Seite 1 Dokument 2 von 3 Tages-Anzeiger Mittwoch 6. Juni 2012 Private Pflegerinnen arbeiten unter widrigen Umständen AUTOR: Von Liliane Minor RUBRIK: FRONT; NaN; S. 1 LÄNGE: 401 Wörter Eine Studie zeigt erstmals, zu welchen Bedingungen Haushalts- und Pflegehilfen angestellt sind. Wie viele Frauen - vor allem aus Osteuropa - in Schweizer Haushalten alte, gebrechliche und demente Menschen betreuen, weiss niemand. Sicher ist: Es werden immer mehr. Allein in der Stadt Zürich gibt es mehr als 30 Agenturen, die auf die Vermittlung solcher Haushaltshilfen spezialisiert sind. Hinzu kommen unzählige private Arbeitsverhältnisse. Gestern hat die Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich eine Studie der Uni Zürich vorgestellt, die erstmals zeigt, unter welchen Bedingungen diese Haushaltshilfen arbeiten. Sie zeigt: Die Arbeitsbedingungen sind nicht gut. Das liegt unter anderem daran, dass es nur wenige gesetzliche Vorschriften für die Anstellung von Haushaltshilfen gibt. Zudem übersteigt das Angebot die Nachfrage, weshalb die Agenturen fast beliebige Bedingungen diktieren können. Meistens wohnen die Frauen im Haushalt der Kunden. Gemäss Vertrag müssten sie zwar bei keiner Agentur mehr als 50 Stunden pro Woche arbeiten. Allerdings fordern die Agenturen, dass die Haushaltshilfen rund um die Uhr abrufbar sind. Meist wird ebenfalls verlangt, dass die Care-Migrantinnen ihre Freizeit im Haus verbringen. Überstunden müssen sie direkt mit den Kunden abrechnen. «Die Agenturen entziehen sich so ihrer Verantwortung», sagt Jasmine Truong, Mitautorin der Studie. «Niemand garantiert, dass die festgelegte Arbeitszeit eingehalten wird.» Viel Arbeit für wenig Lohn Sehr unterschiedlich fallen die Kosten für die Betreuung aus. Die Kunden zahlen für die Dienstleistung zwischen 4000 und 8000 Franken pro Monat; für die Frauen resultiert daraus ein Brutto-Lohn von etwa 3000 bis 5000 Franken. Allerdings teilen sich in der Regel zwei Migrantinnen eine Betreuungsstelle. Sie arbeiten jeweils zwei bis vier Wochen am Stück, danach haben sie zwei bis vier Wochen frei. Faktisch verdienen sie somit nicht mehr als 1500 bis 2500 Franken pro Monat. Die Studie zeigt weiter, dass die Frauen teilweise rechtlich nur schlecht abgesichert sind. Vielfach sind die Verträge so gestaltet, dass die Kündigungsfrist nur zwei Tage beträgt; eine Garantie auf Weiterbeschäftigung, wenn die betreute Person stirbt, gibt es nicht. Jene Frauen, die nicht über Agenturen angestellt sind, haben oft keinen Arbeitsvertrag und
Private Pflegerinnen arbeiten unter widrigen Umständen Tages-Anzeiger Mittwoch 6. Juni 2012 Seite 2 damit auch keinen Anspruch auf Ferien oder Sozialleistungen. Kommentar Seite 2, Berichte Seite 13 UPDATE: 6. Juni 2012 SPRACHE: GERMAN; DEUTSCH PUBLICATION-TYPE: Zeitung Copyright 2012 TA-Media AG Alle Rechte Vorbehalten
Seite 1 Dokument 3 von 3 Tages-Anzeiger Mittwoch 6. Juni 2012 Haushaltshilfen aus Osteuropa schuften zu Minimal-Löhnen AUTOR: Von Liliane Minor RUBRIK: ZÜRICH; NaN; S. 13 LÄNGE: 1137 Wörter Fachleute verlangen, dass der Staat die Arbeitsbedingungen für Haushaltshilfen klarer regelt. Zürich - Sie schneiden ihren Kunden die Haare, waschen, gehen einkaufen, begleiten sie auf Spaziergänge. Und sie sorgen auch für die Körperpflege, geben Essen ein und wachen wenn nötig nachts am Bett. Meist stehen sie sieben Tage pro Woche rund um die Uhr zur Verfügung. Und das alles für einen Lohn von 1500 bis 2500 Franken. Die Rede ist von sogenannten Care-Migrantinnen, Haushaltshilfen meist aus osteuropäischen EU-Ländern. Immer mehr von ihnen arbeiten in Schweizer Haushalten. Das Phänomen der Care-Migrantinnen ist relativ neu; es hängt eng mit der Personenfreizügigkeit zusammen. Dass es wieder verschwindet, ist eher unrealistisch, vermutet Dore Heim, die Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich: «Die Zahl der Demenzerkrankungen nimmt zu, und die Kosten für einen Heimplatz sind relativ hoch.» Deshalb dürfte die Zahl der Haushaltshilfen aus Osteuropa in den nächsten Jahren weiter steigen. Qualität in Gefahr Wie viele Frauen bereits hier arbeiten, ist unbekannt. Sicher ist: Der Markt boomt. Die Gleichstellungs-Fachstelle, aber auch andere Fachleute und Politiker halten diese Entwicklung für problematisch. Das beginnt mit den oft ausbeuterischen Anstellungsverhältnissen. Eine Studie, welche die Uni Zürich im Auftrag der Fachstelle verfasst hat, zeigt, dass das Gesetz den Frauen nur wenig Schutz bietet, selbst wenn sie von einer Agentur und nicht von Privatpersonen angestellt worden sind. Zwar ist für Haushaltshilfen ein Mindestlohn von 18.50 Franken pro Stunde vorgeschrieben. Faktisch wird diese Vorschrift allerdings unterlaufen, denn in der Regel wohnen die Frauen im Haushalt der Person, die sie betreuen. Und es wird erwartet, dass sie rund um die Uhr zur Verfügung stehen - obwohl es strafbar ist, jemanden rund um die Uhr ohne Pause zu beschäftigen. «Die Gefahr ist riesig, dass diese Frauen schon nach zwei Wochen völlig erschöpft sind», sagt Dore Heim. «Das
Haushaltshilfen aus Osteuropa schuften zu Minimal-Löhnen Tages-Anzeiger Mittwoch 6. Juni 2012 Seite 2 verschlechtert dann natürlich die Qualität der Betreuung.» Die Qualität ist um so mehr ein heikler Punkt, als die Haushaltshilfen in der Regel keine pflegerische Ausbildung haben. Viele haben zwar ein Studium, aber in einem anderen Fach. Dennoch übernehmen die Haushaltshilfen häufig Aufgaben, die eigentlich zur Grundpflege gehören und die sie deshalb eigentlich der Spitex überlassen müssten: Essen eingeben, Windeln wechseln, Körperpflege, Beine einbinden. Dass die Spitex die Grundpflege macht, während die Haushaltshilfe den Rest erledigt, kommt relativ selten vor. Das zeigt eine Umfrage des Instituts Careum bei Spitex-Anbietern. Und wo beide zusammen arbeiten, klappt die Abgrenzung häufig nicht. Die Spitex beobachtet die Haushaltshilfen mit Sorge. «Wenn man keine Ausbildung hat, kann man sich anbahnende Probleme oft nicht richtig einschätzen», sagt Karin van Holten vom Institut Careum. Lohndruck auch auf Spitex? Für die Gleichstellungs-Fachstelle ist klar, dass es für die Haushalshilfen bessere gesetzliche Regelungen und mehr Schutz vor Ausbeutung bräuchte. Auch einige Vermittlungsagenturen rufen inzwischen nach mehr staatlicher Aufsicht, denn der Konkurrenzkampf ist hart, weil das Angebot die Nachfrage übersteigt. Der Druck auf die Preise ist entsprechend gross. Wichtig für die Fachleute ist auch eine klare Regelung, was eine Haushaltshilfe überhaupt darf. «Eine grosse Knacknuss ist die Abgrenzung zur kassenpflichtigen Grundpflege», sagt Dore Heim. Das sieht auch Katharina Prelicz-Huber, Präsidentin der Gewerkschaft VPOD, so: «Je mehr Spitex-Aufgaben die Haushaltshilfen übernehmen, desto mehr steigt der Kostendruck auf die Spitex.» Es müsse unbedingt verhindert werden, dass die heutigen Löhne unter Druck gerieten.die Fachstelle für Gleichstellung hat nun einen Ratgeber für Familien veröffentlicht, die eine Haushaltshilfe aus dem Ausland beschäftigen. Die kostenlose Broschüre zeigt, welche Vorschriften zu beachten sind. Sie ist über Telefon 044 412 48 68 oder via E-Mail an gleichstellung@zuerich.ch erhältlich. Kommentar Seite 2 Eine 36-jährige Haushalthilfe aus Ungarn erzählt «Ich würde auch ohne Vertrag arbeiten» «Ich habe einen Uni-Abschluss, aber in meiner Heimat Ungarn gibt es kaum Arbeit. Eine Zeit lang habe ich in einem Büro gearbeitet, aber der Lohn war so niedrig, dass ich mein Ziel nicht erreicht hätte. Ich wollte mit meinem Partner ein Haus bauen, denn im Alter ist die Rente in Ungarn so tief, dass sich niemand eine Mietwohnung leisten kann. Deshalb suchte ich Arbeit im Ausland. Angefangen habe ich in Deutschland bei einer Frau, die von früher her an Hausangestellte gewöhnt war. Ich musste sie bei Spaziergängen begleiten, aber auch putzen und dergleichen. Mir hat die Arbeit dort nicht gefallen. Im Internet habe ich Arbeit in der Schweiz gefunden. Nun pflege ich seit mehreren Jahren einen demenzkranken Mann. Ich teile die Stelle mit einer anderen Frau, wir wechseln uns im Monatsrhythmus ab. Der Mann braucht rund um die Uhr Betreuung. Seine Ehefrau kann ihn nicht pflegen, sie hat darin keine Erfahrung. Er braucht bei allem Hilfe: beim Aufstehen und Anziehen, beim Duschen, auf der Toilette und auch beim Essen, weil er kein Besteck halten kann. Ich muss rund um die Uhr verfügbar sein. Das ist zwar sehr anstrengend und braucht viel Geduld, aber dennoch ist es eine wunderschöne Arbeit. Manchmal gibt es Momente, in denen ich mich ausgenutzt fühle. An einer anderen Stelle verlangte ich einmal mehr Lohn, weil die Arbeit sehr streng war. Der Sohn der Frau, die ich damals betreute, stimmte zu. Aber dessen Treuhänderin riet ihm davon ab, mir mehr zu zahlen - mit dem Argument, ich würde dann mehr verdienen als ihre
Haushaltshilfen aus Osteuropa schuften zu Minimal-Löhnen Tages-Anzeiger Mittwoch 6. Juni 2012 Seite 3 Tochter, die Verkäuferin ist. Das hat mich verletzt. Es kam auch schon vor, dass ich wie eine Hausangestellte Gäste bedienen oder für andere Familienmitglieder aufräumen musste. Das finde ich nicht in Ordnung. Meine jetzige Stelle ist gut, meine Arbeit wird geschätzt. Das hilft mir. Ich habe im Moment eine vertraglich geregelte Anstellung, aber ich habe auch schon ohne Vertrag gearbeitet. Und ich würde das wieder tun. Natürlich ist es beruhigend, wenn man die Sicherheit eines Vertrags hat. Aber ich will ehrlich sein, ich brauche das Geld. Mit dem Lohn bin ich zufrieden. Ich erhalten jeden zweiten Monat 4400 Franken netto; für mein Zimmer und mein Essen muss ich nichts bezahlen. Ich erwarte von der Schweiz keine Rente, denn mit dem, was ich hier verdiene, kann ich mir in Ungarn die Pensionskasse leisten.» Aufgezeichnet von Liliane Minor UPDATE: 6. Juni 2012 SPRACHE: GERMAN; DEUTSCH GRAFIK: Haare schneiden geht ja noch. Die Spitex kritisiert, Haushaltshilfen übernähmen auch Aufgaben der Grundpflege. Foto: Bildlinge PUBLICATION-TYPE: Zeitung Copyright 2012 TA-Media AG Alle Rechte Vorbehalten