PROMOS Abschlussbericht Friederike Meyn friederike.meyn@gmail.com 30. Juli 2012 bis 04. Dezember 2012 Tecnológico de Monterrey Monterrey México Vorbereitung des Aufenthaltes Im Jahr 2009 bin ich das erste Mal nach Mexiko gereist, um meine Sprachkenntnisse zu verbessern und weil es mir so gut gefallen hat, seitdem vier weitere Male. Um noch tiefer in die Kultur und Sprache einzutauchen habe ich mir dann im März 2012 das Tecnológico de Monterrey im Norden Mexikos angeguckt und konnte mir auf Anhieb vorstellen für längere Zeit dort zu studieren. Es ergab sich die Möglichkeit bei Freunden zu wohnen, alles andere musste ich als unabhängige Studentin allerdings selber organisieren, weil die Kieler Universität keinen Vertrag mit der Universität in Monterrey hat und außer mit Brasilien leider auch mit keiner anderen lateinamerikanischen Uni. Das eigenständige Vorbereiten aller Unterlagen und auch die Beantragung des Visums et cetera vor Ort war etwas anstrengend, ich konnte aber auf die volle Unterstützung beider Hochschulen zählen. Akademischer Nutzen Während meines Aufenthaltes habe ich drei Kurse besucht mit jeweilts 8 Einheiten, das bedeutet zweimal die Woche Unterricht an der Uni fuer jeweils eineinhalb Stunden und fuenf Stunden Vor- und Nachbereitung. Der Studienaufbau am Tecnológico de Monterrey unterscheidet sich sehr vom deutschen System. Es gibt in jedem Kurs zwei oder mehr examenes parciales (Teilpruefungen) und ein examen final. In den Geisteswissenschaften wird anstatt einer normalen Klausur oftmals auch eine investigación, was einer deutschen Hausarbeit mit Referat gleichkommt, verlangt. Zusätzlich dazu wird auf unterschiedliche Art und Weise kontrolliert, dass die Studenten die wöchentlichen Lektüren auch wirklich gelesen haben. Diese verschulte Herangehensweise ist anfangs etwas anstrengend, macht die Prüfungsvorbereitung dann aber natürlich viel einfacher und man gewöhnt sich an den hohen workload. 1
Im Folgenden möchte ich die einzelnen Kurse, die ich besucht habe, zusammen mit ihren Vor- und Nachteilen vorstellen. Zuerst habe ich einen Kurs besucht, der sich Sociedad, ciudadanía y desarrollo en México (Gesellschaft, Bürgerschaft (-oder sinn) und Entwicklung in Mexiko) nennt. Dieser Kurs wurde von Leonor Salinas unterrichtet. Die Semester begleitende Lektüre für diesen Kurs war ein von Dozenten und Studenten der Universität erstelltes Buch mit dem gleichen Titel wie der Kurs. Die einzelnen Kapitel handeln vom Einfluss der Medien auf die Politik, über die Wiederspiegelung der mexikanischen Kultur in der mexikanischen Literatur bis hin zu den größten Problemen Mexikos wie der defizienten Demokratie, Wahlbetruegen und Armut und wie diese Probleme wiederum geschichtlich und kulturell verwurzelt und begründet sind. Zweimal die Woche musste ein cuestionario (Fragebogen) eingereicht werden, mit 10 Fragen und deren Antworten aus der jeweiligen Lektüre. Diese Arbeit war die Vorbereitung für die individuelle open- book - Klausur. Die Methode der open book - Klausur war neu fuer mich. Anfangs habe ich gedacht, dass es nicht so viel Sinn macht, die exakten Sätze aus der im multiple- choice- Stil verfassten Klausur im Buch zu suchen. Aber auf eine gewisse Weise findet man Gefallen an dieser Aufgabe, weil man sich wirklich freut, wenn man einen Satz findet. Ich habe die Dozentin auch gefragt, warum diese Methode angewendet wird und sie meinte, damit wir detailliert und aufmerksam lesen lernen. Zusätzlich zu dieser individuellen Klausur gab es noch kollektive Prüfungen. Für diese mussten wir Zeitungsartikel aus den letzten Jahrzehnten Mexikos lesen. Ich denke, diese kollektiven Prüfungen sind wirklich gut, um zu lernen wie man erfolgreich in einer Gruppe arbeitet. Der Erkenntnisgewinn aus dieser Aufgabe war interessant, aber auch etwas traurig, weil deutlich wurde, das viele Probleme mit denen sich Mexiko konfrontiert sieht, wie beispielsweise die mangelhafte Bildung oder Abholzung der Wälder, auch vor 50 bis 100 Jahren schon aktuell waren und uns darauf aufmerksam macht, dass man wahrscheinlich die Herangehensweise ändern muss, um wirklich etwas zu bewegen. In diesem ersten Kurs haben wir außerdem ein Referat gehalten mit Ausarbeitung zum Thema Nachhaltigkeit von PET- Flaschen, weil Mexiko zu den Ländern gehört, in denen am meisten Wasser aus Plastikflaschen getrunken wird. Mir hat der Kurs sehr gut gefallen, weil wir alle Probleme und geschichtlichen sowie aktuellen Vorkommnisse, wie zum Beispiel die große Unzufriedenheit wegen des Wahlbetrugs während der Präsidentschaftswahl 2012 und die Reaktion der Gesellschaft darauf, besprochen haben. Ich kann sagen, die mexikanische Kultur wirklich kennen- und verstehengelernt zu haben. Der zweite Kurs hieß Perspectiva Internacional und handelte von den Grundprinzipien der Internationalen Beziehungen und den wichtigsten globalen Ereignissen wie der globale Klimawandel, nachhaltige Entwicklung, Menschen- und Drogenhandel, Terrorismus und Menschenrechte. Die parciales in diesem Kurs sollten in Form eines ensayo, also Essay, geschrieben werden, was ich für sehr viel besser erachte als die multiple- choice- Klausuren in Deutschland. Ich habe das Gefühl, erst hier in Mexiko und auf Spanisch gelernt zu 2
haben, wie sich ein gutes Essay schreibt mit einer prägnanten Synthese. Die abschließende Investigación in diesem Kurs haben wir über Desarrollo Sustentable (nachhaltige Entwicklung) geschrieben. Leider hat die Gruppenarbeit hier nicht ganz einwandfrei geklappt und es war ein bisschen schade, dass meine Gruppe recht wenig über das Thema wusste, was aber wahrscheinlich auch daran lag, dass es sich um einen Kurs für alle Studienrichtungen handelt und nicht nur für Politologen. Mein Lieblingskurs (und ich möchte wirklich dieses Wort benutzen, weil ich mit ganzem Herzen von diesem Kurs und dem Dozenten überzeugt bin) war Geopolítica y cambios globales (Geopolitik und globale Veränderungen). Unser französischer Dozent, Dr. Nicolás Foucraut, konnte uns, aufgrund seiner vielen Erfahrungen, davon erzählen, wie es ist ein Praktikum an der Londoner Börse zu machen, in Kolumbien mitzuerleben, wie die Regierung mit den Drogenkartellen verhandelt und welchen Einfluss die russische (Drogen-) Mafia dabei spielt oder auch von den Projekten in Chiapas zum Thema Armut und Migration oder kulturellen Projekten, die auf den Kenntnissen der älteren Generationen aufbauen. Der Kurs hat inhaltlich viele Themen behandelt. Durch die zwei Sitzungen pro Woche war der Unterricht außerdem angenehm intensiv. Wir haben unter anderem über Themen wie Die globale Ordnung- eine faire Ordnung für die Entwicklungsländer?, Rohstoffe als Segen oder Nachteil für ein Land? oder Die Beteiligung der Zivilgesellschaft- in Richtung einer globalen Demokratisierung? (Power People) gesprochen. Während des gesamten Kurses habe ich mit einer Partnerin zusammengearbeitet. Zusammen haben wir Zeitungsartikel mit Bezug auf die Geopolitik vorgestellt, die wöchentlichen Lektüren und am Schluss werden wir unsere Seminararbeit mit einer Investigación zum Thema Soberanía almentaria (Ernährungssouveränität) abschließen. Vor allem in diesem letzten Kurs hatte ich viele aha - Effekte, sprich viele von diesen Momenten, in denen man durch einen Gedanken in einer Lektüre oder einen Hinweis des Dozenten die Welt ganz anders zu sehen beginnt, Zusammenhänge völlig neu beurteilen kann oder auf einmal neue Lösungsansätze für ein Problem sieht. Ich wertschätze diese Momente sehr, weil ich denke, dass sie der eigentliche Grund eines Studiums sind. Jetzt, am Ende des Halbjahres, bin ich sehr stolz ein Semester lang auf Spanisch studiert zu haben. Ich habe nicht nur sprachlich und inhaltlich viel gelernt, sondern mir auch viele Türen bezüglich meines späteren Arbeitsplatzes geöffnet. Ich kann jetzt ebenso gut in einer politischen Stiftung in Deutschland wie auch in einer Institution im (Spanisch sprachigen) Ausland arbeiten. Mein erfolgreiches Studium hier habe ich dabei auch der Unterstützung durch meine KommilitonInnen und der ständigen Bereitschaft der Hochschule, mich zu unterstützen, zu verdanken. Wenn ich offen und freundlich auf die Menschen zugegangen bin, war auch die Antwort stets freundlich und hilfreich. Abschließend lässt sich noch sagen, dass das Institut für Sozialwissenschaften in Kiel mir zugesagt hat, dass ich mir die Kurse voll anrechnen lassen kann. 3
Leben vor Ort In Mexiko kann man jeden Tag zwei Mexikos erleben, sprich das entwickelte oder reiche Mexiko und das weniger entwickelte Mexiko. Der Campus des Technológicos de Monterrey gehört eindeutig zum reichen Teil Mexikos, das ist auf der einen Seite sehr angenehm, auf der anderen Seite lebt man aber auch in einer Blase, also etwas abgeschnitten von der Außenwelt. Aber wenn man den Campus verlässt, ist man mitten drin im Leben. Das kann sehr nett sein, weil man sich mit dem Taco- Verkäufer an der Ecke grüßt, mit den Kellner ein freundliches Cómo está? austauscht oder sich bei einem Stand auf der Straße Erdnüsse, die mit Zucker überzogen sind, kauft. Es kann aber auch etwas überfordernd sein, wenn man zum Beispiel zum Oxxo geht (kleiner Supermarkt, wie ein 7-eleven) und dieser gerade voller, teils vermummter Soldaten ist. Die Unsicherheit ist leider ein allgegenwärtiges Problem. So habe ich während meines Aufenthaltes von zwei Morden an Personen, die in Drogengeschäfte verwickelt waren, indirekt mitbekommen, weil mir Freunde davon erzählten und von einem Autounfall, der auf dem Weg in ein anderes Bundesland passiert ist, der aber in Wirklichkeit Abdrängen von der Straße mit anschließendem Raubmord war (die Überlebenden hatten aber zu viel Angst Anzeige zu erstatten, aufgrund der hohen Korruption in den Behörden, sprich es kann immer sein, dass jemand, der in das Drogengeschäft verwickelt ist, davon Wind bekommt, dass du Anzeige erstatten hast und dann dich oder deine Familie bedroht). Wenn man aus dem relativ ruhigen Hamburg kommt und im ziemlich ruhigen Kiel studiert, schockieren einen diese Vorfälle schon sehr, aber man lernt damit umzugehen und sich umsichtig zu verhalten. Weil ich mich mit der Materie befasst habe, wusste ich außerdem um die Gründe, die hinter diesen Vorfällen stecken. Diese Gründe sind global und stammen keinesfalls nur aus Mexiko. Außerdem gibt es sehr viele andere Orte auf dieser Welt, die bedeutend gefährlicher sind. Ich denke, ich habe viel aus diesen Erfahrungen gelernt, gelernt wie es ist mit Angst auf die Straße zu gehen, dann darüber zu lesen und nachzudenken und alles wieder relativer sehen zu können. Das Leben in den beiden Mexikos ist außerdem eine unglaublich wertvolle Erfahrung, wenn man sich für Entwicklungspolitik und die internationalen Dynamiken interessiert. Man liest dann eben nicht nur über das, was in der Welt passiert und setzt sich theoretisch damit auseinander, sondern ist praktisch mitten drin. Wohnen und Lebenshaltungskosten Ich hatte das Glück bei Freunden unterzukommen. Nachfolgenden Austauschstudenten kann ich aber versichern, dass die Uni ein breites housing - Angebot zu Verfügung stellt: Residencias direkt auf dem Campus (die allerdings bei 650 Euro pro Monat liegen, Poolbenutzung inklusive), Gastfamilien oder Optionen, um sich eine Wohnung oder ein Haus mit anderen (ausländischen) Studenten zu teilen. Bezüglich der Lebenshaltungskosten ist zu sagen, dass man in Monterrey 4
leicht mehr Geld ausgeben kann als in Deutschland, nicht nur wegen der Studiengebühren (es handelt sich um eine Privatuni), sondern auch, weil die Kultur des Essengehens sehr verbreitet ist und es viele tolle Reise- und Freizeitangebote gibt im wunderschönen Mexiko. In Monterrey gelten dabei ungefähr die gleichen Preise für Essen und Aktivitäten wie in Deutschland. Ich hatte ungefähr 1000 Euro im Monat zur Verfügung, musste davon aber in Summe 3.500 Euro abzweigen, um die Studiengebühren für drei Kurse zu bezahlen (ein normales Studium hier besteht aus sechs Kursen pro Semester). Das Stipendium war demnach sehr wichtig für mich. Für nachfolgende Studenten ist es vielleicht noch wichtig zu sagen, dass die Durchschnittstemperatur von Juli bis September/November bei heißen 35 Grad Celsius liegt (im Juni bis 40,45 Grad) und es dann rapide auf 10 und dann auch gerne auf 0 Grad (um Weihnachten) absinkt, um im März wieder schnell zu steigen. Die Hitze und auch der Temperaturumschwung sind nicht zu unterschätzen und man sollte alles etwas langsamer angehen lassen. Allgemeine Auswertung Mir hat mein Auslandssemester in Monterrey so gut gefallen, dass ich ab Januar für ein weiteres Semester hier studieren werde. Dies hat verschieden Gruende. Zum einen bietet der Campus alles, was man zum guten studieren braucht, sprich eine angenehme Lernatmosphäre, kompetente Dozenten, nette Kommilitonen und Freizeitangebote. Außerdem scheint mir das verschulte System zu Gute zu kommen, wenn man es nach meinen Noten beurteilt. Die Unterteilung in mehrere Teilprüfungen gibt einem die Möglichkeit von Anfang an zu überprüfen, ob man am Ball ist und das System kann so auch mal eine schlechte Note abfedern. Außerdem wird Gruppenarbeit großgeschrieben, was gerade für die Austauschstudenten sehr hilfreich ist. Am Anfang war es etwas schwierig komplett auf Spanisch zu studieren, aber man findet sich dann doch erstaulich schnell zurecht. Besonders im Hinblick auf das kommende Semester habe ich jetzt keine Bedenken mehr, ob meine Sprachkenntnisse ausreichen werden, sondern bin nur gespannt, welche neuen Fachausdrücke ich lernen werde. Zusammenfasend lässt sich sagen, dass ich eigenständiger und mutiger geworden bin. Außerdem habe ich viel gelernt, was zu einem besseren Verständnis dieser Welt führt. Dazu hat sicherlich auch beigetragen, die Dinge aus einem andern Land heraus zu betrachten. Nachfolgenden PROMOS- Stipendiaten kann ich mit auf den Weg geben, dass man immer neugierig und offen an neue Situationen herangehen sollte, denn nur so kann man den größten Erfahrungsgewinn erlangen. 5