gepanzert als noch zur Zeit des Kalten Krieges. Bis in die Neunzigerjahre härteten Rüstungshersteller



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Transkript:

Lescheder Esch 5 48488 Emsbüren Telefon 0 59 03-93 55 40 www.teepen-metall.de WWW.DIEWIRTSCHAFT.NOZ.DE SICHERHEITSDIENSTE IN DER REGION SEITEN 4/5 BÖRSE: TOPS UND FLOPS SEITE 22 DONNERSTAG, 18. DEZEMBER 2014 AUSGABE 06/14 EINZELPREIS 1,90 E D I TO R I A L SICHERHEIT Vorsicht ja, Angst nein Millimeter zwischen Leben und Tod Die WTD 91 in Meppen erprobt, was Soldaten der Bundeswehr im Einsatz schützen soll Durchschlagen wurden diese Stahlplatten in einem Versuch der Wehrtechnischen Dienststelle 91 in Meppen. Fahrzeugschutz-Experte Klaus Hüsing weiß, welche Gefahren in Afghanistan lauern können. Ingenieure forschen im Emsland gemeinsam mit Nato-Partnern. Debatte um die Rüstungsbeschaffung der Bundeswehr. 1877 begann der Betrieb auf dem Krupp-Schießplatz. VON CHRISTIAN SCHAUDWET MEPPEN. Unter dem Eindruck der Ukraine-Krise erhöht Deutschland seinen Militäretat, und die Bundeswehr bestellt zusätzliche Panzerfahrzeuge. Rüstungshersteller, die dem Bundesverteidigungsministerium Waffen, Fahrzeuge oder Ausrüstung verkaufen wollen, kommen an der Wehrtechnischen Dienststelle 91 in Meppen nicht vorbei. Sie testet alles, was schießt aber auch alles, was schützt. Meterhoch schleudern die Druckwellen die tonnenschweren deutschen Panzerfahrzeuge in die Luft. Sprengladungen mit solcher Zerstörungskraft lauern nicht nur in Bewässerungsrohren unter afghanischen Straßen. Sie detonieren auch in vergrabenen Betonröhren auf den Versuchsständen der Bundeswehr im Emsland: Panzerfäuste, Minen oder die in Afghanistan gefürchteten Sprengfallen (Improvised Explosive Devices, IED) aus Kunstdünger-Diesel-Gemisch wann immer ein neuer oder schon eingesetzter Fahrzeugtyp für das deutsche Militär auf seine Widerstandsfähigkeit gegen solche Waffen getestet wird, geschieht das in der Wehrtechnischen Dienststelle für Waffen und Munition 91 bei Meppen. Im nur spärlich von Bäumen bewachsenen Hochmoorgebiet Tinner Dose/Sprakeler Heide hat das Schießen und Sprengen Tradition. Seit dem Jahre 1877 wird nördlich der Stadt Kriegsgerät deutscher Rüstungsschmieden erprobt (siehe Seite 2). Der Unternehmer Alfried Krupp war auf der Suche nach einem Schießplatz für seine Artilleriegeschütze auf das Ödland bei Meppen gestoßen. Den ersten Schuss gab eine Belagerungskanone aus der Krupp-Gussstahlfabrik in Essen ab. Später ließ das Stahlund Rüstungsunternehmen all sein Großgerät erproben, das auf den Schlachtfeldern der Weltkriege eins und zwei Tod und Verderben speien sollte. Um das Schussfeld für die immer weiter reichenden Kanonen erweitern zu können, wurden zwischen 1937 und 1942 307 Bauernhöfe umgesiedelt. Auch eine ganze Ortschaft, das Dorf Wahn, musste weichen. Seit den Tagen des Krupp schen Schießplatzes spiegelt die Arbeit der Techniker und Ingenieure dort die Evolution der Tötungstechnologie wider seit jüngerer Zeit aber auch die von Technologien zum Schutz gegen das Töten: Gefechtsfahrzeuge werden heute anders gepanzert als noch zur Zeit des Kalten Krieges. Bis in die Neunzigerjahre härteten Rüstungshersteller sie in Erwartung eines massiven Panzerangriffs vor allem gegen Geschosseinschläge in die Frontpartie. Unten dagegen waren die blank, sagt Klaus Hüsing, der Leiter der Abteilung Fahrzeugschutz der WTD 91. Heute werden Fahrzeuge viel stärker gegen Blast-Wirkung von unten durch Minen oder IEDs geschützt. Grund sei die veränderte Bedrohungslage vor allem durch Auslandseinsätze wie in Afghanistan. Pro Fahrzeugtyp geben Hüsings Mitarbeiter in den Testreihen an Jeder Fahrzeugtyp für die Bundeswehr (hier ein Spähwagen Fennek in Afghanistan) muss die Tests der WTD 91 bestehen. Foto: dpa die 800 Schuss ab und zünden bis zu 15 Sprengladungen. Beim Schützenpanzer Puma der Hersteller Krauss Maffei Wegmann (KMW) und Rheinmetall für die Bundeswehr waren es noch mehr. Der sich nach unten verjüngende Unterboden von Fahrzeugen ist so ein Evolutionsschritt der Rüstungsindustrie unter Beteiligung der Meppener Spezialisten: Die sogenannte V-Form sorgt dafür, dass ein Großteil der Druckwelle einer Mine oder eines IED seitlich nach oben an der Fahrgastzelle abgleitet. Sie verringert somit das, was Hüsing Globalbewegung nennt das Hochgeschleudertwerden des gesamten Fahrzeugs. Das Thema Schutz ist für die Industrie und uns hier in der WTD in den letzten Jahren immer wichtiger geworden, sagt Christoph Lammers, Leiter der sechsköpfigen Abteilung für Insassenschutz. Begonnen habe dieser Wandel mit den ersten Auslandseinsatzerfahrungen der Bundeswehr im früheren Jugoslawien. Lammers umgänglich, humorvoll, mit stattlichen Koteletten und Dreitagebart, wirkt überhaupt nicht wie einer vom Kommiss. Doch der aus Rheine stammende 45-Jährige blickt zurück auf 13 Jahre Dienst als Zeitsoldat, die er als Marineoffizier in Hamburg, Flensburg, Husum und Köln verbrachte. Seit 2003 lebt er wieder in Rheine. Es war schön, nach so vielen Jahren Wochenendbeziehung wieder nach Hause zu kommen, sagt er. Lammers ist stolz auf die Arbeit seiner Abteilung, die für Soldaten draußen im Einsatz den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen kann. In der WTD 91 trage man dazu bei, dass Deutschland beim Insassenschutz ganz vorn mitspiele, sagt er. Da brau- Foto: Gert Westdörp chen wir uns vor den Amerikanern nicht zu verstecken. Mit denen arbeitet der studierte Maschinenbauingenieur zusammen. In Zeiten schrumpfender Verteidigungsbudgets im Westen seien viele Rüstungsbeschaffungen und -erprobungen ohne internationale Kooperation gar nicht mehr machbar, sagt Lammers. So übernahmen er und seine Kollegen die Versuchsreihen bei der Nato-weiten Entwicklung eines neuen, mit Messtechnik gespickten Unterschenkels für Test-Dummys. Herkömmliche, für die Autoindustrie entwickelte Versuchspuppen eignen sich nur begrenzt für militärische Szenarien VW, Daimler und BMW jagen ihre Produkte nicht in die Luft. Vor allem die Unterschenkel herkömmlicher Dummys sie sind einer Minenexplosion am nächsten erwiesen sich als ungeeignet. Wie die bis zu 400 000 Euro teuren, über 80 drahtlose Messkanäle mit leistungsstarken Rechnern verbundenen Testpuppen Forsetzung auf Seite 2 VON BERTHOLD HAMELMANN D er deutsche Michel. In Karikaturen wird diese Persiflage eines typischen Deutschen oft mit Schlaf- oder Zipfelmütze gezeigt. Betrachtern fallen sofort Attribute wie übertriebene Gelassenheit oder drängende Sehnsucht nach Sicherheit ein. Wobei Letzteres typisch deutsch ist. Die Versicherungsbranche etwa profitiert von diesem Verlangen nach einem vermeintlich gefahrenfreien, abgesicherten Leben. Für jede Situation eine spezielle Versicherung das beruhigt doch ungemein. Aber Achtung: Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass ein Drittel diverser Versicherungspolicen völlig unnötig ist. Und oft fehlt doch die wichtigste, eine private Haftpflichtversicherung. Innere oder äußere, private oder betriebliche Sicherheit, die Aspekte sind so vielschichtig wie das menschliche Leben. Daten-, Waffen- oder selbst Überwachungstechnik, um nur einige Beispiele zu nennen, sind feste Bestandteile unserer Wirtschaft. Wann aber wird die Schraube überdreht? Kann etwa die Furcht vor Wirtschaftsspionage unternehmerisches Handeln behindern? Berechtigte Vorsicht, übertriebene Abschottung oder angemessene Überwachung Anspruch und Wirklichkeit klaffen häufig auseinander. So geben Menschen in sozialen Netzwerken freiwillig sensible Daten preis, die anderenorts den Ruf nach Datenschützern laut werden lassen. Sicherheit. Ein großes, komplexes Thema. Viel Spaß beim Lesen dieser Ausgabe! MACHER & MÄRKTE BRANCHEN & BETRIEBE GELD & GESCHÄFT LEBEN & LEIDENSCHAFT Privatdetektive: Viel besser als im Krimi Seite 6 Lkw-Sicherheit: Region wird Testgebiet Seiten 12/13 Trau Dich: Wagnis Selbstständigkeit Seite 17 Fußball-Abwehr: Im Pressing liegt die Kraft Seite 25

MACHER & MÄRKTE 2 Fortsetzung von Seite 1 während eines simulierten Sprengstoffanschlags durchgeschüttelt werden, können Lammers und seine Kollegen auch auf den Bildern einer Hochgeschwindigkeitskamera im Inneren der Fahrzeuge verfolgen. Oder wie es sich auswirkt, wenn ein Dummy mit Splitterschutzweste bei einem Crashtest in die Sitzgurte geworfen wird. Tests in der WTD 91 zeigten, dass ein Schutzwestentyp gefährlich auf den Kehlkopf des Trägers drückte der Hersteller reagierte und passte das Design der Weste im Halsbereich an. Wir retten hier schon Leben, sagt Lammers Mitarbeiter Dominik Soyka, während er eine rund 80 Kilo schwere, kahlköpfige, mit Bundeswehr-Wüstenuniform bekleidete Puppe auf einen fabrikneuen ergonomischen Fahrzeugsitz hievt. Derzeit testet die Abteilung Sitzmodelle von acht Herstellern unter anderem eines, bei dem die Sitze an der Fahrzeugdecke aufgehängt werden diese Methode entkoppelt sie vom Boden, auf den die Druckwelle einer Mine am stärksten wirkt. Das triste Funktionsgebäude, in dem die ordentlich aufgereihten Dummys duldsam auf ihren nächsten Einsatz warten, ist eines von vielen auf dem mit 200 Quadratkilometern größten mit Messinstrumenten ausgestatteten Schießplatz Europas. Draußen hallt das Knattern eines Maschinengewehrs durch die feuchtklamme Luft. Neben großen Kalibern werden in der WTD 91 auch Infanteriewaffen unter anderem des Herstellers Heckler & Koch erprobt. Rote Ampeln auf dem Gelände fordern nicht dazu auf, Vorfahrt zu gewähren, sondern warnen vor Schießbetrieb. Hier knallt es fast immer irgendwo, sagt Lammers beiläufig, während er ins Auto steigt, um zu einer Halle mit Klimakammern zu fahren, in denen die Techniker Waffen und Ausrüstung Wüsten- und Arktis-Temperaturen aussetzen. Gewohnt sind die rund 850 Beschäftigten der Dienststelle auch das Geräusch, das gerade durch eine Nadelbaumreihe am Wegesrand röhrt: ein Dieseltriebwerk, so laut und aggressiv, wie kein Lkw-Motor dröhnen kann. Etwas Großvolumiges könnte ein Leopard sein, sagt Lammers. Den Klang dieses Kampfpanzertyps erkennen Soldaten vieler Armeen auf der Welt im Schlaf der Leopard 2 ist der Exportschlager der deutschen Rüstungsindustrie. Fast jede Spezifikation seiner Waffen und Panzerungen, jede Modernisierung, jede Anpassung für einen Kunden wird in Meppen getestet. Vertreter der Leopard-Herstel- Erprobungsverfahren aus der Autoindustrie weiterentwickelt: Die Insassenschutzexperten Dominik Soyka (l.) und Markus Hennemann bereiten einen Dummy für den Test eines Fahrzeugsitzes vor. Nach dem Knall: Bei Angriffen beschädigte Fahrzeuge wie dieser Dingo bei Kundus im Jahr 2008 werden nach Meppen gebracht und von Technikern der WTD 91 untersucht. Foto: dpa lerfirmen gehen in der Dienststelle ein und aus. Die Rheinmetall-Gruppe und KMW, ebenso die Airbus-Verteidigungssparte, Diehl Defence, Dynamit Nobel, Thales Deutschland, Autoflug, IBD Deisenroth Engineering, IABG, außerdem ausländische Hersteller wer der Bundeswehr Rüstungsgüter verkaufen will, kommt an den Prüfern der Dienststelle kaum vorbei. Manchmal gehen sie auch zu ihm: Firmen werden von uns zertifiziert wir gehen in die Betriebe und sehen uns an, wie sie arbeiten, sagt Fahrzeugschutzspezialist Klaus Hüsing. Die Dienststelle erprobt teils auch unmittelbar im Auftrag der Rüstungsunternehmen. Um ihr näher zu sein, haben manche in Meppen eigene Büros eröffnet. Das Jahresbudget der WTD 91 aus öffentlichen Mitteln liegt nach Auskunft ihrer übergeordneten Behörde, des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw), bei etwa 30 Millionen Euro. Zu den nicht eingerechneten Personalkosten und Aufwendungen für die Bewirtschaftung des Areals gibt das BAAINBw keine Auskunft. Auch, wie viel die Dienststelle für direkte Aufträge von Rüstungsunternehmen bekommt, verrät die Koblenzer Behörde mit Verweis auf Verschwiegenheitsverpflichtungen nicht. Mit dem, was die Rüstungsindustrie liefert, sind Hüsing und seine Kollegen nicht immer zufrieden. Dann schicken wir die Hersteller nach Hause. Der Schutz von Fahrzeugen, so Hüsing, werde wegen des Wunschs, das Gewicht zu verringern, auf Kante genäht. Der Trend gehe zu leichteren Materialien. Diese böten aber nicht immer dieselbe Sicherheit wie schwere Panzerungen. Wir wollen, dass die Fahrzeuge Nehmerqualitäten haben, sagt Hüsing. Die in aktuellen Kriegen eingesetzten IEDs vielerlei Bauart erschweren die Einschätzung, was eine Panzerung abkönnen muss. Bewaffnete Gruppen wie in Afghanistan, im Irak oder Syrien halten sich an keine Kaliberklassen niemand weiß, wie stark die nächste Bombe ist, die sie unter einer Straße verstecken. Die Meppener Prüfer verlangen im Zweifel deshalb lieber etwas mehr Schutz. Wenn wir etwas ablehnen, sind die Hersteller natürlich nicht erfreut, sagt Hüsing. Dann passiere es schon mal, dass Unternehmen nachträglich Prüfungsergebnisse in Zweifel zögen, um eine positivere Beurteilung zu erreichen. 2013 und 2014 beauftragte das BAAINBw das amerikanischschweizerische Konsortium General Dynamics European Land Systems mit dem Bau von 176 Eagle 5 -Panzerwagen für rund 109 Millionen Euro. KMW und Rheinmetall waren mit ihrem Modell AMPV angetreten, hatten aber das Nachsehen. Ihr Angebot war Medienberichten zufolge deutlich teurer. Bei den deutschen Herstellern und ihnen freundlich gesonnenen Politikern soll der Ärger groß gewesen sein. Vermutlich auch über die Meppener Prüfer in die Entscheidung gegen das AMPV flossen die Testberichte der WTD 91 ein. Die deutschen Bewerber hatten schon in einer früheren Ausschreibung den Kürzeren gezogen damals hatte die Bundeswehr 450 Fahrzeuge des Vorgängertyps Eagle 4 angeschafft. Wie schnell die Arbeit der Waffenprüfer zum Politikum werden GESCHICHTE DER WTD 91 Schießen und Sprengen seit 1877 1871: Der Stahlunternehmer Alfried Krupp plant die Einrichtung eines Testgeländes für schwere Geschütze. 1877: Vertragsunterzeichnung mit der Stadt Meppen, erster Schuss aus einer 12- Zentimeter-Belagerungskanone. 1892: Erster Besuch von Kaiser Wilhelm II., Vorführung eines Zwillingsgeschützturms für Schiffe der Brandenburg-Klasse. 1909: Versuche mit überhöht aufgestellten Geschütztürmen führen zu einer grundlegenden Änderung in der Kriegsschiff-Konstruktion. Fertigstellung des 24 Meter hohen Wasserturms. 1914: Bei einem Versuch mit einer 35,5- cm-kanone fliegt ein Geschoss weiter als die errechneten 38 Kilometer und schlägt im Westermoor, Saterland, ein. 1919: Der Platz wird unter die Kontrolle der Interalliierten Kontrollkommission gestellt. Die für den Schießbetrieb notwendigen Anlagen werden abgebaut, die Flächen teils zu Acker umgewandelt. 1937: Das Gelände wird auf 50 mal 6 Kilometer erweitert. 307 Höfe werden bis 1942 umgesiedelt, auch das komplette Dorf Wahn. 1938: Adolf Hitler besucht den Meppener Schießplatz. 1945: Besetzung des Platzes durch kanadische Soldaten. Später wird unter polnischer Leitung ein Sammellager für verhaftete Nationalsozialisten eingerichtet. Bis 1950 Demontage der Schießplatzanlagen. 1949: Jansen & Co. beginnt in einem Schießplatzgebäude mit der Fabrikation von Regenmänteln. 1955: Teile des Geländes werden als Flugzeugschießplatz von Schüsse in die Heide bei Meppen: Zeichnung eines Krupp-Belagerungsmörsers Ende des 19. Jahrhundert. Foto: Gert Westdörp kann, zeigt der Fall des Standardgewehrs der Bundeswehr, des G36. Möglicherweise hat das Bundesverteidigungsministerium selbst versucht, beschönigend auf die Berichterstattung der WTD einzuwirken (siehe Seite 3). Umtost von politischer Debatte ist auch das BAAINBw, das für die Rüstungsbeschaffung der Bundeswehr zuständig ist: Bürokratie, Ineffizienz, Schneckentempo, zu vage formulierte Verträge, nicht festgeschriebene Zielvorgaben, so lauten die Vorwürfe. Für den rüstungskritischen Leiter des Berliner Informationszentrums für Transatlantische Sicherheit, Otfried Nassauer, ist das BAAINBw mit seinen bundesweit über 9000 Mitarbeitern ein Moloch mit einem ganz erheblichen Eigenleben (Rhein-Zeitung). Neben der Zentrale in Koblenz und der WTD 91 gehören fünf weitere Erprobungszentren sowie sonstige Dienststellen dazu. Fortsetzung auf Seite 3 Bild: Imago der Royal Air Force genutzt. 1957: Übernahme durch die Bundesrepublik Deutschland und Einrichtung der Erprobungsstelle für Waffen und Munition. 1965: Fertigstellung der ersten neuen Hochbauten: Wasserwerk, Heizungsbau und Wirtschaftsgebäude. 1463 Mitarbeiter. 1987: Nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl werden Waggons mit radioaktiv belastetem Molkepulver auf Gleisen auf dem WTD-Gelände zwischengelagert. 1991: Ein Umweltsimulationszentrum, in dem Einsatzbedingungen unter Hitze und Kälte geschaffen werden können, geht vollständig in Betrieb. 2012: Reduzierung auf 980 Dienstposten. Manfred Fickers

3 MACHER & MÄRKTE Fortsetzung von Seite 2 Prominent gewürdigt wird das BAAINBw in der 1500 Seiten starken Risikoanalyse der Beratungsunternehmen KPMG, P3 Group und Taylor Wessing. Sie durchleuchteten im Auftrag von Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen das Rüstungsmanagement der Bundeswehr, sahen sich die neun derzeit wichtigsten Rüstungsprojekte genauer an und übten detaillierte Kritik an der Koblenzer Behörde. So seien etwa Verträge für die langwierige Beschaffung des Schützenpanzers Puma vom BAAINBw nicht ausreichend geprüft worden. Das Personalmanagement für Projektteams sehe keine Vertretungsregelungen im Urlaubs- oder Krankheitsfall vor. Die Planungen für den Puma seien insgesamt zu optimistisch gewesen. Seit November befindet sich das Verfahren auf Stufe zwei: Auf Grundlage des Gutachtens nahm in Berlin eine Projektgruppe Rüstungsmanagement unter Leitung einer Staatssekretärin ihre Arbeit auf. Sie soll sich mit dem Vertragsund Lieferantenmanagement, dem Risikomanagement, dem Berichtswesen und der Organisationsentwicklung der Rüstungsbehörde befassen. Das BAAINBw gibt keine Auskunft darüber, ob es mit Konsequenzen rechnet, und verweist auf bereits umgesetzte Reformen in der Vergangenheit. Was bedeutet das für die WTD 91? Sie ist in den vergangenen Jahren stark geschrumpft. Die Meppener wissen noch nicht, ob weitere Reformen infolge des Gutachtens sie unmittelbar betreffen werden. Natürlich ist das hier in der Dienststelle ein Gesprächsthema, sagt Insassenschutz-Leiter Es ist eine Evolution wir lernen ständig dazu. Jens Nawitzki, Einsatzanalytiker der WTD 91 Christoph Lammers, aber bisher zeichnen sich für uns keine Veränderungen ab. Lammers blickt pragmatisch in die Zukunft. Die Dienststelle habe alle Hände voll zu tun, aber: Unterm Strich geht es um die Frage an die Politik: Was sollen wir noch können? So viel wie möglich, dürfte die Antwort jener lauten, die am eigenen Leibe erfahren haben, ob ein von der WTD für gut befundener Fahrzeugtyp der Druckwelle eines IED standgehalten hat. Vor Jens Nawitzkis Arbeitsstätte stehen ein Fuchs, zwei Marder, ein Wolf und anderes gepanzertes Getier der Bundeswehr. Der kleine Fuhrpark bietet einen desolaten Anblick. Den Kettenfahrzeugen fehlen die Ketten, die vestärkte Motorhaube des Wolf -Geländewagens ragt verbogen in die Höhe. Die beiden Exemplare in Nawitzkis Garage sehen kaum besser aus. Deutlich zu erkennen ist, wo die Explosionen Teile am Heck abgerissen haben oder Schäden im Türbereich verursacht haben. Getrockneter Schlamm vom Hindukusch haftet noch am Metall. Nawitzkis 20-köpfiges Team bekommt jedes geschützte Bundeswehr-Vehikel ins Haus, das Taliban-Attentäter in Afghanistan zerstören oder stark beschädigen. Es ist ein Evolutionsprozess wir lernen ständig dazu, sagt der Leiter der Abteilung Einsatzanalyse. Ihre Erkenntnisse geben Nawitzki und seine Kollegen über das BAAINBw an die Rüstungshersteller weiter. Das führte unter anderem dazu, dass bei sämtlichen Transportwagen vom Typ Dingo die für zu schwach befundenen Türhalterungen umgebaut wurden. Meist hält die Panzerung stand: Die Fahrzeuge sind sehr gut geschützt in der überwiegenden Mehrzahl der Vorfälle gab es bei den Insassen glücklicherweise keine schweren Verletzungen. Aber Nawitzkis Team hat auch jenen Fuchs untersucht, der am 29. Juni 2009 während eines Gefechts bei Kundus einen Abhang hinabrutschte und sich überschlug. Drei Soldaten kamen darin ums Leben. Wenn Betroffene aus dem Einsatz zurückkehren, suchen die Experten sie auf, um ihre Erfahrungsberichte zu hören, denn die können wichtige Erkenntnisse liefern. Manchmal läuft es umgekehrt. Dann kommen Soldaten nach einem Anschlag nach Meppen. Begleitet von Psychologen, betrachten sie in Nawitzkis Garage noch einmal, was von ihrem Fahrzeug übrig ist. Im Idealfall hilft die Konfrontation bei der Traumabewältigung. Test für den Ernstfall: Minensprengversuch mit einem Kampfpanzer Leopard 2 auf dem Gelände der WTD 91 bei Meppen. Leoparden wurden von kanadischen Streitkräften im Rahmen der Isaf-Mission in Afghanistan eingesetzt und dort auf ähnliche Weise angegriffen. Foto: WTD 91 Das Gewehr G36 ist die Standardwaffe der Bundeswehr hier ein Exemplar für den Einsatz in Afghanistan. Manipulierte Ministerium Waffenprüfer in Meppen? Wehrbeauftragter sieht Ungereimtheiten beim Gewehr G36 VON UWE WESTDÖRP MEPPEN/BERLIN. Hat eine Abteilung des Bundesverteidigungsministeriums Einfluss auf Prüfer genommen, die die Treffsicherheit des Sturmgewehrs G36 untersucht haben? Wie genau ist der entsprechende Prüfbericht der Wehrtechnischen Dienststelle für Waffen und Munition (WTD) in Meppen zustande gekommen? Diese Frage soll jetzt noch einmal untersucht werden, nachdem der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus den Verdacht der Manipulation geäußert hatte. Zweifel an der Treffgenauigkeit des Gewehrs bei Erhitzung. Foto: dpa Unser Haus wird dem Verteidigungsausschuss des Bundestags zeitnah berichten, sagte Ministeriumssprecher Markus Thull auf Anfrage unserer Redaktion. Er betonte: Die WTD steht zu 100 Prozent hinter dem Bericht, der da am Ende herausgekommen ist. Da steht kein Inhalt drin, der gegen deren Willen oder deren Überzeugung von außen versucht wurde hineinzubringen. Thull verwahrte sich auch gegen Vorwürfe, das Ministerium habe eine bestimmte Formulierung für den Prüfbericht vorgegeben, nämlich: Das System Waffe und Munition zeigt hinsichtlich des Treffverhaltens keine besonderen Auffälligkeiten. Weder sei dieser Satz vorgegeben worden noch stehe er im Bericht. Trotzdem werde man den Vorgängen noch einmal genau nachgehen. Das G36 ist das Standard-Sturmgewehr der Bundeswehr und schon seit vielen Jahren in Nutzung und im Einsatz. Das G36 ist perfekt geeignet für infanteristische Aufgaben im abgesessenen Kampf. Optimal in der Handhabung, im Gewicht und der Feuerdichte im Nahkampf sowie für ein schnelles, präzises und durchschlagskräftiges Einzelfeuer im Fernkampf, wirbt der Hersteller Heckler & Koch auf seiner Website. Bundeswehrsoldaten klagten freilich über Probleme. Thull: Da ist gesagt worden: Hier bestehen Mängel im Treffverhalten. Das müsste mal untersucht werden. Dem Vernehmen nach überhitzt sich die Ummantelung des Gewehrlaufs bei Dauerfeuer (bis zu 750 Schuss pro Minute), was die Zielgenauigkeit verringern soll. Ab Mai wurde die Waffe auf der Dienststelle in Meppen überprüft. Der 160 Seiten lange Schlussbericht datiert vom 9. Juli. Für Zündstoff sorgt jetzt nicht sein Inhalt das Gewehr ist weiter im Einsatz sondern das Zustandekommen des Berichts. Der Süddeutschen Zeitung zufolge widersprach Königshaus im Verteidigungsausschuss der Darstellung des Ministeriums, es habe lediglich Bemühungen gegeben, den Bericht sprachlich zu verbessern. Es sei vielmehr Druck auf Betroffene ausgeübt worden, wird Königshaus zitiert, der der Wehrtechnischen Dienststelle 91 im Sommer einen unangekündigten Besuch abgestattet hatte.

5 MACHER & MÄRKTE MACHER & MÄRKTE PAPENBURGER SICHERHEITS-GESELLSCHAFT Nah an der Autoindustrie Auftraggeber wollen Zertifikate sehen WSO, OSNABRÜCK Hausrecht im Namen der Händler D-S-W, LOTTE Aufgestiegen in der Hierarchie LOTTE. Um die Kosten, die Hooligans, gewaltbereite Fußballfans, dem Staat verursachen, wird derzeit bundesweit besonders aber in Bremen gestritten. Dabei hat der Deutsche Fußballbund (DFB) seine Vereine schon verpflichtet, in den Stadien Ordnungsdienste vorzuhalten. Im Sportpark am Lotter Kreuz bei Osnabrück erfüllt diese Aufgabe die Firma D-S-W aus Büren. Das Kürzel steht für Dienstleistungen im Sicherheits- und Wachgewerbe, wie Inhaber Andreas Harder erklärt. Die naheliegende Vermutung, dass er ursprünglich Polizist war, enttäuscht der 53-Jährige schwer. Kaufmann habe er gelernt und erst über Umwege vor rund zehn Jahren den Weg ins Bewachungsgewerbe gefunden. Einsätze wie beim Papstbesuch 2006 in Köln oder bei Konzerten der Teenieband Tokio Hotel haben ihn beeindruckt. Als die Osnabrücker Vorgängerfirma DSW-Services 2009 Insolvenz anmeldete, nutzte Harder die Chance und übernahm sie. Heute beschäftigt der Bürener 50 Mitarbeiter, die sich auf 30 Vollzeitstellen verteilen, etwa die Hälfte auf 450-Euro-Basis. D-S-W wird bei der IHK Nord Westfalen als Ausbildungsbetrieb geführt und bildet aktuell einen jungen Mann zur Fachkraft für Schutz und Sicherheit aus. Den Auftrag der Sportfreunde Lotte erhielt D-S-W 2011. Seine schwarz gekleideten Leute machen die Eingangskontrollen, regeln drinnen den Zugang zum Presse- und zum VIP-Bereich und stehen auf Abruf bereit, falls irgendwo Ärger droht. Bei regulären Regionalligaspielen mit wenigen Gästefans und Pforten- und Kontrolldienstegehören zum Portfolio von PSG in Papenburg. Foto: HolgerKeuper unter 1000 Zuschauern ist Harder nur mit acht Leuten vor Ort. Beim legendären Relegationsspiel der Sportfreunde gegen RB Leipzig am 2. Juni 2013 hatte er in der nahezu ausverkauften Arena mehr als 140 Leute am Start. Gegen Rot-Weiß Essen, Alemannia Aachen oder Rot- Weiß Oberhausen sind es 80. Prinzip: So billig wie möglich. Bei sicherheitsrelevanten Spielen entscheiden letztlich Polizei und kommunales Ordnungsamt über die erforderliche Stärke der Einsatzkräfte. Das zusätzliche Personal rekrutiert Harder über Subunternehmen, so wie D-S-W selbst etwa bei Spielen von Preußen Münster vom dortigen Auftragsinhaber als Substitut in Anspruch genommen wird. Da gibt es eine gewachsene Hierarchie unter den Sicherheitsdiensten, in der wir aber inzwischen relativ Spezialgebiet von D-S-W: Veranstaltungen mit vielen Menschen. PAPENBURG. Gegründet im Jahr 1989, war es ein Sicherheitsdienstleistungsunternehmen, aus dem die spätere Unternehmensgruppe Hanrath in Papenburg hervorgehen sollte. Mit der Bereitstellung von Sicherheitskräften und mit dem Wachdienst auf dem Prüfgelände Automotive Testing Papenburg (ATP) habe man sich in der Region einen Namen gemacht, sagt Herbert Hanrath, der Vorsitzende der Geschäftsführung. Mit rund 250 Mitarbeitern ist die Papenburger Sicherheits-Gesellschaft (PSG) heute als Teil der Hanrath-Gruppe einer der Großen im Sicherheitsdienstleistungsgeschäft der Region. Das Unternehmen stellt Fachkräfte für den Werkschutz und Rettungsdienst, für Pfortendienste und für den betriebsmedizinischen Dienst. Auch die Bewachung von Baustellen gehört zu seinen Schwerpunkten. Kunden wie die Papenburger Meyer Werft und die Bauunternehmung Johann Bunte in Papenburg kamen hinzu. Auf dem ATP-Prüfgelände stellt die PSG neben dem Werkschutz auch die Werkfeuerwehr und den Rettungsdienst. Auch auf der Meyer Werft sind PSG-Mitarbeiter unterstützend in der Werkfeuerwehr tätig. Hanraths Ziel ist, PSG zum Komplettanbieter in Sachen Sicherheitsbereich zu machen und Kunden die Organisation und Abwicklung aller Leistungen abzunehmen. Zur familiengeführten Hanrath- Gruppe gehören neben PSG die Gesellschaften Hanrath Automobil- Testfahrer (HAT) und Papenburger Automotive Service (PAS). Das angebotene Personal reicht von Fachkräften für Werkschutz und Arbeitssicherheit über Versuchsfahrer bis zu Ingenieuren, damit erfülle man die Ansprüche auch von namhaften Kunden im Automotive-Bereich wie Daimler und Volkswagen, sagt Hanrath überzeugt. Die Nähe zur Automobilindustrie hilft dem Dienstleister auch bei der Rettungsausbildung. So wurden vor Kurzem Feuerwehren und Werkfeuerwehren von den PAS-Mitarbeitern darin geschult, Elektrofahrzeuge zu bergen. Mittlerweile erhält Hanrath nach eigenen Angaben 60 Prozent der Aufträge aus dem Bereich vorbeugender Brandschutz. Hanrath beobachtet einen Wandel seiner Branche: Die Unternehmen aus dem klassischen Sicherheitsdienst wandeln sich und übernehmen immer weitere Serviceleistungen. Ein besonderer Auftrag war in diesem Jahr die Bereitstellung von Sicherheitskräften für die Landesgartenschau in Papenburg. Während der Zeit von April bis Oktober haben mehr als 40 PSG-Fachkräfte unter anderem die Einlasskontrollen vorgenommen, die Kassen besetzt und waren für die Bewachung des Geländes zuständig. Der Unternehmer sieht PSG als regionalen Anbieter. Das Unternehmen beschränkt sich auf die Region Emsland/Ostfriesland in einem Umkreis von 150 Kilometern. Wir arbeiten nach der Devise Nähe gibt Sicherheit und garantiert ein schnelles und effektives Handeln, so der Unternehmenschef. Neben der PSG-Zentrale am Stammsitz im Papenburger Gewerbegebiet am Prüfgelände wird im kommenden Jahr eine Außenstelle an der Autobahn in Heede eröffnet, um Kunden aus dem mittleren und südlichen Emsland besser zu erreichen. Holger Keuper weit oben rangieren, erklärt der Bürener nicht ohne Stolz. Das klassische Detektivgeschäft, das Andreas Harder neben Objektschutz, Bewachung und Veranstaltungsschutz ebenfalls im Portfolio hat, spielt eine untergeordnete Rolle. Die eifersüchtige Ehefrau findet kaum zu uns, sagt er. Eher schon der misstrauische Arbeitgeber. Leider gebe es aufgrund entsprechender Spielfilme die Erwartung, dass ein Detektiv Telefone anzapfe und Häuser verwanze. Das dürfen und tun wir nicht, so Harder. Enttäuschen müsse er auch manchen Bewerber für den Wachdienst, der erwarte, mit dem Job die Lizenz zum Prügeln zu erhalten. Unsere Aufgabe ist das ganze Gegenteil: die Deeskalation. Wenn man uns kaum bemerkt, haben wir alles richtig gemacht. Thomas Niemeyer Foto: D-S-W Die Nachfrage der Unternehmen nach Sicherheitsdienstleis stungen steigt Einbrüche in Firmen nehmen zu Häufigste Delikte in Firmen: Diebstahl und Unterschlagung. Problem: Fluktuation beim Personal der Sicherheitsdienstleister. IHK und Polizei haben Sicherheitskooperation vereinbart. VON CHRISTIAN SCHAUDWET OSNABRÜCK. Einbruch, Diebstahl, Ausspähung die Nachfrage der Wirtschaft nach Sicherheitsdienstleistungen gegen solche Bedrohungen steigt. Diesen Eindruck hat zumindest Philip Buse. Der Geschäftsführer des Verbands für Sicherheit in der Wirtschaft Norddeutschland (VSWN) registriert wachsenden Schutzbedarf auch in Branchen, von denen man es nicht erwarten würde. Das Problem der Diebstähle in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen nimmt zu, so Buse. Eine wachsende Gefahr durch Diebe, die sich Zugang zu relativ offenen Gebäuden mit viel Publikumsverkehr verschaffen, sieht der VSWN auch für Hotels. In dem Verband organisieren sich niedersächsische und andere norddeutsche Unternehmen mit besonderen Schutzbedürfnissen Konzerne aus der Metall-, Chemie-, Pharmaindustrie, ebenso Mittelständler aus dem Maschinenund Anlagenbau und aus der Medizintechnik. Am häufigsten waren Unternehmen einer Studie zufolge in diesem Jahr von Diebstahl und von Unterschlagung betroffen 63 Prozent der vom Wirtschaftsprüfer KPMG befragten Firmen nannten diese Tatbestände. Mit 54 Prozent folgten Betrug und Untreue, mit 30 Prozent Datendiebstahl und -missbrauch. Die Zahl der Einbrüche in Unternehmen im Bereich der Polizeidirektion Osnabrück sank zwischen 2009 und 2011 von 929 auf 804 pro Jahr doch seitdem steigt sie wieder: 2013 waren es 989 Einbrüche. Beim Auswählen von Sicherheitsdienstleistern etwa für den Gebäudeschutz achten die Mitgliedsunternehmen laut Buse peinlich genau auf die Qualifikationen des Personals. Zertifikate seien ein Muss. Problematisch sei bisweilen die Fluktuation in den Sicherheitsunternehmen. Die Auftraggeber müssen sich darauf verlassen können, dass stets alle Mitarbeiter die nötigen Fähigkeiten und Zertifikate haben. Besonders kritische Bereiche, etwa ihre Entwicklungsabteilungen, schützen Auto- und andere Industriekonzerne im scharfen internationalen Wettbewerb bevorzugt auch mit eigenem Sicherheitspersonal. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) hat im Raum Osnabrück-Emsland eine Sicherheitspartnerschaft mit der Polizei vereinbart. Sie sieht vor, relevante Informationen rasch und branchengenau an die Unternehmen weiterzugeben. Laut IHK gibt es dazu einen regelmäßigen Austausch zwischen der Kammer und der Polizeidirektion. Bei der IHK trifft sich außerdem ein etwa 60 Mitgliedsunternehmen starkes Netzwerk Unternehmenssicherheit. Breite Angebotspalette: Der DienstleisterPSG sorgt mit seinerunterstützu ungfür diewerkfeuerwehr auch in derpapenburgermeyerwerft fürsicherheit. Foto: Ingo Daute OSNABRÜCK. Sicher ist, dass nichts sicher ist: Diese Weisheit beschreibt seit bald 60 Jahren das Kerngeschäft der Osnabrücker WSO Sicherheitsdienst GmbH. 1945 begann Paul Mauersberger mit der Wach- und Schließgesellschaft Osnabrück. Mit Sicherheit kannte er sich aus: Bis 1934 war er leitender Polizeibeamter, bevor man ihn wegen politischer Unzuverlässigkeit entließ. Nach dem Krieg baute er zusammen mit seinem Sohn Frank das eigene Unternehmen aus. In den 1970er-Jahren erweiterte die Firma ihre Geschäftsfelder um Geld- und Werttransporte, elektronischen Raumschutz und die Einrichtung einer Notruf- und Alarmmeldezentrale. Anfang der 1990er-Jahre übernahm Axel Mauersberger in dritter Generation die Geschäftsführung. Auf Initiative des Handelsverbandes Osnabrück stellte er die City-Streife auf. Der Grund: Die Kaufleute wollten nicht nur Kosten durch Diebstahl minimieren, sondern durch die WSO-Mitarbeiter professionell in Konfliktsituationen reagieren. Die City-Streife verfolgt immer eine deeskalierende Strategie, sagt WSO-Chef Mauersberger. Dabei dürfen die Mitarbeiter der WSO im Namen der teilnehmenden Händler das Hausrecht ausüben Viel unter Leuten: die City-Streife von WSO in Osnabrück. RÖWER SICHERHEITS- UND GEBÄUDETECHNIK, OSNABRÜCK Prinzip Abschreckung LOTTE. Im Stadion am Lotter Kreuz treffen zwei unterschiedliche Sicherheitsaspekte aufeinander: das Ziel, eine unbewohnte Immobilie zu schützen, die beträchtliche Werte birgt und die Sicherheit der Zuschauer, die sich hier vornehmlich zu den Heimspielen des Fußball-Regionalligisten Sportfreunde Lotte einfinden. Für Ersteres zeichnet die Firma Röwer Sicherheits- und Gebäudetechnik aus Atter verantwortlich. Wiederholte Meldungen über Einbrüche und Sachbeschädigungen veranlassten Eigentümer Lothar Röwer bereits 2007 dazu, dem Verein und der Gemeinde Lotte zur Probe Videokameras anzubieten. Sie sollten ungebetene Besucher abschrecken und das funktionierte. Spätestens, nachdem ein Diebstahl innerhalb der A-Jugend des Vereins per Videobeweis aufgeklärt worden war, gab es keine Fälle dieser Art mehr in der Arena und ihrem Umfeld. Mit dem Aufstieg in die Regionalliga 2008 und den strengen Sicherheitsauflagen des Deutschen Fußballbunds (DFB) für die neue vierte Spielklasse sahen sich die Sportfreunde verpflichtet, auch die bis dahin im Bedarfsfall von der Polizei geleistete Videoüberwachung der drei Tribünen zu übernehmen. So baute Röwer sein System für das mittlerweile 7474 Besucher fassende Stadionoval aus und ergänzte es durch einen sogenannten Dome unter dem Dach der Haupttribüne. Die 360-Grad-Kamera liefert der Polizei hoch auflösende Bilder, die sie in Krisensituationen zur Steuerung der Sicherheitskräfte benötigt. Das Lotter Stadion ist dennoch nur ein winziger Ausschnitt des Aktionsfeldes der Firma Röwer, die Otto Röwer 1947 als herkömmlichen Elektrohandwerksbetrieb gründete. Erst 30 Jahre später fügte ihm Sohn Lothar die Sicherheitstechnik hinzu. Unter den Referenzen für das heutige Komplettangebot zur Gebäudetechnik firmieren auf der Röwer- Homepage Spedition Hellmann, Wessels & Müller, Auto Weller und OKE. Etliche Schulen und einige Banken zählen ebenfalls zu den Kunden. Georg Röwer, der das Familienunternehmen mit inzwischen 110 Mitarbeitern in dritter Generation leitet, sieht 200 Kilometer rund um Osnabrück als seinen Aktionsradius. Für Bertelsmann in Gütersloh vernetzt er allerdings auch deren Niederlassungen in Tallinn und Istanbul mit dem hiesigen Sicherheitssystem. Neben Firmen bleibt auch der Privatkunde, allen voran der Hauseigentümer, im Blick des 32-Jährigen. Alt- und Neubauten stattet Röwer mit klassischen Stromanlagen aus, aber auch mit Brandmeldern und dem jeweils gewünschten System aus Bewegungsmeldern, Kameras und Sirenen zur Außenhautsicherung. Im Fokus steht für ihn Foto: Klaus Lindemann und bei Diebstählen Strafanzeigen aufnehmen. Ebenso können sie bei ihrer Tätigkeit in der Innenstadt den Ordnungsdienst der Stadt und die Polizei über tätige Langfinger informieren. Ohne Unterbrechung ist sie derzeit die am längsten existierende City-Streife Deutschlands, so Mauersberger. Die Unternehmensgruppe mit einem Jahresumsatz von rund zehn Millionen Euro und aktuell 350 Beschäftigten hat neben dem Stammsitz in Osnabrück acht weitere technische Standorte im Bundesgebiet. Dazu kooperieren wir noch mit weiteren Partnern, sagt Mauersberger. Der 53-Jährige gilt durch die Übernahme von Funktionen im Bundesverband der Sicherheitswirtschaft als sehr gut vernetzt in der Branche. 2011 vereinbarte sein Unternehmen mit der Osnabrücker Polizeidirektion eine Kooperation: ein regelmäßiger Erfahrungsaustausch zwischen WSO und Polizei in Stadt und Land Osnabrück. Stefan Buchholz Fernüberwachung fürs Eigenheim: Lothar Röwer, der das gleichnamige Unternehmen in zweiter Generation führte,mit derapp Mein Notruf. Foto: Elvira Parton dabei immer die Abschreckung von Einbrechern. Besonders stolz ist Georg Röwer auf eine selbst entwickelte Handy- App: Mein Notruf. Über eine Zentrale in Hannover wird der Hausbesitzer in der Ferne darüber informiert, dass daheim ein Fenster geöffnet wurde, und kann per Knopfdruck Hilfe anfordern. Gleiches gilt, wenn er selbst irgendwo draußen in der Natur verunglückt. Bei Hilflosigkeit ortet ihn das GPS, und die Zentrale schickt Retter. Das geht alles grundsätzlich schon heute, sagt Georg Röwer. Aber das ist die Zukunft in der Sicherheitstechnik, allerdings erst wenn das sogenannte Smart Home Standard ist. Ich schätze so in drei bis sechs Jahren. Thomas Niemeyer

6 DONNERSTAG, 18. DEZEMBER 2014 MACHER & MÄRKTE Überführte haben die Wahl: Zahlen oder vor Gericht gehen Der Osnabrücker Alf Emminghaus ist seit 1961 Privatdetektiv Unternehmen, die ihn beauftragen, schätzen Diskretion VON SVEN KIENSCHERF OSNABRÜCK. Wenn Alf Emminghaus eines gar nicht mag, dann sind das Klischees über Privatdetektive. Zeitungsberichte, in denen Geschichten über Privatdetektive illustriert werden mit Männern, die durch halb geschlossene Jalousien fotografieren, sind ihm ein Graus. Das ist alles Quatsch, sagt Emminghaus. Der Osnabrücker muss es wissen, 1961 hat er sein eigenes Detektiv- Büro gegründet. Seit 1971 hat die Detektei ihren Sitz in Osnabrück. Fachinstitut für Wirtschaftskriminalistik steht auf den Visitenkarten. Emminghaus sitzt hinter einer gläsernen Schreibtischplatte, an den Wänden hängen Drucke berühmter Maler. Quatsch seien auch diese ganzen Fernsehkrimis von Matula bis Sherlock Holmes, sagt Emminghaus: Mit dem Beruf eines Privatdetektivs hat das nichts zu tun. Bevor er sich selbstständig gemacht hat, lernte Emminghaus als angestellter Detektiv in einer Osnabrücker Detektei das Handwerk. Mittlerweile ist Emminghaus 81 Jahre alt. Seit über zwölf Jahren ist auch Sohn Adolf an Bord. Der 45-Jährige hat vorher Internetunternehmen beraten, er ist gelernter Jurist. Sein Vater hat ein Wirtschaftsdiplom. Ihre Fälle drehen sich oft um Unterschlagung, Diebstahl, Veruntreuung. Kunden sind kleine, mittlere und manchmal auch große Unternehmen. Man muss logisch denken können und ein Gefühl für Menschen haben, sagt Adolf Emminghaus. Ansonsten brauche man ein Auto, ein Telefon, einen Fotoapparat und natürlich ein Laptop. Das ist die Grundausstattung für einen Detektiv. Zudem hat die Detektei ein Netz freier Mitarbeiter, an Kollegen in anderen Städten, an Experten, die sich mit Computerforensik oder Handschriftenanalyse auskennen. Zudem kann Adolf Emminghaus im Bedarfsfall ein Arsenal von Überwachungstechnik einsetzen. Nicht einmal während seiner Karriere habe er die Polizei hinzugezogen, sagt Adolf Emminghaus. Er macht den Eindruck, dass er darauf ziemlich stolz ist. Sein Geschäftsmodell basiert auf Diskretion. Am Ende eines gelösten Falles wird der Missetäter eben nicht der Polizei übergeben, auch wenn es sich um schweren Diebstahl oder Veruntreuung von Geldern handelt. Die Firmen, die uns beauftragen, wollen solche Geschichten nicht an die große Glocke hängen. Das schädigt den Ruf. Stattdessen werden dem Täter die Beweise vorgelegt. Dann hat er die Wahl, das Ganze vor Gericht gehen zu lassen, mit dem Risiko, danach vorbestraft zu sein oder sogar ins Gefängnis zu müssen. Oder er akzeptiert, die geschätzte Summe seiner Unterschlagungen plus die Kosten für die Detektei zu übernehmen. Für das Unternehmen hat das den Vorteil, den Fall ohne großes Aufsehen zu den Akten legen zu können. Zudem müsste der Täter bei einem rechtskräftigen Urteil nur den Teil des Geldes zurückzahlen, der ihm zweifelsfrei nachgewiesen werden kann. Oft liegt die tatsächliche gestohlene Summe aber weitaus höher, sagt Alf Emminghaus. Im Zweifelsfall zieht der Täter ein sauberes Vorstrafenregister vor und zahlt ein paar Tausend Euro mehr. Entlassen wird er so oder so. Rausgeschossen, heißt das in der Sprache der Emminghaus-Detektive. Für Unternehmen hat der Einsatz von privaten Ermittlern auch noch andere Vorteile. Viele Firmen haben nicht so gerne die Das Leben als Detektiv ist freier. Nicht angenehmer, aber freier. Adolf Emminghaus, Privatdetektiv Was ein Detektiv so braucht: Handy, Auto, Laptop, Fotoapparat und auch mal eine Webcam. Die Lupe indes ist eher etwas für Sherlock-Holmes- Comics. Grafik: Colourbox.de/Matthias Michel Kripo im Haus, weil sie ja nicht wissen, was die noch alles finden, sagt Adolf Emminghaus. Wir machen Schluss, wenn der Auftraggeber sagt: Es reicht. Die Ergebnisse behalten wir für uns. Zudem ermitteln die Detektive auch bei einem vagen Anfangsverdacht, der für die Polizei keinen Ermittlungsgrund darstellen würde. Um eine Detektei zu eröffnen, braucht man zunächst nicht viel Kapital. Das ist ein Problem für den Berufsstand. Jeder kann sich Detektiv nennen, sagt Alf Emminghaus. Viele haben keine Ahnung, was dieser Beruf eigentlich erfordert. Etliche Detekteien habe er im Laufe der Jahre in Osnabrück kommen und gehen sehen. Dass die uns Arbeit wegnehmen, ist nicht so schlimm, aber sie machen den Ruf der Branche kaputt. Serien wie Lenßen und Partner machen die Sache nicht besser. Auch der Presse traut Emminghaus eigentlich nicht so recht über den Weg. Und die Sache ist: Es gibt keine spektakulären Verfolgungsjagden, keine Schlägereien, keine Kapitalverbrechen. Und völlig falsch: Im Fernsehen bekommen Privatdetektive beim Observieren immer, immer einen Parkplatz, sagt Adolf Emminghaus und lacht. Die Observation von Verdächtigen gehört allerdings auch in der Realität mit zum Geschäft. Nur dass die Wirklichkeit deutlich unglamouröser ist. Manchmal wartet man die ganze Nacht umsonst und kommt mit steif gefrorenen Gliedmaßen nach Hause. Da fragt man sich schon, warum tut man sich das an?, sagt Adolf Emminghaus. Und warum tut er sich das an? Wäre ein Job bei der Polizei nicht eine Alternative gewesen? Das Leben als Detektiv ist freier. Nicht unbedingt angenehmer, aber freier. Ich finde es gut, nicht in eine Struktur eingebunden zu sein und mir sagen lassen zu müssen, welchen Fall ich jetzt bearbeiten muss, weil der Staatsanwalt das so will. Der Preis ist der Verzicht auf ein Privatleben. Der Kunde erwartet, dass wir zur Stelle sind, wenn etwas Wichtiges passiert, sagt Alf Emminghaus. Das sei einfach so. Urlaub oder ein Bier zu viel sind Ausnahmen. Es ist kein Acht-Stunden-Job. Grundsätzlich müssen wir immer bereit sein, ins Auto zu springen und loszufahren. Schon als Schüler hat Adolf Emminghaus kleinere Rechercheaufträge und Observationen übernommen, anfangs mit dem Fahrrad, später mit dem Auto. Als Kleinkind war er zur Tarnung mit dabei, wenn sein Vater einen Verdächtigen observierte. Nur bei ungefährlichen Aufträgen!, sagt Alf Emminghaus. Aber es gibt niemanden, der weniger auffällt als ein Vater mit seinem kleinen Sohn. Die Detektei übernimmt nicht jeden Fall. Vor allem, wenn sie aussichtslos sind, werden Fälle abgelehnt. Da muss man dem Kunden gegenüber ehrlich sein, sagt Alf Emminghaus. Man sollte keine falschen Erwartungen wecken. Auch Fälle, die mit Kapitalverbrechen zu tun haben, werden nicht angenommen. Das ist Sache der Polizei. Wir hätten auch gar nicht den Apparat und die Strukturen, um so einen Fall lösen zu können. Die Polizei macht ihre Sache und wir unsere. Die Detektei lebt von ihrem Ruf. Kaltakquise funktioniere nicht. Wenn es nichts zu ermitteln gibt, brauchen die Firmen auch keinen Detektiv, sagt Adolf Emminghaus. Gelegentlich werden die beiden präventiv tätig und beraten Unternehmen, wie sie Diebstahl und Unterschlagung verhindern können. Es wird mehr geklaut, als man denkt, sagt Alf Emminghaus. Je nach Auftragslage schwanken die Jahresumsätze der Detektei. Man kommt zurecht, sagt Adolf Emminghaus. Für ein Foto versteht sich von selbst stehen die beiden nicht zur Verfügung: Wir müssen natürlich darauf achten, dass man uns bei Observationen nicht erkennt.

7 Ambulanzen selbst für den Ebola-Einsatz Maßarbeit aus Wietmarschen: Rettungsfahrzeuge von WAS sind in aller Herren Länder unterwegs MACHER & MÄRKTE VON KIM KAROTKI WIETMARSCHEN. Mit ein paar Mitarbeitern und rund 80 Sonderfahrzeugen pro Jahr fing in Wietmarschen Ende der Achtzigerjahre alles an. Inzwischen fertigt die Firma Wietmarscher Ambulanz- und Sonderfahrzeuge (WAS) über 1500 Exemplare im Jahr und gehört europaweit zu den größten Ambulanzherstellern im Segment der zivilen Rettungsfahrzeuge. Zoll, Polizei und Justizbehörden zählen zu den Kunden von WAS in Wietmarschen. Das Gros der Produktion sind jedoch medizinische Fahrzeuge. Außenkameras dienen dem Schutz der Retter. Aus schlichten Basisfahrzeugen machen in der Wietmarscher Fertigung über 300 Tischler, Mechatroniker, Elektroniker, Schlosser und Klimaspezialisten Sonderfahrzeuge einzeln oder als Serie in Linienproduktion für Feuerwehren, Hilfsorganisationen, Rettungsdienste, Katastrophenschutz oder Sicherheitseinheiten. Als Kasten- oder Kofferfahrzeuge, ausgestattet für die Spezialbedarfe, verlassen die Wagen das Werk. Dabei machen Ambulanzen etwa 80 Prozent des Absatzes aus. Einen Großauftrag erhielt das von zwei Managern an der Spitze geführte Unternehmen in Folge des Zugunglücks in Eschede Ende der 90er-Jahre: 400 Gerätewagen für Großschadensereignisse sollten gebaut und deutschlandweit verteilt werden, um im Falle eines großen Unfalls schnell eine Infrastruktur zur medizinischen Versorgung aufbauen zu können, erklärt Geschäftsführer Andreas Ploeger, der zuständig ist für Marketing und Vertrieb. Nicht ohne Stolz verkündet Ko-Geschäftsführer Daniel Gotthardt, dessen Fokus auf den Finanzen und der Technik liegt, dass das Unternehmen inzwischen Umsätze von durchschnittlich 80 bis 95 Millionen Euro pro Jahr erwirtschaftet. Stellte der Export in die Niederlande, wenige Kilometer von dem Werk in Wietmarschen entfernt, anfangs noch einen großen Schritt dar, so verkauft WAS mit eigenen Vertriebs- und Service-Niederlassungen in den Niederlanden, England und Frankreich, einem Tochterunternehmen in Polen sowie weiteren Service- und Vertriebspartnern heute weltweit Ambulanzen und Sonderfahrzeuge. Dabei zählen innerhalb Europas die Beneluxstaaten, England, Frankreich und Polen zu den wichtigsten Abnehmern, die Arabische Halbinsel, Nord- und Westafrika im außereuropäischen Raum. So bringen wir weltweit höchste Sicherheitsstandards auch in diese Länder, betont Ploeger. Qualität und Sicherheit haben wir von Anfang an vorangetrieben, ergänzt Gotthardt. Alle Fahrzeuge entsprächen nicht nur der europäischen Norm EN 1789, sondern als Unternehmen in diesem Sektor gehöre WAS zu den ersten, die sich mit ihrer gesamten Fahrzeugpalette mehreren Sicherheitstests wie der VCA in England, der UTAC in Frankreich und dem TÜV Rheinland in Deutschland stellten. WAS kann eine europäische Typengenehmigung für Ambulanzfahrzeuge vom Kraftfahrtbundesamt vorweisen. Gerade in der Automobilsparte Rettungsfahrzeuge spielt Sicherheit eine große Rolle die Wahrscheinlichkeit für Ambulanzen, in Unfälle verwickelt zu werden, ist höher als für andere Fahrzeugtypen die Fahrer handeln unter extremem Zeitdruck und Sonderwegerecht. Das Verfahren für die europäische Typengenehmigung ist zwar teuer, doch es beschleunigt die Zulassung in anderen europäischen Ländern. Das bedeutet nicht, dass die Autos in Deutschland die gleichen sind wie in Frankreich oder England. So unterscheidet sich beispielsweise das französische Feuerwehr-Rot vom deutschen. In England müssen die Fahrzeuge nicht nur für den Linksverkehr ausgerüstet werden, sondern auch so, dass der Rettungsassistent so weit wie möglich entlastet wird. Deshalb besitzen englische Ambulanzen einen Tragelift. Noch ein Unterschied: Im Fahrzeug wird die Trage am Boden arretiert, während die Patienten in Deutschland auf einem gefederten Ambulanztisch ins Krankenhaus gefahren werden. Auf der Messe Rettmobil für Feuerwehr- und Notfallmedizin- Technik sowie für Einsatzfahrzeuge des Rettungsdienstes in Fulda stellte WAS im Mai 2014 seine Neuerungen vor: Eine Einzugshilfe soll Rettungsassistenten das Heben erleichtern. Gerade in großen Städten sind die Ambulanzen oft permanent im Einsatz, deshalb wollten wir noch mehr für den Bediener tun, erklärt Ploeger. Um für Patienten den Stress so gering wie möglich zu halten, soll das neu entwickelte Türverschlusssystem dafür sorgen, Geräusche zu reduzieren: Nachdem der Retter die Tür bis zum Einrasten der Schließanlage geführt hat, zieht sich die Tür automatisch in die Dichtungen. So soll das Zuwerfen von Türen vermieden werden. Zum Schutz der Retter dient ein Kamerasystem. Sollte es zu einem Übergriff im oder draußen am Auto kommen, kann es durch Berühren eines Panikstreifens rückwirkend die letzten 30 Sekunden gerichtsfest aufzeichnen. Wird der Foto: Kim Karotki Streifen nicht betätigt, werden die Aufnahmen immer wieder überschrieben. Um Einsatzfahrzeuge gegen Angriffe von außen vor Wurfgeschossen oder Glassplittern zu schützen, können Sicherheitsfolien nachträglich auf die Fahrzeugverglasungen aufgebracht werden. Auch die Ebola-Epidemie hat die WAS-Mitarbeiter in den letzten Monaten beschäftigt. Nicht nur Kunden aus Afrika und Europa, sondern auch aus Asien fragten nach entsprechenden Produkten. Ein Multifunktionsfahrzeug der Wietmarscher Firma ist auf die besonderen Erfordernisse bei Infektionen eingestellt: Der Patientenraum kann besonders leicht gereinigt werden. Eine Raumluftaufbereitungsanlage sorgt für Unterdruck im Patientenraum, sodass Keime nicht nach draußen gelangen können. Das ist bei aerosol-virulenten Keimen wie Grippeviren relevant, erklärt Ploeger. Bei Kontaktinfektionen wie Ebola greife dieses System deshalb nicht. Die automatische Desinfektionsanlage ermögliche es jedoch, Infektionspatienten der Stufe 4, wie zum Beispiel mit Ebola, SARS, MERS oder Lassafieber infizierte Patienten, entsprechend allen Sicherheitsvorschriften zu transportieren. Um der Wirtschaftlichkeit Rechnung zu tragen, ist dieses Fahrzeug auch für den Regelbetrieb ausgerüstet. Wenn ein Fahrzeug nur zwei Einsätze in zehn Jahren fahren kann, macht das auch keinen Sinn. Deshalb ist es für diese Fälle mit den Sonderfunktionen ausgestattet, so Ploeger. Bis nach Nordafrika verkauft das emsländische Unternehmen seine Rettungsfahrzeuge. Foto: WAS

8 DONNERSTAG, 18. DEZEMBER 2014 MACHER & MÄRKTE Gründerinnen zwischen Aufbruch und Unsicherheit Frauen machen sich anders selbstständig als Männer Erfolgsbeispiele aus der Region VON CAROLIN APPELBAUM OSNABRÜCK/BAD LAER/HAREN. In Niedersachsen haben sich 2013 so viele Frauen selbstständig gemacht wie nie zuvor. Doch noch immer ist der Anteil von Frauen bei den Selbstständigen mit 27 Prozent eher gering. An den Unternehmerinnen Susanne Beckmann, Karola Kielmann, Brigitte Seefeld und Bente Wissmann liegt es sicher nicht. Lob vom Bundeswirtschaftsminister: Brigitte Seefeld betreibt Fachgeschäfte für Hörgeräte im Osnabrücker Land und im Kreis Steinfurt. Stellen Sie sich vor, Sie werden zu Ihrem Vorgesetzten ins Büro gerufen, und dort warten die Abteilungsleiterin und der Personalchef auf Sie. Wen begrüßen Sie zuerst? Fragen wie diese stehen auf einzelnen Kärtchen, die Business- Coach Susanne Beckmann unter ihren Zuhörern verteilt. Bei ihren Vorträgen geht es zu wie bei einem Quiz, und sie schmunzelt, wenn sie sieht, wie die Teilnehmer die Köpfe zusammenstecken und sich beratschlagen. Im Berufsleben wird derjenige als Erstes begrüßt, der ganz oben in der Hierarchie steht, klärt Susanne Beckmann auf. Sie ist Coach und Trainerin mit dem Schwerpunkt Business-Knigge. Und sie ist ihre eigene Chefin. Nach 23 Jahren als Angestellte in einem großen Pharmaunternehmen hat die Osnabrückerin den Sprung in die Selbstständigkeit gewagt und ist jetzt so glücklich im Beruf wie noch nie. Ja, manchmal habe sie auch schlaflose Nächte, bekennt sie, denn jetzt muss sie sich um Kunden und Aufträge selbst bemühen. Mit der Festanstellung habe sie auch einen sicheren Hafen verlassen, sagt sie, doch das Gefühl von Freiheit und Selbstbestimmung wiege das fehlende Sicherheitsgefühl bei Weitem auf. Auch Karola Kielmann ist manchmal hin- und hergerissen zwischen Aufbruchstimmung und Unsicherheit. Die 48-Jährige aus Georgsmarienhütte hatte seit ihrer Ausbildung angestellt gearbeitet. Zuletzt war die gelernte Einzelhandelskauffrau für einen Hersteller von Berufsbekleidung im Außendienst tätig. Durch eine betriebsbedingte Kündigung kam sie auf die Idee, sich selbstständig zu machen. Ich bin ein impulsiver Mensch, sagt sie heute im Rückblick, und es kam einfach aus dem Bauch heraus. Nach fast 30 Jahren Festanstellung ist Karola Kielmann nun als Handelsvertreterin selbstständig und sagt ganz ohne Bedauern: Leben heißt Veränderung, da ist nichts in Stein gemeißelt. Als Alleinerziehende habe sie ohnehin kein allzu ausgeprägtes Sicherheitsdenken entwickelt. Was man alleine schafft, aus eigenem Tatendrang, das gibt Selbstbewusstsein, und das stärkt dich auch. In Niedersachsen haben sich 2013 so viele Frauen selbstständig gemacht wie nie zuvor. Doch noch immer ist der Anteil von Frauen bei den Selbstständigen mit 27 Prozent eher gering. Im Bundesdurchschnitt sind es 32 Prozent. Sowohl die niedersächsische Landesregierung als auch die Bundesregierung wollen Frauen als Gründerinnen fördern. Mit der neuen Initiative Frauen unternehmen wirbt das Bundeswirtschaftsministerium für mehr Existenzgründungen. Vor allem junge Frauen und Mädchen sollen dafür begeistert werden. Das Ministerium wählte 180 Vorbild-Unternehmerinnen aus, die in ihrer jeweiligen Region für das Unternehmerdasein werben sollen. Die Hörgeräteakustikerin Brigitte Seefeld gehört zu diesen Vorbild-Unternehmerinnen. Sie betreibt inzwischen drei Fachgeschäfte für Hörgeräte im Osnabrücker Land und im Kreis Steinfurt und kann sich noch sehr gut an ihre beruflichen Anfänge erinnern: Ich war ein schüchternes Mädchen, habe aber immer jemanden gehabt, der mich an die Hand genommen hat und der mir gesagt hat, du bist gut. Gründerinnen rät die erfahrene Unternehmerin, sich ein Netzwerk von Menschen im selben Beruf zu suchen, um sich gegenseitig zu unterstützen und gemeinsam Erfahrungen zu sammeln. Dass die Unterstützer nicht notwendigerweise aus derselben Branche kommen müssen, zeigt das Beispiel von Bente Wissmann aus Haren an der Ems. Die 40-jährige Erzieherin musste beruflich umsatteln, nachdem sie schwere Rückenprobleme bekommen hatte. Für sie war klar, dass sie auf ihren beruflichen Erfahrungen als Erzieherin aufbauen wollte. Sie hatte bereits nebenberuflich ein Fernstudium und eine Ausbildung zur systemischen Familienberaterin absolviert. Jetzt wollte sie sich als Familienberaterin selbstständig machen. Selbstständig machen? Da stieß sie auf viel Unverständnis, Zweifel und Bedenken bei Familie, Freunden und Bekannten. Nur ihr Mann stand ganz klar hinter ihr und eine gute Freundin. Vier Monate verstrichen, und noch immer waren keine Aufträge in Sicht. Wissmann wollte sich schon arbeitslos zu melden, denn nach sechs Monaten würde der Existenzgründungszuschuss auslaufen. Und was dann? Dann klingelte plötzlich das Telefon, sagt sie heute, und sie weiß, dass das der Durchbruch war. Nach vier Monaten hatte sie den ersten Auftrag. Gleich auf Vollzeit-Unternehmerin umzusatteln, ist bei Existenzgründerinnen gar nicht so selbstverständlich, berichtet Enno Kähler, Gründungsberater der IHK Osnabrück Emsland Grafschaft Bentheim. Frauen gründeten Unternehmen häufig nebenberuflich, um zunächst auszuprobieren, erläutert er. Diese Erfahrung hat auch die Gründungsberaterin der Emsland GmbH, Mechthild Gerling, gemacht: Frauen gründen häufig zunächst im Nebenerwerb und bevorzugen Kleingründungen, da sie versuchen, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Durch eine nebenberufliche Selbstständigkeit versuchten Frauen, sich einen maßgeschneiderten Arbeitsplatz zu schaffen, der es ermöglicht, die vielen Rollen, die sie oft innehaben, auszufüllen, so Gerling. Außerdem erlebe sie Frauen, die in ihre Beratung kommen, häufig als selbstkritischer und weniger risikobereit als Männer. Das bestätigt auch Enno Kähler von der IHK. Frauen seien sehr vorsichtig und gewissenhaft und durchdenken alles zweimal, bevor sie sich in die Selbstständigkeit wagen. Sie bezögen die Möglichkeit zu scheitern von vornherein mit ein. Warum eigentlich? Die Statistik zeigt, dass Unternehmen, die von Frauen gegründet werden, sich länger am Markt halten als die von Männern. Die hier vorgestellten Unternehmerinnen haben ihre Existenzgründung intensiv vorbereitet und sich dafür Hilfe bei Beratungseinrichtungen oder Unternehmensberatern geholt. Karola Kielmann hat im Rahmen des Programms Women in Business ein mehrmonatiges Coaching bei der BUS GmbH in der regionalen Handwerkskammer absolviert. Das Programm, von der EU und vom Land Niedersachsen gefördert, richtet sich an Frauen, die aus der Arbeitslosigkeit heraus gründen wollen. Auf die Frage, ob ihr die Sicherheit einer festen Stelle nicht fehlt, sagt die selbstständige Handelsvertreterin Karola Kielmann: Nein, für mich sind Gesundheit und ein gesunder Menschenverstand Sicherheit. Und sie ergänzt: Auch im Angestelltenverhältnis gibt es ja keine Sicherheit mehr. Aus dem Bauch heraus selbstständig gemacht: Karola Kielmann, Handelsvertreterin für Berufsbekleidung. Foto: Michael Gründel Foto: Klaus Lindemann

BRANCHEN & BETRIEBE 9 Autobahnkreuz für Energie Die Region Osnabrück-Emsland wird zur sensiblen Zone für die Stromversorgung Richtung Süden Geklotzt, nicht gekleckertwird in dernähevon Dörpen im Emsland. Dort hat dernetzbetreibertennet ein Umspannwerk errichtet,das künftig großemengen Strom aus Windparks in der Nordseenach Süden weiterleiten soll. Foto: Tennet Die Netzbetreiber planen den Ausbau bis zum Jahr 2024. Strom aus Windparks auf See fließt durch die Region. Rote Linien warnen: Zu hohe Belastung der Leitung droht. VON CHRISTOPH LÜTZENKIRCHEN OSNABRÜCK/DÖRPEN. Die Netzbetreiber Tennet und Amprion bereiten den Raum Osnabrück- Emsland darauf vor, riesige Mengen Strom aus Offshore- Windparks in das Gebiet Rhein-Ruhr durchzuleiten. Der technische Aufwand ist immens. Schlage das Projekt fehl, sagen die Netzbetreiber, drohten Risiken für die Stromversorgung. Die schematische Karte von Niedersachsen ist mit orangen, roten und gelben Linien überzogen. Wenn wir das Netz nicht ausbauen, wird es kritisch, sagt Alexander Greß, Sprecher von Tennet TSO aus Bayreuth. Die Tochter des niederländischen Übertragungsnetzbetreibers Tennet ist für weite Teile des bundesdeutschen Hochspannungsnetzes verantwortlich. Im Emsland erstreckt sich ihr Netz bis etwa auf die Höhe von Meppen, südlich schließt das Netz des Dortmunder Betreibers Amprion an. Rote Linien auf der Karte bedeuten, dass laut Prognose an über 1000 Stunden im Jahr unzulässig hohe Belastungen auftreten werden. Greß erklärt, wie unzulässig definiert ist: Im Idealfall betreiben wir unsere Leitungen mit einer Auslastung von 60 Prozent. Wenn dann mal ein Strang ausfällt, kann ein anderer 40 Prozent auffangen, weitere 20 Prozent gleichen wir über niedere Netzebenen aus. Wenn eine Leitung zu 100 Prozent beansprucht wird, gibt es keine Absicherung mehr. Die roten Linien stehen für eine Auslastung von 175 bis 200 Prozent, orange 125 bis 150 Prozent, gelbe 100 Prozent. Das Krisenszenario beruht auf einer Prognose für das Jahr 2024. Dann sollen über die Region Weser-Ems bis zu 17 400 Megawatt Strom ins deutsche Netz fließen, davon 8000 Megawatt aus Windkraftanlagen auf dem Meer (offshore). Das entspricht in etwa der Leistung von zwölf Atomkraftwerken. Gebraucht wird die Energie überwiegend andernorts. Die Landkreise Emsland und Osnabrück werden zu Transitgebieten für südlichere Regionen Nicht einverstanden zeigten sich Demonstranten einer Bürgerinitiative im April mit dem geplanten Bau einer Freileitung bei Osnabrück. Foto: Thomas Osterfeld wenn der dafür notwendige Ausbau der Netze nach Plan verläuft. Sollte das nicht gelingen, drohen Leitungsengpässe in der Region, und das bedeutet: Die sichere Stromversorgung weiter Teile Deutschlands könnte gefährdet werden. Denn mit fortschreitender Energiewende kommt der Region Osnabrück-Emsland wachsende Bedeutung für die überregionale Energiesicherheit zu. Mit leistungsfähigen Fernleitungen und Umspannstationen soll sie zur Drehscheibe für die Stromversorgung der südlich gelegenen Ballungszentren an Rhein und Ruhr werden. Aber das ist nicht so einfach: Man kann derart große Mengen Strom nicht einfach so auf die Reise schicken. Zuvor muss das jahrzehntealte Stromnetz gründlich umstrukturiert werden. Unsere Übertragungsnetze bestehen zu je 50 Prozent aus 220-kV- und 380- kv-leitungen, erklärt Andreas Preuß, Sprecher von Amprion: Bei 380 kv kann man mehr Strom über eine längere Strecke transportieren. Auf je 100 Kilometer sinke die Spannung um 100 Kilovolt, so Preuß weiter. Mithilfe von Umspannanlagen muss sie in regelmäßigen Abständen wieder erhöht werden. Das deutsche Stromnetz besteht derzeit etwa zur Hälfte aus 220-kV- und 380- kv-leitungen. Der Umbau läuft, und er umfasst nicht nur die Leitungen, sondern auch die Umspannanlagen. Bei 380 kv ist alles etwas größer, sagt Preuß: Für höhere Spannungen brauchen wir mehr Abstand zum Boden und zu den einzelnen Komponenten, sonst kann es zum Spannungsüberschlag kommen. Amprion betreibt wichtige Umspannanlagen in Hanekenfähr bei Lingen, Osnabrück-Lüstringen, Meppen, St. Hülfe bei Diepholz, Wehrendorf, Ibbenbüren und Westerkappeln. Tennet unterhält Anlagen in Dörpen und Diele bei Papenburg, in Rhede, Cloppenburg und Merzen. Zentrale Aufgaben der Systemdienstleister Amprion und Tennet ist die Sicherheit und Stabilität der Stromnetze. Deshalb dürfen die Überlandleitungen nicht zu 100 Prozent belastet werden. Für die Umspannanlagen bedeutet das: Alles wird doppelt ausgeführt. Preuß gibt ein Beispiel: Gesetzt den Fall, alle Maschinen in Osnabrück bräuchten 300 Megavoltampere, und ein Trafo könnte die leisten. Bei uns stünde dann ein zweiter Trafo mit gleicher Leistung daneben, oder eine andere Anlage könnte die Aufgabe übernehmen. Im gesamten Netz werden wichtige Bauteile seinen Angaben zufolge rund um die Uhr viertelstündlich überprüft. So will man sicherstellen, dass die Funktion defekter Komponenten schnell durch andere übernommen wird. Preuß vergleicht das Stromnetz mit einer randvollen Badewanne, die mehrere Abflüsse hat; Zufluss sind die Kraftwerke. Zufluss und Abfluss müssen exakt gleich sein, damit die Frequenz stabil bei 50 Hertz bleibt. Abweichungen sind nur bis 50,2 oder 49,8 Herz tolerierbar, sonst wird es schwierig, so der Sprecher. Wenn beispielsweise das Kohlekraftwerk in Ibbenbüren ausfällt, muss binnen Sekunden ein anderes Kraftwerk zugeschaltet werden. Dafür stehen unter anderem Pumpspeicherkraftwerke bereit. Im Zuge der Energiewende entsteht derzeit auch in der Region Osnabrück-Emsland eine neue Netzstruktur. Strom aus Offshorewindkraftanlagen in der Nordsee gelangt durch Hunderte Kilometer lange Hochspannungsgleichstromkabel nach Diele, künftig auch nach Dörpen. Dort wird der Gleichstrom mit Konvertern in Wechselstrom gewandelt und durch Umspannwerke in das Übertragungsnetz eingespeist. Ein großer Teil der Energie fließt über Meppen und Hanekenfähr gen Süden. Die Leitung verläuft nach Wesel am Niederrhein, erklärt Amprion-Sprecher Preuß: Von dort geht es nach Moers, Krefeld, Neuss und Köln. Eine weitere wichtige Fernleitung passiert Osnabrück-Lüstringen. Sie kommt im Norden aus Wilhelmshaven und verläuft über St. Hülfe und Wehrendorf. In Richtung Süden verbindet die Leitung Gütersloh und Dortmund, dann durchquert sie das Sauerland Richtung Frankfurt.

10 DONNERSTAG, 18. DEZEMBER 2014 BRANCHEN & BETRIEBE Auch Staub kann brandgefährlich sein Ikea-Mitarbeiter proben zweimal jährlich den Notfall ihre Aufgabe: Binnen drei Minuten alle Kunden in Sicherheit bringen VON KATRIN JÄGER OSNABRÜCK. Anette Koppenhagen zückt ihr Cuttermesser. Sie lacht. Ist natürlich ein Sicherheitsmesser, sagt sie. Die Klinge schnellt automatisch wieder zurück, das verringert die Verletzungsgefahr, wenn man sich schneidet. Seit dem 1. Dezember ist Koppenhagen neue Geschäftsführerin von Ikea Osnabrück. Ihre Funktion bringt es mit sich, dass sie neben Verkaufszahlen, Mitarbeitermotivation und Kundenbindung ein Thema besonders im Blick hat: die Sicherheit. Niemand weder Kunde noch Mitarbeiter soll im Möbelhaus zu Schaden kommen. Das sieht die schwedische Unternehmenszentrale so, und das sieht Anette Koppenhagen auch so. Wenn wir das Thema nicht im Griff hätten, dann hätte ich ein ungutes Gefühl. Neben dem Gefühl geht es beim Thema Sicherheit natürlich auch immer um Haftungsfragen oder um das Image eines Unternehmens. Bei Ikea nimmt man all das sehr ernst. Koppenhagen, die seit 14 Jahren für Ikea arbeitet zuletzt in Hamburg sagt: Ich kenne kein anderes Unternehmen, in dem das Thema Sicherheit so großgeschrieben wird. Der Mann, der sich bei Ikea Osnabrück hauptverantwortlich darum kümmert, heißt Patrick Cholewa. In Ikea-Sprache ist er ein Business Navigator. In einem anderen Unternehmen wäre er Controller. Er und seine neue Chefin tragen gelb-blaue Ikea-Shirts, Jeans und ganz normale Turnschuhe augenscheinlich. Die haben eine Stahlkappe, verrät Koppenhagen und deutet auf ihre Füße. Da sie jeden Tag durch das ganze Haus laufe und auch das Lager passiere, müsse das sein. Doch natürlich geht es in einem Unternehmen wie Ikea, in dem sich an starken Verkaufstagen bis zu 4000 Kunden gleichzeitig aufhalten, nicht nur um die üblichen arbeitsrechtlichen Vorschriften, die eingehalten werden müssen. Es geht im schlimmsten Fall auch darum, Tausende Menschen binnen kürzester Zeit evakuieren zu können. Zweimal im Jahr wird deshalb der Ernstfall geprobt; einmal mit Kunden und einmal nur mit den Mitarbeitern. In jedem Fall mit einem hohen Anspruch: Wir wollen wissen, ob wir es schaffen, innerhalb von drei Minuten das Haus Für die Sicherheit der Osnabrücker Filiale sind Patrick Cholewa und Anette Koppenhagen zuständig. Fotos: Gert Westdörp 50 Notausgänge und zwei Fluchttunnel nach draußen. zu räumen, sagt Koppenhagen. Bislang haben sie es immer geschafft. 50 Notausgänge gibt es bei Ikea, zwei Fluchttunnel, die nach draußen führen, Löschkästen in allen Abteilungen. Jeder Mitarbeiter bekommt innerhalb seiner ersten Arbeitstage ein Training, in dem er darauf vorbereitet wird, Kunden zu evakuieren. Sie wissen, wo sie zu stehen haben, was sie zu tun haben, sobald ein bestimmter Zahlencode über die Lautsprecher ausgerufen wird, so Koppenhagen. Die Kunden werden dann über weitere Lautsprecheransagen und die Mitarbeiter auf kürzestem Weg ins Freie geleitet. Das gilt auch für Eltern, deren Kinder im Smalland spielen. Wenn sie nach draußen kommen, stehen ihre Kinder schon da, sagt Koppenhagen. Die meisten Kunden finden diese Übungen eigentlich ganz lustig, sagt Cholewa. Außer sie sind während der Frühstückszeit. Beim Rundgang durch das Haus ruft der Sicherheitsexperte bei der Telefonzentrale an. Er will einen Notausgang öffnen, um zu den Fluchttreppen zu gelangen. Täte er es ohne Ankündigung, würde ein Alarm ausgelöst. Hinter der unauffälligen Tür öffnet sich eine graue Welt, die so ganz anders aussieht als die bunte Möbelwelt Wer ins Lager will, muss Sicherheitsschuhe tragen. davor. Hier ist bei Todesstrafe verboten, etwas abzustellen, sagt Koppenhagen. Denn die breiten Treppen und der etwa 100 Meter lange Gang müssen frei für die Flucht und frei von brennbarem Material sein. Auch hier gibt es wie im ganzen Gebäude jede Menge Sprinkler an der Decke. Und obwohl diese Räume immer nur zweimal im Jahr bei den Übungen betreten werden, müssen sie regelmäßig geputzt werden. Auch Staub kann brandgefährlich sein. Zurück in der bunten Einkaufswelt, demonstrieren Koppenhagen und Cholewa an einer Kommode, was Sicherheit bedeutet: Sie ist an der Rückwand verschraubt, damit nicht etwa ein Kind in eine Schublade klettert und das Möbelstück zum Wanken und sich dabei in Gefahr bringt. Wir haben eine ganz klare Checkliste, so Cholewa. Diese wird jede Woche abgearbeitet. Schon bei der Montage der Möbel werde darauf geachtet, dass alles so dasteht, wie es auch beim Kunden zu Hause zu keinen Gefahren führe. Sprich: Man würde eine Kerze selbst zu Dekozwecken nicht so aufstellen, dass sie im heimischen Wohnzimmer einen Regalboden in Brand setzen könnte. Sowieso die Kerzen: In den Ausstellungswelten stehen sie zwar doch einen Docht wird man vergeblich suchen. Zu gefährlich. Die Leitern der Hochbetten sind mit Plexiglas gesichert, damit kein Kind nach oben klettern und herunterfallen kann. Zu gefährlich. Die Küchenmesser in der Markthalle sind extra angebunden und so verpackt, dass man sie nicht einfach herausnehmen kann. Zu gefährlich. Waren dürfen nicht so nah an Treppengelände oder Brüstungen stehen, sonst könnten Kinder daraufklettern und über die Brüstung fallen. Zu gefährlich. Lampen dürfen nur von Mitarbeitern mit entsprechender elektrischer Ausbildung zum Leuchten gebracht, Glühbirnen ebenfalls nur von ihnen ausgewechselt werden. Die Computer an den Info- Säulen müssen stets ausgelockt sein, damit die Daten sicher sind. Ist ein Produkt nicht so sicher, wie es sein sollte, wird es von der Ikea Schweden zurückgerufen. Zuletzt war das im September der Fall, als die Aufhängung der Kinderschaukel Gunggung nicht den eigenen Qualitätsanforderungen entsprach. Unsere Einstellung ist, dass wir nur Produkte verkaufen, die wir auch unseren eigenen Kindern geben würden, heißt es dazu in der offiziellen Pressemitteilung des Unternehmens. Wie viel solche Rückrufaktionen und die hohen Sicherheitsstandards kosten, könne man nicht beziffern, so ein Unternehmenssprecher. Auch im Gastrobereich gelten die üblichen Vorschriften, sobald Lebensmittel im Spiel sind. Anette Koppenhagen fällt in diesem Zusammenhang ein besonders gefährliches Gemüse ein: Wenn eine Gurkenscheibe auf dem Boden liegt, gehe ich nicht eher weg, bevor sie entfernt ist, sagt sie. Denn dann herrsche extreme Rutschgefahr. Auch hinter den Kulissen muss aus Gründen der Sicherheit Ordnung herrschen.

11 BRANCHEN & BETRIEBE 15 Millionen individuelle Rezepturen Bei Lieferausfall der Pharmaindustrie wären Apotheker die letzte Rettung VON KIM KAROTKI MEPPEN/HASELÜNNE. Mit Mörser und Stößel hantierte der spätmittelalterliche Arzneimischer zur Herstellung von Rezepturen. Der Apotheker heute kann auf moderne Rührgeräte zurückgreifen und weiß den Einsatz von Sicherheitskleidung wie Handschuhen, Brille oder Mundschutz zu schätzen. Trotz großer Pharmaindustrie gehört die Arzneimittelherstellung immer noch zu den Kerntätigkeiten des Apothekers. Hygiene und Präzision haben dabei oberste Priorität. Kerstin Bramkamp zieht sich Handschuhe und Mundschutz an und desinfiziert ihren Arbeitsplatz. Mit einer Präzisionswaage wiegt sie Salbengrundlage und Wirkstoffe ab. In die sogenannte Kruke, das Aufbewahrungsgefäß des Apothekers, gibt die pharmazeutisch-technische Angestellte mit einem Spatel ein wenig Grundlage, fügt die pulverisierten Wirkstoffe hinzu und füllt dann die restliche Salbengrundlage ein. Um die Substanzen gleichmäßig zu mischen in der Fachsprache: zu homogenisieren steckt sie an einem Stab einen Rühraufsatz in die Kruke, schließt den Deckel und befestigt den Stab an einem automatischen Rührgerät. Das spart Zeit, sagt Bramkamp, während sie das Gerät einschaltet, das sogleich zu rotieren beginnt. Denn die Alternative mit Reibschale und Pistill ist wesentlich zeitaufwendiger. Und währenddessen kann man schon das Protokoll schreiben, schneidet sie das Thema Dokumentation an, das bei der Rezeptur-Herstellung eine große Rolle spielt. Salben gehören in der Haselünner Sonnen-Apotheke zu den am häufigsten gewünschten Individualrezepturen. Doch auch Kapseln, Tinkturen, Tabletten, Pulver Mit Schutzmaske und Präzisionsinstrumenten: Fachleute wie Kerstin Bramkamp von der Haselünner Sonnen-Apotheke stellen viele Medikamente selbst her. Ist die Mixtur stabil? Und sind die Wirkstoffe kompatibel? Foto: Kim Karotki Auch Naturprodukte kommen im Apothekerhandwerk zum Einsatz. Viele Menschen vertragen Konservierungsmittel in Medikamenten nicht. oder Inhalationspräparate stellt die Apotheke auf Anfrage her. Theoretisch kann jedes Medikament in der Apotheke hergestellt werden, sagt die Apothekerin Charlotte Erpenbeck. Wenn es zu einem Notstand käme und die komplette Großlieferung würde lahmliegen, müssten wir sicherstellen, die Bevölkerung versorgen zu können, macht sie die Anforderungen am Extrembeispiel deutlich. An die Grenzen komme der Apotheker bei der Herstellung von biosynthetischen Stoffen. Insulin könnten wir in unserem Labor nicht herstellen, stellt die Haselünnerin klar. Auch ohne Notstand gehört die Arzneimittelherstellung zum Alltag des Apothekers. Allergiker sind auf Rezepturen ohne allergieauslösende Stoffe angewiesen; viele Menschen reagieren auf Konservierungsmittel empfindlich; Kinder benötigen Medikamente in auf sie abgestimmten Dosierungen. So gibt es Betablocker im Handel beispielsweise nur für Erwachsene. Ein Kind mit angeborenem Herzfehler ist jedoch auf ein solches Mittel angewiesen. Entsprechend dem Körpergewicht und der Körperoberfläche muss die Dosis verdünnt werden. Als passgenauer Zuschnitt auf den Patienten füllt die Individualrezeptur die pharmazeutische Lücke. Laut der niedersächsischen Apothekerkammer stellten Apotheker im Jahr 2013 fast 15 Millionen individuelle Rezepturen für gesetzlich versicherte Patienten her. Um die Arzneimittelsicherheit zu garantieren, ist es mit Hygiene, Präzision und Sicherheitskleidung, die nicht nur den Herstellenden schützen, sondern auch eine Verunreinigung der Arznei verhindern, nicht getan. Die verwendeten Wirkstoffe gehen bei der Lieferung an die Apotheke durch genaue Kontrollen, um Verwechselungen oder Fälschungen auszuschließen. Bei der Herstellung von Rezepturen muss ein nach Apothekenbetriebsordnung vorgeschriebenes Prozedere eingehalten werden. Der Herstellende prüft die Rezeptur auf Plausibilität: Sind die Stoffe unbedenklich? Ist die Konzentration sinnvoll? Sind die Wirkstoffe kompatibel? Ist die Rezeptur aufgrund der ph-werte stabil, oder wird sie sich zersetzen? Das sind Fragen, die sich das Personal in der Apotheke vor der Herstellung stellen und die es dokumentieren muss. Bei Bedenken ist Rücksprache mit dem Arzt zu halten. Dann wird eine Herstellungsanweisung angefertigt. Hierzu gehört auch der Einwaagekorrekturfaktor oder der Einsatz der Arbeitsgeräte: Ist eine Fein- oder eine Präzisionswaage sinnvoller? Von der Herstellung muss der Apotheker ein Protokoll anfertigen. Bei einigen Rezepturen wie Betäubungsmitteln gilt das Vier-Augen-Prinzip dann muss ein Zweiter die Herstellung beaufsichtigen, erklärt die Apothekerin. Zum Schluss erhält das Medikament ein Etikett. Hierauf sind Inhaltsstoffe, Haltbarkeit, besondere Lagerhinweise, der Name des Arztes und der Name des Patienten vermerkt. Damit das Kleinkind nicht das Medikament bekommt, das für den Opa bestimmt ist. Foto: Imago

13 BRANCHEN & BETRIEBE BRANCHEN & BETRIEBE Vorausblickende Autos sollen das Fahren sicherer machen Hersteller wollen Wildunfälle und Zusammenstöße auf Kreuzungen verhindern Zu schnell in die Kurve: Assistenzsystemehätten diesen Unfall in Melle möglicherweiseverhindern können.derfahrer hattein diesem Fall Glück im Unglück erstiegunverletzt aus derzerstörten Kabine. Der Aufwand für Hilfssysteme ist bei Lkw höher als bei Pkw. Viele technische Probleme sind bislang ungelöst. Auch die Form der Fahrerhäuser steht auf dem Prüfstand. VON ALEXANDER KLAY OSNABRÜCK. Notbremsassistent, Totwinkelassistent, Spurhalteassistent: Beim Kauf eines Neuwagens finden sich diese Extras längst auf einer langen Liste an Systemen, die das Fahren sicherer und einfacher machen sollen. Bei Lastwagen ist die Technik längst nicht so weit. Vieles werde derzeit erprobt stecke aber noch in den Kinderschuhen, erzählt der Osnabrücker Spediteur Siegfried Serrahn. Auf dem Tisch liegt eine Einladung zum Verkehrsgerichtstag in Goslar. Am Telefon ist ein Mann von der Polizei. Nein, der Osnabrücker Spediteur Siegfried Serrahn ist nicht zu schnell gefahren, es gibt auch kein Problem mit einem seiner Transporte. Dem Beamten geht es um Grundsätzliches, den fachlichen Austausch. Serrahn ist ein gefragter Mann, wenn es um Sicherheitsfragen im Transportgewerbe geht. Gemeinsam mit dem Hersteller Continental und der Osnabrücker Spedition Overnight testet Serrahn seit September ein Assistenzsystem, das den toten Winkel im Blick hat. Sensoren sollen dorthin schauen, wo der Fahrer über Spiegel nichts erkennen kann. Erster Zwischenstand: Der Fahrer möchte das System nicht mehr missen, erzählt Serrahn. Ein erster Erfolg. Der tote Winkel ist ein Problem von vielen. Die häufigsten Unfallursachen bei Lastwagen sind laut Statistischem Bundesamt allen voran das Abkommen von der Fahrbahn (39 Prozent), gefolgt von Auffahrunfällen (33) und Kreuzungsunfällen (18). Technik könnte viele Kollisionen mit Fußgängern, Radfahrern, Autos und anderen Lastwagen verhindern oder zumindest abmildern aber beim Lastwagen steckt das fast alles noch in den Kinderschuhen. Es gibt so viele Systeme, die in Entwicklung sind noch ist davon nichts serienreif, erzählt Serrahn. Immerhin: Vieles existiert nicht nur auf dem Papier, sondern wird bereits im Alltag erprobt. Gerade nach den jüngsten schweren Unfällen zwischen Lastwagen und Fahrradfahrern mit tödlichem Ausgang in Osnabrück drängt sich die Frage auf, warum dies alles im Lastwagen noch längst nicht so weit entwickelt ist wie im Pkw. Da geht es um ganz andere Parameter, andere Grundvoraussetzungen als beim Auto, sagt Serrahn. Die technischen Probleme sind bislang nicht zu 100 Prozent gelöst. Da gibt es viele Herausforderungen: Wo lassen sich die Systeme befestigen? Sind die Module verschiedener Hersteller miteinander kompatibel? Passen die Schnittstellen? Sattelauflieger werden ständig gewechselt, Container und Wechselbrücken sowieso da gibt es für die großen Hersteller wie MAN, Scania und Volvo noch viel zu tun. Das betrifft auch ein Notbremssystem, das Auffahrunfälle am Stauende oder im zähen Verkehr in der Innenstadt vermeiden soll. Beim Auto sei das eine vergleichsweise einfache Sache, meint Serrahn. Aber beim Lastwagen müsste das System mit ständig wechselnden Lasten klarkommen und ganz andere Kräfte kontrolliert zum Stillstand bringen. Serrahn: Es bleibt abzuwarten, ob Notbremssysteme Auffahrunfälle verhindern können. Fakt ist: Laut Statistik waren vier von zehn Lastwagen bei Auffahrunfällen völlig ungebremst. Ab November 2015 müssen Lastwagen und Busse europaweit mit einer automatischen Notbremsfunktion ausgestattet sein. Bei Neuzulassungen In der Branche ist wie selten zuvor eine ganze Menge in Bewegung. Siegfried Serrahn, Osnabrücker Spediteur Damit der Sattelzug in der Spur bleibt Assistenzsysteme, die Lastwagen sicherer machen, stecken noch in den Kinderschuhen Ein Osnabrücker Spediteur treibt die Entwicklu ung voran ist darüber hinaus eine Fahrspurüberwachung vorgeschrieben. Eine elektronische Stabilitätskontrolle wie das ESP beim Auto ist bereits seit diesem November Pflicht. Jeder zehnte Lkw- Unfall könnte dadurch nach Expertenmeinung vermieden werden. Eigentlich müsste sich Serrahn über all das gar keine Gedanken machen. Der Osnabrücker Spediteur trägt Jeans, Hemd, Schlips und Oberlippenbart, organisiert unter anderem Stahlmatten- Transport und hat seine Büros an der Grenze der Stadtteile Hellern und Weststadt. Eigene Lastwagen besitzt er nicht dafür sind seine Partner zuständig, spezialisierte Fuhrunternehmer. Warum er sich seit Jahren mit großem persönlichen Engagement um mehr Sicherheit im Lastverkehr kümmert? Da wird Serrahn, sonst ein gesprächiger Tausendsassa, nachdenklich. Er habe in seinem langen Berufsleben viele schreckliche Unfälle gesehen, erzählt er, viele Bilder im Hinterkopf. Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Rein rechtlich gesehen, kann er als Spediteur zwar nicht belangt werden. Wenn einer seiner Partner in einen Unfall verwickelt ist, wäre das nicht sein Problem. Aber Serrahn sieht sich moralisch in der Pflicht. Und so engagiert sich der Unternehmer auf allen Ebenen, in zahlreichen Verbänden wie dem Gesamtverband Verkehrsgewerbe Niedersachsen (GVN) oder dem Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL). Wir fordern und wünschen technische Systeme, um die Fahrer zu entlasten, sagt er. Der Mann oder die Frau hinter dem Lenkrad müsse mit sechs Spiegeln, etlichen Bildschirmen und der Onboard-Unit für die Lkw-Maut schon genug im Blick haben. Irgendwann lässt sich das alles gar nicht mehr erfassen. Ein ganz anderer Aspekt der Sicherheit bei dem es ausnahmsweise nicht um technische Fragen geht ist die Form der Fahrerhäuser. Auch diese sei bei Auffahrunfällen zwischen Lastwagen ein entscheidendes Sicherheitsmerkmal und immer wieder eine tödliche Falle. Hier liefen Gespräche in Brüssel, um europäische Normen anzupassen. In der Branche ist wie selten zuvor eine ganze Menge in Bewegung, sagt Serrahn. Fotos: ConnyRutsch,Colourbox.de Alles im Blick: Der OsnabrückerSpediteur Siegfried Serrahn testet mit einem Partnerein Sicherheitssystem des Herstellers Continental zurvermeidung von Unfällen im toten Winkel.Dabei bringen Kameras Bildervom Umfeld des Fahrzeugs auf einen Monitorneben dem Lenkrad. Fotos: Continental VON LOTHAR HAUSFELD OSNABRÜCK. Es ist noch gar nicht so lange her, da war das Thema Sicherheit in Pkw noch gar keines. Von ESP oder Notbremsassistenten war man selbst in den 80er-Jahren noch weit entfernt. Als Mitte der 70er-Jahre die Anschnallpflicht gesetzlich verankert wurde, gab es ein bundesweites Aufstöhnen. Gefahr erkannt: AutoherstellerVolvo wieauch dessen Konkurrenten arbeiten an Assistenzsystemen für sicheres Fahren. Und unter Automobiljournalisten wird heute noch gerne die Geschichte eines Alfa-Romeo-Pressesprechers erzählt, der bei der Präsentation eines neuen Sportmodells das Fehlen jeglicher Airbags mit einem lapidaren Ein Alfa-Fahrer stirbt eben wie ein echter Mann kommentierte. Seit einiger Zeit aber geht der Trend eindeutig in die andere Richtung. Mit Airbags oder Sicherheits- Kopfstützen ist die Entwicklung der Automobilhersteller lange nicht am Ende angekommen. Wer heute vor Prospekten und Preislisten aktueller Modelle sitzt, der stolpert über Bezeichnungen wie Attention Assist, Collision Prevention Assist, Distronic Plus, Pre-Safe und vieles mehr. All diese Systeme sollen das Autofahren sicherer machen. Besonders ambitioniert ist beim Thema Sicherheit traditionell Volvo. Die Schweden haben eine Vision 2020 auf der Agenda, nach der im Jahr 2020 kein Insasse eines neuen Volvo-Modells mehr ernstlich verletzt oder gar getötet werden soll. Dafür ist man im Volvo-Hauptquartier im schwedischen Göteborg stets mit der Entwicklung neuer Sicherheitssysteme beschäftigt, die neben dem oft gerühmten Schwedenstahl dafür sorgen sollen, dass dieses Ziel in die Tat umgesetzt wird. Derzeit konzentriert sich die Forschungsund Entwicklungsarbeit bei Volvo auf drei Gebiete: das autonome Kolonnenfahren, das Verhindern von Unfällen an Einmündungen und Kreuzungen sowie das Vermeiden von Kollisionen mit Wildtieren. Umfragen von US-amerikanischen Forschungsinstituten belegen, dass Autofahrer heute 25 bis 30 Prozent der Zeit mit anderen Dingen als dem reinen Autofahren verbringen. Telefonieren, SMS verschicken, Mails checken alles das und noch viel mehr nimmt deutlich zu. In Deutschland sind es einer Untersuchung der Allianz-Versicherung zufolge 40 Prozent, die regelmäßig ohne Freisprecheinrichtung am Lenkrad telefonieren, 20 Prozent lesen und schreiben SMS, mehr als die Hälfte der Autofahrer stellt während der Fahrt das Navigationssystem ein. Die meisten blenden dabei aus, dass man bei einer Geschwindigkeit von 100 Kilometern in der Stunde 60 Meter im Blindflug zurücklegt, ist man nur zwei Sekunden abgelenkt. Selbst wer mit zweckbestimmter Unterstützung im Auto hantiert Navigationssystem, Radio, Freisprecheinrichtung der kann abgelenkt sein und nicht seine hundertprozentige Aufmerksamkeit auf den Straßenverkehr richten. Und das in Zeiten, in denen der Verkehr immer dichter und komplexer wird. Für uns bedeutet dies, dass wir Techniken entwickeln müssen, die den Fahrer ständig und rechtzeitig auf mögliche Gefahren des Verkehrs hinweisen, sagt Jan Ivarsson, Senior Manager Sicherheitsstrategie bei der Volvo Car Corporation. Also ein System, das die bereits vorhandenen Systeme überwacht und unterstützt. Womit der Begriff autonomes Fahren ins Spiel kommt. Seit Jahren ist die Rede davon, dass der Autofahrer in naher Zukunft nur noch Passagier, aber nicht Pilot sein wird. Was angesichts der immer stärker eingesetzten und mit umfangreicheren Befugnissen ausgestatteten Assistenzsysteme nur ein logischer Schritt wäre. Doch bis es so weit ist, werden noch viele Jahre ins Land ziehen. Man sollte nicht erwarten, dass ASSISTENZSYSTEME Smarte Sicherheitshelfer im Überblick ACC: Die Adaptive Cruise Control hält nicht nur die Geschwindigkeit wie ein Tempomat, sondern auch den vorgegebenen Abstand zum Vordermann. Bremst der Vordermann, verzögert auch das eigene Fahrzeug, ebenso fährt es automatisch schneller. Die aufwendigsten heutigen Systeme können im Stop-and-go-Verkehr auch selbstständig wieder anfahren. ESP: Das elektronische Stabilitätsprogramm registriert anhand von Sensoren, dass sich das Auto anders verhält, als vom Fahrer durch den Lenkwinkel vorgegeben wird, und bremst dann gezielt einzelne Räder ab, damit das Fahrzeug nicht schleudert. ESP verhindert Unfälle oder zumindest die Unfallschwere. Seit November ist es für Neuwagen vorgeschrieben. Geschwindigkeitsbegrenzer: Der Fahrer kann per Knopfdruck eine Maximal-Geschwindigkeit festlegen. So überschreitet er das Tempolimit nicht unbeabsichtigt. Kreuzungs-Assistent: Der Notbrems-Assistent reagiert, wenn der Fahrer beim Abbiegen in den Gegenverkehr zu steuern droht. Kurvenlicht: Die Scheinwerfer des Fahrzeugs folgen dem Verlauf der Straße und sorgen für bessere Sicht bei nächtlicher Fahrt auf kurvenreicher Strecke. Müdigkeitswarner: Warnt den Fahrer, dass er müde wird, wenn das System Unsicherheiten, zum Beispiel sehr viele Lenkkorrekturen, feststellt. Der Fahrer wird daran erinnert, eine Pause zu machen. Nachtsicht-Assistent: Bessere Sicht bei Nacht liefern Infrarot- oder Wärmebildkameras. Das Bild, mit dem bei Nacht zum Beispiel Fußgänger schneller erkannt werden sollen, Fahren, ohne selbst zu steuern, bleibt vorerst Zukunftsmusik. man in wenigen Jahren autonom fahren kann, sagt etwa Volvo-Sprecher Michael Schweitzer. Auch wenn Pilotprojekte laufen, autonom fahrende Autos sich durch den Verkehr manövrieren, ohne dass ein Mensch Hand ans Lenkrad legt dies funktioniert derzeit nur in einzelnen kontrollierten und klar definierten Situationen. Klar ist: Viele kleine Schritte werden noch folgen, und selbst wenn die Technik möglicherweise irgendwann in den kom- erscheint im Kombiinstrument. Notbremsassistent: Aktive Notbremsassistenten erkennen mithilfe von Sensoren (Radar, Laser, Kamera) eine kritische Situation, zum Beispiel einen drohenden Auffahrunfall mit dem Vordermann. Sie warnen den Fahrer (optisch, akustisch, mit Bremsruck), reagiert er nicht, leiten sie eine Notbremsung ein. Grafik: Volvo menden Jahren zur Serienreife gelangen wird, bleiben noch rechtliche Fragen ungeklärt. Bei Volvo arbeiten sie unterdessen an zahlreichen weiteren Assistenten, die den Fahrer im Alltag unterstützen. So sollen Volvo der Zukunft selbstständig in einer Kolonne fahren etwa im dichten Stadt-Stopand-Go. Im neuen SUV Volvo XC90 debütiert ein automatisches Notbremssystem für Kreuzungsbereiche. Das System bremst den Wagen automatisch ab, wenn der Fahrer beim Abbiegen in den Gegenverkehr zu steuern droht ein sowohl im belebten Stadtverkehr als auch auf Landstraßen typisches Unfallszenario. Kaum jemand ist in der Autobranche beim Thema Sicherheit so weit wie Volvo, doch andernorts sind die Prognosen, was autonomes Fahren betrifft, weitaus forscher. Vollautomatisches Einparken im Parkhaus wird schon in den nächsten fünf Jahren kommen können, auch beim Autobahnfahren ist das vor der Marktreife, sagt etwa Audis Leiter der Fahrassistenz-Vorentwicklung, Miklos Kiss. Beides ist bei den Ingolstädtern wie bei den Konkurrenten von BMW und Mercedes-Benz längst in der Testphase. Trotzdem: Der Mensch, der auf dem Rücksitz schläft, während das Auto selbstständig fährt, werde aber wohl auch dann noch Science-Fiction sein, wenn die Systeme serienreif sind. Totwinkel-Assistent (Spurwechsel-Assistent): Das System überwacht den sogenannten toten Winkel. Nähert sich hier ein Fahrzeug, zeigt es der Assistent an, meist über ein Lämpchen im Außenspiegel. Setzt der Fahrer trotzdem zum Spurwechsel an, wird er vor einer drohenden Kollision gewarnt. Spurhalte-Assistent/ Spurverlassenswarner: Eine Kamera erkennt die Fahrbahnmarkierungen, kommt das Auto ihnen zu nahe oder überschreitet sie, ohne zu blinken, warnt das System zum Beispiel durch Vibrationen im Lenkrad oder auch akustisch. Die nächste Stufe ist der Spurhalte-Assistent, der in solchen Situationen eingreift und sanft gegenlenkt, sodass das Auto in der Spur bleibt.

14 DONNERSTAG, 18. DEZEMBER 2014 BRANCHEN & BETRIEBE Alles im Blick: Das Osnabrücker Unternehmen Seebawind überwacht über 600 Windräder, darunter 15 Turbinen im nördlichsten Windpark Europas am Nordkap. Foto: Seebawind Heißer Draht zum Windpark am Nordkap Die Osnabrücker Firmen Seebawind und Osma-Aufzüge überwachen Tausende Anlagen rund um die Uhr VON WILFRIED HINRICHS OSNABRÜCK. Wenn Deutschland schläft, ist Amerika wach. Was liegt also näher, als Amerikaner die Nachtschichten für Deutschland machen zu lassen? Das Osnabrücker Unternehmen Seebawind hatte für die durchgehende Fernüberwachung von Windrädern einen Experten in North Dakota angeheuert aber dann kam die Ukrainekrise. Seebawind-Gründer und Geschäftsführer Holger Hämel verhehlt nicht, dass es schwierig ist, hoch qualifizierte Leute für den ungeliebten Nachtdienst zu gewinnen und sie zu halten. Seebawind überwacht über 600 Windkraftanlagen europaweit. Die Spinne im Netz das sind die Mitarbeiter in den Leitständen am Heideweg in Osnabrück und in der Niederlassung Ellwangen in Baden-Württemberg. Die Daten der Windräder laufen in Echtzeit ein. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Sollte irgendwo ein Fehler auftreten, versuchen die Experten zunächst, per Ferndiagnose die Störungsursache zu ermitteln. Gelingt das nicht, wird ein Wartungstrupp in Marsch gesetzt. Die Fernüberwachung gehört zum Kerngeschäft des herstellerunabhängigen Service- und Wartungsdienstleisters für Windenergieanlagen. Wir sind wie eine freie Werkstatt, erklärt Hämel. Seebawind ist spezialisiert auf Anlagen von Nordex, Fuhrländer und Senvion (ehemals Repower), kennt sich aber auch mit allen anderen Typen aus. Und wie eine ganz normale freie (Auto-)Werkstatt nimmt Seebawind Einzelaufträge für Wartungen oder Reparaturen entgegen. Auch ganz unspektakuläre Hausmeistertätigkeiten wie die Grünpflege in großen Windparks übernimmt das Osnabrücker Unternehmen. Im Durchschnitt bleibt in einem Osma-Aufzug alle 12,5 Jahre jemand stecken. Odo Hake, Osma-Marktingchef Die Überwacher in Osnabrück und Ellwangen stimmen ihre Schichten miteinander ab, und trotzdem bleibt das Problem mit der Nachtschicht. Hämel glaubte, es schon elegant mit dem Fachmann aus North Dakota in den USA gelöst zu haben. Wir hatten alles aufs Gleis gestellt, er ist hier geschult worden, hatte eine Einkaufsliste für die Technik drüben, und dann kam plötzlich eine ganze lange Mail. Der Inhalt: Der Mann hatte sich entschieden, in der beginnenden Ukraine-Krise dem Ruf seines Vaterlandes zu folgen und der US-Armee seine technischen Kenntnisse zur Verfügung zu stellen. Der Plan, die deutsche Nacht zum amerikanischen Tag zu machen, war damit geplatzt. Doch plötzlich eröffnen sich neue Chancen: in Griechenland. Für zunächst ein Jahr kooperiert Seebawind nun mit einem Partner in Südeuropa. Die Zusammenarbeit sei gerade im Dezember angelaufen, also noch ganz frisch. Angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage in Griechenland hätten die Partner dort keine Probleme gehabt, Personal für den Schichtdienst zu finden. Auch die Sprache sei kein Problem: Es gibt ja viele Griechen, die in Deutschland gelebt haben und perfekt Deutsch sprechen. Möglicherweise wird dann demnächst im Süden Europas aufgepasst, dass sich am nördlichsten Zipfel des Kontinents die Windräder störungsfrei drehen. Im Mai dieses Jahres übernahm Seebawind den Auftrag zur Überwachung des nördlichsten Windparks Europas im norwegischen Havoygavlen, 50 Kilometer südlich des Nordkaps. Die 15 Windturbinen mit einer Höhe von 120 Metern erzeugen im Jahr 90 Kilowattstunden Energie, was dem Bedarf von 25 000 Haushalten entspricht. Dort oben jenseits des Polarkreises herrschen extreme Wetterbedingungen, vor allem im Winter. Der Wind pfeift im Jahresdurchschnitt mit Windstärke 6. Seebawind überwacht die Windräder nachts und an den Wochenenden und ist verpflichtet, auf Fehler binnen 15 Minuten zu reagieren. Die Serviceteams des norwegischen Windparkbetreibers Arctic Wind erhalten jeden Morgen einen Bericht über die Ereignisse der Nacht. Störungen, die nicht per Einwahl behoben werden können, meldet das Seebawind-Team sofort den Technikern vor Ort. Außerdem stellt Seebawind den Mechanikern eine Vorab-Analyse zusammen, die die Mechaniker in die Lage versetzt, Schwachstellen auszumerzen, bevor ein Stillstand entsteht. Stillstand. Ein Zustand, den ein Aufzugnutzer nicht akzeptieren kann. Wir wechseln von der Wind-Leitstelle zur Notrufzentrale des Aufzugherstellers Osma an der Hirtenstraße in Osnabrück. Hier laufen werktags die Notrufe auf, nachts und am Wochenende übernimmt ein von Osma beauftragtes Callcenter in Ratingen den Dienst. Über 10 000 Aufzüge bundesweit sind auf die Osma-Notrufzentrale aufgeschaltet. Wer in einem dieser Lifte auf den Notrufknopf drückt, hört zumindest werktags die Stimme aus Osnabrück. Die Osma-Aufzüge Albert Schenk GmbH Co. KG ist ein mittelständisches Familienunternehmen mit 18 Niederlassungen bundesweit und einem Jahresumsatz von 30 Millionen Euro. Das Unternehmen baut jährlich etwa 800 Aufzugsanlagen mit einer Fertigungstiefe von gut 90 Prozent. Daneben gibt es die Osma- Service GmbH (Umsatz 41 Millionen Euro), die sich wie der Name nahelegt um den Service und die Wartung der Aufzüge kümmert. 20 000 Liftanlagen hat das Unternehmen aktuell unter Vertrag, wie Marketingleiter Odo Hake sagt. Beide Gesellschaften beschäftigen 650 Mitarbeiter, darunter 20 Auszubildende. Das Osnabrücker Vorzeigeunternehmen ist die Nummer vier auf dem deutschen Markt und für Innovation und Design mehrfach ausgezeichnet worden. Ein Aufzugbauer spricht natürlich nicht gern über das, was keiner erleben will: dass der Lift stecken bleibt. Aber Osma-Marktingchef Hake kann ruhigen Gewissens mitteilen: Durchschnittlich bleibt in einem Osma-Aufzug alle 12,5 Jahre eine Person stecken. Damit gehören Osma-Aufzüge zu den sichersten Aufzügen bundesweit. Bei 20 000 Liftanlagen, die Osma Nummer vier auf dem deutschen Markt: der Osnabrücker Aufzugbauer Osma. Archivfoto: Michael Hehmann wartet, muss man schon das Glück eines Lottomillionärs gepachtet haben, um derjenige zu sein, der statistisch betrachtet nach 12,5 Jahren im Schacht festhängt. Vor wenigen Wochen ist das vier Jugendlichen in einem gläsernen Außenaufzug in Osnabrück widerfahren. Der Fahrstuhl hatte sich nach Osma-Angaben vorsorglich abgestellt. Die Technik sei darauf ausgelegt, bei Unregelmäßigkeiten sofort zu stoppen, bevor eine Gefahr für die Passagiere entstehen könne. Die vier Jugendlichen waren ständig in Kontakt mit der Osma- Notrufzentrale. In zeitgemäßen Aufzügen ist das eine Selbstverständlichkeit, und die Notruf-Mitarbeiter sind darauf geschult, im Ernstfall beruhigend auf die Betroffenen einzuwirken. Aber es gibt auch noch Altanlagen, die, wie Odo Hake berichtet, als Notruf nur eine Hupe im Treppenhaus haben. Unglaublich, aber wahr. Ende November hat der Bundesrat eine Betriebssicherheitsverordnung abgesegnet, die am 1. Juni 2015 in Kraft tritt. Demnach müssen diese Hupen-Lifte bis spätestens 2020 mit Zwei-Wege-Kommunikationssystemen ausgestattet werden. Wie jedes Auto, so muss auch jeder Lift im Zwei-Jahre-Rhythmus einer technischen Grundüberprüfung etwa durch TÜV oder Dekra standhalten. Odo Hake geht von einer nicht unerheblichen Dunkelziffer aus: Er schätzt, dass zurzeit ein Viertel der Aufzugbetreiber ihre Anlagen nicht regelmäßig prüfen lassen. Neu ist, dass ab Juni nächsten Jahres in allen Kabinen ein Prüfsiegel angebracht werden muss, das Monat und Jahr der nächsten Prüfung anzeigt. Wie die TÜV-Plakette auf dem Autokennzeichen. Osma darf sich über zusätzliche Aufträge freuen.

15 BRANCHEN & BETRIEBE Arbeitsunfälle: Worauf es im Notfall ankommt Wo schwere Verletzungen versorgt werden VON CHRISTOPH LÜTZENKIRCHEN OSNABRÜCK/MEPPEN. Trotz anspruchsvoller Sicherheitsbestimmungen eine Garantie gegen Arbeitsunfälle gibt es nicht. Wo gibt es Hilfe, wenn ein Mitarbeiter schwer verletzt wird? Wer entscheidet, was, wann und wo mit Unfallpatienten passiert? Egal, wo ein Unfall passiert: In der Regel können Patienten regional versorgt werden, wie hier im Marienhospital Osnabrück. Ihr erster Ansprechpartner ist der Notruf 112, sagt Dr. Andreas Mennewisch, Ärztlicher Leiter Rettungsdienst beim Landkreis Osnabrück: Im Landkreis Osnabrück landet man über den bei der Rettungsleitstelle im Kreishaus. Von dort wird ein Alarm ausgelöst. Ein Notarzt fährt mit einem Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) zur Unfallstelle. Er untersucht den Patienten und leistet die entsprechende Primärversorgung. Wenn der Arzt sich ein Bild davon gemacht hat, wie schwer die Verletzung ist, entscheidet er, wohin der Patient für die weitere Behandlung gebracht wird. Im Ernstfall rettet Zeit Leben, so Mennewisch: Zeit und qualifizierte Hilfe. Deshalb habe vor einigen Jahren ein Dogmenwechsel stattgefunden, erzählt er. Früher fuhr man Patienten nach einem Unfall ins nächstgelegene Krankenhaus. Bei schweren Verletzungen nimmt man heute größere Entfernungen in Kauf, um die bestmögliche Versorgung für die Patienten sicherzustellen. Die erhalten sie in fünf regionalen Schwerpunktzentren: im Städtischen Klinikum und im Marienhospital in Osnabrück, im Christlichen Krankenhaus Quakenbrück, im Bonifatius-Hospital Lingen und im Krankenhaus Ludmillenstift Meppen. Der Notarzt berücksichtigt bei seiner Entscheidung vor Ort, welches Krankenhaus am schnellsten zu erreichen ist und welches den Patienten am besten versorgen kann. Den Kontakt zum Krankenhaus koordiniert dann die Rettungsleitstelle. Der Arzt begleitet seinen Patienten dorthin. Bei den Schwerpunktzentren gibt es für die Aufnahme von Unfallpatienten einen speziellen Schockraum. Dort greift dann ad hoc der gesamte klinische Apparat, volles Programm! In der Regel warne ich die Patienten vor: Da ist jetzt gleich eine Unmenge Menschen, die Ihnen helfen wollen, sagt Mennewisch. Das ist wichtig, weil wir alle wissen, dass Zeit Leben rettet. Die regionalen Schwerpunktzentren müssen rund um die Uhr die gleiche Versorgungsqualität vorhalten, sagt Mennewisch. Egal, wann ein Unfall passiert, die Krankenhäuser sorgen dafür, dass ein Chirurg vor Ort ist, ein Radiologe und ein Anästhesist. Weil Hirnblutungen häufig Ursache für tödliche Verletzungen sind, gehört außerdem ein Neurochirurg zum Bereitschaftsteam. Ob eine Klinik die Voraussetzung für ein Schwerpunktzentrum erfüllt, ergibt eine aufwendige Zertifizierung der Häuser im Rahmen des Trauma- Netzwerks der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU). Experten verschiedenster Disziplinen haben die Zertifizierung festgelegt, so Mennewisch, für die Qualitätssicherung sei sie unverzichtbar. Die überwiegende Anzahl schwer lebensbedrohlicher Verletzungen kann laut dem Mediziner regional versorgt werden. Wichtige Ausnahme sind schwerste Verbrennungen, etwa bei Unfällen mit Hochspannungsstrom. In solchen Fällen werden die Patienten durch eines der Schwerpunktzentren erstversorgt. Für jeden Einzelfall wird dann entschieden, wo die beste Weiterbehandlung möglich ist. Dafür sind drei Krankenhäuser geeignet, die über Spezialbetten für schwerstverbrannte Patienten Im Ernstfall rettet Zeit Leben. Dr. Andreas Mennewisch Archivfoto: Michael Hehmann verfügen und schnell erreicht werden können: die Klinik der Medizinischen Hochschule Hannover, das Klinikum Dortmund und das Berufsgenossenschaftliche Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum. Immer wieder wird der Rettungsdienstleiter gefragt, ob es relevante Unterschiede zwischen den fünf Schwerpunktzentren der Region gibt. Doch Mennewisch betont: Die Zertifizierung durch die DGU bestätigt, dass diese Häuser durch die Bank ein sehr hohes Niveau an Leistungen für die Soforthilfe bei Unfällen vorhalten. Natürlich bestehen Unterschiede. Unsere Notärzte kennen sie und berücksichtigen das bei ihren Entscheidungen. Beispielsweise haben die Städtischen Kliniken eine Urologie, das Marienhospital nicht. Umgekehrt gibt es im Marienhospital eine Augenheilkunde, im Städtischen Klinikum nicht. In der Praxis wirken sich die Unterschiede allenfalls marginal auf die Versorgung von Unfallopfern aus.

16 DONNERSTAG, 18. DEZEMBER 2014 BRANCHEN & BETRIEBE Noch Abklingbecken oder schon Zwischenlager? In niedersächsischen Kernkraftwerken lagern noch Brennstäbe aus den Achtzigerjahren Landesregierung plant Überprüfung VON DIRK FISSER UND CHRISTIAN SCHAUDWET LINGEN/GROHNDE. In den Abklingbecken der niedersächsischen Atomkraftwerke lagern mehr als 1000 Brennelemente die ältesten seit 26 Jahren. Umweltminister Stefan Wenzel (Grüne) findet, diese Art der Zwischenlagerung gehöre auf den Prüfstand. Sicherheitsbehörden befassen sich unterdessen mit Gefahren für Kernkraftwerke, die von ferngesteuerten Drohnen ausgehen könnten. Abklingbecken sind im Prinzip große Wasserbehälter auf dem Gelände der Atomkraftwerke. Nach ihrem Einsatz werden die Brennelemente hier versenkt, um abzukühlen und Strahlung abzubauen. Ist ein gewisses Maß unterschritten, werden sie in Zwischenlager abtransportiert. Eigentlich. Doch allem Anschein nach funktionieren einige Kraftwerksbetreiber die Abklingbecken zu Zwischenlagern um. Wie das niedersächsische Umweltministerium mitteilte, lagern einzelne Brennelemente seit 1988 im Abklingbecken des Atomkraftwerks Grohnde Rekord in Niedersachsen. Insgesamt befänden sich 502 Brennelemente in dem Becken im Kreis Hameln-Pyrmont. Im Nasslager des Kernkraftwerks Unterweser im Landkreis Wesermarsch seien es 414, weitere 510 im Abklingbecken des Kernkraftwerks Emsland bei Lingen. Zusammengenommen also 1426 an allein drei Standorten in Niedersachsen. Umweltminister Wenzel stellte klar, dass es bislang keine ausdrückliche Befristung für eine Zwischenlagerung in Abklingbecken gebe. Ob eine jahrzehntelange Nasslagerung tatsächlich dem Stand von Wissenschaft und Technik entspricht, ist jedoch ernsthaft zu hinterfragen. Deshalb fordert der Grünen-Politiker, dass sich die Atommüllkommission von Bund und Ländern auch dieses Themas annimmt. Eine Anfrage der Grünen im Bayrischen Landtag hatte zuletzt deutlich gemacht, dass nicht nur in Niedersachsen die Abklingbecken zu Zwischenlagern umfunktioniert werden. Im Atomkraftwerk Gundremmingen in Schwaben lagern einzelne Brennelemente bereits seit 1986 im Nasslager, und damit noch länger als in Grohnde. Das geht aus der Antwort der bayrischen Landesregierung auf die Anfrage hervor. Die Regierung betonte auch: Alle sicherheitstechnischen Anforderungen würden erfüllt. Und ein Sprecher des AKW Gundremmingen antwortete auf Nachfrage der Augsburger Allgemeinen : Je länger die Brennelemente im Abklingbecken lagerten, desto geringer sei später die Strahlung bei der Beladung und späteren Lagerung von Castor-Behältern. Nach Lagerung in Abklingbecken und Zwischenlagern soll der letzte Weg der Brennelemente eigentlich ins Endlager führen, sofern sie nicht mehr aufgearbeitet werden können. Doch ein solches gibt es bekanntermaßen für stark strahlenden Müll in Deutschland nicht. Auch über die Atomsicherheit auf einer höheren Ebene machen sich Experten verstärkt Gedanken: Seit Wochen beunruhigen mysteriöse Drohnenflüge über französischen Kernkraftwerken die Öffentlichkeit im Nachbarland. Atomkraftgegner befürchten, dass die kleinen Geräte die Sicherheit der Kraftwerke gefährden könnten. Auch in Deutschland sind Behörden auf mögliche Bedrohungen aufmerksam geworden. Gesichtet wurde über niedersächsischen Kernkraftwerken noch keines jener vielseitigen, von Rotoren getragenen Geräte, die jedermann im Handel erwerben kann. Manche Modelle tragen bis zu zwei Kilo Nutzlast. Eine Bombe dieses Gewichts könne zwar den Betonmantel eines Reaktors nicht durchschlagen, sagen die französischen Warner. Aber sie befürchten, dass selbst kleinere Schäden an der Kraftwerksinfrastruktur zur Freisetzung radioaktiver Strahlung führen könnten etwa an Abklingbecken für Brennstäbe. Auch in Deutschland sehen Behörden in den neuen, technisch Gefahrenpotenzial für Kernkraftwerke? Sicherheitsbehörden untersuchen mögliche Risiken, die von solchen ferngesteuerten Flugkörpern ausgehen könnten. Keine ausdrückliche Befristung : Derzeit liegen 510 Brennelemente im Becken des Kernkraftwerks Emsland bei Lingen. Foto: dpa immer ausgereifteren, oft mit Kameras bestückten Drohnen Gefahrenpotenzial für Kernkraftwerke: Die Verwendung unbemannter Drohnen stellt eine neuere Entwicklung dar, mit der sich auch die für die Sicherung von Atomkraftwerken zuständigen Behörden befassen, teilte das niedersächsische Umweltministerium auf Anfrage unserer Redaktion mit. Einzelheiten könne man aus Sicherheitsgründen nicht nennen. Eine Bestätigung kam auch vom Kernkraftwerkbetreiber Eon: Eon und auch die anderen Betreiber arbeiten mit den Sicherungsbehörden zusammen, lautete die Antwort des Unternehmens. Eon betreibt in Niedersachsen das Kernkraftwerk in Grohnde. Es verfügt über eine Vernebelungsanlage, die im Falle eines drohenden gezielten Flugzeugabsturzes die Sicht von Angreifern stark behindern soll. Im Kernkraftwerk bei Lingen, betrieben von dem Energiekonzern RWE, ist trotz langjähriger Planung allerdings bislang keine solche Anlage installiert. Hier wurde nach Auskunft des Landesumweltministeriums das entsprechende Genehmigungsverfahren noch nicht abgeschlossen. Das war bereits vor mehr als zwei Jahren der Fall. RWE verwies jüngst darauf, dass Kernkraftwerke baulich gegen Bedrohungen aus der Luft gut geschützt seien. Auch die Abklingbecken liegen unter dem Schutzmantel des Reaktors, sagte RWE-Sprecher Manfred Lang. Notstromanlagen stellten bei Unterbrechung externer Energiezufuhr die für den Betrieb nötige Stromversorgung sicher. Umweltminister Wenzel hat zuletzt verstärkte Kontrollen technischer Komponenten in Grohnde und Lingen angekündigt. Nach den jüngsten Erfahrungen mit gebrochenen Federn an Drosselkörpern im Meiler Grohnde müssten auch an anderen Stellen der Kraftwerke intensivere Prüfungen vorgenommen werden, sagte Wenzel am Rand einer von seinem Ministerium einberufenen Fachkonferenz zur Sicherheit der niedersächsischen Atomkraftwerke in Hameln. (Mit dpa) Foto: dpa

GELD & GESCHÄFT 17 Mit oder ohne geniale Idee Sich selbstständig zu machen ist keine Hexerei. Aber der Schritt von der sicheren Festanstellung zur Gründung erfordert gute Planung. Scharfer Blick auf die eigenen finanziellen Verpflichtungen. Welchen Kundenkreis will ich ansprechen und wie erreiche ich ihn? Viele Betriebe suchen Nachfolger für die Spitze. VON STEFAN BUCHHOLZ OSNABRÜCK. Raus aus dem sicheren Hafen der Festanstellung und hinein in die raue See der Selbstständigkeit? Wer die risikobehaftete Passage bestehen will, braucht neben Mut viel Kenntnis. Kostenfreie Unterstützung bieten Kammern und Gründungsberater. Und: Auch ohne eigene Geschäftsidee kann der Sprung auf die Unternehmerseite gelingen. Wer Kapitän des eigenen Unternehmensschiffs werden will, kann bis zur Gründung seiner Firma die Hilfe von Lotsen annehmen. Rolf- Thomas Schneider vom Gründerhaus in Osnabrück ist einer von mehreren in der Stadt. Als Leiter der Einrichtung, die von den städtischen Wirtschaftsförderungen und dem Landkreis Osnabrück finanziert wird, begleitet er 150 Neugründungen pro Jahr. Von den Gründern und Gründerinnen waren vorher meist knapp 130 abhängig beschäftigt, hat Schneider ermittelt. Wer mit seiner neuen Geschäftsidee in Schneiders Büro im Innovations Centrum Osnabrück sitzt, bekommt es schnell mit konkreten Zahlen zu tun. Es ist erstaunlich, wie viele irrige Annahmen darüber bestehen, was Selbstständige an Steuern und Versicherungen gar nicht erst bezahlen müssten, schildert Schneider. Der ehemalige Banker rechnet daher mit jedem Neugründer erst einmal den persönlichen Finanzbedarf durch. So nehmen die gesetzlichen Krankenkassen ab 2015 bei jedem Selbstständigen zunächst ein fiktives Monatseinkommen von 2126,25 Euro an, aus dem sie einen Beitrag von 350 Euro ermitteln. Man muss Nachzahlungen einkalkulieren, wenn dem Einkommensteuerbescheid am Ende des Jahres höhere Monatseinkommen zugrunde liegen, sagt Schneider. Bei der Rentenversicherung kann sich der Gründer in den ersten drei Jahren aussuchen, ob er den Regelbeitrag von 265 Euro oder gleich 18,7 Prozent vom erzielten Einkommen monatlich zahlen will. Diese Anteile gelten auch für jede lehrende Tätigkeit, gleich ob als Personalcoach, Fahrlehrer oder etwa als Chef einer Skischule, so Schneider. Der Gründerhausleiter empfiehlt zudem, die aktuellen finanziellen Verpflichtungen plus die weitere Lebensplanung in die Kostenkalkulation mit einzubeziehen. Wer lange ein regelmäßiges Einkommen bezog, wird Großes Netzwerk als Gründungskapital: Der Osnabrücker Elvis Besic machte sich nach 25 Berufsjahren als Angestellter in seinem Metier Elektrotechnik selbstständig. geplante Unternehmenserlöse anders berechnen müssen, wenn er seinen gewohnten materiellen Standard halten will. Nach der Kostenkalkulation sei die genaue Markterkundung das zweite wesentliche Element, um erfolgreich zu gründen, sagt Gründerhauschef Schneider. Wer ist Jeder achte bis neunte Betrieb sucht eine Lösung zur Übernahme. Siegward Schneider, Kreishandwerksmeister Weniger Rat für Existenzgründer Anzahl der Einstiegsgespräche und Beratungen für Existenzgründer durch Industrie- und Handelskammern 2011 2012 2013 Osnabrück 2577 1715 1524 Emden 960 900 1130 Oldenburg 1700 1700 2025 Münster 476 3200 3340 Bremen 1160 970 870 Hannover 7500 4180 4160 Quelle: DIHK Grafik: Matthias Michel der Personenkreis, den ich ansprechen will? Wie und wo erreiche ich meine Kunden? Wie viele entscheiden sich für mein Produkt oder die Dienstleistung? Für die Beantwortung dieser Fragen brauchte Elvis Besic während der Gründungsphase seiner Firma nicht lange. Er ist nämlich bekannt. Nicht so sehr, weil der Elektromeister denselben Vornamen wie der King des Rock n Roll trägt, sondern weil er in 25 Berufsjahren bei einer Elektroinstallationsfirma Kontakte hat knüpfen können. Ich war ja nicht nur im Büro, sondern meist draußen. Dann sitze ich auch noch im Gesellenprüfungsausschuss, weiß viel über die Unternehmen und die Leute vor Ort. Dieses Netzwerk half Besic, als er sich vor knapp drei Monaten in seinem Metier selbstständig machte. Die lange Zeit im Job brachte ihm auch in einem anderen Bereich der Markterkundung Vorteile. Man muss wegen der eigenen Kalkulation zum Beispiel wissen, wie hoch die Stundenlöhne in der Region Weser-Ems sind, so Besic. Der Alleinunternehmer brauchte aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen in der Branche keine genaue Analyse des Wettbewerbs. Generell empfehlen die Gründungsberater jedoch, so genau wie möglich Marktanalysen vorzunehmen. Dabei lässt sich auf Datenmaterial zurückgreifen, das etwa Statistikämter, Kammern und Verbände oder auch die Gesellschaft für Konsumforschung bereitstellen. Wer mehr weiß über seine Kunden und Wettbewerber, checkt mit seinem Gründungsberater anschließend den Businessplan durch. Er beinhaltet, wie man seine Geschäftsidee umsetzen will, und ist die Grundlage für die Kapitalbeschaffung bei der Hausbank. Ein Unternehmen lässt sich auch ohne die eigene, zündende Idee gründen. Im Handwerk macht man seit einiger Zeit einen Trend aus, der auch für diejenigen, die selbst auf der Kommandobrücke eines Firmenschiffs stehen wollen, interessante Perspektiven aufzeigen kann. Jeder achte bis neunte Betrieb sucht in den nächsten Jahren eine Lösung zur Übernahme, weiß Siegward Schneider von der Kreishandwerkerschaft Osnabrück. Der Kreishandwerksmeister hält noch eine Zahl bereit: Etwa ein Viertel der über 10 000 Handwerksbetriebe im Kammerbezirk stehen mittelfristig vor Umstrukturierungsprozessen, die ebenfalls Chance für Existenzgründer sein können. Anders sieht es bei den Unternehmen der Industrie- und Handelskammer Osnabrück-Emsland- Grafschaft Bentheim (IHK) aus. Große Firmen hätten weniger Schwierigkeiten, einen Nachfolger zu finden, sagt IHK-Referent Enno Kähler. Bedarf gibt es eher bei Senior-Unternehmern kleinerer Betriebe. Ihnen empfehle ich, auch einmal in der Belegschaft nach einem Kandidaten zu suchen. Achim Tegeler etwa ist dafür ein Beispiel. 2010 fing er als Prokurist bei der Firma Kölndata Professional IT Services in Osnabrück an und übernahm zwei Jahre später alle Gesellschafteranteile, des IT- Beratungs- und -Trainingsdienstleisters. Bevor er ans Ruder ging, nutzte Tegeler die Zeit, um das Firmenschiff deutlich umzubauen. Auch wenn ich das Business aus fast zehnjähriger Tätigkeit in der IT-Branche ganz gut kannte, brauchte es einfach etwas Zeit, sich den Überblick über Kundenstruktur, Portfolio und die finanzielle Situation des Unternehmens zu verschaffen, sagt Tegeler. Bei der Neustrukturierung unterzog er alles einem kritischen Blick. Jede Altlast, jeden Vertrag und alle offenen Vorgänge prüfte er. Der 49-Jährige rät den Nachfolgern in Unternehmen, einen Aspekt stets im Auge zu behalten: Neben den Kunden, Konten und Mitarbeitern übernimmt man eben auch Verbindlichkeiten, Vertrags- und Steuerlasten. Handel und Dienstleistung sind die wirtschaftlichen Zweige, in denen 85 Prozent der Gründer starten. Laut aktuellem IHK-Gründungsreport ist die Branchenverteilung ein Spiegel des wirtschaftlichen Strukturwandels. Ein Grund: Der technische Fortschritt macht für viele größere Unternehmen das Outsourcing von Funktionsbereichen an externe Dienstleister lohnend. Das schafft Chancen für Gründer von unternehmensnahen Services, gerade im Web- und IT-Bereich. Die Firma war schon da: Achim Tegeler fing als Prokurist beim IT-Dienstleister Kölndata an. Nach zwei Jahren übernahm er das Unternehmen als Eigentümer. Foto: Elvira Parton Foto: Stefan Buchholz

18 DONNERSTAG, 18. DEZEMBER 2014 GELD & GESCHÄFT Wenn Kleinbetriebe zu groß für die Ausnahmeregel werden Ob Teilzeit oder Pflege-Auszeit: Sonderregeln sollen Firmen entlasten Gekniffen ist, wer knapp über der Bemessungsgrenze liegt VON CHRISTIAN SCHAUDWET OSNABRÜCK/BERLIN. Eine zweijährige Familienpflegezeit und eine bezahlte Auszeit von zehn Tagen sollen Arbeitnehmern die Pflege eines kranken Angehörigen erleichtern. Das entsprechende Gesetz, das ab 2015 gelten soll, spart kleine Betriebe mit bis zu 25 Beschäftigten aus. Interessenvertreter der Unternehmen im Raum Osnabrück- Emsland sehen solche Größenunterscheidungen kritisch. Künftig gibt es nicht nur die Möglichkeit, für sechs Monate komplett aus dem Job auszusteigen, sondern auch einen Rechtsanspruch auf 24 Monate Familienpflegezeit. Während dieser kann ein Beschäftigter seine Wochenarbeitszeit auf bis zu 15 Stunden reduzieren. Dieser Rechtsanspruch gilt aber nur in Unternehmen mit mindestens 25 Beschäftigten. Ursprünglich war eine Untergrenze von 15 Mitarbeitern vorgesehen, doch diese Marke hat der Gesetzgeber auf Druck aus der Wirtschaft in letzter Minute angehoben. Für diese Änderung gab es teils heftige Kritik aus der Opposition ein großer Teil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten werde so von der Familienpflegezeit Der Anspruch auf Pflegezeit gilt ab 25 Angestellten. ausgeschlossen. In 90 Prozent der Betriebe gelte damit der zugesagte Rechtsanspruch nicht, kritisierten die Grünen. Die Linke warnt, sieben Millionen Arbeitnehmer würden benachteiligt. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) verteidigte die Regelung als gute Balance zwischen den Interessen von kleinen Betrieben und von Familien. Kleinbetriebe hätten oft Schwierigkeiten, für 24 Monate einen Ersatz zu finden. Sven Ruschhaupt, der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Osnabrück-Emsland- Grafschaft Bentheim (HWK), sieht in der Region bis zu 25 Prozent der Handwerksunternehmen von den neuen Pflichten betroffen. Wenn ein Betrieb über der 25-Mitarbeiter-Grenze liegt und ein Beschäftigter die Auszeit-Regelung in Anspruch nimmt, ist es natürlich eine Herausforderung, das zu organisieren, sagt Ruschhaupt. Fehle ein Kollege, müsse der Unternehmer Ersatz besorgen, den er auf dem Arbeitsmarkt im Moment wahrscheinlich nicht bekommt. Die Folge könne sein, dass der Betrieb Aufträge verschieben oder ablehnen müsse. Doch Ruschhaupt hält die Unternehmen für gewappnet: Viele, insbesondere die familiengeführten Unternehmen, fanden auch bisher schon pragmatische Lösungen, wenn Mitarbeiter sich der Pflege von Angehörigen widmen mussten. Die neue Regelung verunsichere das Handwerk nicht. Das neue Gesetz zur Pflege- Auszeit ist nicht das einzige, das Sonderregelungen für kleine Betriebe vorsieht und Firmen dieser Größenordnung gibt es in Niedersachsen reichlich: Fast 90 Prozent der Unternehmen im Bundesland haben weniger als zehn sozialversicherungspflichtig Beschäftigte (siehe Grafik). Für die Anwendbarkeit des ge- Rückgrat der Wirtschaft Die große Mehrheit der niedersächsischen Unternehmen sind Kleinbetriebe Prozentuale Anteile niedersächsischer Unternehmen 1) nach Beschäftigten 2) 0 bis 9 Beschäftigte 10 bis 49 Beschäftigte 8,4 1) Gesamt: 307427 Unternehmen 2) sozialversicherungspflichtig Beschäftigte 89,6 Prozent 1,7 0,3 50 bis 249 Beschäftigte 250 und mehr Beschäftigte Quelle: LSKN Grafik: Matthias Michel setzlichen Schutzes vor sozial ungerechtfertigter Kündigung etwa liegt die Grenze bei zehn Beschäftigten. Seit dem 1. Januar 2004 greift in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern der gesetzliche Kündigungsschutz. Die IHK sieht solche Firmen im Nachteil: Der Kündigungsschutz ist vielfach ein Einstellungshindernis, heißt es in einer Stellungnahme des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Kleine und mittlere Unternehmen fürchten bei konjunkturellen Flauten, aufgrund des Kündigungsschutzes die Beschäftigtenzahl nicht anpassen zu können, und sind bei Neueinstellungen daher zurückhaltend. Der Osnabrücker IHK-Sprecher Frank Hesse kritisiert zudem die vom Gesetzgeber uneinheitlich festgelegten Größenordnungen: Für Unternehmen ist es ungünstig, wenn es verschiedene Schwellenwerte gibt mal zehn Mitarbeiter, mal 15 Mitarbeiter, mal 25 Mitarbeiter, mal Umsatzgrenzen. Das erschwert die Handhabung in der Praxis. Grundsätzlich sei es richtig, Kleinunternehmen vor zusätzlichen Kosten zu schützen. Besser ist aber, bürokratische Regelungen ganz zu vermeiden. Auch bei der Teilzeit hat der Gesetzgeber die Grenze bei 15 Beschäftigten gezogen. Stellt ein Unternehmer den 16. Mitarbeiter ein, erhalten automatisch alle einen gesetzlichen Anspruch, nur noch in Teilzeit zu arbeiten. Der DIHK sorgt sich besonders um Betriebe, die über dieser Schwelle liegen, aber zu klein sind, um plötzliche Personalengpässe zu kompensieren. Er macht sich deshalb für eine Grenzziehung bei 50 Mitarbeitern stark. HWK-Hauptgeschäftsführer Ruschhaupt beobachtet indes, dass auch viele kleine Handwerksbetriebe unterhalb der 15- Mitarbeiter-Schwelle ihren Beschäftigten Teilzeitarbeit ermöglichen, um Arbeitskräfte einzustellen, die sie auf Vollzeitbasis nicht bekämen, etwa junge Mütter im Lebensmittel-Handwerk. Die Betriebe tun es einfach, sie finden einen Weg, sagt Ruschhaupt. Aufgekommen sei diese Praxis mit der wachsenden Schwierigkeit, auf dem Arbeitsmarkt Nachwuchskräfte zu finden. (Mit dpa) Kampf um Talente Erster Norddeutscher Kongress für Mitarbeiterbegeisterung slx/pm OSNABRÜCK. Der Kampf der Unternehmen um geeignete und qualifizierte Mitarbeiter wird härter. Insbesondere mittelständische Unternehmen sind vom Fachund Führungskräftemangel betroffen. Wie diese sich in Sachen Mitarbeiter-Attraktivität gegen die großen Markenanbieter erfolgreich durchsetzen können, zeigte jetzt der erste Norddeutsche Kongress für Mitarbeiterbegeisterung in Osnabrück. Die großen Markenanbieter können immer noch aus einem Überangebot an Bewerbern auswählen, während die mittelständischen Unternehmen gerade im ländlichen Raum enorm zu kämpfen haben, erläuterte Marketingexperte und Kongress-Initiator Michael Wiese von der dialog b2b GmbH vor 350 Teilnehmern in Osnabrück. Wiese hatte das eng getaktete Programm mit fünf Vorträgen international gefragter Business- Coaches und Professoren, fünf Praxisbeispielen aus der Region und fünf Workshops mit direkt umsetzbaren Handlungsempfehlungen zusammengestellt. Zu den Referenten zählte unter anderem die Business-Querdenkerin und Bestseller-Autorin Anja Förster, die dazu anregte, Mitarbeitern mehr selbstbestimmtes Arbeiten, professionelles Feedback und sinnvolle Tätigkeiten, die ihren jeweiligen Stärken entsprechen, zu bieten. Nur so würden sie motiviert, außergewöhnliche Leistungen zu zeigen und eigene Ideen zu entwickeln und umzusetzen, so Förster. Finanzielle Anreize verpuffen dagegen schon nach kurzer Zeit. Kreative Spielräume zur Förderung der Innovationskultur waren auch das Vortragsthema von Jan Birkhahn von Google Auf großes Interesse stießen die Vorträge beim ersten Norddeutschen Kongress für Mitarbeiterbegeisterung in Osnabrück. Foto: Gert Westdörp Deutschland, der über die Strategien des Konzerns zur Mitarbeiterbegeisterung sprach und Empfehlungen gab, die auch in kleineren und mittelständischen Betrieben umsetzbar seien. Feste Zeitfenster für freies Arbeiten in selbst gewählten Teams könnten dafür ein erster Ansatz sein. Viele der erfolgreichsten Google-Innovationen haben ihren Ursprung in solchen freien Teams, erklärte Birkhahn. Der Osnabrücker Wirtschaftspsychologe Professor Uwe Kanning rief dazu auf, wissenschaftliche Erkenntnisse in die Personalauswahl einzubeziehen und Vorstellungsgespräche systematisch vorzubereiten. Nur drei Prozent aller Unternehmen gehen im Recruiting nach wissenschaftlichen Kriterien vor. 47 Prozent entscheiden nach Sympathie, Aussehen und anderen ungenauen Faktoren. Martin Gaedt, Autor des Bestsellers Mythos Fachkräftemangel, riet den Unternehmern: Gehen Sie zu Bewerbern wie Fußball-Scouts. Dann klappt es auch mit den Talenten.

19 GELD & GESCHÄFT Sich gegen die NSA zu wehren wäre der finanzielle Ruin Der Osnabrücker IT-Sicherheitsexperte Andreas Weyert über die Vorzüge eines sparsamen Umgangs mit Daten VON SVEN KIENSCHERF OSNABRÜCK. Der Osnabrücker Andreas Weyert ist Experte für IT-Risiken. In mehreren Büchern gibt er Tipps, wie man sich vor Kriminellen schützen kann. Weyert erklärt, warum es vor der NSA keine Sicherheit gibt, wann Facebook zum Erpresser werden könnte und warum er GMX nicht traut. Herr Weyert, Ihr Metier ist die IT-Sicherheit. Mit Ihren Kenntnissen hätten Sie doch auch Cyberkrimineller werden und eine Menge Geld verdienen können. Ja, das hätte ich machen können. Ich bin aber so erzogen worden, dass ich die Moral bei meiner Arbeit nicht ausklammere. In der Tat hatte ich früher auch mal Anfragen, die aus der Ecke kamen. Ich habe allerdings immer kategorisch abgelehnt. Die Frage ist schlussendlich, ob man auf der dunklen Seite der Macht stehen möchte oder für sich wie ich für die gute Sache kämpft. Ab wann wird Hacken denn unmoralisch? Das fängt meiner Ansicht nach nicht erst dort an, wo der Gesetzgeber klare Schranken gefasst hat, sondern schon sehr viel früher: beispielsweise schon ab dem Zeitpunkt, an dem ich ein kommerziell zu vermarktendes Überwachungsprogramm schreibe, das am Ende in die Hände einer Diktatur fallen kann, die damit Dissidenten überwacht. Technik ist zunächst wertneutral. Es hängt von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab, in denen sie eingesetzt wird. Das ist das Dual-Use- Prinzip: Sie können mit dem Messer ein Schnitzel schneiden oder aber damit marodierend durch die Gegend ziehen. Entscheidend ist einzig und allein der Vorsatz. Berater und Buchautor: Andreas Weyert traut Google und Facebook so einiges Unangenehme zu vor allem für den Fall, dass es den Datenriesen einmal schlecht geht. Sie arbeiten für Privatfirmen. Haben Unternehmen gegen Geheimdienste wie die NSA überhaupt eine Chance? Ganz klar nein. Gegen die NSA die über unendliche Ressourcen zur verfügen scheint oder auch gegen den BND hat ein Unternehmen keine Chance. Auch aus der Tatsache heraus, dass es staatliche Abhörschnittstellen gibt. Würden Firmen die Mittel erwerben wollen, um sich gegen die Einsichtnahme durch Geheimdienste erfolgreich zur Wehr zu setzen, würde sie das in den finanziellen Ruin treiben. Gegen Cyberkriminelle gibt es dagegen sehr vielfältige Schutzmaßnahmen. Auch die Kriminellen rüsten immer weiter auf. In der Tat. Es ist ein Spiel von Jäger und Gejagtem, bei dem die Kriminellen die Jäger sind. Das Vertrackte ist: Als Jäger brauchen sie nur einmal Glück zu haben, als Gejagter müssen sie immer gewappnet sein. Auch für die Kriminellen ist das Netz eine Multimillionen-Dollar-Industrie. Dementsprechend pumpen sie Geld beispielsweise in die Entwicklung von Schadsoftware, auch wenn nicht unmittelbar, sondern erst langfristig etwas dabei herausspringt. Das ist wie mit der Mafia, die primär nachhaltig agiert und damit leider sehr erfolgreich zu sein scheint. Im Zuge der NSA-Affäre werben deutsche Unternehmen wie GMX und 1&1 mit der DE-Mail, die angeblich sicherer ist als das Pendant von Google oder Microsoft. Dem muss ich leider widersprechen. Das ist eher die Wahl zwischen Pest und Cholera. Die Rede ist ja auch immer mal wieder von einem deutschen Netz, was ja auch nicht im Sinne des Erfinders ist. Im Grunde ist die DE- Verschlüsselung auch keine neue Idee, sondern wird nur neu beworben. Mag sein, dass es dann für die NSA etwas schwieriger wird, auf die Daten zuzugreifen dafür wird es dem BND umso leichter gemacht, und der ist am Ende des Tages ein zuverlässiger Lieferant der USA. Es macht somit keinen Unterschied. Ein bisschen gesunde Paranoia bei dem Thema kann nicht schaden. Ich sollte mir bewusst sein, dass alles, was ich ohne besondere Verschlüsselung in einer Mail schreibe, von Dritten gelesen werden kann. Wer das ändern möchte, muss selber aktiv werden. Sind Facebook und Google gut oder böse? Einerseits stellen sie eine Menge von nützlichen Diensten kostenlos zur Verfügung. Im Gegenzug sammeln sie eine Menge Daten. Zum einen: Google hat meiner Ansicht nach die beste Suchmaschine der Welt. Zum anderen: Vieles, was Google macht, halte ich für bedenklich. Damit meine ich nicht nur die Dienste, die jetzt schon angeboten werden. Interessant sind die Zukäufe des Konzerns. Google hat ein Unternehmen gekauft, das internetfähige Haushaltsgeräte entwickelt, sich allerdings auch eine Robotik-Firma einverleibt, die für das US-amerikanische Militär vor allem im Bereich autonomer Laufroboter forscht und entwickelt. Ein gruseliger Gedanke, zumal Google vielleicht bald auch wissen wird, was Sie im Kühlschrank haben, wie viele Freunde abends bei Ihnen zu Besuch sind und ob Sie zu laute Musik hören. Mit den gesammelten Daten verkauft Google dann passgenaue Werbung. Na und? Oder Facebook oder Google schreibt Ihnen in 30 Jahren eine Mail und bietet Ihnen an, Ihre Daten zurückkaufen zu können. Oder kompromittiert Sie mit Daten von Foto: Swaantje Hehmann Jugendsünden, obwohl Sie gerade für das Amt des Bundeskanzlers kandidieren wollen. Das ist nicht Ihr Ernst, oder? Hoffentlich nicht. Aber Sie glauben nicht, was ein Unternehmen möglicherweise zu unternehmen gedenkt, wenn die Aktie auf Talfahrt ist. Niemand von uns kann in die Zukunft sehen. Es gehört zu meinen Aufgabenfeldern, auf potenzielle Risiken hinzuweisen. Hierbei handelt es sich um ein potenzielles Risiko. Vielleicht ein Unwahrscheinliches, aber die Möglichkeit besteht. Und das sollten Sie in Ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen. Angenommen, es wäre so. Was kann der gemeine Internetnutzer tun, der sich nicht eingehend mit dem Thema befassen will? Google ist nicht alles. Es gibt andere Dienste, auf die man ausweichen kann, um nicht alle Daten einem Konzern zu geben. Es gibt Suchmaschinen wie Duck- DuckGo oder StartPage, die einem nicht folgen. Es ist auch kein schlechter Rat, sich mit einer Form der Datensparsamkeit anzufreunden: Alles, was ich nicht von mir preisgebe, kann mich später nicht einholen. Wie können sich Start-up- Unternehmer, die wenig Geld haben, vor Hackern schützen? Die Faustformel lautet, dass man die Kronjuwelen im eigenen Safe behält. Das heißt, dass Gründer das wichtige Know-how, das den Kern des Unternehmens ausmacht, im Haus behalten und dieses auf eigenen IT-Systemen verarbeiten die dann natürlich auch angemessen betreut werden müssen. Ganz ohne geht es leider nicht. Die Dateninhalte allerdings, die seitens der Vertraulichkeit und der Integrität nicht ganz so bedeutsam sind, kann man gerne auch an externe Anbieter auslagern wie beispielsweise Cloud- Anbieter. Je nachdem, wie viel Platz man in Anspruch nimmt, gibt es da eine Reihe von sehr kostenlosen bis günstigen Möglichkeiten. Ich empfehle auf jeden Fall, einen Cloud-Anbieter zu wählen, mit dem ich einen Vertrag über die zu erbringenden Leistungen abschließe. Nur so sichere ich meinen Anspruch auf die Dienstleistungen. Wenn ich nichts bezahlen will, muss ich mir bewusst sein, dass die Daten irgendwann weg sein können, ohne dass ich mich beschweren kann. Unterschätzen kleinere und mittelständische Unternehmen die Gefahr, die von Cyberkriminellen ausgeht? Gerade kleine Unternehmer sind zu Beginn oft Generalisten, die alles machen, vom Personalmanagement bis hin zur IT-Verwaltung. Da kommt das eine oder andere mangels Zeit und wegen fehlenden Wissens oft zu kurz. In erster Linie müssen sie sich ja auf die Wertschöpfung konzentrieren. Deshalb: So, wie viele Unternehmer zuweilen die Dienstleistung beispielsweise eines Steuerberaters in Anspruch nehmen, sollten sie sich ab und an mit jemandem zusammensetzen, der Erfahrungswerte in der IT hat. Literaturtipps: Network Hacking, Andreas Weyert und Peter Kraft, Franzis Verlag; Hacking mit Kali, Andreas Weyert, Franzis Verlag 20 der 100 größten Firmen sha OSNABRÜCK/MEPPEN. 20 der 100 umsatzstärksten Unternehmen Niedersachsens haben ihren Sitz im IHK-Bezirk Osnabrück Emsland Grafschaft Bentheim. Die Industrie- und Handelskammer gab das aktuelle Ranking im Dezember bekannt. Spitzenreiter in der Region ist der Osnabrücker Logistikdienstleister Hellmann mit 3,3 Milliarden Euro, gefolgt von der Georgsmarienhütte Holding (Stahl) mit 2,7 Milliarden Euro und dem Kupferverarbeiter KME (2,3 Milliarden Euro) in Osnabrück. Das umsatzstärkste Unternehmen im Emsland ist die Speller Krone-Gruppe (Landmaschinen, Lkw-Auflieger) mit 1,5 Milliarden Euro. Zehn der 20 Größten sitzen in der Stadt Osnabrück, fünf im Emsland, vier im Landkreis Osnabrück und einer in der Grafschaft Bentheim. Erfolgreiche Apps aus Osnabrück sha OSNABRÜCK. Hellmann Process Management aus Osnabrück hat für seine Recyclingsuche-App eschrott den Bundespreis Ecodesign 2014 in der Kategorie Service erhalten. Der Preis wird vom Bundesumweltministerium und vom Bundesumweltamt verliehen. Die kostenlose App bietet Orientierung zur umweltfreundlichen Entsorgung von Elektrogeräten. Der Osnabrücker IT-Dienstleister MindQ liefert dem europäischen Vermittlungsnetz Enterprise Europe (EEN) eine App, mit der Unternehmen und Forschungseinrichtungen europaweit nach Kooperations-, Technologie- und Geschäftspartnern suchen können. Die App greift auf eine zentrale Datenbank in Brüssel zu. Das EEN-Netzwerk umfasst knapp 600 Mitgliedsorganisationen in 50 Ländern. Insolvenzen steigen weiter sha OSNABRÜCK/MEPPEN. Nachdem im ersten Halbjahr erstmals seit drei Jahren die Unternehmensinsolvenzen wieder angestiegen waren, hielt der Trend auch im dritten Quartal an. 216 Unternehmen haben im IHK-Bezirk Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim in den ersten neun Monaten Insolvenzanträge gestellt fast zehn Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Unterdessen gingen die Insolvenzen in Niedersachsen um 3,5 Prozent zurück. Den größten Pleitenzuwachs in der Region erlebte mit plus 77 Prozent das Verkehrsgewerbe, gefolgt von der Dienstleistungsbranche (plus 23 Prozent). Die IHK gab Teilentwarnung: In den Jahren zuvor sei die Insolvenzquote sehr niedrig gewesen, jetzt erlebe man eine Normalisierung. Sorge bereiteten aber die Folgen der Ukraine-Krise.

21 GELD & GESCHÄFT GELD & GESCHÄFT Arbeitsschutz könnte bald auch Stressschutz bedeuten Unternehmen in der Region versuchen, sicherer zu werden Immer weniger Arbeitsunfälle Kommt im neuen Jahr eine Anti-Stress-Verordnung? Direkt neben dem Roboter Der Psychologe Matthias Hartwig über den Arbeitsschutz der Zukunft Schwere Unfälle in der emsländischen Öl- und Gasindustrie. UPM Nordland Papier propagiert eine eigene Sicherheitskultur. Entwickelt sich Burn-out zur Volkskrankheit? VON CHRISTIAN SCHAUDWET GEESTE/LINGEN/DÖRPEN. Arbeit kann lebensgefährlich sein. Immer wieder kommen Menschen in der Region im Beruf zu Schaden. Die Gesamttendenz bei Arbeitsunfällen im Land ist allerdings seit Jahrzehnten fallend. Am 24. September traf es vier Männer auf dem Ölfeld Bramberge in der Nähe des Ortes Geeste im Emsland. Erdgas, ausgetreten aus einem Bohrloch des Unternehmens GdF Suez, entzündete sich und hüllte die Arbeiter in eine Feuersbrunst. Mit schwersten Brandverletzungen wurden sie in Spezialkliniken gebracht. Die Männer waren damit beschäftigt gewesen, ein Sicherheitsventil auf das Bohrloch zu schrauben ein KOTTE LANDTECHNIK, RIESTE RIESTE. Stefan Kotte könnte stundenlang fachkundig über Entwicklungen im Güllebereich, die punktgenaue Einbringung von Flüssigmist auf Feldern, über Substrate oder Ausgasungen referieren. Doch beim Stichwort Arbeitsschutz in der Landtechnik redet der Unternehmer aus Rieste (110 Beschäftigte, 43 Mio. Euro Umsatz der GmbH im Jahr 2013) zunächst über den ganz normalen, alltäglichen Straßenverkehr. Unsere Wagen sind ja sehr viel größer geworden, betont er, die Schlepper sind viel schneller geworden. Die Geschwindigkeiten, die auf den Straßen gefahren werden, sind inzwischen Gerät, das genau solche Unfälle verhindern soll. Im Juni begrub herabfallendes Metallgranulat einen Arbeiter unter sich, als dieser ein 40 Meter hohes Silo in der Raffinerie des Ölkonzerns BP in Lingen wartete. Sauerstoff aus seinem Atemschutzgerät reagierte mit Kühlungsstickstoff aus dem Silo. Der Mann erlitt schwerste Verbrennungen und starb. Tödliche Arbeitsunfälle in Deutschland haben in der ersten Hälfte des Jahres zugenommen. 211 Menschen kamen bei Unfällen während der Arbeitszeit ums Leben. Das waren 14 Arbeitnehmer mehr als im ersten Halbjahr 2013, teilte die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) Ende Oktober mit. Die meisten tödlichen Unglücke geschahen im Bereich der Berufsgenossenschaften Holz und Metall (53), Transport- und Verkehr (49) sowie in der Bauwirtschaft (46). In vielen größeren Produktionsbetrieben wird in Schichten gearbeitet, einer Beschäftigungsform, die Arbeitsunfälle der Statistik nach möglicherweise begünstigt. Das zeigt ein Bericht des Statistischen Bundesamts. 2013 hatten danach 2,9 Prozent aller Erwerbstätigen einen Arbeitsunfall. Bei den Erwerbstätigen in Schichtarbeit waren es 4,2 Prozent. Der Grund muss jedoch nicht zwingend sein, dass Arbeitnehmer wegen der Schichtarbeit müder und unkonzentrierter sind und deswegen wesentlich höher. Und die Masse, die insgesamt bewegt wird, ist deutlich größer geworden. Damit seien aber auch die Risiken gestiegen. Für ihn den deutschen Marktführer im Bereich der Gülletechnik und gleichzeitig Produzenten sogenannter Bodenbearbeitungsgeräte gehe es deshalb darum, diesen Entwicklungen und Herausforderungen Rechnung zu tragen, um langfristig wettbewerbsfähig zu sein. Aus immer größeren Maschinen und wachsenden Geschwindigkeiten entwickeln sich, so Kotte, ja so starke dynamische Kräfte, die doch teilweise unterschätzt werden. Der studierte eher einen Unfall haben. Es kann auch daran liegen, dass die Berufe, in denen Schicht gearbeitet wird, besonders gefährlich sind. Besonders groß ist die Unfallgefahr im Bereich Land-, Forst- und Tierwirtschaft sowie im Gartenbau. Von den Erwerbstätigen in den Bereichen hatten 5,9 Prozent einen Arbeitsunfall. Hoch ist die Zahl auch im Bereich Bau, Architektur, Vermessung und Gebäudetechnik (5,1 Prozent). Ein sehr geringes Unfallrisiko haben Beschäftigte in Büroberufen (1,3 Prozent). Insgesamt jedoch sank die Zahl der gemeldeten Arbeitsunfälle im ersten Halbjahr 2014 mit 430 939 bundesweit leicht um ein Prozent ein Trend, der seit Jahrzehnten zu Immer wieder Kritik an Kosten und starren Regeln. Dann ein Schulbus das wäre der GAU Augenmerk auf Verkehrssicherheit: ein Selbstfahrerdes Landtechnik-Herstellers Kotte. Volkswirt beschreibt es mit einem einfachen Beispiel: Wenn auf dem weiten Acker das Fass mal kurz zu weit nach rechts lenkt, ist das in der Regel nicht so dramatisch. Aber wenn das landwirtschaftliche Fahrzeug auf der Straße kurz nach links ausschert, und dann kommt ihm ein Schulbus entgegen, dann wäre das der GAU. Deswegen sehen wir da ein wesentlich höheres Gefährdungspotenzial. Also haben wir unseren Hauptfokus in Sachen Technik darauf ausgelegt. Die sogenannte Sicherheitsnorm für Flüssigmisttankwagen, die Maschinenrichtlinie der EU, die ISO- Foto: KotteLandtechnik Produkthaftungsregeln, spezielle Sicherheitskonzepte für jedes Fahrzeug, immer mehr Sensorik und Automatismen das alles gelte es bei der Entwicklung und Konstruktion der Maschinen zu berücksichtigen. Ob es sich dabei um ein eher traditionelles Gefährt oder einen hochmodernen, satellitengesteuerten Selbstfahrer mit vier Achsen und einem 32000-Liter-Behälter handelt, ist zunächst einmal egal. Die Welt hat sich eben dramatisch verändert in den letzten Jahren. Entsprechend mussten wir uns dann auch anpassen, sagt Kotte. Das ist schon aufwendiger geworden. Er spielt auch auf immer mehr zu erbringende Nachweise im Bereich der Sicherheit an: Das haben wir zuletzt gemerkt, als wir unser neues Lenksystem auf den Markt gebracht haben. Da haben wir echt einen dicken Ordner produziert, bis wir das TÜV-Prozedere abgewickelt hatten. Aber früher gab es so etwas ja auch gar nicht. Und die Kunden und deren Blick auf ein Mehr an Sicherheit? Die Beratungsgespräche sind schon sehr intensiv, schildert Kotte, der Güllewagen ist etwas sehr Individuelles. Den kann man nicht verkaufen wie einen Mähdrescher oder Schlepper. Die Ansprüche der Kunden seien deutlich gestiegen. Es geht da um langlebige Investitionsobjekte. Die Landwirte und Lohnunternehmer, die heute investieren, das sind schon richtige Unternehmer. Ganz anders als früher ein einfacher Bauer. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft sei da, so Kotte, das Anspruchsdenken ist anders. Auch in Sachen Sicherheit. Marcus Alwes Mi t gesundheitsgefährdenden Substanzenhantieren Mitarbeiterdes Recycling-Dienstleisters Remond dis in Riesteim OsnabrückerLand.DieSicherheitsstandards in Unternehmen steigen seit Jahren,dieArbeitsunfällewerden weniger. beobachten ist. Anfang der Sechzigerjahre hatten die zuständigen Berufsgenossenschaften an die drei Millionen meldepflichtige Arbeitsunfälle registriert. Im Jahr 2012 waren es 969860. Strengere Vorschriften, moderne Produktionsweisen und Sicherheitstechnik haben das Arbeiten in Deutschland weniger gefährlich für Leib und Leben gemacht. In jüngster Zeit vollzieht sich ein weiterer Bewusstseinswandel: Der Trend gehe weg vom Arbeitsschutz in Form von Regeln, die Unternehmen aufgezwungen werden, und hin zu einer Sicherheitskultur, sagt Matthias Hartwig (siehe Interview), Arbeitswissenschaftler und Experte für Mensch-Maschine-Interaktion an der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) in Dortmund. Unternehmen begreifen das als Wettbewerbsvorteil für sich zum Erhalt von Mitarbeitern und als Pluspunkt im Wettbewerb um neue Mitarbeiter. Eine eigene Sicherheitskultur propagiert auch das Management des Papierwerkes UPM Nordland im emsländischen Dörpen. Das Werk mit rund 1700 Beschäftigten gehört zum finnischen Papier- und Holzproduktekonzern UPM. Dieser stellte seine Arbeitsschutzbemühungen im Jahr 2013 plakativ unter das Motto Wir können alle Unfälle vermeiden, veranstaltete seine erste Sicherheitswoche und ruft seitdem jeden Monat unternehmensweit ein konkretes Sicherheitsthema aus. 2013 habe man die Rate von Unfällen, die Arbeitsausfälle zur Folge hätten, um 40 Prozent gesenkt, ist im UPM-Geschäftsbericht zu lesen. Das Dörpener Werk erhielt im Mai 2014 den konzerninternen Frontrunner Safety Award, mit dem UPM gute Kennzahlen bei der Arbeitssicherheit honoriert. Doch Arbeitssicherheit kostet Geld. Immer wieder gebe es aus den Unternehmen kritische Äußerungen, die besonders die Kosten und den mit Arbeitsschutz häufig einhergehenden bürokratischen Aufwand beklagten, berichtet die Industrie- und Handelskammer Osna- Bent- brück-emsland-grafschaft heim. Zudem dürfte von der Politik vorgegeben das Feld größer wer- auf dem Firmen sich künftig den, mit Arbeitsschutzregeln beschäfti- müssen: Bundesarbeitsministe- gen rin Andrea Nahles (SPD) will 2015 erste Kriterien für eine Anti-Stress- Verordnung vorlegen. Es gibt unbestritten einen Zusammenhang zwischen Dauererreichbarkeit und der Zunahme von psychischen Erkrankungen, das haben mittlerweile auch die Arbeitgeber anerkannt, wurde Nahles im Sommer von der Rheinischen Post zitiert. REMONDIS INDUSTRIE SERVICE, ACHMER Größter Spraydosen-Entsorger ACHMER. Der schwere Lkw-Unfall auf der B68 im benachbarten Wallenhorst Anfang Dezember sorgte für dramatische Szenen. Explodierende Spraydosen. Feuer, Rauch, Verletzte. Eine Spur der Verwüstung rund um die viel befahrene Bundesstraße. Wir besprechen schon solche Dinge, ob und was das gegebenenfalls auch für uns und unsere Abläufe bedeutet, sagt Reinhard Preuschoff. Er ist der Fachmann für die Arbeitssicherheit bei Remondis Industrie Service in Bramsche-Achmer. Dort, wo täglich nicht ungefährliche Stoffe ankommen und final bearbeitet werden. Beispiel: Spraydosen Dieses Thema ist für uns insofern interessant, als wir eigentlich der größte Spraydosen-Entsorger in Europa sind, sagt Preuschoff. 150 Menschen arbeiten hier. Entweder werden die Dosen in Achmer in vergleichsweise sicheren, mit Luftschlitzen versehenen Metallbehältern angeliefert oder in ganz einfachen Kartons. Häufig leer, manchmal halb leer, gelegentlich auch voll. Für Preuschoff und die, die sich bei Remondis um die Arbeitssicherheit kümmern, immer wieder eine Herausforderung. Das Risiko war und ist stets groß, wo Propan-Butan im Spiel ist, sagt der Experte. Ebenjenes leichter entzündliche Propan-Butan, das einst in den Dosen den Ozonkiller FCKW ablöste. Wie schafft man es also, ein Material so zu behandeln, ohne dass diese Explosionsgefahr in diesem Ausmaß da ist?, fragt Preuschoff. Um eine Antwort auf diese Frage gehe es regelmäßig. Mehrere Hürden seien dabei zu nehmen. Mit einem Abfallerzeuger Auch die Analyse von Stoffen zählt zum Arbeitsschutz. Foto: Swaantje Hehmann seien generell zunächst der Transportweg und die Transportart in das Industriegebiet nach Bramsche zu klären. Das Ganze läuft über das sogenannte Entsorgungsnachweisverfahren. Dazu gehört auch die Deklarationsanalyse, also die Betrachtung des Stoffes, erläutert Benedikt Gerbrand, der Technische Leiter der Remondis-Niederlassung. Dann kommt die behördliche Bestätigung von der Niedersächsischen Gesellschaft für Sonderabfall. Wenn das passiert ist, sind wir auch legitimiert, diesen Sonderabfall hier zu übernehmen, sagt Gerbrand. Aber auch das Personal in Achmer werde konkret auf jeden Einzelfall vorbereitet. Von allen einzelnen Bereichen werden Gefährdungsbeurteilungen gemacht. Das ist die Grundlage, um solche Prozesse steuern zu können. Darauf sind die Mitarbeiter Foto: SwaantjeHehmann Die Ministerin weiß in der anstehenden Debatte den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) hinter sich. Dessen Vizechefin warnte kürzlich, Burn-out drohe zur Volkskrankheit zu werden Überstunden, ausgefallene Pausen, Schichtarbeit, Rufbereitschaft und schlicht zu viele Aufgaben das gehört mittlerweile für Millionen von Beschäftigten zum Alltag, sagte Buntenbach der Zeitung Die Welt und bekräftigte die Forderung nach einer Anti-Stress-Verordnung. Bundeskanzlerin Angela Merkel und weitere CDU-Politiker hingegen haben sich zu dem Vorstoß bereits ablehnend geäußert. (Mit dpa) bei uns eingestellt und geschult, hebt Preuschoff hervor. Es gebe auch gelegentliche Brandschutzübungen. Zudem regelmäßig klassische Sicherheitsunterweisungen und Gefahrstoffbetrachtungen. Alles werde betriebsärztlich begleitet. Auf drei Anlagentypen werden schließlich die Industrieabfälle, die Schadstoffe enthalten, verteilt. Ätzend, giftig oder leicht entzündlich können sie sein. Wir gucken uns generell an, ob unsere Anlagen geeignet sind. Und wir formulieren entsprechende Annahmebedingungen, sagt Gerbrand: Da, wo wir wissen, das können wir nicht behandeln, das lehnen wir auch konsequent ab. Für das, was in Achmer angenommen wird, gibt es nach der Anlieferung eine Vorsortierung. Weil wir für unseren Verfahrensprozess eine gewisse Sicherheit brauchen, damit keine sogenannten Fehlwürfe in der Lieferung drin sind. Fehlwürfe sind eben solche Stoffe, die den Prozess stören könnten, erläutert Preuschoff. Die eigentliche Anlage, das ist dann ein Reaktor. Da muss man sich wie eine Küchenmaschine vorstellen. Wir sorgen dabei dafür, dass keine explosionsfähige Atmosphäre mehr entstehen kann. Dann werden beispielsweise die Spraydosen in dem Reaktor zerschlagen. Doch Gerbrand und Preuschoff sagen auch, Sicherheit sei niemals perfekt. Auch nicht bei Remondis Industrie Service. Denn den Faktor Mensch dürfe niemand verkennen. Ein Restrisiko ist somit immer da. Der folgenreiche Unfall im benachbarten Wallenhorst hatte das einmal mehr gezeigt. Marcus Alwes VON CHRISTIAN SCHAUDWET DORTMUND. Der Arbeitswissenschaftler und Psychologe Matthias Hartwig sagt angesichts vernetzter Produktion in der Industrie neue Anforderungen an den Arbeitsschutz voraus. Hartwig ist Experte für Mensch-Maschine-Interaktion an der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund. In der sogenannten Industrie 4.0 sollen Maschinen selbstständig miteinander kommunizieren. Digitale Vernetzung soll Betriebe produktiver machen. Wenn es so kommt: Was erwartet den Menschen? In diesem Trend steckt ein ganzer Strauß von Chancen und Risiken hauptsächlich in den sogenannten Cyberphysical Systems, die Personen mit Information und Arbeitsmitteln vernetzen. Ihre Integration kann den Spielraum erhöhen, in dem man Arbeitsplätze und -prozesse gestaltet. Was sind die Risiken? Bei wenig menschengerechter Gestaltung können Probleme für die Arbeitssicherheit und die Mitarbeitergesundheit entstehen. Zum Beispiel? Bei der sogenannten Pick-by- Light-Technologie in der Logistik wird ein Mitarbeiter durch ein Head-mounted-Display, eine Art Datenbrille, im Lager zu dem Artikel geleitet, den er holen soll. Das kann seinen Handlungsspielraum erheblich einschränken. Im schlimmsten Fall ist der Arbeitnehmer nur noch damit beschäftigt, angezeigten Artikeln nachzulaufen. Das ist nah an der Negativ-Vision, dass Menschen nur noch Resttätigkeiten erledigen, die Cyberphysical Systems autonom nicht leisten können. In diesem Szenario werden die Menschen also zu Handlangern der Maschinen? Drastisch formuliert ist das das zentrale Risiko. Das heißt nicht, dass es so kommen muss. Denn auf der anderen Seite steht die Chance, Arbeit menschengerechter zu machen, Systeme intuitiv und lernförderlich zu gestalten. In diesem Szenario erkennt die Technologie durch Sensorik sehr viel und passt sich dem Menschen und seinen Nutzungsbedingungen an. Sie beschreiben die psychischen Auswirkungen. Welche physischen kann die Industrie 4.0 haben? Momentan wird in diesem Zusammenhang viel über die Interaktion zwischen Mensch und Roboter gesprochen. Bisher setzt man in der Produktion zwischen Industrieroboter und Menschen sogenannte Schutzzäune, also physische Barrieren. Aber bei immer ausgereifterer Sensorik und dem Streben nach möglichst reibungslosen Abläufen kommt jetzt der kollaborierende Einsatz in die Diskussion: Dabei arbeitet der Mensch direkt neben dem Roboter ohne trennende Schutzvorrichtung. Das passiert in einigen Unternehmen bereits. Sicherheit wird hier gewährleistet durch optische oder durch Berührungssensoren, die erkennen, ob da ein Mensch im Weg ist, ob Kollisionsgefahr besteht. Wenn ja, stoppt der Roboter seine Bewegung. Das klingt ein wenig nach den Robotergesetzen des Science- Fiction-Autors Isaac Asimov, die in der Literatur den Schutz des Menschen vor Robotern garantieren sollen?* Ein wenig schon. Aber von so komplexen Verhaltensanforderungen wie denen der Asimov schen Gesetze ist man natürlich noch weit entfernt. In der aktuellen Forschung geht es eher um die ganz konkrete Umsetzung, etwa die Frage: Können solche sensorischen Systeme dieselbe Sicherheit gewährleisten wie Schutzbarrieren? Matthias Hartwig Foto: privat Hat sich die Sichtweise von Unternehmen auf den Arbeitsschutz in den letzten Jahren verändert? Das Bewusstsein hat sich verschoben weg vom Arbeitsschutz in Form von Regeln, die Unternehmen aufgezwungen werden, und hin zu einer Sicherheitskultur bis hin zu einer Vision zero, also null Arbeitsunfälle. Unternehmen begreifen das als Wettbewerbsvorteil für sich zum Erhalt von Mitarbeitern und als Pluspunkt im Wettbewerb um neue Mitarbeiter. Ich beobachte, dass Unternehmen sehr offensiv damit werben, dass sie viel Energie in dieses Thema stecken. Fällt kleinen Unternehmen Arbeitsschutz schwerer als großen? In der Fachwelt erlebe ich kleine Unternehmen als genauso engagiert wie große, aber oft haben sie für Arbeitsschutz einfach weniger Ressourcen zur Verfügung. Arbeitsschutz verursacht proportional mehr Aufwand, wenn man über weniger Arbeitsplätze verfügt. Eine Gefährdungsbeurteilung für einen Arbeitsplatztyp kostet weniger, wenn ich sie auf 100 Arbeitsplätze anwenden kann, als wenn fünf Arbeitsplätze betroffen sind. Deshalb berücksichtigen wir kleine und mittlere Unternehmen beim Wissenstransfer besonders. Die Bundesanstalt legt großen Wert darauf, Informationen so praxistauglich zur Verfügung zu stellen, dass sie besonders auch kleinen und mittleren Unternehmen nützen. * Die Grundregeln des Roboterdienstes aus der Kurzgeschichte Runaround von Isaac Asimov, 1942 1. Ein Roboter darf kein menschliches Wesen verletzen oder durch Untätigkeit gestatten, dass einem menschlichen Wesen Schaden zugefügt wird. 2. Ein Roboter muss den ihm von einem Menschen gegebenen Befehlen gehorchen es sei denn, ein solcher Befehl würde mit Regel eins kollidieren. 3. Ein Roboter muss seine Existenz beschützen, solange dieser Schutz nicht mit Regel eins oder zwei kollidiert.

22 DONNERSTAG, 18. DEZEMBER 2014 GELD & GESCHÄFT Vom Haftpflichtverband zum Weltkonzern Talanx sieht sich trotz Schwierigkeiten auf Kurs VON STEFAN WOLFF HANNOVER. Die niedrigen Zinsen der Europäischen Zentralbank (EZB) sollen das Kreditgeschäft ankurbeln und die Teuerung nach oben treiben. Für Sparer und die Versicherungsbranche sind sie eine Katastrophe. Den Assekuranzen fällt es schwer, ihre Zinsversprechen von damals einzuhalten und die nötigen Rücklagen für Schadensfälle zu bilden. Der Talanx-Konzern mit Sitz in Hannover sieht sich trotz der Schwierigkeiten auf Kurs. Mit 3,4 Prozent verzinsen Lebensversicherer derzeit im Durchschnitt die Einlagen ihrer Kunden. Bundesanleihen mit zehn Jahren Laufzeit werfen nur etwa 0,7 Prozent Zinsen ab. Die durchschnittliche Verzinsung deutscher Staatspapiere liegt sogar noch darunter. Kein Wunder also, dass die Branche ächzt. Dennoch wird Geld verdient. Talanx hat in den ersten neun Monaten des Jahres das Konzernergebnis auf 530 (Vorjahreszeitzraum: 528) Millionen Euro steigern können und die Gewinnprognose für das Gesamtjahr bestätigt. Der Geschäftsverlauf liegt trotz erheblicher Großschäden im Geschäftsbereich Industrieversicherung und dem Wegfall von Sondereffekten aus dem Vorjahr innerhalb unserer Erwartungen, hatte Herbert K. Haas, Vorstandsvorsitzender der Talanx AG, bei Vorlage der Zahlen gesagt. Für das Jahr 2015 will Talanx das für 2014 angestrebte Jahresziel von 700 Millionen Euro überschreiten. Die Wurzeln der Talanx AG reichen 111 Jahre zurück. In Frankfurt/Main gründeten 176 Unternehmen und sechs Berufsgenossenschaften den Haftpflichtverband der deutschen Eisen- und Stahlindustrie. 1919 wurde der Firmensitz von Saarbrücken nach Hannover verlegt. Im Laufe der Jahre kommen weitere Versiche- Börsengang hat dem Versicherer 570 Millionen Euro gebracht. rungsgruppen hinzu. Als sich das Unternehmen 1936 in Haftpflichtverband der deutschen Industrie (HDI) umbenennt, versichert es auch Kraftfahrzeuge und unterhält eine Rückversicherung. Heute ist das Geschäft der Talanx AG in fünf Bereiche aufgeteilt. Das klassische Industriegeschäft steht neben dem Privat- und Firmenbereich Deutschland und International. Das Rückversicherungsgeschäft und ein Bereich mit Finanzdienstleistungen kommen hinzu. Die Rückversicherung wird im Talanx-Konzern fast ausschließlich von der Hannover-Rück-Gruppe betrieben, einer der führenden Rückversicherungsgruppen der Welt, die 1969 gegründet wurde. Das klassische Versicherungsgeschäft wird von mehreren Marken betrieben. In Deutschland dürften die Namen HDI, HDI Gerling und Neue Leben am bekanntesten sein. Außerdem betreibt Talanx die Versicherungsgeschäfte der Postbank (PB Versicherungen) und der Targobank (Targobank Versicherungen). Das Auslandsgeschäft konzentriert sich auf Osteuropa. Talanx ist hier mit Magyar Posta Biztosító, Warta, CIV Life und TU Europa vertreten. Im Jahr 1994 brachte der Konzern die Hannover Rück an die Börse. Der Rückversicherer ist Der Firmensitz der Versicherungsgruppe Talanx in Hannover. Deutschlands Nummer zwei (nach der Münchener Rück) und war sogar ein halbes Jahr lang Mitglied im Deutschen Aktienindex (Dax). Das Unternehmen war am 23. März 2009 für den Chiphersteller Infineon aufgerückt, musste aber am 21. September des gleichen Jahres wieder weichen. Infineon stieg erneut auf. Die Mitgliedschaft im M-Dax der 50 wichtigsten Nebenwerte wackelt nicht. Mit dem Börsengang der Rückversicherungstochter wollte Talanx vor allem Wachstum finanzieren. Er ermöglichte Investitionen, besonders im Geschäftsfeld Lebensversicherungen, um den nötigen Risikoausgleich im Konzern zu verstärken, heißt es in der Chronik des Konzerns. Mit dem eigenen Börsengang tat sich das Unternehmen ungleich schwerer. 1996 wurde die Talanx AG als Finanzholding gegründet. Seit 2003 wurde über einen Börsengang spekuliert. Die Pläne wurden mehrfach auf Eis gelegt. 2012 gelang die Übung dann doch. Anfang September kündigten die Hannoveraner den Börsengang an, zogen wenige Tage vor dem geplanten Debüt zurück, um dann doch auf dem Parkett zu erscheinen. Am 2. Oktober 2012 gingen die Aktien zum Kurs von 19,05 Euro an den Start. Damit war der größte Börsengang in Deutschland seit November 2007 geglückt. Insgesamt nahm Talanx 570 Millionen Euro Foto: dpa ein. Geld, das in weitere Zukäufe und in den Schuldenabbau floss. Argentinien, Uruguay, Mexiko und Brasilien sind nur ein paar Länder, die Talanx zuletzt zu seinen Wirkungsgebieten hinzufügte. Nicht alle Beteiligungen sind derweil für die Ewigkeit. Vor ein paar Tagen veräußerte Talanx seine restlichen Anteile an Swiss Life. Die Erträge in Höhe von 214 Millionen Euro werden in die Bilanz des vierten Quartals einfließen. Talanx-Aktien werden im Computerhandelssystem Xetra sowie an den Börsen Frankfurt, Hannover und Warschau gehandelt. Seit Dezember 2012 sind sie Mitglied im M-Dax. Aktuell liegt der Kurs bei 25 Euro. Tiefrote Zuversicht bei Hoeft & Wessel Reisekonzern Tui freut sich über volle Hotels und Kreuzfahrtschiffe VON STEFFEN WEYER UND HEIKO LOSSIE dpa HANNOVER. Europas größter Reisekonzern Tui geht mit einem deutlichen Gewinnsprung in die Verschmelzung mit seiner Veranstaltertochter Tui Travel. Beim angeschlagenen Automatenhersteller Höft & Wessel sorgen pralle Auftragsbücher in Zeiten tiefroter Zahlen für Zuversicht. Mit einem Kursplus von über 23 Prozent legte die Tui-Aktie im Niedersächsischen Aktienindex dem Nisax 20 nach dem Düfte-Produzenten Symrise die zweitbeste Wertentwicklung hin. Im Ende September beendeten Geschäftsjahr 2013/2014 stieg der um Sondereffekte bereinigte operative Gewinn um 14 Prozent auf knapp 869 Millionen Euro. Unter dem Strich gelang Tui mit 105 Millionen Euro die Rückkehr in die Gewinnzone, nachdem ein Jahr zuvor nach angepassten Zahlen ein Verlust von 11 Millionen Euro angefallen war. Sowohl im Veranstaltergeschäft als auch bei den Kreuzfahrten und den konzerneigenen Hotels lief es besser. Der Umsatz legte um ein Prozent auf 18,7 Milliarden Euro zu. Für das laufende Geschäftsjahr fasst Tui-Chef Friedrich Joussen weitere Steigerungen ins Auge. Die Tochter Tui Travel plc, an der der Mutterkonzern bisher 54 Prozent der Anteile hält, soll nun komplett übernommen werden. Schlusslicht im Nisax 20 in der Dreimonatsauswertung war der Automatenhersteller Höft & Wessel in Hannover. Allerdings wiesen die Bestelleingänge Ende September mit knapp 54 Millionen Euro Kursverlauf TUI AG September Kursverlauf Höft & Wessel AG September Oktober 2,8 2,6 2,2 2,0 1,8 1,6 Oktober 14,0 13,5 13,0 12,5 12,0 11,5 10,5 10,0 9,5 deutlich mehr Wert auf als ein Jahr zuvor (40 Millionen Euro). Allen voran habe die Deutsche Bahn im dritten Quartal einen rund 15 Millionen Euro schweren Großauftrag eingereicht, mit dem Zugbegleiter mobile Höft-&-Wessel-Ticketgeräte erhalten sollen, teilt das Unternehmen mit. Bei den aktuellen Zahlen ist die Lage jedoch ernst, was den Angaben zufolge an verlustbringenden Altprojekten liegt. Die Neunmonatsbilanz nennt Verzögerungen November November Angaben in Euro Dez. Angaben in Euro Dez. mit erheblichen Mehraufwendungen, verschobenen Zahlungseingängen und der Bindung von Personalkapazitäten. Nach der Rosskur samt Übernahme durch den Düsseldorfer Investor Droege vor gut einem Jahr seien die Weichen für die Wende nun aber gestellt, heißt es aus dem Unternehmen. Doch aufs bisherige Jahr gerechnet, liegt der Verlust bei 7,39 Millionen Euro binnen Jahresfrist rund 80 Prozent Verschlechterung. Kurz notiert Übernahmen: Der Osnabrücker Autoteile-Großhändler Wessels + Müller bereitet den Kauf der Unternehmensgruppe Trost in Stuttgart vor. Sie zählt 4000 Mitarbeiter und verbucht einen Jahresumsatz von 800 Millionen Euro und ist damit kaum kleiner als Wessels + Müller (WM). Die Unternehmen sollen weiterhin unabhängig voneinander geführt werden und parallel im Markt der freien Teilehändler agieren. Die Fleisch- und Feinkostgruppe Heristo in Bad Rothenfelde übernimmt laut einem Bericht der Lebensmittelzeitung das Düsseldorfer Start-up-Unternehmen Youcook. Demnach will Heristo mit dem Hersteller von Convenience- Ware seine Feinkostfertiggerichtesparte stärken. Eröffnung: Die Maschinenfabrik Bernard Krone hat im emsländischen Spelle ihr neues Technologiezentrum eröffnet. Es beherbergt vor allem Forschung und Entwicklung. Seit 2010 plante das Unternehmen die Maschinenfabrik der Zukunft und investierte rund 50 Millionen Euro. Umgebaut: Nach seiner Firmenzentrale im Speicher III hat der Osnabrücker Logistiker Hellmann jetzt die nächsten Räume umgebaut und bezogen: Im alten Hauptgebäude an der Elbestraße ist auf 262 Quadratmeter Fläche ein neues Dispositionszentrum entstanden. Von dort aus koordinieren 35 Mitarbeiter den Einsatz von mehr als 100 Lastwagen. Umsatzsprung: Das Technologieunternehmen Harting aus Espelkamp ist zufrieden mit dem Geschäftsjahr 2013/14: Der Umsatz stieg um satte 13 Prozent auf 547 Millionen Euro, mehr als 230 neue Arbeitsplätze wurden geschaffen. Zudem hat das Familienunternehmen die Auszeichnung Fabrik des Jahres erhalten. Mit einem neuen Logistikzentrum schafft die Technologiegruppe bis 2017 die Grundlage für einen Milliardenumsatz. Ehrung: Die chinesische Provinz Zhejiang hat dem Osnabrücker Unternehmer Hans-Wolf Sievert ihren Xihu-Freundschaftspreis für besondere Verdienste um die deutsch-chinesischen Beziehungen verliehen. Die Sievert-Gruppe (Baustoffe) ist seit den Achtzigerjahren in China tätig. Erweitert: Der Chemiekonzern BASF hat die Produktion am Standort Lemförde erweitert: Anfang Dezember ist eine neue Anlage für thermoplastisches Polyurethan in Betrieb genommen worden. Mit dem Neubau sei die bislang größte Einzelinvestition der Lemförder Sparte BASF Polyurethanes getätigt worden. Konkret geht es um einen Betrag in mittlerer zweistelliger Millionenhöhe. Aus Wettbewerbsgründen werde keine genaue Summe genannt. Rückzug: Bei der Nordwestbahn (NWB) stellt künftig allein Veolia Verkehr Regio (Berlin) die Weichen: Die Stadtwerke Osnabrück und die Verkehr und Wasser GmbH Oldenburg ziehen sich zugunsten von Veolia zurück. Veolia verspricht, die NWB bleibe ein in der Region fest verwurzeltes Unternehmen und ein verlässlicher Partner für Fahrgäste, Aufgabenträger und Geschäftspartner. Auswirkungen auf die Arbeitsplätze oder den Firmenstandort Osnabrück hat diese rein unternehmerische Entscheidung nicht, sagte ein Veolia-Sprecher. Installiert: GE Renewable Energy mit Sitz in Salzbergen hat die weltweit 25 000. Windenergieanlage des Unternehmens gefeiert. Die Anlage wurde Mitte November in einem Windpark in Uthlede bei Bremen errichtet. Osnabrück vor Berlin sha OSNABRÜCK. Die Region Osnabrück lässt in einem Ranking des Magazins Wirtschaftswoche und der Deutschen Bank Städte wie Hamburg, Stuttgart und Berlin hinter sich. Im Atlas der Wirtschaftszentren liegt Osnabrück auf Platz vier. Die Autoren der Analyse berücksichtigten besonders die Stärken regionaler Unternehmen. In der Nachbarschaft belegt Münster den zehnten, Paderborn den 20. Platz. Die Analyse hebt Firmen hervor, die erfolgreich im Hintergrund wirtschaften, und nennt den Eishersteller R&R Ice Cream. HERAUSGEBER: Verleger Hermann Elstermann und Prof. Dr. Dres. h. c. Werner F. Ebke GESCHÄFTSFÜHRER: Laurence Mehl und Christoph Niemöller CHEFREDAKTION: Ralf Geisenhanslüke (Chefredakteur), Dr. Berthold Hamelmann (stellvertretender Chefredakteur), Burkhard Ewert (Newsdesk-Leitung) KOORDINATION: Sven Lampe, Christian Schaudwet AUTOREN DIESER AUSGABE: Marcus Alwes, Carolin Appelbaum, Winfried Beckmann, Stefan Buchholz, Manfred Fickers, Heimo Fischer, Dirk Fisser, Dr. Berthold Hamelmann, Lothar Hausfeld, Wilfried Hinrichs, Katrin Jäger, Kim Karotki, Holger Keuper, Sven Kienscherf, Alexander Klay, Sven Lampe, Christoph Lützenkirchen, Thomas Niemeyer, Harald Preuin, Christian Schaudwet, Désirée Therre, Uwe Westdörp, Jürgen Westerhoff, Stefan Wolff, Thomas Wübker REDAKTION V.i.S.d.P.: Ralf Geisenhanslüke FOTOGRAFEN: Marcus Alwes, Stefan Buchholz, Ingo Daute, Michael Gründel, Swaantje Hehmann, Kim Karotki, Helmut Kemme, Rolf Kamper, Holger Keuper, Klaus Lindemann, Thomas Osterfeld, Elvira Parton, Stefanie Preuin, Conny Rutsch, Gert Westdörp, Thomas Wübker, Dave Ziegenhagen GRAFIK: Matthias Michel, Malte Knaack VERLAG: Neue Osnabrücker Zeitung GmbH & Co. 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23 Vorbereitet auf den Fall der Fälle GELD & GESCHÄFT Niemand beschäftigt sich gern mit dem Tod. Ein Fehler: Vorsorge für das eigene Ableben bedeutet auch, die Angehörigen zu entlasten VON HEIMO FISCHER OLDENBURG. Das Ende eines Menschenlebens bedeutet für die Angehörigen meist nicht nur Trauer, sondern auch Stress. In vielen Fällen müssen sie innerhalb kurzer Zeit das Begräbnis organisieren, Erbschaftsangelegenheiten regeln und sich mit Behörden auseinandersetzen. Wenn dann zusätzlich noch hohe Kosten anfallen, bleibt für die nötige Trauerarbeit wenig Raum. Immer mehr Menschen entschließen sich deshalb schon zu Lebzeiten, die Weichen für die Zeit nach ihrem Tod zu stellen und beschäftigen sich mit so unangenehmen Themen wie Patientenverfügung, Testament oder Sterbegeldversicherung, die viele mangels aktueller Betroffenheit am liebsten verdrängen. Schon eine einfache Beerdigung kann 7000 Euro kosten. Für die Nachkommen bedeutet das oft eine böse Überraschung, zumal die Krankenkassen vor zehn Jahren die Zahlung des Sterbegeldes gestrichen haben. Viele Versicherungshäuser bieten deshalb Alternativen an. Das Prinzip ist einfach: Der Kunde zahlt monatliche Beiträge ein und erhält zu einem Stichtag einen bestimmten Betrag ausgezahlt. Die Konditionen der Versicherungen unterscheiden sich jedoch erheblich, und nicht immer ist eine solche Police sinnvoll. Sandra Klug von der Verbraucherzentrale Hamburg rät eher von Sterbeversicherungen ab. In vielen Fällen ist man mit einem Sparbuch oder einem Tagesgeldkonto besser bedient. Wichtig sei es nur, den Angehörigen klarzumachen, dass sie das ersparte Guthaben für die Beerdigung ausgeben müssen. Den Nachlass regeln, ohne Streit zu schüren. Renate Lohmann, Evangelischer Hospizdienst Ein Sarg als Bausatz muss es ja nicht unbedingt sein. Aber wer gut vorsorgt, erspart den Hinterbliebenen jede Menge Kosten und Stress. Dieser Hinweis sollte schon zu Lebzeiten erfolgen und nicht im Testament vermerkt werden. Denn der Letzte Wille wird meist erst dann eröffnet, wenn der Verstorbene längst unter der Erde liegt. Ein Testament dient eher dazu, den Nachlass zu regeln, vor allem, wenn Erblasser von den gesetzlichen Regeln abweichen möchten. Das ist ohne Weiteres möglich. Theoretisch dürfen sie so viele Erben einsetzen, wie sie wollen. Sie können außerdem berechtigte Personen von der Erbfolge ausschließen also enterben. Die Betroffenen bekommen dann nur den gesetzlichen Pflichtteil. Renate Lohmann von der Stiftung Evangelischer Hospizdienst Oldenburg weist jedoch darauf hin, dass man beim Verfassen eines Testaments nicht nur den eigenen Willen, sondern auch die Interessen der Familie im Blick behalten sollte. Ein Testament sollte den Nachlass regeln und dabei keinen Streit provozieren. Ein persönliches Testament kann gemeinsam mit einem Notar aufgesetzt werden. Das ist sicherer, kostet aber Gebühren, die sich nach Höhe des zu verteilenden Erbes richten. Wer sparen will, kann sein Testament persönlich zu Hause aufsetzen. Wichtig dabei: Das Schriftstück muss handschriftlich verfasst sein sowie Vor- und Zunamen enthalten. Es kann gegen Nachweis beim Amtsgericht hinterlegt werden. Dann wird es garantiert durchgesetzt. Im fortgeschrittenen Alter sind viele Menschen nicht mehr in der Lage, wichtige Entscheidungen zu fällen, die ihren Alltag betreffen und auch die Art und Weise, wie sie ihren Lebensabend verbringen möchten. Deshalb raten Experten dazu, schon früh die eigenen Interessen und Wünsche zu formulieren, die wichtig sind, wenn man später nicht mehr selbstständig leben kann, sondern betreut werden muss. Eine Möglichkeit ist die Betreuungsverfügung. Darin kann der Aussteller zum Beispiel festlegen, wer auf keinen Fall Betreuer werden soll. Auch Angaben über Wünsche und Gewohnheiten oder die Wahl des Pflegeheims können Teil der Betreuungsverfügung sein. Sie sollte schriftlich verfasst und mit Ort, Datum sowie Unterschrift versehen sein. Die meisten Bundesländer überlassen es dem Einzelnen, wo er die Betreuungsverfügung aufbewahrt. In Niedersachsen und einigen anderen Bundesländern ist es möglich, das Schriftstück beim zuständigen Amtsgericht zu hinterlegen. Eine Betreuungsverfügung berechtigt eine Person, die als Betreuer vorgeschlagen wurde, aber noch nicht zum Handeln. Die nötige Grundlage dazu schafft nur die Bestellung durch das Betreuungsgericht. Das schützt gegen Missbrauch anders als bei einer Vorsorgevollmacht. Sie überträgt alle Handlungsrechte an den Bevollmächtigten, was nicht ganz ohne Risiko ist. Eine Vorsorgevollmacht sollte nur die Person erhalten, zu der man volles Vertrauen hat, sagt Olaf Borchers vom Berliner VdK Betreuungsverein. Der Abschied vom Leben kann schnell gehen oder langsam und anstrengend sein. Mithilfe einer Patientenverfügung lässt sich dieser Weg beeinflussen, auch wenn man im Fall einer Krankheit nicht mehr in der Lage ist, sich zu äußern. Der Betroffene kann zum Beispiel verfügen, welche medizinischen Maßnahmen er zur Verlängerung des Lebens zulassen möchte. Im Internet finden sich Dutzende Vorlagen für eine Patientenverfügung. Sie lassen sich ausdrucken und in wenigen Minuten ausfüllen und unterschreiben. Hospiz-Beraterin Lohmann rät davon allerdings ab. Man sollte sich viel Zeit nehmen und sich beraten lassen. Der Patient muss sich darüber klar werden, was er seiner Familie zumuten kann und was er im Fall eines schweren Leidens zu erdulden bereit ist. Der Blick auf eine Krankheit kann sich ändern, wenn man selbst betroffen ist, warnt Lohmann vor unüberlegtem Handeln. Illustration: Malte Knaack In einer Patientenverfügung müssen existenzielle Fragen beantwortet werden. Unter welchen Umständen will ich wiederbelebt werden und wann nicht? Soll ich über eine Magensonde künstlich ernährt werden? Welche lebensverlängernden Maßnahmen will ich zulassen? In die Entscheidung sollten Betreuungspersonen oder Angehörige mit einbezogen werden. Kommt es im Ernstfall zu Situationen, mit denen der Patient offensichtlich nicht gerechnet hat, können sie darauf dringen, dass Ärzte doch anders handeln als in der Verfügung vorgesehen.