TEXT: MAYA HÖNEISEN FOTOS: ROLF CANAL Die Zukunft verlangt ein Umdenken 1 In der grössten Biogasanlage Graubündens in der Justizvollzugsanstalt Realta in Cazis verbrennt das Biogas bei etwa 700 Grad und treibt damit einen Stromgenerator an, der 600 000 bis 800 000 kwh Strom pro Jahr produziert. Der Schweiz, die nach dem bundesrätlichen Entscheid zum schrittweisen Ausstieg aus der Kernenergie die Energiewende schaffen will, stellen sich neue Herausforderungen. Der Ausfall an Strom aus Kernenergie kann nicht allein durch Verbesserung der Ener gieeffizienz und Strom aus Grosswasserkraft kompensiert werden. Andere Energieträger sind deshalb gefragt. 30
TERRA GRISCHUNA 2 / 2013 THEMA Den neuen Vorgaben in Bezug auf den Ausstieg aus der Kernenergie sind auch für den Kanton Graubünden wirksam. Stichwort ist die Förderung von erneuerbarer Energie. In dieser Ausgangslage hat das Kantonale Amt für Energie und Verkehr unter der Projektleitung von Erich Büsser eine im Dezember 2011 erschienene Potenzialstudie zur Stromproduktion aus erneuerbaren Energien ohne Grosswasserkraft erarbeitet. Die Studie nimmt sich unter anderem auch den Photovoltaikanlagen, der Windenergie und der Biomasse an, in Graubünden wichtige Themen, zu denen Anlagen bereits realisiert, in Realisation oder geplant sind. Strom durch die Sonne Bei der Nutzung der Sonnenenergie unterscheidet man zwischen thermischen Solaranlagen zur Warmwassererzeugung und Photovoltaikanlagen zur Stromproduktion. In Graubünden sind rund 550 Photovoltaik-Anlagen mit einer Gesamtleistung von gut 12 000 kwp (Kilowattpeak) am Netz. Damit können etwa 3300 Haushalte mit Strom versorgt werden. Die grösste dieser Anlagen steht auf dem Bauernhof von Markus Mehli in Chur mit 2 Die Photovoltaik-Anlage auf dem Bauernhof von Markus Mehli in Chur umfasst 6500 Quadratmeter Fläche. 3 Eine innovative Lösung fand In St. Antönien werden für ein Photovoltaik-Kraftwerk die Lawinenverbauungen genutzt. Im Endausbau soll dort eine Leistung von 3,5 Megawatt erreicht werden. 31
4 Photovoltaik-Panels begleitet die Bahn auf dem Weg zum Aussichtspunkt Muottas Muragl im Oberengadin. 6500 Quadratmetern Fläche. Ende September 2012 sei sie in Betrieb genommen worden und produziere Strom für 280 bis 300 Haushalte im Jahr, erklärt Mehli. Bereits zwei Jahre früher errichtete er auf dem Dach seiner Metzgerei in Trimmis eine solche, etwas kleiner und trotzdem noch die drittgrösste im Kanton. Von beiden Anlagen wird der Strom ins Netz eingespiesen. 2,2 Millionen Franken investierte er insgesamt. Noch seien aber die beiden Anlagen bei neun Rappen pro kwh, die er für den von ihm produzierten Strom erhalte, nicht rentabel. Da stecke er noch in Verhandlungen und erwarte vom Modell der kosten deckenden Einspeisevergütung (KEV) eine ausgeglichenere Rechnung, sagt Mehli. Trotz allem ist er überzeugt, dass die Solarenergie eine gute Sache ist und bemängelt, dass in der Schweiz bloss 0,6 Prozent der Stromproduktion aus Solarenergie stammt, im Gegensatz zu Deutschland mit 18 Prozent. Steigende Sensibilität Wohl eine der ältesten Photovoltaik-Anlagen im Kanton steht entlang der A13 zwischen Chur und Domat/Ems. Die Schallschutzwand, die 1989 gebaut wurde, wird gleichzeitig genutzt für die Stromgewinnung. Eine Solarzellenfläche von 994 Quadratmetern erzeugt jährlich 120 000 kwh Strom für etwa 35 Haushalte. Im Jahr 2005 wurde die Anlage für eine halbe Million Franken saniert. Weit grösser als diejenige an der Autobahn ist die Anlage auf dem Dach des Gebäudes der Gebr. Kuoni Transport AG in Domat/Ems. Sie wurde im September 2012 in Betrieb genommen und produziert auf einer Fläche von 2450 m 2 430 000 kwh Strom pro Jahr. Rund 120 Haushalte können damit mit Strom versorgt werden. Eine innovative Lösung fand St. Antönien. Da werden für ein Photovoltaik-Kraftwerk die Lawinenverbauungen genutzt. Im Endausbau könnte das Kraftwerk in St. Antönien eine Leistung von 3,5 Megawatt erreichen und rund 4500 Megawattstunden elektrische Energie pro Jahr liefern. Damit könnten rund 1000 Haushalte mit Strom versorgt werden, was dem grössten Teil des Prättigaus entspricht. Laut Auskunft von Jan Flütsch, Gemeindepräsident von St. Antönien, soll ein erster Teil im Jahr 2014 in Betrieb genommen werden. In der Bevölkerung ist die Sensibilität für erneuerbare Energien in den letzten Jahren gestiegen. Und sie steigt weiter. Mit 32
TERRA GRISCHUNA 2 / 2013 THEMA finanzieller Unterstützung von Bund, Kantonen und Stromanbietern errichtete manch ein Einfamilienhausbesitzer Anlagen zur Nutzung der Sonnenenergie auf dem Dach seines Hauses. Dies sind in den meisten Fällen thermische Solaranlagen und dienen zur Warmwassererzeugung. Ein Wörtchen mitzureden hat, wenn es um Photovotaik- und Solaranlagen geht, unter Umständen auch die Denkmalpflege. Geschützte Bauten verlangen eine sorgfältige Abklärung mit dem entsprechenden Amt. Der Wind hat gute Karten Ein grosses Thema in Graubünden sind Windkraftwerke. Eine der ersten Windkraftanlagen im Kanton stand auf dem Munt da San Murezzan im Engadin. Der Verein «Clean Energy St. Moritz» liess sie im Jahr 2003 errichten. Seit kurzem liegt sie abgebrochen wieder im Tal. Der Wind hat nicht gehalten, was sich der Verein versprochen hatte. Anders in Fläsch. Etwas ausserhalb des Dorfes bewirtschaften Jürg und Maja Stocker einen 25 Hektar grossen Bauernbetrieb. Sie betreuen rund 50 Pensionspferde und betreiben dazu Ackerbau. Am 2. August letzten Jahres wurde ihre Windanlage ans Netz angeschlossen. Schon seit geraumer Zeit hatte sich Jürg Stocker mit dem Ausstieg aus der Kernenergie und dem Gedanken an eine solche Anlage auseinandergesetzt. Der Rheintaler Wind sollte seiner Ansicht nach genutzt werden. 2009 wurde es dann mit Windmessungen konkret. Das Resultat daraus war positiv. Jürg Stocker entschied sich für ein einfach ausgebautes, vertikales System, das sich nicht nach dem Wind justieren muss. Damit übernahm Stocker eine Pionierrolle in Graubünden. Im August 2012 wurde es von einer Schweizer Firma montiert und produziert, bei einem Investitionsvolumen von rund 100 000 Franken, nun 13 000 kwh pro Jahr, das entspricht dem Bedarf von zwei bis drei Haushalten und reicht für sein Wohnhaus und die Stallungen. Ein allfälliger Rest wird ins Netz eingespiesen. In Haldenstein soll im April 2013 eine weitere Windenergieanlage eingeweiht werden. Erwartet wird eine Stromproduktion von rund 4,5 Gigawattstunden pro Jahr. Um die Energiewende zu schaffen, brauche es einen Mix von Effizienzmassnahmen und es zähle jede Kilowattstunde, die eingespart oder erneuerbar produziert würde, halten die Initianten des Windkraftwerks Haldenstein, Josias Gasser und Jürg Michel, in einem Statement zu ihrem Vorhaben fest. 5 Seit Ende 2011 ist auf dem Dach der Lataria Engiadinaisa SA eine Hochtemperatur-Solaranlage installiert. Das EWZ liefert damit Wärme in Form von Dampf für die Milchverarbeitung. rund 2800 Haushalten entspricht. Anlagen in dieser Grössenordnung rufen natürlich auch die Umweltverbände auf den Plan. Der WWF unterstützt grundsätzlich die Windkraft, setzt sich aber dafür ein, dass die Anlagen im Einklang mit dem Naturschutz stehen und besteht deshalb darauf, dass Konflikte sorgfältig abgeklärt und gelöst werden. Energie, die nachwächst Wohl die vielseitigste und älteste erneuerbare Energiequelle ist Biomasse. Holz, Bioabfälle und andere Stoffe pflanzlicher und tierischer Herkunft bergen grosse Potentiale für die Wärme- und Stromerzeugung. In der Justizvollzugsanstalt Realta (JVA) in Cazis steht die grösste Biogasanlage Graubündens. In einem schallgedämpften Gehäuse verbrennt das Biogas bei etwa 700 Windparks statt einzelne Windkraftanlagen Gemäss Erich Büsser vom Amt für Energie und Verkehr sollen Windkraftanlagen optimalerweise gebündelt errichtet werden. Er bevorzugt es deshalb, nicht einzelne Windkraftanlagen aufzustellen, sondern mehrere Anlagen in Windparks zusammenzufassen. Solche sind bereits in Planung. Zu reden geben insbesondere zwei geplante Windparks. Zum einen soll on Lumbrein im Lugnez mit 40 bis 60 Windrädern soviel Strom produziert werden, wie alle Haushalte Graubündens verbrauchen. Zum anderen ist in Hinterrhein ein weiterer Windpark geplant mit einer Produktion von zehn Gigawattstunden, was dem Verbrauch von 6 Eine vertikal ausgerichtete Windanlage liefert Jürg Stocker in Fläsch Strom für Wohnhaus und Stallungen. 33
7 Die Kehrichtverbrennungsanlage in Trimmis verarbeitete im Jahr 2011 rund 99 800 Tonnen Abfall. Daraus wurden 50,2 GWh/a Strom ins öffentliche Elektrizitätsnetz eingespiesen. Grad Celsius und treibt damit einen Stromgenerator an, der 600 000 bis 800 000 kwh Strom pro Jahr produziert. Der Grossteil davon wird ins Netz eingespiesen. Die Abwärme des Verbrennungsmotors und des Abgases wird von der Anlage selber wiederverwendet. Ein Rest fliesst ins Fernwärmenetz der JVA und wird im Angestelltenhaus und in den Treibhäusern genutzt. Weitere Technologiegruppen Energie produziert auch die Kehrichtverbrennung. Sie stammt allerdings nur teilweise aus erneuerbaren Energieträgern. Die einzige Bündner Kehrichtverbrennungsanlage des Gevag in Trimmis verarbeitete im Jahr 2011 rund 99 800 Tonnen Abfall. Daraus wurden 50,2 GWh/a Strom ins öffentliche Elektrizitätsnetz eingespiesen. Auch Kläranlagen eignen sich durchaus zur Stromgewinnung. In den über 100 Anlagen in Graubünden werden die Abwässer der Bevölkerung sowie aus Industrie- und Gewerbe gereinigt. In den 23 vorwiegend grösseren werden daraus rund vier GWh/a Strom produziert. Auch die Rhätische Bahn ist auf den Zug der erneuerbaren Energie aufgesprungen. So sind bereits Lokomotiven im Einsatz, die Strom bei Bremsvorgängen gewinnen und ins interne Netz einspeisen. Gemäss der eingangs erwähnten Potenzialstudie kann die Stromproduktion aus erneuerbaren Energien ohne Grosswasserkraft in Graubünden in den nächsten 25 Jahren um rund 600 GWh/a gesteigert werden. Das erreicht noch nicht das vom Bund gesetzte Ziel für den Kanton Graubünden. Das heisst, die nutzbaren Potentiale müssen weiter ausgebaut werden. W E I T E R E I N F O R M A T I O N E N Lumbrein Hinterrhein Ob Lumbrein im Lugnez und in Hinterrhein sind Windparks geplant. Autorin Maya Höneisen ist Journalistin und lebt in Paspels. m.hoeneisen@wortmarkt.ch Fotos Energiebüro AG, Zürich: Seite 31 unten Rolf Canal: übrige Bilder 34