Süddeutsche Zeitung - Appell an die Nummer eins



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Seite 1 von 5 c't special 'Digitale Fotografie'! Jetzt am Kiosk! Montag, 11.11.2002 Gesamtverzeichnis Streiflicht Politik Seite Drei Meinungsseite Panorama Feuilleton Münchner Kultur Medien Wirtschaft Sport München Bayern Nordrhein- Westfalen Landkreisausgaben Wissenschaft Reise Hochschulseite Literatur Mobiles Leben SZ Wochenende Bildung & Beruf Immobilienseite Sonderseiten Sonderbeilage sueddeutsche.de - bin schon informiert Marktplatz Appell an die Nummer eins Wegweiser für amerikanisches Denken in der Außenpolitik JOSEPH S. NYE: The paradox of American power, Oxford University Press, New York 2002. 222 Seiten, 17,99 Pfund. Die Massenmorde von New York, Washington und Pennsylvania am 11. September 2001 haben in dramatischer Weise eine Entwicklung beschleunigt, die sich schon seit dem Ende des Kalten Krieges abzeichnete. Erst zögerlich, dann zunehmend klarer gingen die USA unter Präsident Bill Clinton in den neunziger Jahren daran, die Welt nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Einwände treuer Verbündeter wie auch früherer Gegner wurden allenfalls angehört. Die UN gerieten ins weltpolitische Abseits. Clintons Außenministerin Madeleine Albright sprach während ihrer Amtszeit von Amerika, salopp übersetzt, als dem Staat, ohne den nichts läuft (the indispensable nation). Was arrogant klingen mag, ist nichts als die Wahrheit: In fast allen Konfliktzonen der Welt ist ohne Führung oder wenigstens intensive Anteilnahme der USA kein Fortschritt zu erreichen Nordirland, der Balkan, der Nahe Osten legen davon Zeugnis ab. Unter Präsident George W. Bush haben die Alleingänge zugenommen. Amerika kündigte einseitig das Klimaabkommen von Kyoto und die Atomwaffen-Kontrollverträge mit Russland, bastelte eifrig an einem nationalen Raketenabwehrsystem. Dann kam der 11. September.Seither gilt es schon als Erfolg, wenn der Präsident auf einer multilateralen Bühne wenigstens auftritt. Dem Gipfel in Johannesburg Aktuelles Lexiko Wochenchronik Kontakt Impressum sueddeutsche.de - bin informiert

Seite 2 von 5 KfZ-Versicherungsvergleich Versicherungsvergleich Bankenvergleich Fondsvergleich Partnersuche Preisvergleich blieb Bush demonstrativ fern. Vor der UN- Vollversammlung ließ der Präsident keinen Zweifel daran, dass er notfalls auch ohne UN-Mandat in den Krieg gegen den Irak ziehen will. Was vielerorts als Triumph gefeiert wurde, war in Wirklichkeit eine tiefe Demütigung der Weltorganisation. Warnung eines Demokraten Es gibt unter den Außenpolitikern der Bush- Administration viele, die der Supermacht Alleingänge nicht nur zutrauen, sondern diese geradezu fordern. Inzwischen streitet man in Washington darüber, ob man mehr dem britischen Empire ähnele oder doch dem Imperium Romanum die Unterschiede für die Vasallen-, Klienten- oder rivalisierenden Staaten sind dabei eher graduell. Dieser Weltsicht hat der in Harvard lehrende Dekan der Kennedy-School für internationale Politik, Joseph S. Nye, eine überzeugende Analyse gegenübergestellt, warum die einzige Supermacht der Welt es nicht allein schaffen kann, so der Untertitel des Buches. Nye warnt vor den Gefahren einer sich selbst genügenden, arroganten und engstirnigen Außenpolitik. Diese ist keineswegs an eine bestimmte Partei gebunden. Aber die Warnung des Demokraten Nye richtet sich natürlich doch in erster Linie an die Neo- Konservativen um Vizepräsident Dick Cheney, Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, die Amerikas Außenbeziehungen derzeit bestimmen. Studenten der internationalen Politik ist Nye seit Jahrzehnten wohl bekannt wobei er gleich verbessern und von transnationaler Politik sprechen würde. Es geht nämlich nach Nyes Überzeugung schon längst nicht mehr nur um die Interaktion zwischen souveränen Staaten, die wie Billardkugeln zusammenstoßen oder aneinander vorbeirollen. Multinationale Unternehmen wie Shell oder Coca-Cola, Interessengruppen wie Amnesty International oder Greenpeace, aber auch sinistre Organisationen wie al-qaida oder die Mafia agieren täglich über nationale Grenzen hinweg und beeinflussen die internationale Politik mehr als manch angeblich souveräner Staat.

Seite 3 von 5 Power and Interdependence (1977), Nyes mit Robert Keohane geschriebenes Buch über die Macht und die gegenseitigen Abhängigkeiten in einer zunehmend vernetzten Welt, ist längst zum Klassiker geworden. Der Fixierung auf zwischenstaatliche Beziehungen und auf die überragende Bedeutung militärischer Macht stellten die Politologen ihre Beobachtung gegenüber, dass es in der internationalen Gemeinschaft vielfältige Kommunikationskanäle gebe; dass sich keine klare Hierarchie von Problemen erkennen lasse; und dass der Gebrauch von Gewalt zunehmend weniger nützlich und damit auch weniger wichtig werde. Ungeheurer Magnet Später argumentierte Nye aber auch als einer der ersten gegen jene, die den Einfluss der USA schwinden sahen und begründete dies in Bound to Lead (1989) nicht zuletzt mit Amerikas weichem Einfluss weltweit (soft power). Hollywood-Filme, Internet, Amerikanisch als Lingua franca, die Qualität seiner Hochschulen, schließlich die Werte von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in einer multirassischen Gesellschaft dies alles wirkt als ungeheurer Magnet auf Einwanderer aus aller Welt. Eine vernünftige Außenpolitik müsse diese weiche Macht ebenso fördern und in Betracht ziehen wie die harte militärische Macht, die den USA ihre Position als Weltmacht Nummer eins sichert. Soft Power wird zunehmend wichtig, aber sie ist auch anfällig und kann durch zu viele Alleingänge und zu viel Arroganz schnell kaputt gemacht werden. Zweimal hat der Akademiker Nye seine Thesen an der Wirklichkeit überprüft. Vier Jahre lang diente er unter Präsident Jimmy Carter im Büro des Nationalen Sicherheitsberaters; drei Jahre war er unter Bill Clinton Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Diese Erfahrungen geben seinem jüngsten Buch ein Maß an Realitätssinn und Ernsthaftigkeit, das den Gedanken lebenslanger Akademiker oft fehlt. Um keinen Zweifel aufkommen zu lassen: Für europäische Leser ist das keine bequeme Lektüre. So stimmt Nye ein in die amerikanische Dauer- Klage, wonach die Europäer zu wenig Geld fürs Militär ausgeben, und das Wenige auch noch an

Seite 4 von 5 der falschen Stelle. Nüchtern analysiert der Professor amerikanische Interessen und misst internationale Kooperation daran, ob sie diesen Interessen dient oder zuwiderläuft. Seine Schlussfolgerung ist ein Appell an Amerika: Wir haben mehr Erfolg, wenn wir Allianzen bilden, mit anderen zusammenarbeiten, uns nicht einigeln. In vier Jahrzehnten hat Joseph Nye vielerlei Aspekte internationaler Politik analytisch so durchdrungen wie nur wenige andere. Hinzu kommen seine praktischen Erfahrungen aus dem Regierungshandeln unter zwei sehr unterschiedlichen Präsidenten. Sein neues Buch wagt den Versuch, Amerikas Stellung in der Welt zu definieren und eine Denkstruktur zu entwerfen, in der US-Verantwortliche in den nächsten Jahren denken und handeln sollten. Es dient damit als Wegweiser für amerikanisches Denken in der Außenpolitik und es bietet all jenen ein wenig Trost, die an der schieren Arroganz der derzeitigen US-Administration verzweifeln. Der Rezensent ist Journalist in London. zurück Seitenanfang sueddeutsche.de SEBASTIAN BORGER Copyright sueddeutsche.de GmbH/Süddeutsche Zeitung GmbH Eine Verwertung der urheberrechtlich geschützten Beiträge, insbesondere durch Vervielfältigung oder Verbreitung auch in elektronischer Form, ist ohne vorherige Zustimmung unzulässig und strafbar, soweit sich aus dem Urhebergesetz nichts anderes

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