1. Einleitung 1.1. Epidemiologie und Ätiologie der chronischen Niereninsuffizienz



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1. Einleitung 1.1. Epidemiologie und Ätiologie der chronischen Niereninsuffizienz Die chronische Niereninsuffizienz stellt eine weltweite Bedrohung der öffentlichen Gesundheit dar und wird dennoch in ihrer vollen Dimensionen nicht adäquat gewürdigt: 90% der derzeit weltweit von den verschiedenen Formen der Nierenersatztherapie abhängigen 1,8 Mio. Patienten (Deutschland: ca.60000 Menschen [Quelle: www.quasi-niere.de]) leben in industrialisierten Weltgegenden; die Verfügbarkeit dieser aufwendigen therapeutischen Maßnahmen in weniger entwickelten Regionen der Welt ist gering oder besteht nicht, so dass die Progression einer chronischen Niereninsuffizienz zum terminalen Nierenversagen hier meist einen letalen Ausgang nimmt [Levey, 2003]. In der industrialisierten Welt hingegen steigt die Bedeutung dieses Problems stetig: Die im Rahmen eines nationalen Versorgungsprogramms (End-Stage renal disease program) in den USA erhobenen Daten dokumentieren eine Verdopplung der Prävalenz zwischen 1972 (dem Jahr der Einführung des Programmes) und den neunziger Jahren (in der Größenordnung von 150000 vs. 300000 Patienten) [Xue, 2001]. Als Erklärung für diese Beobachtung könnten technisch optimierte und verbreitet verfügbare Maßnahmen der Hämo- und Peritonealdialyse wie auch die deutlich gesteigerte Erfolgsquote der Transplantationsmedizin und hier insbesondere die verfeinerte Therapie der Transplantatabstoßung dienen. Jedoch steigt auch die Inzidenz dieser Erkrankung immer weiter: Waren in den USA im Jahr 1989 noch 45127 Patienten mit neu aufgetretenem terminalen Nierenversagen registriert worden, so wuchs diese Zahl auf 87534 Individuen im Jahre 1998. Die Kosten beliefen sich auf 5% des nationalen Versorgungsprogramms Medicare (und kamen dabei lediglich 0,7% der versorgten Population zugute). Auf Grundlage von Vorhersagemodellen wird in den USA von einer erneuten Verdopplung der Prävalenz des terminalem Nierenversagen mit 650000 betroffenen Patienten im Jahre 2010 ausgegangen. [Xue, 2001]. Ätiologisch sind in den USA wie in vielen anderen Ländern neben einer Vielzahl von genetisch determinierten, entzündlichen und toxischen Ursachen vor allem der Diabetes mellitus sowie der arterielle Hypertonus von Bedeutung. Insbesondere im Rahmen eines Diabetes besteht ein deutlich erhöhtes Risiko der Entwicklung einer terminalen Niereninsuffizienz, welches in verschiedenen Studien mit ca. 20-40% im Laufe einer Zeitspanne von 25 Jahren angegeben wird.[united States Renal Data System 2005] Zusätzlich ist dieses Patientenkollektiv der Diabetiker mit chronischer Niereninsuffizienz einem deutlich 1

erhöhten kardiovaskulären Risiko ausgesetzt, so daß die Chance dieser Patienten, an einem kardiovaskulären Ereignis auf dem Boden der verschlechterten Nierenfunktion zu sterben die Chance, das Stadium der terminalen Niereninsuffizienz zu erreichen übersteigt.[levey, 1998] Die in diesem Zusammenhang bedeutsamsten Fragen betreffen die Progression einer chronischen Nephropathie und sind noch stets Gegenstand der Diskussion: Wie hoch ist die Prävalenz dieser Erkrankung in Frühstadien (und wie genau sind diese zu definieren)? Welche Patienten sind hinsichtlich einer Progression besonders gefährdet und was sind die zu behandelnden Zielparameter? Welche (kosten)effektiven Maßnahmen bestehen, um diese Progression zu stoppen? Zur Klärung der Frage nach der stetig steigenden Inzidenz und Prävalenz der terminalen Niereninsuffizienz etablierte die US-amerikanische National Kidney Foundation im Jahr 2001 eine Einteilung der chronischen Nephropathie in fünf Stadien (Stadium 1 mit normaler GFR und Urinabweichungen, Stadien 2-4 zunehmender GFR-Verlust, Stadium 5 terminale Niereninsuffizienz). Vor diesem Hintergrund untersuchte man im Rahmen der großangelegten nationalen Datenerhebung NHANES III ( Third National Health and Nutrition Examination Survey) die Nierenfunktion von über 15000 Erwachsenen. Etwa 11% der Bevölkerung hatte eine chronische Nephropathie gemäß der obigen Definition (davon 3,3% Stadium 1, 3,0% Stadium 2, 4,3% Stadium 3, 0,2% Stadium 4, 0,2% Stadium 5) [Coresh, 2003]. Wichtigste Prädiktoren einer schlechten Nierenfunktion waren neben dem Vorliegen eines Diabetes mellitus und eines arteriellen Hypertonus insbesondere auch das Alter der Patienten:11% der über 65jährigen Patienten ohne andere Risikofaktoren wiesen eine chronische Nephropathie im Stadium drei oder höher auf. Ähnliche epidemiologische Erhebungen in Europa (z.b. im Rahmen der PREVEND-Studie im niederländischen Groningen) weisen ähnliche Prävalenzen bis 12% der erwachsenen Bevölkerung nach und veranschaulichen das Ausmaß des Problems. 1.2. aktuelle Therapieindikationen und Empfehlungen Einen Überblick über den Krankheitsverlauf der chronischen Nephropathie geben sowie mögliche Interventionspunkte und Risikofaktoren geben Abb.1 sowie Tab.1. 2

Abb.1: Progression der CNP und Interventionspunkte Tab.1.Risikofaktoren der CNP Risikofaktor Definition Beispiele Dispositions- Erhöhen Disposition für eine CNP höheres Alter, positive Familienanamnese, faktoren Nierenmassenreduktion, niedriges Geburtsgewicht, niedriges Einkommens- und Bildungsniveau Initiations- Induzieren direkt einen Diabetes mellitus, arterieller Hypertonus, faktoren Nierenschaden Autoimmunerkrankungen, systemische Infektion, toxische Genese, urogenitale Infektion/Obstruktion Progressions- Verursachen gravierenderen Hohe Proteinurie, erhöhter systemischer faktoren Organschaden und akzelerierten Blutdruck, schlechte Blutzuckerkontrolle bei Funktionsverlust Diabetes mellitus, Nikotinabusus Terminalfaktoren Steigern Mortalität und Morbidität im Rahmen einer Nierenersatztherapie Sinkende Dialyse-Dosis (Kt/V)*, Anämie, temporärer vaskulärer Zugang, niedriges Serum-Albumin, später Beginn der Nierenersatztherapie * Kt/v = Urea-Clearance unter Dialyse über die Zeit dividiert durch Urea-Verteilungsvolumen Ursachen für die bestehende Unsicherheit hinsichtlich eines allgemein anerkannten Therapieregimes sind die geringe Zahl von akzeptierten Studien ausreichenden Umfangs sowie die uneinheitliche Methodik hinsichtlich der Auswahl renaler Funktionsparameter und ihrer Grenzwerte. So ist bisher insbesondere undeutlich, welches Stadium einer chronischen 3

Nephropathie eine definitive Risikoerhöhung hinsichtlich der Progression zum terminalen Nierenversagen impliziert und entsprechend offensive Therapiestrategien rechtfertigt. In einem Teil der Krankheitsfälle, beispielsweise bei Vorliegen einer autoimmunologischen, infektiösen oder obstruktiven Ursache des renalen Funktionsverlustes (Initiationsfaktoren), ist eine kausale Therapie indiziert. Weiterhin ist ein Teil der in Tab.1 genannten Risikofaktoren (insbesondere die Dispositionsfaktoren) therapeutisch nicht beeinflussbar. Die derzeitige pharmakologische Therapie hat somit insbesondere eine positive Beeinflussung der Progressionsfaktoren der chronischen Nephropathie zum Ziel. Neben der optimalen Blutzuckerkontrolle im Rahmen eines Diabetes mellitus sind in diesem Zusammenhang die therapeutische Unterdrückung einer Proteinurie sowie die medikamentöse Senkung eines arteriellen Hypertonus von entscheidender Bedeutung. Zu diesem Zweck kommen derzeit insbesondere ACE-Inhibitoren und einzelne Vertreter der Kalziumantagonisten als Mittel der ersten Wahl zum Einsatz; häufig ist jedoch vor dem Hintergrund eines therapierefraktären arteriellen Hypertonus der Einsatz weiterer Antihypertensiva unumgänglich. Einen Überblick über die derzeitige Studienlage bezüglich der Effektivität einer ACE-Antagonisierung gibt Tab.2. Tab.2: ACE-Inhibition und Niereninsuffizienz Studie Autor und Jahr Patientenkollektiv Medikament Kinische Endpunkte RR Captopril-Studie [Lewis, 1993] 1996 409, Typ1-Diabetiker mit Proteinurie Captopril Plazebo vs. Verdopplung Serum-Kreatinin des 48% AIPRI [Maschio, 1999] REIN Stratum 2 [Gisen-group, 1997] REIN Stratum 1 [Ruggennenti, 1999] AASK [Agodoa, 2001] 1996 583; CNI, z.t. nichtdiabetisch 1997 117; nicht-diabetisch, CNI, Prot.> 3g/d 1999 186; nicht-diabetisch, Prot.>1g und <3g/d 2001 1094; Afro- Amerikanische Ethnie, Nephrosklerose Benazepril vs. Plazebo Ramipril Plazebo Ramipril Plazebo Ramipril Amlodipin vs. vs. vs. Verdopplung des 53% Serum-Kreatinin, Nierenersatztherapie Absinken der GFR 52% Absinken der GFR, Nierenersatztherapie GFR-Reduktion>50% Oder <25ml/min, ESRD, Tod 56% 38% RR, Reduktion des relativen Risikos bezogen auf klinische Endpunkte der jeweiligen Studie; CNI, chronische Niereninsuffizienz; Prot., Proteinurie; n.s., nicht signifikant; ESRD, terminales Nierenversagen 4

Zum näheren derzeitigen Verständnis der Rolle dieser Progressionsfaktoren in der Pathogenese der CNP folgt eine Darstellung der Pathophysiologie der intraglomerulären Perfusions- und Filtrationsvorgänge. 1.3. Pathophysiologie der chronischen Nephropathie 1.3.1. Renale Perfusion und Filtration Bei einer Perfusion der Nieren mit etwa 25% des Herzzeitvolumens (ca.1,2 Liter/Min.) entstehen pro Tag etwa 180-200 Liter Primärharn. Dieser Primärharn besteht im Wesentlichen aus Wasser, Elektrolyten und kleinmolekularen Substanzen wie Kreatinin und Glucose, sowie kleinen Mengen niedermolekularen Proteins. Er wird gebildet in einem kapillären Netzwerk mit zugehöriger afferenter perfundierender und efferenter drainierender Arteriole, dem Glomerulus (Abb.2). Die Filtrationsleistung aller Glomeruli pro Zeiteinheit entspricht der glomerulären Filtrationsrate (GFR, [ml/min]). Während der Passage des Primärharns durch das nachgeschaltete renale Tubulussystem können sowohl Wasser wie auch gelöste Substanzen unabhängig voneinander entsprechend dem physiologischen Bedarf rückresorbiert werden; umgekehrt wird die Exkretion harnpflichtiger Substanzen (wie Stoffwechselendprodukte, Arzneimittelmetabolite) durch aktive Sekretion zusätzlich vorangetrieben. Abb.2: Architektur des Glomerulus (Quelle: Prince George s Community College) 5

Physikalische Determinanten des renalen Blutflusses sind (analog zu anderen Gefäßabschnitten): Druck in der A.renalis (PA.renalis) Druck in der V.renalis (PV.renalis) Gefäßwiderstand resultierend aus der Gesamtheit der Nierengefäße Hieraus folgt gemäß dem Ohm schen Gesetz für Gefäßsysteme: Renaler Blutfluß = PA.renalis PV.renalis : totaler renaler Gefäßwiderstand Der Begriff der renalen Autoregulation beschreibt in diesem Zusammenhang die Beobachtung, das die glomeruläre Filtrationsleistung innerhalb der Schwankungsbreite eines physiologischen arteriellen Systemdrucks konstant bleibt. Dieses Phänomen hat seine Ursache in der Aufrechterhaltung eines konstanten intraglomerulären Nettofiltrationsdrucks durch Tonusänderung insbesondere der afferenten Arteriole. Realisiert und beeinflußt wird diese Tonusänderung durch verschiedenste vasoaktive Hormone, Chemokine und Pharmaka, zudem spiegelt sich der Tonus und damit der Widerstand der afferenten Arteriole in der tubulären Flussrate sowie der intratubulären NaCl-Konzentration. Diese Beobachtung, 1965 von Thurau und Schnermann erstmals beschrieben, wird als tubulo-glomerulärer Feedback bezeichnet. Verlust der renalen Autoregulation (z.b. auf dem Boden eines Diabetes mellitus, eines entzündlichen oder ischämischen Gewebeschadens) führt in einem Teil der Fälle zu erhöhten intraglomerulären Filtrationsdrücken mit negativen Konsequenzen für die Integrität der glomerulären Architektur und Funktion. 1.3.2. Glomeruläre Filtrationsdeterminanten und Permeabilität Im Unterschied zu anderen kapillären Gefäßsystemen ist der intrakapillären Perfusionsdruck des Glomerulus etwa um den Faktor drei erhöht (17 vs. 46 mmhg), ihm entgegen steht ein (konstanter) hydrostatischer Druck in der Bowman schen Kapsel.. Zusätzlich wirkt im physiologischen Zustand ein dem hydrostatischen Filtrationsdruck entgegengesetzter, im wesentlichen durch das Albumin aufrechterhaltener onkotischer intrakapillärer Druck, dessen Stärke durch zunehmende Abpressung von Primärfiltrat ansteigt. In der Balance von Nettofiltrations- (PKapillare - PKapselraum) und onkotischem Druck ist der Vorgang der Ultrafiltration limitiert. 6

Die Permeabilität der glomerulären Filtrationsbarriere ist so groß, dass sie im physiologischen Zustand der Filtration von Wasser und kleinmolekularen Soluten keinen wesentlichen Widerstand entgegensetzt, während höhermolekulare Proteine wie das Albumin zum einen aufgrund ihrer Größe, zum anderen aufgrund ihrer negativen Ladung (Polyanionen) nicht filtriert werden können (Permselektivität). Verschiedenste pathologische Prozesse, welche mit sklerotischen Umwandlungen des Kapillarendothels oder einer Obstruktion des Bowman schen Kapselraumes einhergehen, können für einen Permeabilitätsverlust der Filtrationsbarriere verantwortlich sein und auf diese Weise die glomeruläre Filtrationsrate einschränken. Umgekehrt sind Veränderungen, welche in einem Verlust der Permselektivität münden, durch massiven Eiweissverlust, schrankenlose Abpressung aller Serumbestandteile in den Bowman-Kapselraum sowie, bei Überschreiten der Resorptionsschwelle für spezifische Solute im Tubulussystem, durch das Auftreten einer (osmotischen) Polyurie gekennzeichnet. 1.3.3. Chronische Nephropathie und Proteinurie Einen Überblick über Formen der chronischen Nephropathie und ihren progredienten Charakter gibt Abb.3. Abb.3: die progressive Natur der CNP 7

Während der Initiationsfaktor eines glomerulären Parenchymschadens von unterschiedlicher Natur sein kann, ist die pathophysiologische Reaktion eines derart geschädigten Organs auf Ebene des Glomerulus relativ uniform: Typische Merkmale sind die Filtration von Protein, dessen Ablagerung in glomerulären und tubulären Epithelzellen, Proliferation mesangialer Zellen und Hypertrophie des Mesangiums. Der Exkretion von Protein kommt hierbei nicht nur eine große Bedeutung als Prädiktionsmarker zu, vielmehr ist ihre Bedeutung als unabhängiges pathogenetisches Agens mit toxischen Auswirkungen auf die Nierenfunktion etabliert. [Remuzzi G, 1990] Wegweisende Studien zu Pathomechanismen der Progression von Nierenerkrankungen wurden in den achtziger Jahren von Brenner und Mitarbeitern veröffentlicht und stellen die adaptive (kompensatorische) Hyperperfusion und Hyperfiltration des Einzelnephrons in den Mittelpunkt der Betrachtung. Deren Folge war in den Versuchen Brenners eine Hypertrophie der Glomeruli, Filtration von Protein und Ablagerung im Mesangium unter dem Bild der fokal-segmentalen Glomerulosklerose [Brenner, 1982]. Eine gründlichere Betrachtung dieser Phänomene findet sich im Diskussionsteil der vorliegenden Studie. Vermittelt werden diese Veränderungen der intraglomerulären Hämodynamik durch verschiedenste Chemokine bei jedoch zentraler Bedeutung des Renin-Angiotensin-Systems: Als Reaktion auf eine sinkende Filtrationsrate des Einzelnephrons (vor dem Hintergrund einer initialen Schädigung) sezernieren Tubuluszellen des juxtaglomerulären Apparates die Substanz Renin. Im Rahmen einer nachgeschalteten Enzymkaskade entsteht hieraus das Angiotensin II, ein zentrales Effektormolekül der von Brenner et al. nachgewiesenen veränderten Filtrationscharakteristik auf Ebene aller Glomeruli und damit der Progression einer chronischen Nephropathie im Rahmen eines Circulus vitiosus. 1.4. NO und die endotheliale NO-Synthase Die verschiedenen Funktionen des Stickstoffmonoxid (NO) in einzelnen Organsystemen ist Gegenstand der Betrachtung einer Vielzahl von Studien unterschiedlichster Fachgebiete der Medizin und anderer Forschungsfelder. Die vasodilatativen Eigenschaften des NO sind schon relativ lange bekannt und werden insbesondere im Rahmen der Kupierung akuter pektanginöser Beschwerden und in der Akuttherapie des Myokardinfarktes genutzt. Die Identifikation eines zuvor nicht genau charakterisierten Endothelium-derived relaxing factors (ERDF) durch Robert F.Furchgott, Louis J.Ignarro und Ferid Murad führte zur Verleihung des Nobelpreises für Medizin im Jahre 1998: Äquivalent jenes ERDF ist das NO. 8

Diese Substanz entsteht durch enymatische Abspaltung aus der Aminosäure Arginin durch drei bisher bekannte Isoformen des zugehörigen Enzyms NO-Synthase (NOS). Insbesondere die in Endothelien aktive Isoform (enos) ist für die vorliegende Studie von Bedeutung. In entsprechend spezialisierten Kapillarregionen induziert NO eine Relaxation der glatten Muskulatur und somit eine Vasodilatation. Weiterhin sind antithrombotische Effekte beschrieben, welche auf einer Unterdrückung der Thrombozytenaggregation beruhen sollen. Die genaue Rolle des NO in der Pathogenese und Progression der chronischen Nephropathie ist undeutlich: Bekannt ist, dass NO eine wichtige Rolle in der Regulation der intraglomerulären Hämodynamik spielt und als ein physiologischer Antagonist vasokonstriktiv wirksamer Substanzen wie Angiotensin II und dem asymetrischen Dimethylarginin (ADMA) betrachtet werden muß [Patzak, 2004] [Baylis, 1996]. In der aktuellen Diskussion um mögliche Progressionsfaktoren der chronischen Nephropathie ist insbesondere das ADMA als möglicher Marker einer Progression und zukünftiger therapeutischer Angriffspunkt von Bedeutung. Abb.4 stellt den Metabolismus dieser Substanz und ihren antagonistischen Effekt auf die Funktion der NO-Synthase dar. Abb.4: ADMA-Metabolismus (nach [Böger, 2004]) 9

Es bestehen überzeugende experimentelle Hinweise, dass der Einfluss von NO im Rahmen der Progression einer chronischen Nephropathie die Integrität der Organfunktion schützen kann [Gschwend, 2002]. Dies ist insofern von großer Bedeutung, als ein Teil der Wirkung des in der vorliegenden Studie eingesetzten Betablockers Nebivolol über NO vermittelt wird [Dessy, 2005]. In diesem Zusammenhang findet sich eine Erklärung für die in der vorliegenden Studie demonstrierten positiven Effekte des Nebivolol auf die Progression der chronischen Nephropathie in Ratten. 1.5. Zielstellung der Studie Ziel der vorliegenden Studie war die Untersuchung einer experimentellen Betablockade hinsichtlich ihres nephroprotektiven Potentials. Nebivolol ist ein Drittgenerationsbetablocker, welcher neben ß1-antagonistischen Eigenschaften in spezialisierten Kapillarregionen durch Stimulation der endothelialen NO-Synthase eine Vasodilatation herbeiführt. Zu diesem Zweck wurde das klinische Modell der chronischen Niereninsuffizienz durch operative 5/6-Nephrektomie an der Ratte eingesetzt. Als Parameter für das Auftreten und das Ausmaß der durch diese Maßnahme induzierten Niereninsuffizienz wurden die Albuminurie und Proteinurie sowie die Kreatinin-Clearance untersucht. Darüber hinaus wurden als hämodynamischen Parameter der systolische arterielle Blutdruck sowie die Herzfrequenz am wachen Tier bestimmt. Die Bestimmung dieser Parameter und ihr statistischer Vergleich mit einer operierten unbehandelten sowie einer sham-operierten gesunden Kontrollgruppe ermöglichten die Einschätzung des Effektes der experimentellen Betablockade auf die Nierenfunktion. 10