BMG/bvpg-Tagung Gesunde Arbeit, erfolgreiche Betriebe Workshop 3: Doping am Arbeitsplatz Dresden, 5.12.2011, 13.45-15.15h Statement: Prof. Dr. Dieter Henkel Institut für Suchtforschung (ISFF) Fachhochschule Frankfurt a.m. University of Applied Sciences prof.dieter.henkel@t-online.de
Was ist mit Doping gemeint? Die aktuelle Debatte um Doping in der Arbeitswelt bezieht sich auf das sog. pharmakologische Neuroenhancement (enhancement = Verbesserung, Steigerung) populär Hirndoping 2
Definition des pharmakologischen Neuroenhancement Darunter versteht man den Versuch gesunder Menschen, die Leistungsfähigkeit des Gehirns durch die Einnahme von verschreibungspflichtigen Medikamenten zu verbessern, die für Kranke, vor allem für Menschen mit Demenzerkrankungen, Depressionen, Aufmerksamkeitsstörungen (ADHS) oder Narkolepsie (pathologischer Schlafdrang) entwickelt wurden. 3
Welche Medikamente sind das, und was versprechen sie? Dazu gehören Psychostimulantien (z.b. Methylphenidat, Modafinil), Antidementiva (z.b. Donepezil), Melanit) und Antidepressiva (z.b. Fluoxetin, Citalopram), Sie versprechen Verbesserungen der kognitiven Hirnleistungen (Lernen, Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Wachheit, Konzentration u.ä.m.) oder eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit durch Stimmungsaufhellung bzw. Befindlichkeitsverbesserung (z.b. Stressreduktion, Erhöhung der Aktivierung und der Leistungsbereitschaft) 4
Sie könnten eine große Verbreitung erfahren, denn sie passen zur heutigen Arbeitswelt, in der die psychischen, vor allem kognitiven Belastungen einen historischen Höchststand erreicht haben. An der Spitze der als stark belastend empfundenen Anforderungen stehen: für 30% der Beschäftigten die ständige Aufmerksamkeit/Konzentration für 30% der Termin- oder Leistungsdruck für 25% Störungen/Unterbrechungen bei der Arbeit für 24% das hohe Arbeitstempo für 24% die hohe Verantwortung für 22% die zu große Arbeitsmenge für 22% das Risiko, arbeitslos zu werden für 22% die erforderliche Genauigkeit Quelle: Zok (2010), Repräsentativerhebung des WIdO der AOK, (N >28.000) Ähnliche Ergebnisse in weiteren repräsentativen Studien: Vetter, Redmann 2005; Kuhn (2010), RKI 2011. 5
Epidemiologie Prävalenz des Hirndopings bei Beschäftigten Aber wie viele tun es tatsächlich? 2 bundesweite Befragungen Definition des Hirndoping so wie eingangs definiert: (1) KOLIBRI-Studie (RKI 2010, N=6.142, 19-97 Jahre): 12-Monatsprävalenz in Gesamtstichprobe 1.5% Erwerbstätige mit Wochenarbeitszeit >40 Stunden 2-mal höhere Prävalenz als Erwerbstätige <20 Stunden (2) DAK-Erwerbstätigenbefragung (2008, N=3.017, 20-50 Jahre): Lebenszeitprävalenz 5% Prävalenz der mindestens 1-mal monatlichen Konsumenten 1%-2% 6
Leistungssteigernde Effekte, Nebenwirkungen, Suchtgefahren Bewirkt die Einnahme von Neuroenhancer bei Gesunden tatsächlich eine merkliche Leistungssteigerung in der je konkreten Arbeit? Diese Frage ist bis heute nicht untersucht. Lediglich unter einfachen Laborbedingungen. Ergebnis: schwache bis keine, z.t. sogar entgegengesetzte Effekte. Welche Nebenwirkungen treten auf? Jedes der Neuroenhancement-Medikamente hat Neben- bzw. Störwirkungen: z.b. Übelkeit, Schwindel, Ruhelosigkeit, Kopfschmerzen. Suchtrisiko: Bei Psychostimulantien hoch. 7
Viel Lärm um nichts? Wenn die epidemiologische Verbreitung des Hirndoping vergleichsweise marginal ist, die verfügbaren Medikamente für Gesunde wenig bis gar nicht wirksam sind, sie zudem zahlreiche Nebenwirkungen haben (incl. möglicher Suchtgefahren), soll man dann das Thema Hirndoping in der Arbeitswelt als irrelevant ad acta legen? 8
Nein, denn Hirndoping wird wahrscheinlich an Bedeutung zunehmen, denn DAK-Erwerbstätigenbefragung ergab: Viele Beschäftigte halten es jetzt schon für sich selbst vertretbar, Neuroenhancer einzunehmen, wenn sie denn wirken würden und nebenwirkungsarm wären: 25% für Verbesserung von Gedächtnis/Konzentration in der Arbeit, 13% gegen Müdigkeit während der Arbeit.. Und die Pharmakonzerne haben ein Interesse an der Entwicklung potenter und zugleich nebenwirkungsarmer Medikamente, denn sie erwarten ein expandierendes lukratives Marktsegment, da nach allen Prognosen zur Zukunft der Arbeit die psychischen Belastungen weiter zunehmen werden. 9
Daher ist es sinnvoll und notwendig, schon heute Fragen der Prävention zu diskutieren Doch zunächst: Um was geht es beim Hirndoping in der Arbeitswelt? Im Kontext von Lohnarbeit ist Hirndoping der Versuch einer chemischen Anpassung an fremdbestimmte und zu erfüllende Arbeitsanforderungen, die psychisch belasten, u.u. sogar psychisch krank machen. Solange diese unverändert bleiben, geben sie immer wieder Anlass, leistungssteigernde Mittel einzunehmen. Daher müssen die pathogenen Arbeitsstrukturen selbst verändert werden und nicht die Beschäftigten durch Hirndoping, das zudem selbst Risiken der Gesundheit impliziert. Dazu kann auf ein elaboriertes know-how zurückgegriffen werden, denn der Zusammenhang von Arbeit und psychischer Gesundheit ist schon lange im Focus der Arbeits- und Gesundheitswissenschaften, des Arbeitsschutzes, der Gesundheitsförderung, der Gewerkschaften und Krankenkassen und inzwischen zu einem prioritären Handlungsziel der verschiedenen Akteure geworden, und zwar schon weit vor und ganz unabhängig von dem relativ neuen Phänomen des Hirndopings. 10
Hirndoping in der Arbeitswelt Anders gelagert ist der Fall von Hirndoping, um davon selbst zu profitieren, z.b. in Form von mehr Lohn, betrieblichem Aufstieg, besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Das erfordert, besser zu sein als andere. Analog zum Doping im Sport werden dadurch die Konkurrenzbeziehungen zwischen den Beschäftigten verschärft. Dabei werden (potente Substanzen unterstellt) die Chancen derjenigen verschlechtert, die das Neuroenhancement nicht nutzen. Damit wird der Druck auf sie erhöht, es auch zu tun (oder in der Konkurrenz zu unterliegen). Je mehr sich aber das Hirndoping ausbreitet, umso mehr nivelliert sich der ursprüngliche Konkurrenzvorsprung bis er letztlich ganz verschwindet. Die mögliche Folge wäre eine Dopingspirale hin zu immer potenteren und damit problematischeren Mitteln, wie vom Spitzensport hinlänglich bekannt. Was also mit einer kurzfristigen Überlegenheit des Einzelnen beginnt, endet auch beim Hirndoping in der Arbeitswelt mit fatalen Folgen für alle. 11
Literatur DAK-Gesundheitsreport 2009. Schwerpunktthema Doping am Arbeitsplatz (S. 37-90). Deutsche Angestelltenkrankenkasse 2009. KOLIBRI-Studie (Lang et al. 2011). Studie zum Konsum leistungsbeeinflussender Mittel in Alltag und Freizeit. Robert-Koch-Institut, Berlin. Kroll et al. (2011). Arbeitsbelastungen und Gesundheit RKI, 5/2011. Kuhn K (2010). Psychische Gesundheit am Arbeitsplatz aus europäischer Sicht. In Badura B et al. (Hrsg.). Fehlzeiten-Report 2009 (S. 41-50). Springer, Berlin, Heidelberg. Gaßmann R et al. (2012). Hirndoping der große Schwindel. Beltz-Juventa, i.v. Vetter, Redmann (2005). Arbeit und Gesundheit. WIdO der AOK, WIdO 52. Köln. Zok, K. Gesundheitliche Beschwerden und Belastungen am Arbeitsplatz. Ergebnisse aus Beschäftigtenbefragungen. WIdO der AOK, KomPart Verlagsgesellschaft, 2010. 12