Vertiefungsseminar Armut, Arbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit Dozentin: Prof. Dr. Susanne Gerull Wintersemester 2009/2010 Artikel: Ute Koop, Evelyn Nerger Die Zukunft der Arbeit Zukunftswerkstatt im Blockseminar Die Methode Zukunftswerkstatt 2 Historischer und ideologischer Hintergrund 2 Warum ist die Methode Zukunftswerkstatt für Soziale Arbeit interessant? 3 Wie funktioniert die Methode Zukunftswerkstatt? 3 Der Tag: Unsere Zukunftswerkstatt 4 Unser Ergebnis: Der Schnuppertag 5 Quellen und Weblinks 7
Die Methode Zukunftswerkstatt Die Zukunft geht uns alle an. (Robert Jungk/Norbert R. Müllert 1981:13) Im Modul Armut, Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit (Prof. Dr. Susanne Gerull) im Studiengang Soziale Arbeit führten wir im Rahmen der Blockwoche eine Zukunftswerkstatt zum Thema Arbeit durch. Wir fanden die Methode sehr inspirierend, waren überrascht über unser visionäres und zugleich konkretes Ergebnis und möchten darüber im Folgenden berichten. Historischer und ideologischer Hintergrund Die Methode der Zukunftswerkstatt geht zurück auf Robert Jungk (1913 1994), Wissenschaftsjournalist und Zukunftsforscher. Vor dem Hintergrund der Kritik, dass für gesellschaftliche Probleme die Lösungen von Expert_innen erarbeitet werden ohne Einbindung der betroffenen Menschen, war Robert Jungk auf der Suche nach anderen Möglichkeiten. Im Sinne einer lebendigen Demokratie sollten Menschen als Expert_innen in eigener Sache agieren können. Ende der 1970er Jahre entwickelten Robert Jungk, Rüdiger Lutz und Norbert R. Müllert die Methode der Zukunftswerkstatt. Zukunftswerkstätten stehen in der Tradition von sozialkritischer, humanistischer und ökologisch orientierter Zukunftsforschung. Diese ging davon aus, dass Zukunft nicht länger durch Wachstum und Reichtum, sondern durch zunehmende Verknappung und Armut gekennzeichnet (Jungk/Müllert 1981:25) sein würde. Nicht Herrschaft, sondern Verantwortung ist die wichtigste Aufgabe[ ] (Jungk/Müllert 1981: 25). Damit begab sich die sozialkritische Zukunftsforschung in Widerspruch zur damals gängigen technologisch und wirtschaftlich orientierten Zukunftsforschung, die die ständige Weiterentwicklung von menschlicher Allmacht und technologischem Fortschritt durch Konkurrenzkampf politischer Systeme und wirtschaftlicher Konzerne propagierte. Robert Jungk war die Freisetzung des ungenutzten Wunsch-, Hoffnungs- und Vorstellungspotentials der Menschen ein besonderes Anliegen. Es gab und gibt nicht nur Informations- und Machtprivilegien, sondern bisher viel zu wenig beachtet auch Phantasieund Planvorrechte. Sie wurden und werden der großen Masse der Bevölkerung nicht ernsthaft zugestanden (Jungk/Müllert 1981: 28). Durch (Re-)aktivierung des kreativen sozialen Potentials ist es möglich, bestehende Zustände in die Zange zwischen Kritik und Vision (Jungk/Müllert 1981: 38) zu nehmen. 2
In den 1960/70er Jahren wurden die Ideen der alternativen Zukunftsforschung von politischen und sozialen Bewegungen aufgegriffen. Warum ist die Methode Zukunftswerkstatt für Soziale Arbeit interessant? Es handelt es sich um eine partizipative, ressourcenorientierte Methode, die ungenutzte kreative und visionäre Potenziale von Menschen zur Problemlösung und Entwicklung von individuellen bzw. gemeinsamen Zukunftsperspektiven anregt und aktiviert. Gerd Koch, ehemaliger Professor für Pädagogik und Soziale Kulturarbeit an der ASH, stellt sie in Zusammenhang mit theaterpädagogischer Arbeit nach Bertolt Brechts Lehrstücken und Ruth Cohns Themenzentrierter Interaktion. Für Gerd Koch ist sie eine Methode der Planung, eine Durchsetzungsstrategie und ein gesellschaftlicher Eingriff (Koch 1994: 7). Wie funktioniert die Methode Zukunftswerkstatt? Nach Robert Jungk und Norbert R. Müllert besteht eine typische Zukunftswerkstatt aus 5 Phasen: 1. Vorbereitungsphase (Festlegung Thema, Auswahl des Ortes, Beschaffung von Arbeitsmaterialien) 2. Kritikphase (Äußerung von Unbehagen und Kritik zum Gegenwartszustand werden geäußert) 3. Phantasiephase (auf die vorgebrachte Kritik wird mit eigenen Wünschen, Träumen, Vorstellungen, alternativen Ideen geantwortet) 4. Verwirklichungsphase (Rückkehr zur Gegenwart mit ihren Machtverhältnissen, ihren Gesetzen und Notwendigen, prüfen der Durchsetzungschancen für alternative Entwürfe, Überwindung von Hindernissen durch Phantasie, Planung von Aktion oder Projekt) 5. Nachbereitungsphase: Einrichten einer permanenten Werkstatt (Jungk/Müllert 1981, vgl. Koch 1994). Präsentation Arbeitsgruppe Systemfrage 3
Der Tag: Unsere Zukunftswerkstatt Montag früh, 23. November 2009. Heute erwartet uns ein besonderes Blockseminar. In unserem Vertiefungsfach Armut, Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit, geleitet von Prof. Dr. Susanne Gerull, steht eine Zukunftswerkstatt auf dem Programm. Das Thema: Die Zukunft der Arbeit. Brainstorming, Clustern, Umformulierung Kritikpunkte Nach einem kurzen theoretischen Input zur Zukunftswerkstatt starten wir auch gleich mit der ersten Phase. Da ist meckern angesagt, wir sammeln alles, was uns momentan an Arbeit stört. Von Arbeitszwang, über Einkommensungleichheit und zunehmende Ökonomisierung beklagen wir die ganze Palette des Elends. Alles darf gesagt werden, die einzige Regel ist, dass niemand eine Kritik bewerten darf. Nur inhaltliche Nachfragen sind erlaubt. Nach dem emsigen Sammeln versuchen wir die Begriffe zu Clustern. Was gehört zusammen, was steht für sich allein? Schnell stellt sich heraus, dass alle Kritikpunkte unter einen von zwei Begriffen fallen: Systemfrage oder Rahmenbedingungen. Damit steht fest, dass wir in zwei Gruppen weiterarbeiten werden. Nach einer kurzen Fantasiereise zum Stimulieren der kreativen Gehirnhälfte geht es in den Gruppen ans Negieren der gesammelten Kritikpunkte. Was müsste sein, damit er wegfallen würde? Aus unbezahlte Arbeit zählt nicht als Arbeit wird so jede Arbeit zählt, aus Leistung wird nicht Geldwert geachtet wird angemessene Entlohnung und so weiter. Darüber geraten wir schnell ins Schwärmen und Phantasieren. Wie sieht die optimale Arbeit aus? Wenn es keine Hindernisse geben würde, und alles möglich ist, wie stellt ihr euch dann Arbeit vor? Für uns sieht diese Zukunft so aus: Arbeit ist freiwillig und dient nicht zum Lebensunterhalt dieser ist völlig abgesichert sondern alleine der Freizeitgestaltung. Dementsprechend muss niemand arbeiten gehen, sondern kann jeden Tag aufs Neue überlegen, ob er/sie arbeiten geht, wie lange er/sie arbeiten geht und als was. Berufe werden nicht mehr im klassischen Sinne gelernt, außer vielleicht als Hobby. Alles notwendige Wissen wird über einen Chip im Gehirn in Minutenschnelle gelernt und steht somit zur Verfügung. Jeden Morgen nach dem Aufstehen kann sich jede_r überlegen, ob er/sie heute etwas Berufliches machen möchte, und wenn ja was. Sie wollten schon immer mal Pilot sein? Kein Problem entsprechendes Programm laden, zum Flughafen fahren und ab geht s! Oder Sie wollten schon immer mal eine Operation durchführen? Laden Sie das Programm, melden sich im Krankenhaus und erfüllen Ihren Traum! Natürlich ist auch Platz für Leute, die ihren 4
Traumberuf gefunden haben, denn alles darf so oft gemacht werden, wie man möchte. Und so lange. Und auch wer keinen Traumberuf hat, sondern einfach nur gerne lange schläft und vor sich hin träumt hat Platz dafür. Wer herumreisen möchte besteigt das nächste Flugzeug und los geht s. Alles ist möglich! Irgendwann werden wir aus unserer Traumwelt gerissen und wieder mit der Realität konfrontiert. Schließlich müssen wir noch eine Präsentation vorbereiten um der anderen Gruppe unsere Utopie dazustellen. Nach den Präsentationen kommt der schwerste Teil der Zukunftswerkstatt. Jetzt gilt es ein konkretes Ziel zu entwickeln. Welcher Teil, welcher Gedanke der Phantasiephase kann umgesetzt werden? Wir müssen zurück und in hiesigen Grenzen denken. Doch so utopisch war unsere Welt, lässt sich da überhaupt ein Ziel entwickeln? Grundgedanke war das Ausprobieren von und Hineinschnuppern in viele verschiedene Berufe. Und dank einer Fernsehsendung kommt uns die Idee: Wie wäre es, wenn jede_r mal in einem anderen Beruf arbeiten könnte? So eine Art Austauschprogramm, um verschiedene Sachen kennen zu lernen? Und so kamen wir zu unserem Ziel. Unser Ergebnis: Der Schnuppertag Jede_r soll die Chance haben, seinen/ihren Horizont zu erweitern indem er/sie in andere Berufe hineinschnuppern kann. Sei es der Schüler, der sich für eine Ausbildung entscheiden muss, die Verkäuferin, die den Laden ihrer Eltern übernommen hat aber eigentlich immer Theater spielen wollte, der Professor, der sich schon immer für die Arbeit von Reinigungskräften interessiert hat oder die Ärztin, die gerne mal einen ruhigen Tag im Büro hätte sie alle sollen die Möglichkeit haben, ihren Träumen nachzuspüren. Die Umsetzung könnte folgendermaßen aussehen: Präsentation Arbeitsgruppe Arbeitsbedingungen Es wird eine Koordinierungsstelle eingerichtet, durch die Arbeitsplatz und Interessent miteinander verknüpft werden. Arbeitgeber sind verpflichtet, jeden Arbeitnehmer vierteljährlich einen Tag bezahlt freizustellen, damit dieser an dem Austauschprogramm teilnehmen kann. Außerdem müssen sie Schnupperplätze zur Verfügung stellen, auf denen andere Menschen von Fachpersonal begleitet so gut wie möglich mitarbeiten können. Diese freien Plätze meldet er der Koordinierungsstelle, die sie entsprechend mit interessierten Arbeitnehmern verknüpft. 5
Arbeitnehmer sollten verpflichtet sein, mindestens einmal jährlich in einen anderen Beruf hinein zu schnuppern. Das gilt auch für Berufe wie Politiker und Manager, damit der Kontakt zur Basis wieder intensiviert wird. Ein solcher Schnuppertag bringt viele Vorteile. Vor allem bringt er Verständnis und Wertschätzung anderen gegenüber, denn jede_r kann sehen was andere Berufe für Anforderungen und Stress mit sich bringen, so werden Vorurteile abgebaut. Die Berufswelt wird offener und ehrlicher wenn immer wieder Fremde hineinschauen, außerdem wird die berufsübergreifende Zusammenarbeit erleichtert. In den Arbeitsalltag kommt immer wieder ein frischer Wind, der die Produktivität und Leistungsfähigkeit steigert, neue Ideen und Herangehensweisen werden entwickelt. Ein solcher Schnuppertag ist natürlich nicht von heute auf morgen umzusetzen, deshalb haben wir uns überlegt, man könnte ja erstmal klein anfangen und einen solchen Austausch versuchsweise ASH-Intern starten, denn auch an der Hochschule gibt es schon viele verschiedene Tätigkeitsfelder. Mittelfristig wäre es schön, einen Schnuppertag für Politiker einzuführen, damit diese den Kontakt zur Basis halten. Gegen Widerstand ließe sich eventuell ein Volksentscheid durchführen. Und langfristig sollte der Schnuppertag für die gesamte Bevölkerung fest im Gesetz verankert werden. Für eine glücklichere Zukunft der Arbeit. Zur Stärkung von Körper, Geist und Seele Verwaltung arbeitete? Bei vollem Gehaltsausgleich natürlich. Zu einer echten Zukunftswerkstatt gehören natürlich ganz genaue Umsetzungspläne, realisierbare Konzepte, Bildung von Arbeitsgruppen, und natürlich die konkrete Umsetzung! Dazu fehlte uns leider an unserem Blocktag die Zeit. Wir hätten sehr gerne für einen Tag geschnuppert, wie es so ist, einen Tag an der ASH als Rektor_in, Pförtner_in oder Mensa_mitarbeiter_in zu arbeiten. Oder wie wäre es, wenn die Reinigungskraft für einen Tag Dozent_in wäre? Oder die Rektorin einen Tag in der Wir möchten anregen, darüber nachzudenken. Die Idee des Schnuppertages könnte zur Diskussionsanregung innerhalb der ASH dienen wäre es nicht interessant, einmal zu erfahren, wie es Vertretern anderen Statusgruppen bei der Arbeit so geht? Wir finden schon. 6
Quellen und Weblinks Jungk, Robert und Norbert R. Müllert, 1981: Zukunftswerkstätten. Hamburg: Hoffmann und Campe. Das Original. Koch, Gerd (unter Mitwirkung von Günther Wahrheit), 1994: Die Methode Zukunftswerkstatt in der Sozialpädagogik. Innovative Hochschuldidaktik Band 9. Milow: Schibri-Verlag. Hier wird die Anwendung der Methode der Zukunftswerkstatt in der Sozialpädagogik und Sozialen Arbeit mit Beispielen aus der Praxis beschrieben. http://www.sowi-online.de/methoden/lexikon/zukunftswerkstatt-boettger.htm Stand: 05.01.10 Kurzbeschreibung der Methode Zukunftswerkstatt http://de.wikipedia.org/wiki/zukunftswerkstatt Stand: 05.01.10 http://www.zwnetz.de/ Stand: 05.01.10 Informationsseite des Netzwerks Zukunftswerkstatt 7