3. Episode: Der Vulkan Meine Damen und Herren, hier spricht der Kapitän. Wir haben ein kleines Problem. Alle vier Triebwerke sind ausgefallen. Wir geben unser Bestes, um sie wieder zu starten. Ich vertraue darauf, daß Sie nicht allzu beunruhigt sind. 10 Diese Ansage des Piloten des British-Airways-Fluges 009, Eric Moody, an seine Flugpassagiere ging in die Geschichte der Luftfahrt ein als die coolste Durchsage aller Zeiten. Was war geschehen? Flug 009 ruft Mayday Abb. 14: Flugkapitän Eric Moody Am 24. Juni 1982 befand sich die Boeing 747 City of Edinburgh auf dem Flug von London nach Auckland (Neuseeland) mit geplanten Zwischenstopps in Bombay, Madras, Kuala Lumpur, Perth und Melbourne. 11 Gegen 20.40 Ortszeit, südlich der Insel Java, kam es zu mysteriösen Vorfällen. Die Flugbesatzung beobachtete, daß die Außenhaut der Maschine in rätselhafte Lichteffekte eingehüllt war, ähnlich zu den bekannten St.-Elms-Feuern. In der Kabine entwickelte sich starker Rauchgeruch, ohne daß ein Brandherd entdeckt werden konnte. Als es nur zwei Minuten später im Triebwerk 4 zu einem Flammabriß kam, schaltete die Crew das Triebwerk vorsorglich ab. Innerhalb einer Minute fiel auch Triebwerk 2 aus, dann zeitgleich Nummer 1 und 3. Die Maschine befand sich nun im Gleitflug und hätte auf diese Weise noch knapp 170 km segeln können, bevor sie im Ozean hätte notwassern müssen, was bei einer 747 nie zuvor 53
(oder danach) probiert worden war. Jetzt machte der Kapitän seine berühmt gewordene Durchsage. Es war einem Zufall zu verdanken, daß der ganze Vorfall ein glückliches Ende fand (und dabei gleichzeitig auch die Ursache entdeckt wurde). Durch den Totalausfall aller Triebwerke sank der Kabinendruck, für die Passagiere fielen die Sauerstoffmasken herunter. Auch die Crew wollte auf Sauerstoffversorgung gehen. Dabei stellte sich heraus, daß die Maske des Copiloten defekt war. Damit der Copilot nicht ohnmächtig würde, ging Eric Moody in einen beschleunigten Sinkflug über, bis auf eine Höhe, auf der das Atmen auch ohne Maske möglich war. Auf dieser niedrigen Flughöhe erloschen die Lichteffekte, und die Triebwerke ließen sich überraschenderweise wieder starten. Daraufhin beantragte die Crew, wieder auf Reiseflughöhe gehen zu dürfen. Doch kaum waren sie oben angelangt, begann der ganze Spuk von vorn erst die Lichteffekte, dann verabschiedete sich Triebwerk 2. Erneut ging der Pilot in den Sinkflug über und konnte das Flugzeug schließlich sicher auf dem Flughafen von Jakarta notlanden. Besatzung und Passagiere waren mit dem Schrecken davongekommen. Die Erklärung war schnell gefunden: Ganz in der Nähe der Flugroute war der Vulkan Gunung Galunggung ausgebrochen, und die City of Edinburgh war durch die Aschewolke des Vulkans hindurchgeflogen, ohne es zu wissen, denn auf den Radarschirmen war die Wolke nicht zu sehen gewesen. Die Aschepartikel hatten die seltsamen elektrischen Effekte an der Außenhaut des Jets hervorgerufen, den Triebwerken den notwendigen Sauerstoff geraubt und zahlreiche Außensensoren verstopft. Zum Beispiel war der Geschwindigkeitsmesser defekt. Bei der Landung war die Sicht im Cockpit so schlecht, daß die Crew nur halb blind auf die Landebahnbefeuerung zufliegen konnte. Zu ihrer Parkposition auf dem Rollfeld mußte die Maschine geschleppt werden. Die Naturgewalten hatten der menschlichen Technik, auf die wir alle so fest vertrauen, ihre Grenzen aufgezeigt. Für die Passagiere und die Crew an Bord von Flug 009 war es eine Herausforderung. Diese 54
Grenzerfahrung forderte ihre ganze Geistesgegenwart, die Überwindung der Angst, den Einsatz des scharfen Verstandes, um mit der ungewöhnlichen Situation fertigzuwerden. Sie verdienen also die Verleihung einer Schildkröte. Keiner von uns, selbst solche Vielflieger wie wir, könnte von sich behaupten, eine derartige Mutprobe so bravourös überstanden zu haben. Ein ähnliches Szenario ereignete sich seither noch an die hundert Mal, wenn auch nie so dramatisch wie bei Flug 009. Doch immer wieder kam es beim Durchfliegen von Vulkanaschewolken zu Triebwerksausfällen. Durch Vulkanismus bedingte Abstürze gab es jedoch bislang nicht. Am Montag, dem 3. Mai 2010, legten die Verkehrsminister der EU europaweit verbindliche Grenzwerte für Vulkanasche fest, bis zu denen noch Flugverkehr erlaubt ist. Man hoffte auf diese Weise Flugverbote wie nach dem Ausbruch des Vulkans Eyjafjallajökull auf Island Anfang April 2010 vermeiden zu können. Doch das war eine Fehleinschätzung. Bereits wenige Tage danach sorgten die Aschewolken des Vulkans dafür, daß in mehreren Ländern trotzdem die Flugzeuge wieder am Boden bleiben mußten. Und Experten warnten - das alles könnte nur der Anfang sein... Daß wir jetzt alle ruhig schlafen - und fliegen - könnten, davon kann also keine Rede sein. Bei der eilig herbeigeführten Grenzwertregelung der EU handelte es sich um einen der aggressivsten und gefährlichsten Eingriffe in unser aller Sicherheit. Solange noch Wissenschaftler das Sagen hatten, blieben die Flugzeuge am Boden. Sie warnten vor der Gefahr und davor, daß wir diese Gefahr noch nicht einmal genau kennen. Doch mit der Grenzwertdebatte hatten Politik, Bürokratie und Großindustrie das Ruder übernommen. Wenn heute ein Pilot sich aus Sicherheitsgründen weigert, weiterfliegen zu wollen, so heißt es, es lägen nur seine Nerven blank. Die Sicherheit von Menschen wurde dem Profit geopfert. Delirius muß an dieser Stelle kapitulieren. Es wurden ganz einfach die Grenzen der Vernunft überschritten. 55
Wir sehen je tiefer wir in Grenzbetrachtungen menschlichen Denkens und Erlebens eindringen, desto schärfer differenziert und präzisiert sich dieser Begriff von selbst. Vermutlich ist uns nicht einmal bewußt, wie oft wir im Privat- und Berufsleben mit Grenzüberschreitungen konfrontiert werden. Gefahr aus den Tiefen der Erde Daß Vulkane für den Menschen gefährlich sein können, weiß die Menschheit schon seit Jahrtausenden, auch als es noch keinen Flugverkehr gab. Drei Bedrohungsszenarien sind möglich: In direkter Nähe des Vulkans sind menschliche Siedlungen durch ausströmende Lava und den Vulkanascheregen unmittelbar bedroht. Hochsteigende Aschewolken können Sensoren von Flugzeugen verstopfen und den Düsentriebwerken den Sauerstoff nehmen, so daß die Triebwerke ausfallen. Sinkt die Asche in tiefere Atmosphärenschichten, kann es beim Menschen zu Belastungen der Atemwege kommen. Bei länger andauernden Ausbrüchen ist es möglich, daß sich die Aschewolke global in der Atmosphäre ausbreitet und das Sonnenlicht so stark abschirmt, daß es dadurch zu zeitweiligen Klimaveränderungen kommt. Im Jahr 535 nach Christus glaubten die Menschen in vielen Teilen der damals bekannten Welt, daß die biblische Apokalypse angebrochen wäre. Zu ihrem Erschrecken mußten sie beobachten, wie die Sonne hinter dunklen Wolken verschwand und für fast 18 Monate verschwunden blieb! Der zeitgenössische Historiker Prokopius von Caesarea beschrieb den Vorfall in seiner Geschichte seiner Zeit. 12 56
Memo Prokopios Beschreibung der Sonnenanomalie von 535 Diesen Winter brachten nun Belisarius in Syrakus, Solomon aber in Karthago zu. In diesem Jahre ereignete sich eine furchtbare Naturerscheinung. Denn die Sonne warf das ganze Jahr hindurch ihre Helligkeit ohne Strahlen aus, wie der Mond, und hatte die meiste Zeit das Ansehen einer Verfinsterung, indem sie ihren Glanz nicht rein, und wie gewöhnlich, scheinen ließ. Seit dem sich dies ereignete, hörten weder Krieg, noch Hungersnoth, noch andere tödtliche Abb. 15 Plagen für die Menschen auf. Es war aber die Zeit, wo Justinianus im zehnten Jahre die kaiserliche Regierung verwaltete. 57
Auch andere Chronisten beschrieben das seltsame Phänomen, dessen Auswirkungen auf die Dauer katastrophal waren. Die Sonne soll nur vier Stunden am Tag als blasser Lichtschimmer zu sehen gewesen sein. Das Klima in Europa kühlte dadurch so weit ab, daß auch im Hochsommer Schnee fiel und es zu katastrophalen Mißernten kam. Abb. 16: Die Jahresringe uralter Bäume lieferten den Beweis: Im 6. Jahrhundert n. Chr. muß es eine jahrelange Dunkelheit gegeben haben, vermutlich verursacht durch eine gigantische Vulkankatastrophe. Die historischen Berichte beruhen auf Wahrheit. Die Abkühlung des Klimas hielt mehrere Jahre an. Inzwischen weiß man, daß diese Berichte nicht nur Legenden sind, sondern auf Wahrheit beruhen. In Irland gibt es uralte Eichen, die im 6. Jahrhundert bereits existierten. An ihren Jahresringen konnte man für die Jahre 535 und 536 ein abnormal geringes Wachstum ablesen. 13 58
Der Vorgang wiederholte sich nochmals im Jahre 542. Doch es handelte sich nicht nur um eine lokale Wetteranomalie in Westeuropa. Gleiche Befunde erhielt man durch Untersuchung uralter Bäume in Schweden, Finnland, Kalifornien und Chile. Es muß sich um ein globales Wetterphänomen gehandelt haben. Nach heutigem Wissen käme dafür nur ein Einschlag eines kosmischen Objekts nach Art der Tunguska-Katastrophe in Frage oder eben ein gigantischer Vulkanausbruch. In beiden Fällen können aufgewirbelter Staub und Asche tatsächlich für Monate die Sonne verdunkeln und den beschriebenen Klimawandel auslösen. Man spricht auch vom vulkanischen Winter. Allerdings beschreibt keine bekannte Chronik irgendeiner Kultur der Erde Mitte des 6. Jahrhunderts einen Vulkanausbruch. Das Primärereignis mußte sich also in einer unbewohnten Region ereignet haben bzw. in einer dünnbesiedelten Gegend, in der Menschen wohnten, die noch keine Geschichtsschreibung hatten. Abb. 17: Die Ruinen von Pompeji. Im Hintergrund der Vesuv. 59