Entscheidung. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Fünfte Sektion



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Transkript:

Entscheidung Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Fünfte Sektion Anonymisierte nichtamtliche Übersetzung aus dem Englischen Quelle: Bundesministerium der Justiz, Berlin 23/10/07 ENTSCHEIDUNG über die ZULÄSSIGKEIT der Individualbeschwerde Nr. 7969/04 I. B. gegen Deutschland ENTSCHEIDUNG ÜBER DIE ZULÄSSIGKEIT der Individualbeschwerde Nr. 7969/04 I. B. gegen Deutschland Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Fünfte Sektion) hat in seiner Sitzung am 23. Oktober 2007 als Kammer mit den Richtern Frau P. LORENZEN, Präsident, K. JUNGWIERT, V. BUTKEVYCH, M. TSATSA-NIKOLOVSKA, R. MARUSTE, J. BORREGO BORREGO, M. VILLIGER, und Frau C. WESTERDIEK, Sektionskanzlerin, im Hinblick auf die oben genannte Individualbeschwerde, die am 18. Februar 2004 eingereicht wurde, nach Beratung wie folgt entschieden:

2 SACHVERHALT Die Beschwerdeführerin, Frau I. B., ist deutsche Staatsangehörige; sie wurde 1969 geboren und wohnt in O.. A. Die Umstände des Falls Der von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Sachverhalt lässt sich wie folgt zusammenfassen. Die Beschwerdeführerin ist als Rechtsanwältin tätig und unter anderem auf Sportrecht spezialisiert. Sie warb mit einem Faltblatt, das ihren Lebenslauf enthielt und auf ihre Karriere als Mitglied der Nationalmannschaft der Deutschen Demokratischen Republik sowie auf ihre Siege in internationalen Wettkämpfen hinwies. Außerdem listete die Beschwerdeführerin in dem Faltblatt ihre Erstberatungskosten auf, die sich in Zivilrechtsstreitigkeiten nach dem Streitwert und in Familien-, Arbeits- und Strafsachen nach der Beratungsdauer bestimmten. Ihr Gebührenhöchstbetrag lag bei 333 DM. Unterhalb der Tabelle brachte sie einen Sternchenvermerk des Inhalts an, dass der nach geltendem Recht (seinerzeit die Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung) zulässige Gebührenhöchstbetrag für eine Erstberatung bei 350 DM liege. Somit war diese Gebühr höher als jede der von der Beschwerdeführerin aufgeführte. Ein anderer am selben Ort wie die Beschwerdeführerin praktizierender Rechtsanwalt stellte einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, woraufhin das Landgericht Leipzig der Beschwerdeführerin mit Urteil vom 7. November 2007 einstweilig untersagte, in ihrer Werbung auf ihre frühere sportliche Karriere hinzuweisen und ihre Erstberatungsgebührentabelle für Familien- und Arbeitssachen mit dem vorbezeichneten Vermerk zu versehen. Die Berufung der Beschwerdeführerin wurde am 5. Februar 2002 von dem Oberlandesgericht Dresden zurückgewiesen. In dem Hauptverfahren bestätigte das Landgericht Leipzig die vorerwähnte Anordnung durch Urteil vom 17. April 2002 und untersagte der Beschwerdeführerin bei Meidung eines [für jeden Fall der Zuwiderhandlung] 1 fälligen Ordnungsgeldes von 250.000 Euro 2 die Nennung von Erstberatungskosten in der Fußnote des Faltblatts. Es befand, dass der Unterlassungsanspruch des Klägers nach 1 und 3 des Gesetzes gegen den unlauteren 1 Anm. d. Üb: So der Wortlaut des Urteils des LG Leipzig v. 17. 04.. 2002 2 So der EGMR: richtigerweise muss es heißen: " fälligen Ordnungsgelds bis zu 250.000 Euro."

3 Wettbewerb, UWG, in Verbindung mit 43b der Bundesrechtsanwaltsordnung, BRAO, (siehe Abschnitt Einschlägiges innerstaatliches Recht ) zulässig sei. Das Landgericht Leipzig führte zur Begründung aus, dass Werbung für den Rechtsanwalt nur erlaubt sei, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichte. Den Angaben der Beschwerdeführerin zu ihrer früheren sportlichen Karriere fehle dieser Bezug zu ihrem Rechtsanwaltsberuf. Im Hinblick auf die mit Sternchenvermerk versehene Gebührentabelle merkte es an, dass die Beschwerdeführerin einen Vergleich der Kosten, die sie für eine Erstberatung verlange, mit den nach geltendem Recht zulässigen Gebühren hergestellt habe. Dem Durchschnittsbürger werde jedoch nicht bekannt sein, dass ein Anwalt nach geltenden Recht bei einer Erstberatung Gebühren in Höhe von 1/10 bis 10/10 der vollen Gebühr, bezogen auf den jeweiligen Streitwert, verlangen könne. Aus der Zusammenschau der Gebühren der Beschwerdeführerin und der in der Fußnote genannten Kosten werde der Durchschnittsbürger schlussfolgern, dass bei einem anderen Rechtsanwalt für eine Erstberatung eine Gebühr in Höhe von 350 DM entstehen könne, während die Beschwerdeführerin maximal nur 333 DM verlange. Deshalb könne durch das Faltblatt der Eindruck entstehen, dass die Gebühren der Beschwerdeführerin in der Regel niedriger seien als die von den Anwälten erhobenen, die die gesetzlich zulässigen Möglichkeiten voll ausschöpften. Das Landgericht Leipzig merkte jedoch an, dass dies nicht zutreffe und wies darauf hin, dass die Gebühren der Beschwerdeführerin bei niedrigen Streitwerten zum Teil erheblich über den gesetzlich zulässigen Gebühren lägen. In der Fußnote werde ferner eine Gebühr in Höhe von 350 DM angegeben und nicht erwähnt, dass dies die volle Beratungsgebühr nur bei Streitwerten über 10.000 DM sei. Daher könne dem normalen Mandanten der unzutreffende Eindruck vermittelt werden, dass die Gebühr bei allen Streitwerten 350 DM betrage und die Gebühren der Beschwerdeführerin in der Regel unter den gesetzlich anzusetzenden lägen. Deshalb sei die Tabelle mit der Fußnote als irreführende Werbung im Sinne von 3 UWG anzusehen. Die Berufung der Beschwerdeführerin wurde am 27. September 2002 von dem Oberlandesgericht Dresden zurückgewiesen. Es führte zur Begründung aus, dass der Beschwerdeführerin entgegen ihrem Vorbringen nicht generell eine gebührenbezogene Werbung untersagt worden sei. Jedoch sei die konkrete Ausgestaltung der Werbung in Verbindung mit der Fußnote von dem Landgericht Leipzig als irreführend angesehen worden.

4 Am 4. August 2003 hob das Bundesverfassungsgericht die Urteile des Landgerichts Leipzig vom 29. Mai 2002 sowie des Oberlandesgerichts Dresden vom 27. August 2002, soweit sie der Beschwerdeführerin untersagten, in dem Faltblatt mit ihrer sportlichen Karriere zu werben, teilweise auf. Es war der Auffassung, dass der Hinweis wegen des Tätigkeitsschwerpunkts Sportrecht der Beschwerdeführerin sogar einen unmittelbaren beruflichen Bezug habe. Das Verbot habe die Beschwerdeführerin daher in ihrer nach Artikel 12 des Grundgesetzes geschützten Freiheit der Berufsausübung verletzt. Im Hinblick auf die Untersagung der Angabe ihrer Gebühren in dem Sternchenvermerk lehnte das Bundesverfassungsgericht die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ab. Es befand, dass Artikel 12 des Grundgesetzes Werbung für fachliche Dienstleistungen einschließe und die Berufsgruppen werben dürften, soweit sie sachliche, nicht irreführende Informationen erteilten. Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Fachgerichte die Tabelle mit dem Sternchenvermerk als irreführend angesehen und sie durch Abstellen auf das Verständnis des Durchschnittsbürgers ausgelegt hätten. Durch die Fußnote habe die Beschwerdeführerin einen Vergleich ihrer Preise mit den gesetzlich zulässigen Höchstgebühren hergestellt. Die Auslegung der Fachgerichte, ein normaler Bürger, der sich komplizierten Rechenoperationen nicht unterziehen dürfte, werde irrtümlich davon ausgehen, dass die Beschwerdeführerin stets preiswerter sei, könne nicht als fehlerhaft angesehen werden. Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb schütze nicht nur die Mitbewerber, sondern auch die Allgemeinheit gegen unlauteren Wettbewerb. Es komme nicht darauf an, dass seitens der Beschwerdeführerin kein Verstoß gegen Berufspflichten vorliege. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ging am 20. August 2003 bei der Beschwerdeführerin ein. B. Das einschlägige innerstaatliche Recht Einschlägige Bestimmungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG):

5 1 Generalklausel Wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Handlungen vornimmt, die gegen die guten Sitten verstoßen, kann auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen werden. 3 Irreführende Werbung Wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs über geschäftliche Verhältnisse, insbesondere über die Beschaffenheit, den Ursprung, die Herstellungsart oder die Preisbemessung einzelner Waren oder gewerblicher Dienstleistungen oder des gesamten Angebots, über Preislisten, über die Art des Bezugs oder die Bezugsquelle von Waren, über den Besitz von Auszeichnungen, über den Anlass oder den Zweck des Verkaufs oder über die Menge der Vorräte irreführende Angaben macht, kann auf Unterlassung der Angaben in Anspruch genommen werden. Einschlägige Bestimmung der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO): 43 b Werbung Werbung ist dem Rechtsanwalt nur erlaubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet und nicht auf die Erteilung eines Auftrags im Einzelfall gerichtet ist. RÜGE Die Beschwerdeführerin rügte nach Artikel 10 der Konvention den Beschluss, mit dem ihr untersagt wurde, mit ihrer Gebührentabelle für Erstberatungen im Zusammenhang mit dem Sternchenvermerk, der auf die gesetzlich zulässigen Höchstgebühren Bezug nimmt, zu werben. RECHTLICHE WÜRDIGUNG Die Beschwerdeführerin rügte, dass der Beschluss der nationalen Gerichte zu ihrer Gebührentabelle ihr Recht auf freie Meinungsäußerung verletze. Artikel 10 der Konvention lautet:

6 (1) Jede Person hat das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht schließt die Meinungsfreiheit und die Freiheit ein, Informationen und Ideen ohne behördliche Eingriffe und ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu empfangen und weiterzugeben. Dieser Artikel hindert die Staaten nicht, für Hörfunk-, Fernseh- oder Kinounternehmen eine Genehmigung vorzuschreiben. (2) Die Ausübung dieser Freiheiten ist mit Pflichten und Verantwortung verbunden; sie kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit oder die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung. Die Beschwerdeführerin trug vor, dass ihr zwar bekannt sei, dass Rechtsanwaltswerbung eingeschränkt werden könne, die deutschen Gerichte in vorliegender Rechtssache aber ihren Ermessensspielraum überschritten und ihr Recht auf freie Meinungsäußerung unrichtigerweise eingeschränkt hätten. Ihr Faltblatt habe über ihre Gebühren sachlich informiert. Die Gebühren lägen innerhalb des gesetzlichen Rahmens und seien damit vereinbarungsfähig. Ihre Mandanten hätten ein legitimes Interesse an den Informationen des Faltblatts, die nicht irreführend seien, weil die Angaben zu ihren Gebühren wahrheitsgemäß seien und der Hinweis in der Fußnote auf die gesetzlich zulässige Höchstgebühr zutreffe. Die nationalen Gerichte hinderten sie daran, ihren Mandaten rechtmäßige Auskünfte zu erteilen. Daher sei es diskriminierend, dass das Werbeverbot Vorrang vor ihren Grundrechten gehabt habe. Sie trug überdies vor, dass 250.000 Euro Ordnungsgeld bei Nichtbefolgung des Beschlusses unverhältnismäßig seien. Der Gerichtshof stellt fest, dass das Verbot der Art und Weise, in der die Beschwerdeführerin in dem Faltblatt mit ihren Gebühren warb, ein Eingriff in ihr Recht auf freie Meinungsäußerung war.

7 Ein solcher Eingriff verstößt gegen Artikel 10, wenn er nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, ein oder mehrere legitime Ziele nach Absatz 2 verfolgt und in einer demokratischen Gesellschaft zur Erreichung dieses Ziels oder dieser Ziele erforderlich ist. Der Gerichtshof merkt an, dass die nationalen Gerichte ihre Entscheidungen auf 3 UWG i. V. m. 43b BRAO stützten. Diese gesetzlichen Bestimmungen enthalten Regeln über das berufliche Verhalten der Rechtsanwälte, insbesondere im Hinblick auf Werbung. Daher war der gerügte Eingriff gesetzlich vorgeschrieben. Mit den oben genannten Bestimmungen wurde auch ein im Sinne von Artikel 10 Abs. 2 legitimes Ziel verfolgt, nämlich der Schutz der Rechte anderer, die Gefahr liefen, durch irreführende Werbung im Zusammenhang mit unfairem Wettbewerb einen Nachteil zu erleiden. Bezüglich der Frage, ob der in Rede stehende Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft erforderlich war, weist der Gerichtshof erneut darauf hin, dass Werbung für den Bürger ein Mittel zur Ermittlung der Beschaffenheit von ihm angebotenen Dienstleistungen und Waren darstellt. Dennoch darf sie gelegentlich einschränkt werden, insbesondere zur Verhinderung unlauteren Wettbewerbs und wahrheitswidriger oder irreführender Werbung. Unter gewissen Umständen kann sogar die Veröffentlichung objektiver und wahrheitsgemäßer Werbung eingeschränkt werden, um die Rechte Dritter zu wahren oder die Besonderheiten bestimmter geschäftlicher Tätigkeiten oder Berufe zu berücksichtigen (siehe Rechtssache S../. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 37928/97, Rdnr. 39, 17. Oktober 2002). Alle derartigen Einschränkungen sind jedoch durch den Gerichtshof genau zu prüfen; dieser muss die sich aus diesen Besonderheiten ergebenden Erfordernisse mit der in Rede stehenden Werbung abwägen und dazu die angefochtene Sanktion im Lichte des Falles als Ganzem betrachten (siehe Rechtssache Casado Coca./. Spanien, Urteil vom 24. Februar 1994, Serie A Band 285-A, S. 20, Rdnr. 51). In Rechtsanwälte betreffenden Fällen hat der Gerichtshof festgestellt, dass sich die üblichen Einschränkungen bezüglich des Verhaltens von Mitgliedern der Anwaltskammern mit deren zentraler Position in der Rechtspflege als Mittler zwischen Allgemeinheit und Gerichten erklären lassen (siehe Rechtssache Schöpfer./. Schweiz, Urteil vom 20. Mai 1998, Urteils- und Entscheidungssammlung 1998-III, S. 1052, Rdnr. 29, unter Verweis auf das oben erwähnte Urteil in der Rechtssache Casado Coca./. Spanien, S. 21, Rdnr. 54, und in jüngerer Zeit Rechtssache Nikula./. Finnland, Individualbeschwerde Nr. 31611/96, Rdnr. 45, 22. März 2002). Unter Berücksichtigung des breiten Spektrums von Regelungen und der Veränderungen in den Staaten, die dem Europarat angehören, sind die anwaltlichen Gremien und

8 die nationalen Behörden wegen ihrer unmittelbaren und ständigen Kontakte besser als die internationalen Gerichte in der Lage, darüber zu entscheiden, wie die verschiedenen betroffenen Interessen in einem bestimmten Zeitpunkt gegeneinander abgewogen werden können (siehe Rechtssache Casado Coca, Urteil a. a. O., S. 21, Rdnr. 54-55). Zwar nimmt der Gerichtshof zur Kenntnis, dass es innerhalb der Europäischen Union in jüngerer Zeit Bemühungen gibt, alle vollständigen Verbote hinsichtlich kommerzieller Kommunikationen zu beseitigen (Artikel 24 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt), findet es aber auch wichtig herauszustellen, dass das vorliegende Verfahren den Bereich des unlauteren Wettbewerbs betrifft, einen Bereich, den der Gerichtshof als komplex und als Schwankungen unterworfen ansieht, und in dem ein gewisser Ermessensspielraum daher unverzichtbar erscheint (Rechtssachen J../. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 15088/89, Urteil vom 23. Juni 1994, Serie A Band 291-A, S. 14, Rdnr. 26, und markt intern Verlag GmbH und K. B../. Deutschland, Individualbeschwerde Nr. 10573/88, Urteil vom 20. November 1989, Serie A Band 165, S. 17-19, Rdnr. 33). In vorliegender Rechtssache stuften die nationalen Gerichte die Art und Weise, in der die Beschwerdeführerin ihre Gebühren bewarb, als irreführende Werbung ein, weil sie sie mit einem Sternchenvermerk versah, der auf die gesetzlich zulässige Höchstgebühr hinwies, ohne jedoch zu erwähnen, dass diese Gebühr nur bei Streitwerten über 10.000 DM anfällt und Rechtsanwälte Gebühren in Höhe von 1/10 bis 10/10 der vollen Gebühr verlangen können. Die nationalen Gerichte stellten bei der Prüfung des Faltblatts fest, dass ein Durchschnittsbürger, der sich komplizierten Rechenoperationen nicht unterziehen dürfte, irrtümlich davon ausgehen könnte, dass die Beschwerdeführerin in allen Angelegenheiten preiswerter sei als andere Rechtsanwälte, obwohl die Gebühren der Beschwerdeführerin bei niedrigen Streitwerten zum Teil erheblich über den gesetzlich zulässigen Gebühren lagen. Insoweit ist der Gerichtshof wie das Oberlandesgericht Dresden der Auffassung, dass der Beschwerdeführerin entgegen ihrem Vorbringen nicht grundsätzlich untersagt worden sei, mit ihren Gebühren zu werben. Vielmehr war die konkrete Ausgestaltung der Werbung in Verbindung mit dem Sternchenvermerk irreführend. Diese Maßnahme kann somit vernünftigerweise im Sinne von Artikel 10 Abs. 2 der Konvention als in einer demokratischen Gesellschaft notwendig angesehen werden.

9 Im Hinblick auf die oben aufgeführten Erwägungen kann der Gerichtshof nicht feststellen, dass die nationalen Gerichte ihren Ermessenspielraum überschritten haben, als sie die Tabelle in dem Faltblatt als - insbesondere aus der Sicht des Durchschnittsbürgers - irreführend auslegten oder ein Ordnungsgeld androhten. Daraus folgt, dass diese Rüge offensichtlich unbegründet ist und nach Artikel 35 Absätze 3 und 4 der Konvention zurückzuweisen ist. Aus diesen Gründen erklärt der Gerichtshof die Beschwerde einstimmig für unzulässig. Claudia WESTERDIEK Kanzlerin Peer LORENZEN Präsident