Getrennt leben gemeinsam erziehen?



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Transkript:

Getrennt leben gemeinsam erziehen? Seit bald 10 Jahren ist die gemeinsame Sorge bei Florence und Luzi Schnidrig gelebte Realität zum Wohl der beiden Kinder Melissa (16) und Joey (13). 34 wir eltern 7/05

Geschiedene Männer wollen die Gleichberechtigung in der Kindersorge. Manche Gleichstellungspolitikerinnen sind skeptisch: Die gemeinsame Sorge nach der Trennung könne sogar dem Kindeswohl schaden. Text: Thomas Möckli Fotos: Maurice Grünig Florence und Luzi Schnidrig erhielten 1996 ein gemeinsames Sorgerecht, obwohl es in den Gesetzbüchern noch nicht existierte. «Wir mieteten eine Wohnung im weniger konservativen Nachbarkanton, um einem willigen Bezirksrichter den Weg für einen visionären Entscheid zu ebnen», erinnert sich der geschiedene Ehemann. Die beiden hatten beschlossen, sich nur bei einem Richter scheiden zu lassen, der ihnen auch die gemeinsame Sorge zubilligen würde. Der Behördenmarathon zahlte sich aus: Der Richter stimmte zu, obwohl das gemeinsame Sorgerecht damals noch tief in den parlamentarischen Mühlen steckte. Die Vormundschaftsbehörde kam dem Scheinwohnsitz zwar rasch auf die Schliche. Auch späteren Schulpflegenden musste Schnidrig immer wieder das Scheidungsurteil unter die Nase halten, «damit sie mich als Vater meiner Kinder ernst nahmen». Im Wesentlichen ist das Kalkül des getrennten Paares aber aufgegangen: Erziehungsentscheide wurden stets gemeinsam gefällt. Die mittlerweile 16-jährige Melissa und der 13-jährige Joey leben unter der Woche bei der Mutter. Wochenende und Schulferien verbringen sie oft beim Vater. Trotz 80 Kilometer Wohndistanz ist es nie zu einer Entfremdung gekommen. Für Florence Schnidrig ist die rechtliche Absicherung «wohl nötig. Aber letztendlich ist das Elternsein Charaktersache». Bei ihnen habe es geklappt, weil der Exmann schon vorher mit angepackt habe. Florence und Luzi Schnidrigs Weg ging im Jahr 2000 ins neue Scheidungsrecht ein und wird seither tausendfach praktiziert. Laut Bundesamt für Statistik haben Schweizer Gerichte und Vormundschaftsbehörden zwischen 2000 und 2003 beinahe 11 000 Kinder der gemeinsamen Sorge anvertraut. Die Anzahl Gesuche, die mit einer Konvention über Betreuung und Unterhaltskosten bekräftigt werden müssen, steigt an. Weil die Behörden ihren Segen aber von der Einwilligung der Mütter abhängig machen, sind Männerorganisationen diesen Frühling für die «Gleichbehandlung von Vätern» in die Offensive gegangen: Eine Petition der «Interessengemeinschaft geschiedener Männer» (IGM) und dem Verein «Verantwortungsvoll erziehende Väter und Mütter» (VeV) fordert die «gemeinsame elterliche Sorge als Regelfall». Wie in anderen europäischen Ländern üblich, sollen Richter erst auf Antrag über das Sorgerecht entscheiden. Wird nichts anderes gewünscht, würde die gemeinsame Sorge auch bei Konkubinatspaaren und Geschiedenen quasi von der Geburt eines Kindes an gelten. Ähnliche Forderungen enthält eine Eingabe des Schwyzer CVP- Nationalrates Reto Wehrli, die von drei SP- Parlamentarierinnen und dem «Schweizerischen Verein allein erziehender Mütter und Väter» (SVAMV) bekämpft wird. Obwohl die geteilte Sorge zunimmt, findet sich in deren Stellungnahmen kein einziger Hinweis auf die ermutigenden Erfahrungen, die unzählige Familien bereits gesammelt haben: Eine Studie des deutschen Kindsrechtsforschers Roland Proksch kam 2002 zum Schluss, dass es Scheidungskindern unter gemeinsamer elterlicher Sorge wohler ist. Deren Eltern würden den Umgang «quantitativ und qualitativ grosszügiger» gestalten, harmonischer kooperieren und kommunizieren. Demgegenüber thematisiert der SVAMV in einem Communiqué die «Nachteile und Gefahren», welche die gemeinsame Sorge mit sich bringe: «Untersuchungen in Deutschland zeigen, dass seit Einführung des Regelfalles Streitverfahren zugenommen haben, in denen Gewalt oder Alkoholismus festgestellt werden», zeigt man sich besorgt. Bei einem Viertel der nicht Verheirateten, werde die alleinige Sorge weiterhin dem Erziehenden, meist der Mutter, zugesprochen. Für Zentralsekretärin Anna Hausherr liegt es deshalb auf der Hand, dass die gemeinsame Sorge Konflikte auf dem Rücken der Kinder schürt, «weil sie Väter und Mütter zur Kooperation zwingen, obwohl sie mit der Scheidung beschlossen haben, nicht mehr zu kooperieren». Auf «Konfliktfreiheit statt Kooperation» setzt auch SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr: Je weniger Eltern nach einer Scheidung aushandeln müssten, desto weniger könne das Kind als Druckmittel missbraucht werden, schreibt sie in der SP-Postille «links.ch». Die Politikerin knüpft das Funktionieren einer gemeinsamen Sorge an eine egalitäre Aufgabenteilung im Betreuungsalltag und an gleich lange ökonomische Spiesse von Geschiedene Väter fordern die gemeinsame Sorge als Regelfall. Frauen und Männern. Weil diese Voraussetzungen aber nicht erfüllt seien, «steht die Forderung nach dem gemeinsamen Sorgerecht im Regelfall nicht auf dem Boden der Realität». Bernhard Hasler, VeV-Präsident, findet es scheinheilig, wegen vermeintlicher Konfliktverhütung für das alleinige Sorgerecht einzutreten: «Getrennte Eltern müssen im Sinne des Kindeswohls sowieso kooperieren, mit oder ohne gemeinsame Sorge.» Es sei vielmehr das rechtliche Gefälle zwischen Mutter und Vater, das unnötige Konflikte schüre. Um auf der Elternebene weiter zu harmonieren, müssten Zerstrittene lernen, die Elternschaft von der Paarebene zu trennen. Das gemeinsame Sorgerecht halte sie implizit dazu an und könne Männer sogar wir eltern 7/05 35

ZWEI ELTERNPAARE BESCHREIBEN, WIE SIE DIE GEMEINSAME SORGE HANDHABEN «Das sind wir unseren Kindern schuldig» Marc und Maja Dahinden haben das gemeinsame Sorgerecht vereinbart, «als beste von allen schlechten Lösungen». Dahindens sind seit kurzem geschieden, leben aber immer noch im selben Quartier. Den 13-jährigen Robin und die 10-jährige Joy betreuen sie je zur Hälfte. In wechselnden Konstellationen war das schon vorher so. «Das alleinige Sorgerecht für mich zu beanspruchen wäre einfach unfair», findet die Mutter, und zwar sowohl Marc als «engagiertem Vater» als auch den Kindern gegenüber. «Sie wollen uns beide behalten. Dem müssen wir trotz Trennung gerecht werden», meint Marc Dahinden. Details wurden in einer Konvention geregelt. Aber beide merkten bald, dass das Loslassen einer Paarbeziehung bei gleichzeitigem Aufrechterhalten des Elternparts seine Tücken hat. «Vieles wäre wohl einfacher, wenn einer entscheiden könnte», gibt die Mutter zu. So sei zum Beispiel der Kommunikationsaufwand gross, um Erziehungsmethoden abzugleichen obendrein noch mit jemandem, von dem man eher Abstand suche. Trotz dieser Widrigkeiten sagen beide: «Wir sinds unseren Kindern ganz einfach schuldig.» Was sind die Voraussetzungen, dass es klappt? «Vater und Mutter müssen den Respekt voreinander behalten», sagt er. «Unbewältigte Gefühle aus der Paarbeziehung müssen ausgeklammert werden», ergänzt sie. Das ist viel, und deshalb tönt ihre Empfehlung für diese Gratwanderung eher ernüchternd: «Die gemeinsame Sorge klappt wahrscheinlich nur, wenn sie schon vor der Trennung praktiziert wurde.» «Wir wollen auf gleicher Augenhöhe verhandeln» Isabel Weibel und Thomas Zuber gehören zu den Konkubinatspaaren, die das gemeinsame Sorgerecht gleich nach Geburt von Tochter Noe Lina geregelt haben. Zwar hat keiner von beiden die Trennung im Sinn. Aber sie können nicht verstehen, weshalb die Vormundschaftsbehörde dem Vater Unterhaltspflichten auferlegt, während der Mutter automatisch das alleinige Sorgerecht übertragen wird. «Das ist doch unnatürlich», beschwert sich Thomas Zuber. Schliesslich hätten beide zur Geburt des Kindes beigetragen und damit eine lebenslange Verantwortung übernommen. «Da kann es doch nicht sein, dass der eine von vornherein mehr Rechte hat», finden beide. Die gemeinsame Sorge zwinge wohl zu Auseinandersetzungen, aber dank ihr bleibe der Vater stets «auf Augenhöhe» mit der Mutter, während diese ihrer gesellschaftlichen Gleichstellung nachlebe, indem sie auch bereit sei, die Sorge zu teilen. Thomas Zuber arbeitet 80 Prozent, Isabel Weibel ist teilzeitlich in Ausbildung. Die beiden teilen sich momentan in die Betreuung ihres elfmonatigen Babys im Verhältnis von eins zu drei. Sie sind sich jedoch bewusst, dass diese Abmachung regelmässig neu verhandelt werden muss. Vom Gesetz her stünden solche Verhandlungen jedoch unter einem schlechten Stern, glaubt Thomas Zuber. «Der Vater wird im Voraus unter Verdacht gestellt, er vernachlässige seine Pflichten.» Und Isabel Weibel sinniert: «Würde ich auf das alleinige Sorgerecht bestehen, nähme ich ihn als Vater ja gar nicht ernst.» Wie Geschiedene mussten auch sie die Obhut in einer Konvention regeln. Dort steht beispielsweise, dass sie im Streitfall eine Familienberatung aufsuchen müssen, bevor sie ihn vor Gericht tragen. 36 wir eltern 7/05

motivieren, sich schon während der intakten Beziehung in die Erziehungsarbeit einzubringen. «Dieses Recht», entgegnet man beim SVAMV, «produziert keine besseren Väter schliesslich hat es auch bei Verheirateten nicht dazu geführt, dass Väter mehr Erziehungsarbeit leisten.» Die heilende Wirkung wird auch von Experten relativiert: Herbert Walder von der Winterthurer Vormundschaftsbehörde, welche die gemeinsame Sorge seit 2000 160-mal zugesprochen hat, erlebt sie als «Schönwetterlösung»: «Wenn die Eltern nach der Trennung gut zusammenarbeiten, übernehmen sie die gemeinsame Verantwortung auch ohne das förmlich erteilte Recht.» Gelinge ihnen die Kooperation nicht, bleibe die gemeinsame Sorge ein «Papiertiger». Auch Heidi Simoni, die für das Marie Meierhofer-Institut in Zürich Auswirkungen des neuen Scheidungsrechtes auf Kindsbedürfnisse erforscht, bestätigt: «Das Sorgerechtsmodell allein hat für die Kooperation Laut einer Studie ist Kindern unter gemeinsamer Sorge wohler. bei der Betreuung kaum verbindliche Folgen.» Es könne niemandem ab- oder zugesprochen werden, sich für ein Kind verantwortlich zu fühlen. Zu schaffen mache vielen zerstrittenen Paaren hingegen der Alltag als Eltern. Deshalb sei es wichtig, sorgfältig zu klären und zu regeln, wer welche Aufgaben übernehmen und welche Entscheide fällen soll. Die Politik sieht das kontrovers, sogar die SP-Frauen: «Die Haltung, dass sich Eltern mit ihren Leistungen in Erziehung oder Finanzierung ein Recht auf das Kind verdienen, führt in die Irre», schreibt Jacqueline Fehr an die Adresse von Männern, die nach der Übernahme von Unterhaltspflichten auch Rechte als gleichberechtigte Erzieher verlangen. Ihre Fraktionskollegin Barbara Marty Kälin glaubt indes: «Wir fordern, dass sich Väter vermehrt an der Kindererziehung beteiligen. Dann können wir sie nicht einfach wieder aus der gemeinsamen Verantwortung ausklinken, sobald die Beziehung nicht mehr funktioniert.» Gesellschaftliche Veränderungen sind eben nicht per sofort zu haben. wir eltern 7/05 37

Gemeinsame Elternsprache ist wichtiger als gemeinsame Sorge Der Jugend- und Familienberater Charles Baumann* sieht im gemeinsamen Sorgerecht einen positiven Ansatz, warnt aber vor übertriebenen Hoffnungen. wir eltern Charles Baumann, wenn zwei Personen, die sich nicht sonderlich mögen, gemeinsam entscheiden müssen, sind Konflikte programmiert. Stimmt das auch bei der gemeinsamen Sorge? Charles Baumann Wir machen tatsächlich die Erfahrung, dass der Kampf ums Kind seit Einführung des neuen Scheidungsrechtes zunimmt. Das liegt aber nicht an der gemeinsamen Sorge, sondern an deren halbherzigen Verankerung. Während das Scheidungsrecht im Sinne des Gleichstellungspostulates keine Kampfscheidungen mehr zulässt, blieb beim Sorgerecht eine der herkömmlichen Ungleichheiten bestehen: Gemeinsame Sorge gibt es in der Regel nur mit Einwilligung der Mutter. Das führt mitunter dazu, dass die Konflikte nach einer Trennung über die Kindersorge ausgetragen werden. Liesse sich das vermeiden, wenn die gemeinsame Sorge zum Regelfall würde? Jedenfalls könnte dies Entlastung bringen. Nach einer Trennung hängt das Kindeswohl in hohem Masse davon ab, ob es Vater und Mutter gelingt, die auseinander gebrochene Paarebene von der bleibenden Elternebene zu trennen und sich als Eltern weiterhin Wertschätzung entgegenzubringen. Die Erfahrung zeigt, dass rechtlich Gleichgestellte in der Regel besser kooperieren als Ungleiche. Also sollte das gemeinsame Sorgerecht für Vater und Mutter von Geburt an gelten? Grundsätzlich würde das dem modernen Verständnis von Beziehung und Elternschaft gerecht. Aber man sollte nicht allzu grosse Hoffnungen daran knüpfen: Väter werden deswegen nicht aktiver; ebensowenig wie es die alltägliche Position vieler Mütter wesentlich verändern würde. Und die für die Kinder katastrophalen Fälle, in denen Eltern jahrelang um Besuchsrechte und Alimente streiten, gäbe es weiterhin. Ausserdem dürfte es dem Kind wenig nützen, wenn der Gesetzgeber Vätern und Müttern vorbeugend vorschreibt, wie sie die alltägliche Sorge zu gestalten haben. Warum nicht? Die meisten Väter und Mütter, auch diejenigen mit traditioneller Rollenverteilung, sind sich bewusst, dass sie die Verantwortung für ihr Kind auch nach einer Trennung tragen. Kinder wollen im Normalfall ihre Bezugspersonen in hinreichendem Mass behalten, Mama und Papa weiter lieben dürfen, auch wenn sich die Eltern nicht mehr mögen. Rechtliche Sorge-Paragraphen sind dabei nicht so entscheidend. Viel wichtiger ist es, dass zerstrittene we beratung Eltern nach der Trennung wenigstens über das Kind wieder einen harmonischen Umgang miteinander finden. Gesetzgeberisch lässt sich das kaum bewerkstelligen. Die gemeinsame Sorge gleicht zwar den Einfluss der beiden Elternteile aus, sie nimmt es ihnen aber nicht ab, bezüglich ihrer Kinder nach der Trennung wieder eine gemeinsame Sprache zu finden. *) Charles Baumann ist Psychologe FSP und Leiter der Jugend- und Familienberatung der Stadt Winterthur. Dort werden gemeinsam wie getrennt lebende Eltern beraten, die in erzieherischen Sackgassen stecken. Am Mittwoch, 6. Juli, zwischen 9 und 11 Uhr beantwortet der Psychologe FSP Charles Baumann Ihre Fragen. Wählen Sie 043 960 78 35. 38 wir eltern 7/05