schlechte Gewissen sind in ähnlichem Maße gewachsen, wie die Verhütungsmethoden sicherer wurden. Seit Einführung der Pille, dem häufigsten Verhütungsmittel in Deutschland, können sich Mütter ganz bewusst für ein Kind entscheiden. Kinder sind heute meisten Fällen nicht mehr ein Produkt des Zufalls oder Schicksals, sondern meist ganz bewusst gezeugt, oft sehnlichst erwünscht und manchmal auch lange erwartet. Mit dieser bewussten Entscheidung laden moderne Mütter jedoch eine gewaltige Verantwortung auf sich, argumentiert Badinter.»Von der Empfängnis an treten sie ein in einen Diskurs der Schuld. Von da an fühlen sie sich verpflichtet, das Maximum für das Kind zu geben. Gesund zu leben, sich ganz auf das Baby zu konzentrieren, sich selbst zurückzustellen.«im 18., 19. und in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts hatten Mütter vor allem zwei Aufgaben: Kinder zur Welt zu bringen und Kinder großzuziehen. Im Verlauf des 20. Jahrhunderts, das von der schwedischen Pädagogin Ellen Key schon 1902 als das»jahrhundert des Kindes«bezeichnet worden war, kam eine Herkulesaufgabe für uns hinzu: Mütter werden heute nicht mehr nur für die bloße Existenz ihrer Kinder und für ihre Gesundheit und Lebenserwartung verantwortlich gemacht, sondern obendrein auch noch für ihre Psyche, für ihre Persönlichkeit und gleichzeitig für ihre seelische Gesundheit. Die von Sigmund Freud losgetretene Psychoanalyse, und davon ausgehend das Gros der Kinderärzte, Pädagogen und Psychologen, ging im vergangenen Jahrhundert in einer Vielzahl von Studien von einer Art Naturgesetz
aus: Wir Mütter sind es, die unsere unfertigen Kinder in ihren ersten Lebensjahren zu den Menschen modellieren, die sie später einmal sein werden. Was wir für unsere Kinder tun, so die psychoanalytische Theorie, das prägt sie für den Rest ihres Lebens. Ganz besonders aber was wir nicht für unsere Kinder tun. Nur unsere bedingungslose und ununterbrochene Liebe und Zuwendung garantiere ihnen die beste seelische Gesundheit. Wir alleine stehen am Stellwerk unserer Kinder.»Durch die Psychoanalyse wird die Mutter zur Hauptverantwortlichen für das Glück ihres Sprösslings«, schreibt Badinter.»Von der Verantwortung zur Schuld war es nur ein kleiner Schritt.«Vater-Mutter-Kind im 21. Jahrhundert»Heute haben sie Vater-Mutter-Kind gespielt«,
begrüßte mich die Erzieherin in Nepomuks Krippengruppe kürzlich.»aha«, sagte ich und dachte an Brombeeren.»Dein Sohn war der Papa«, fuhr die Erzieherin fort.»aha«, sagte ich wieder. Der Glückliche.»Der Arme kam als Einziger nicht dazu, sich auszuziehen«, erzählte die Erzieherin weiter.»bitte was?«, fragte ich verwirrt.»erst musste er den anderen im Spiel eine Badewanne einlassen, dann hat er ihnen geholfen, sich auszuziehen. Als sie in der Wanne saßen, hat er ihnen schon mal die Brote fürs Abendessen geschmiert. Er ist hin und her geflitzt und hatte gar keine Zeit, sich selbst auch auszuziehen und zu den anderen beiden zu setzen.«die Rollen im Vater-Mutter-Kind-Spiel haben sich in den vergangenen 30 Jahren offenbar sehr verändert, nicht nur unter Kindern. Auch Psychologen und Pädagogen
haben in den vergangenen Jahren unter all dem Ideologieschrott der vergangenen Jahrhunderte die Väter entdeckt. Stück für Stück werden sie geborgen, wird auch ihre Bedeutung für die Entwicklung ihrer Kinder hervorgehoben.»anfangs kennt das Kind zuerst die Mutter«, stellte in den 1960er-Jahren der britische Kinderarzt und Psychoanalytiker Donald Winnicott klar. Uns Müttern schrieb er eine fundamentale Funktion im Leben unserer Kinder zu, denn ohne uns könne es für sie keine menschliche Zukunft geben. Den Vater hatten er und seine Kollegen lange Zeit nicht so recht auf dem Zettel. Mütter könnten allenfalls versuchen, so Winnicott,»Vater und Sohn oder Vater und Tochter gelegentlich auf einen Ausflug zu schicken«. Im 19. Jahrhundert war der Vater in einigen Erziehungsratgebern schlicht vergessen worden, zeigt Elisabeth Badinter. Bis weit in