Städtische Utopien 1865 bis 2015. Dr. Helmut Pisecky. Fachgruppentagung der Immobilien und Vermögenstreuhänder der WKO, 22.



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Städtische Utopien 1865 bis 2015 Dr. Helmut Pisecky Fachgruppentagung der Immobilien und Vermögenstreuhänder der WKO, 22. September 2015 Das ungeschriebene Buch, die ungeschriebene Musik, das ungemalte Bild existiert ganz einfach nicht, es existiert auch keine Vorstellung darüber. In der Architektur ist dies anders. Von der ungebauten Architektur wissen wir, wie der Architekt gebaut hätte, wenn er seinen Entwurf ausgeführt hätte. Der gebauten Welt, der gebauten Stadt, steht die Ungebaute gegenüber, welche gleichermaßen Teil unserer Kultur, unserer Geschichte ist. (Prof. Wilhelm Holzbauer) 1 Architektur bleibt zum größten Teil bloßes Konzept und ungebaute Planung. In diesen Plänen und Visionen spiegeln sich Tendenzen und Ideologien der einzelnen Epochen, aber auch der Charakter der Innovateure bzw. von deren Umfeld. Für Wien lassen sich seit 1865 mehrere klar voneinander getrennte Epochen festmachen, in denen sich Utopien entwickelt haben bzw. teilweise verwirklicht wurden. Die Ringstraßenplanung stellt dabei einen wichtigen Meilenstein dar, da diese das bis zu diesem Zeitpunkt größte Gesamtkonzept war. In den insgesamt 86 eingereichten Plänen spiegelten sich die wichtigsten zeitgenössischen Utopien wieder: von der Erhaltung der alten Stadtsubstanz über die Boulevardisierung nach Pariser Vorbild bis hin zur amerikanischen Rasterung der Innenstadt (Plan Nr. 50). Die ausgewählten Lösungen befriedigten zunächst vor allem die Bedürfnisse des Militärs, eine veritable Prachtstraße wurde der Ring aber erst durch die Reparatur der Ringstraße in den folgenden Jahren. Einige strukturelle Probleme, z.b. die verkehrsmäßige Verbindung von Innenstadt und den umliegenden Bezirken, sind bis heute nicht gelöst. Mit der Neugestaltung des Zentrums, die sich über einige Jahrzehnte hinzieht, ist Wien Teil einer gesamteuropäischen Dynamik. Dabei geht es um die Überführung mittelalterlicher Städte in moderne urbane Zentren, vor allem in Bezug auf die Industrialisierung und den damit verbundenen Bevölkerungs und Mobilitätszuwachs. In ganz Europa stellt sich diese Dynamik als ein gemeinschaftliches Werk von Regierungen und Finanzkapital dar, wobei zunächst London und Paris führend sind, später gesellt sich auch Berlin dazu. In London gibt die City als Finanzplatz klar die Marschrichtung vor diese ist das wichtigste Profit Center des Empires und hat daher auch den bestimmenden Einfluss auf die Stadtstruktur. Maßgeblich für London ist vor allem der Massentransport durch die neu konstruierten Eisenbahnen: Der erste wichtige Meilenstein in diesem Zusammenhang ist die Eröffnung der Strecke London Greenwich, die das Zentrum mit den billigeren Vorstädten über eine 6 km lange Eisenbahn verband. Damit war es Arbeitnehmern möglich, in günstigeren Vierteln zu wohnen und zur Arbeit zu pendeln, ein Modell, das sich als sehr zukunftsweisend herausstellen sollte. Auffallend ist hier, dass in typisch britischer Art und Weise keine hochfliegenden ästhetischen Utopien sondern konkrete, wirtschaftlich vernünftige Visionen verwirklicht werden. In derselben Periode zwischen 1853 und 1870 wurde Paris nach den berühmten Plänen von George Eugene Haussmann umgebaut. Dieser war von Napoleon III. beauftragt worden Luft und Licht ins mittelalterliche Stadtzentrum zu bringen. Hintergründe waren einerseits die schlechte Qualität der Bausubstanz sowie die mangelnde Eignung für den modernen Verkehr: keine Straße im Zentrum war breiter als fünf Meter. Ein weiterer, wichtiger Grund war die Befürchtung, dass das 1 Das ungebaute Wien, 1999, S. 7

Zentrum von Paris erneut als Brutstätte für Revolutionen dienen könnte: Die Geheimpolizei von Napoleon III. hatte hierbei klare Interessen. Haussmann ging zwar mit großer Rücksichtslosigkeit vor, bewahrte aber die grundsätzliche Struktur des Zentrums. Die erste Bauphase wurde grundsätzlich positiv aufgenommen. In der zweiten Phase sollte das Zentrum von Paris besser mit dem Umland verbunden werden, in der dritten Phase wurden weitere große Boulevards gebaut. An Paris unter Haussmann wird auch deutlich, dass es vor allem der autoritäre und visionäre wenn auch manchmal unstetige Führungsstil von Napoleon III. war, der die Umsetzung des Plans möglich machte. Als der Kaiser in den 1860ern die Innenpolitik liberalisierte, wuchs auch die Kritik an den Plänen von Haussmann, der zu einem der Lieblingsfeinde der Opposition mutierte und 1870 zum Rücktritt gezwungen wurde. Die Vorgänge in Paris wurden natürlich auch in Wien zur Kenntnis genommen, wo einige Architekten ebenfalls hochfliegende Pläne für eine Durchlichtung der Inneren Stadt entwickelten. Die meisten Konzepte zielten darauf ab, Sichtachsen zum Stephansdom freizulegen und den 1. Bezirk insgesamt verkehrsfreundlicher zu gestalten. Die Pläne scheiterten schließlich am Willen, den politischen und auch den finanziellen Preis für die Visionen zu bezahlen. Bemerkenswerte weitere Pläne sind zunächst die Arbeitsblätter von Adolf Loos, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts die seit 1858 erfolgte Bebauung des Rings völlig ignoriert. 1911 folgt dann das umfassende Projekt von Otto Wagner, der weitreichende Pläne für eine Großraumplanung sowie Einzelgebäude und gesamte Baukomplexe vorstellt. Wagner schwebt dabei die Schaffung einer unbegrenzten Jugendstilstadt als Hauptstadt der Donaumonarchie vor. Bezeichnenderweise entwickelte Wagner seine Planungen im Rahmen einer konstruktiven Auseinandersetzung mit den USA und dürfte eine Umsetzung seiner Pläne wohl selbst für unmöglich gehalten haben. Noch im Mai 1917 schrieb Otto Wagner dazu: Das Projekt ist gewiss das Beste, was ich je geschaffen habe und mein künstlerisches Empfinden läßt mich behaupten, daß es Niemand hätte besser machen können. Otto Wagner steht zu dieser Zeit für den Versuch, die frühe Moderne in Wien zu verwurzeln. Der Widerstand, der ihm entgegengesetzt wird, sollte sich noch einige Jahrzehnte halten. Zwischen 1900 und 1918, also während der großen Zeit von Wien, existieren Moderne und Tradition allerdings noch friedlich nebeneinander. Der Kulturkampf und die Revolutionen der Zwischenkriegszeit sollten allerdings nicht lange auf sich warten lassen und eine der bewegtesten Epochen politisch, wirtschaftlich und auch künstlerisch mit sich bringen. Zwischenkriegszeit 1918 werden alle Utopien für die Hauptstadt des Habsburgerreichs gegenstandslos: Wien wechselt in den Krisenmodus und koppelt sich notgedrungen von den internationalen Innovationstrends ab. Das Schwergewicht liegt zunächst auf der raschen Beseitigung der Wohnungsnot durch den kommunalen Wohnbau, dabei zeigen die Bauten des Roten Wien auch deutliche Anleihen aus der Festungsarchitektur, sowohl in Design als auch Platzierung. International manifestiert sich in Architektur und Stadtplanung hingegen der gleiche Trend wie in anderen Kunstformen: Jene Strömungen, die vor dem 1. Weltkrieg in nuce angelegt waren, bekommen nun Gestalt. Mit den politischen Brüchen gehen auch architektonische Brüche einher: Die Moderne wird erstmals fassbar und drückt sich durch Sachlichkeit, Technizismus, Entortung aus, auch durch neue Baumaterialien wie Glas und Stahl aus. Nikolaus Pevsner, einer der wichtigsten Proponenten der Moderne:

Als nach dem Ersten Weltkrieg das Bauwesen sich aufs neue zu beleben begann, war die Situation folgende: die Architektur verfügte über einen neuen Stil. Eine Reihe entschlossener und wagemutiger Architekten hatte ihn geschaffen, Männer von ungewöhnlicher Phantasie und Erfindungsgabe. Seit fünfhundert Jahre zuvor die Schöpfer der Renaissance sich von der Gotik abwandten und etwas gänzlich anders an ihre Stelle setzten, hat es in der europäischen Architektur keine Revolution von ähnlicher Tragweite gegeben Das zwanzigste Jahrhundert ist das Jahrhundert der Massen und Naturwissenschaft. Der neue Stil mit seiner Absage an Handwerk und seinem Kampf gegen die Auswüchse einer rein dekorativen Fassadenarchitektur entspricht in hervorragender Weise den Bedürfnissen eines anonymen Publikums 2 Neue Formen und Materialien schaffen eine bewusste Dissoziation vom Althergebrachten, das Konstruktive ersetzt das Organische. Deutschland, die USA, die UdSSR und die Niederlande werden zu Zentren der neuen Trends, wobei vor allem die USA und die UdSSR sich gegenseitig befruchten: In beiden Staaten ähnelt sich der Hang zu großen, fortschrittlichen Lösungen, unabhängig der gegensätzlichen Ideologien. Die wichtigsten Länder sind: Frankreich, Deutschland: Moderne (Bauhaus) Italien: Futuristische Moderne als Stil des faschistischen Staates UdSSR: Industrialisierung und Zuckerbäckerstil unter Stalin, die städtebaulichen Modernisierungsprojekte konzentrieren sich auf Moskau und St. Petersburg. Die Fortschrittsfaszination teilen die Sowjets mit den USA. USA: Modernismus, Monumentalstil im Bereich der Industrie, erforderlich durch die großen Dimensionen des Landes. Hochhäuser an der Ost und Westküste werden zu Kennzeichen des Kapitalismus amerikanischer Prägung. Ein signifikantes Ereignis zu jener Zeit war die Amerikareise von Le Corbusier im Jahr 1935. In seinem Buch über die Reise Als die Kathedralen weiß waren schreibt er dazu: Die Straßen verlaufen im rechten Winkel zueinander, und der Geist ist befreit Der Presslufthammer ist ein Wunder. 3 Richard Sennett beschreibt die Eindrücke der Reise des französischen Architekten so: Die Amerikaner im allgemeinen und die New Yorker im besonderen liebten die Maschinen mehr als die Menschen, und das sei gut so Amerikanische Städte seien Maschinen, Straßengitter Maschinen und Wolkenkratzer Maschinen. In ihnen fühlten wir uns rein, leer und frei Diese Objekte transzendieren die Fehlbarkeit des menschlichen Körpers, oder sie löschen den Widerstand von Wind, Haut und Schwerkraft auf. 4 Le Corbusier hatte bereits 1925 ein revolutionäres Konzept, den Plan Voisin vorgelegt. Darin sah er in der Zerstörung den besten Weg, die Geschichte durch Neutralisierung zu entkräften. Er wollte das mittelalterliche Stadtviertel Marais dem Erdboden gleichmachen und die Bevölkerung in Hochhäusern mit kreuzförmigem Grundriss unterbringen. Dieses maschinengleiche Konzept hätte man dann auf die ganze Stadt ausweiten können. Bestimmend war dabei seine Abscheu vor der Gemütlichkeit und Beschaulichkeit der alten Städte, kurzum: für die Ansicht, dass das Leben und Wohnen auf Behaglichkeit ausgerichtet ist. Und über ein von ihm entworfenes Typenhaus schreibt er: 2 Borrmann, Kulturbolschewismus oder Ewige Ordnung, 2009, S. 69 3 Sennett, Civitas, 2009, S. 233 4 Ebd., S. 233 234

ein Haus wie ein Auto, entworfen und durchkonstruiert wie ein Omnibus oder eine Schiffskabine Man braucht es nicht als Schande zu empfinden wen man Mauern hat, die dünn sind wie Blech, und Fenster, die aussehen wie Fabrikfenster. Aber das, worauf man stolz sein kann, ist ein Haus, das so praktisch ist wie eine Schreibmaschine. 5 Bezeichnenderweise hat Le Corbusier nach 1945 seine Ansichten sichtlich geändert, was sich auch in seinen konkreten Bauten niedergeschlagen hat. Die Modernisten wollten vor allem eine globale, einheitliche Formensprache schaffen. Schon in der Zwischenkriegszeit wurden außerdem urbane Räume als Verkehrsstädte konzipiert, obwohl zu diesem Zeitpunkt dafür noch keine Notwendigkeit bestand. Auffallend ist, dass die Städte in visionären Betrachtungen zu jener Zeit den Charakter von Stadtlandschaften annehmen, d.h. Wohnen, Gehen, Fahren und Fliegen (!) finden auf verschiedenen Ebenen statt. Im Unterschied zur Zeit vor 1918 wird der Tradition ihr Existenzrecht aberkannt, die Koexistenz weicht dem Kulturkampf. Unbestritten ist bis heute, dass die Moderne im Wohnbau der 1920er Jahre großes geleistet hat, die Qualität wurde nach 1945 nach Meinung einiger Experten nicht mehr erreicht. Die gelungenen Projekte waren allerdings Vertreter einer gebändigten Moderne (Norbert Borrmann) und nicht die reine Lehre. In Wien bleibt man den unmittelbaren Bedürfnissen verpflichtet, zumal die permanente Wirtschaftskrise der 1. Republik keine großen Sprünge erlaubt. Die Hochhausarchitektur bildet in abgeschwächter Form einen Höhepunkt, die meisten Projekte bleiben allerdings nur Visionen. Nach dem Verbot der Sozialdemokraten versucht der Ständestaat, eine positive österreichische Identität zu schaffen. In Wien manifestiert sich dies vor allem durch hochfliegende Pläne für den Kirchen und Denkmalbau. Auch wenn diese Pläne aus finanziellen Gründen nicht verwirklicht werden können, so bieten sie in der Nachkriegszeit wichtige Ansatzpunkte für eine nationale Identität, die vor allem die Besatzungsmächte von der Notwendigkeit einer österreichischen Unabhängigkeit überzeugen sollte. Der Nationalsozialismus als ästhetische Weltanschauung zeigt sich gerade und vor allem in seiner architektonischen Präsenz. Wien gehört zwar im Unterschied zu Linz nicht zu den fünf Führerstädten, die Nazis haben dennoch große Pläne. Wien an die Donau lautet das Motto, mit dem eine Verbindung zwischen dem Zentrum und der Donau geschaffen werden soll. Vorgesehen sind hier vor allem Monumentalbauten und Aufmarschachsen, die von den Eckpunkten der Ringstraße über den Donaukanal bis zur Donau weitergeführt werden sollen. Für die Wohnungsnot haben die Nationalsozialisten eine bezeichnende Lösung : Die Bevölkerung Wiens soll durch die Deportation aller Juden und Fremdvölker um nahezu ein Drittel reduziert werden. Die Kritik der Nazis an der Moderne erscheint dabei nur in der Rückschau eindeutig. Einerseits machten sich die Nazis die Moderne für Zweckbauten zu Eigen, z.b. in der Industriearchitektur, andererseits hatte sich die erste Moderne bereits in den 1930er Jahren totgelaufen und konnte viele ihrer Versprechen nicht einhalten. Der deutsch jüdische Architekturhistoriker Julius Posener: Ich entsinne mich aber des Widerstandes genau, gegen die neue Architektur und das neue Design; und ich entsinne mich auch des Aufatmens vieler Leute, als die Sache dann 1933 zu Ende war; und, um noch dies zu sagen, unter den Architekten waren es nicht die alten Reaktionäre allein, die gegen die neue Architektur waren und gegen das neue Design; Leute der jungen Generation, der Generation der Söhne der Bauhäusler waren ebenso dagegen. Ich kann da mit Autorität sprechen: ich war einer von ihnen. 6 5 Borrmann, 2009, S. 75 6 Ebd., S. 79

Nach 1945 steht Wien erneut am Nullpunkt und muss sich außerdem mit den Besatzungsmächten arrangieren. Ein Planungsvorhaben der Westalliierten ergibt sich aus der Blockade von Berlin 1948/49: Auch in Wien wird überlegt, wo man im Fall einer Einschließung einen Behelfsflughafen anlegen könnte. In anderen Ländern zeigen sich Planer und Architekten fortschrittlicher, die Traditionalisten sind insbesondere in Deutschland seit Mitte der 1950er Jahre praktisch verschwunden. Utopien werden durch Science Fiction ersetzt, statt abgerundeter Konzepte bietet sich zunächst ein Gemischtwarenladen technischer Innovationen und Optimierungen 7. Die Weltraum und Atomkraftbegeisterung der 1950er Jahre findet sich auch in vielen populären Visionen von zukünftigen Städten wieder. Nicht mehr eindeutig sind die Stadtutopien der 60er und 70er Jahre. Die Plug In City und Walking City der Gruppe Archigram kommentieren viel mehr den standardisierten Wohnungsbau für die Bevölkerungsmassen, als dass sie neue Konzepte schaffen wollen. Die poppige und technizistische Ästhetik macht den ganzen Reiz dieser Planungen aus, später greifen die Architekten Renzo Piano und Richard Rogers diesen Stil in abgemilderter Form für ihren Entwurf des Centre Pompidou in Paris auf. Auch das Team Superstudio von Adolfo Natalini greift diese Ideen auf und entwirft brutal wirkende Stadtvisionen, die auch den leicht totalitären Charakter aller umfassenden Stadtutopien deutlich machen. Stadtplanerisch versucht Wien ab den fünfziger Jahren, an die internationalen Trends anzuschließen, zumal die Sozialdemokraten damit werben, Wien wieder zur Weltstadt machen zu wollen. Der Bau der Stadthalle 1952753 ist das wichtigste Projekt dieser Jahre, die UNO City und das Konferenzzentrum folgen in den 1970er Jahren als Schritte zur Globalisierung und Internationalisierung der Stadt. Die Weltausstellung 1995 wird hingegen abgelehnt. Seit der Jahrtausendwende gehen die Visionen in den entwickelten Ländern in eine völlig neue Richtung, da insbesondere die Informationsvernetzung und erneuerbare Energien neue Möglichkeiten und Herausforderungen geschaffen hat. Die Szenarien reichen dabei von Utopien (saubere, helle und vernetzte Smart Cities) bis hin zu Dystopien (Überwachungsgesellschaft und soziale Polarisierung). Ausblick: Bisher hat sich die Stadtpolitik auf bestimmte Instrumente abstützen können, die sich vor allem auf die Bereiche Raumplanung und Infrastruktur konzentriert haben. Die Aufgaben der Stadtplanung sind dabei über Jahrtausende gleich: Verkehr, Gesundheit, Versorgung, Wohnbau. Neue Technologien brachten stets Lösungen für vorhandene Problemstellungen und schufen damit wieder neue Aufgabenstellungen, z.b. Smart Cities. Heutzutage verlagert das Schwergewicht der Herausforderungen zunehmend von der Infrastruktur auf der Bevölkerung. Dabei steht v.a. der Umgang mit Heterogenität im Vordergrund, ob sich dies nun auf ethnischen oder kulturellen Hintergrund oder Einkommen und Bildung bezieht. Diese Herausforderungen sind durch Architektur und Raumplanung nur begrenzt zu lösen sondern erfordern neue Instrumente. Aus den letzten 150 Jahren lassen sich folgende Schlüsse ableiten: 1. Lineares Denken ist in der Stadtplanung ebenso wie in anderen Lebensbereichen unangebracht und oft gefährlich. Gerade die Kontinuitätsbrüche in Wien in den Jahren 1873, 7 http://dreamsofspace.blogspot.co.at/2014/11/this week june 21 1959 heres your city.html

1918, 1938 und 1945 machen deutlich, dass tiefgreifende Veränderungen oft rasch und unerwartet kommen können. 2. Wien stand und steht revolutionären Änderungen stets skeptisch bis ablehnend gegenüber. Dies hat sich im Lauf der Zeit nicht geändert. Prof. Wilhelm Holzbauer schreibt dazu: Das ungebaute Wien weist keine radikalen Visionen auf. Die städtebaulichen Konzepte eines Otto Wagner sind der Vergangenheit genauso verpflichtet wie der Zukunft. Sie sind pragmatisch im besten Sinn des Wortes. Selbst der alternative Stadtentwicklungsplan des Adolf Loos ist eher restaurativ und der Vorschlag Camillo Sittes für die Umgestaltung der Ringstraße sucht seine geistige Grundlage in der Renaissance Trotzdem ergibt sich ein Bild, welches aufzeigt, dass andere, oftmals überraschende Alternativen in der Stadtentwicklung möglich gewesen wären. 8 3. Stadtplanung findet stets im Spannungsfeld zwischen Laissez faire einerseits und totalitären Konzepten andererseits statt. Großangelegte Visionen wurden in der Vergangenheit vor allem von autoritären Regimen durchgesetzt, oft mit horrenden sozialen Kosten. Demokratische Regierungen sehen sich hingegen immer der Herausforderung ausgesetzt, das Neue mit dem Alten versöhnen zu müssen. Insbesondere in Wien spielt sich dies oft lautstark und öffentlichkeitswirksam ab. Der Kampf zwischen dem Kaiserhaus und einem selbstbewussten Bürgertum, den die Ringstraße so eindrucksvoll symbolisiert, ist auch 100 Jahre nach dem Ende der Monarchie noch nicht eindeutig entschieden. Der Ökonom Rahim Taghizadegan beschreibt die Österreichische Schule der Nationalökonomie und skizziert dabei ein Verhalten, das sich möglicherweise auch auf die Wiener und ihr Verhältnis zu Utopien insgesamt umsetzen lässt: Vertreter der Wiener Schule sahen dem Wahnsinn nüchtern ins Auge. Diese Perspektive ist typisch wienerisch, und im Wien der im Krieg untergehenden alten Welt sprach man von der fröhlichen Apokalypse Die verbliebenen und gestrandeten Vertreter der Wiener Schule haben Bodenhaftung behalten. Sie sehen die Hoffnungslosigkeit von Steuerungsversuchen, nehmen die Entwicklung der Moderne aber weder als Erfüllung utopischer Träume noch als Verschwörung ideologischer Feinde zu ernst. 9 Literatur: Borrmann, Norbert: Kulturbolschewismus oder Ewige Ordnung, Architektur und Ideologie im 20. Jahrhundert, Graz 2009 Das ungebaute Wien, Projekte für die Metropole 1800 bis 2000, Ausstellungskatalog des Historischen Museums der Stadt Wien, Wien 1999 Sennett, Richard, Civitas, Berlin 2009 Taghizadegan, Rahim, et al., Österreichische Schule für Anleger, Wien 2014 8 Das ungebaute Wien, S. 7 9 Taghizadegan, Rahim, et al., Österreichische Schule für Anleger, Wien 2014, S. 15