidrigen islamistischen Bestrebungen andererseits. Haram versus Säkularisierung Vieles wird davon abhängen, ob sich die arabischen Gesellschaften, die islamische sind, weiter säkularisieren können. Es gibt zwischen dem Atlantik und dem Golf viele säkularisierte Menschen, deren Diskurs kein islamischer ist, doch die Kultur insgesamt ist nicht säkularisiert. Wie wichtig gerade dies für die Herausbildung demokratischer Strukturen wäre, zeigte die Reaktion der Al-Azhar-Moschee und Universität zu Kairo auf die Vorgänge im eigenen Land: Während der oberste Mufti Ägyptens, Scheich Gomaa, sich hinter die Demonstranten stellte, erklärte die Führung der Al-Azhar die Proteste gegen die Staatsspitze für haram, das heißt vom Gesichtspunkt der Religion aus für verboten. Arabien hat keine demokratischen Traditionen im modernen Sinne. Das alles öffentlich prägende und überwölbende Gottesgesetz der Scharia sowie indigene Machtfaktoren haben ihre Herausbildung verhindert. Der geistige Unterbau für Pluralismus und Individualismus fehlt. Bis heute sind Parteien nach europäischem Verständnis nicht existent. Die Gründung von Parteien, die mehr sind als Interessenverbände im Dienste des Militärs oder einer Person und ihrer Familie, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für weitere Fortschritte. In Tunesien und Ägypten wird schon darüber geklagt, man habe zu wenig Zeit, um gediegene Parteigründungen vorzunehmen, die Wahltermine seien von der politischen Führung nach dem Umsturz zu früh angesetzt worden. Es wird Generationen dauern, bis der politische Aufbruch unserer Tage in tragfähige, von weiten Teilen der Bevölkerung akzeptierte Strukturen transformiert sein wird. Europa sollte der Arabellion mit Interesse und beobachtender Sympathie verbunden bleiben und neben den klassischen Mitteln der wechselseitigen Beziehungen Hilfe zur Förderung der Zivilgesellschaft anbieten, wo immer das geht. Dabei ist freilich Zurückhaltung angebracht. Die arabischen Gesellschaften müssen sich selbst verändern, wenn sie das wollen. Und jede wird das etwas anders tun. Zu einer neuen Politik gegenüber Nordafrika und dem Nahen Osten sollte gehören, alles zu tun, um die aus dervergangenheit stammenden antiwestlichen Affekte zu schwächen, sie allmählich gar zum Verschwinden zu bringen. Nr. 498 Mai 2011 Seite 47