Neue Produktionskonzepte: Eine Diskussion macht noch keinen Sommer



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Transkript:

4 Mitteilungen aus der Produktionsinnovationserhebung ISI Fraunhofer Institut Systemtechnik und Innovationsforschung Neue : Eine Diskussion macht noch keinen Sommer Produktionsinnovationserhebung des ISI gibt umfassenden Überblick über den Stand der Verbreitung neuer von Steffen Kinkel und Jürgen Wengel Einleitung 1 Die Diskussion um neue ist mittlerweile in die Jahre gekommen - immerhin erahnten Kern/Schumann das Ende der Arbeitsteilung bereits 1984 und die Schlanke Produktion wurde in der MIT-Studie von Womack/Jones/Roos auch schon 1989 entdeckt. Sie wird zunehmend von einer rein kostenorientierten Standortdebatte in den Hintergrund gedrängt. Dabei liegen gerade in einer umsichtigen und betriebsspezifischen Umsetzung der einzelnen Elemente der neuen große Chancen für eine nachhaltige Sicherung des Produktionsstandortes Deutschland. Wie die Produktionsinnovationserhebung zeigte, kann durch einen sinnvollen Einsatz inhaltlich zusammengehörender Elemente neuer die Produktivität der Betriebe in erheblichem Maße gesteigert werden (siehe PI-Mitteilungen Nr. 1). Einsatz neuer birgt Chancen zur Sicherung des Standorts Deutschland Mit seiner Produktionsinnovationserhebung verfügt das Fraunhofer-Institut Anteile der Nutzung neuer Pro- 2 für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) über eine repräsentative Bestandsaufnahme, in welchem Ausmaß und mit welchem Erfolg die deutsche duktionskon- zepte werden Investitionsgüterindustrie ihre Strukturen entsprechend den neuen Organisati- aufgezeigt PI-Mitteilungen Nr. 4 Seite 1

ons- und Managementprinzipien modernisiert. Im folgenden soll ein Überblick darüber gegeben werden, zu welchem Anteil und in welchem Umfang Betriebe die verschiedenen Elemente neuer nutzen und welche Betriebe dabei eine Vorreiterrolle einnehmen. Produktionsinnovations-Erhebung des Fraunhofer-ISI Das Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) führte im Herbst 1995 eine schriftliche Erhebung zu den Produktionsstrukturen in der Investitionsgüterindustrie Deutschlands durch. Während die Erhebung in den alten Bundesländer mit Eigenmitteln durchgeführt wurde, war ein Teil der Frageinhalte Bestandteil eines Auftrags des Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie (BMBF), Projekträgerschaft Fertigungstechnik im Forschungszentrum Technik und Umwelt Karlsruhe (FTU-PFT), zur Evaluierung der indirekt-spezifischen CIM-Förderung in den neuen Bundesländern. Es wurden 7 150 Betriebe angeschrieben, von denen 1 305 einen verwertbar ausgefüllten Fragebogen zurücksandten (18 Prozent Rücklaufquote). In der zweiten Jahreshälfte 1997 sollen die Daten aktualisiert und durch neue Fragestellungen ergänzt werden. Das ISI würden sich freuen, wenn wiederum eine so große Zahl von Betrieben bereit wäre, sich zu beteiligen. Bisher sind PI-Mitteilungen zu folgenden Themenkomplexen erschienen: PI-Mitteilungen Nr. 1: Neue leisten einen Beitrag zur Sicherung des Standorts Deutschland PI-Mitteilungen Nr. 2: Wer Produktion ins Ausland verlagert, verschenkt Verbesserungspotentiale im Inland PI-Mitteilungen Nr. 3: Sachsens Investitionsgüterindustrie im Regionalvergleich Sollten Sie an weiteren Informationen zu Erhebungsinhalten, an speziellen, auch betriebsindividuellen Auswertemöglichkeiten oder an Fragen der Repräsentativität der Datenbasis interessiert sein, wenden Sie sich bitte an: Dipl.-Wirt.-Ing. Steffen Kinkel Tel.: 0721/6809-311 e-mail: ki@isi.fhg.de Fax: 0721/6809-131 Die einzelnen Elemente neuer werden in unterschiedlichem Umfang genutzt 3 Zentrale Ansatzpunkte neuer sind die Einführung neuer Organisationsprinzipien, ein innovatives Qualitätsmanagement sowie die Neugestaltung der Wertschöpfungskette. Sie zeichnen sich jeweils durch eine Vielzahl von Gestaltungselementen für unterschiedliche Bereiche betrieblichen PI-Mitteilungen Nr. 4

Handelns aus. Die folgende Tabelle zeigt für eine Auswahl von 14 wichtigen, in der Umfrage erfaßten Elementen neuer, wie groß der Anteil der Betriebe ist, die bereits Erfahrungen damit gesammelt haben und wie viele Betriebe diese Elemente flächendeckend nutzen. Zentrale Ansatzpunkte Nutzer neuer Gestaltungselemente in % neue Organisations- Gruppenarbeit 32 6 prinzipien Aufgabenintegration 43 9 Dezentralisierung 24 8 Entwicklungsteams 42 6 innovatives Verzicht auf Wareneingangskontrolle 19 6 management Qualitätszirkel 40 13 KVP 44 18 Zertifizierung (ISO 9000 ff) 39 32 Umweltaudit 6 1 Neugestaltung der Fertigungssegmentierung 40 11 Wertschöpfungskette Zuliefererkonzentration 26 4 Nullpufferprinzip/Kanban 19 5 JIT-Anlieferung 26 5 JIT-Lieferung zum Kunden 29 6 flächendeckende Nutzung in % Verbreitung einzelner Elemente neuer (n = 1 305) 4 Die Befragungsergebnisse zeichnen ein differenziertes Bild der Modernisierung der Produktionsstrukturen in der Investitionsgüterindustrie. Der Umfang der Verbreitung der einzelnen Elemente neuer ist jedoch nicht so hoch, wie man vor dem Hintergrund der intensiven öffentlichen Diskussion dieser Thematik vermuten könnte. Die Zahlen zur Verbreitung werden dadurch noch weiter relativiert, daß lediglich die Zertifizierung nach der DIN/ISO 9000 Normenreihe bei einem Drittel der Firmen flächendeckend realisiert ist. Verbreitungszahlen nicht so hoch wie erwartet 5 Im Bereich der Arbeitsorganisation sind die Integration unterschiedlicher Aufgaben bei einem Mitarbeiter, also beispielsweise die Zusammenführung von Fertigungs- und Prüfaufgaben, sowie der Einsatz von temporären, abteilungsübergreifenden Teams für zeitlich begrenzte Produktentwicklungsarbeiten mit 43 Prozent bzw. 42 Prozent Nutzern am weitesten verbreitet. Eine umfassende, betriebliche Nutzung findet sich jedoch mit 9 Prozent bzw. 6 Prozent aller Betriebe vergleichsweise selten. Nur knapp ein Viertel der Betriebe haben dagegen planende, steuernde und kontrollierende Funktionen räumlich dezentralisiert und an den Ort des Geschehens verlagert. Besonders stark in der Diskussion ist immer noch die Realisierung von Gruppenarbeitsstrukturen. Infolgedessen neigen offenbar viele Betriebe dazu, in 6 Nur jeder zwanzigste Betrieb ihren Fertigungshallen und Bürotrakten Gruppen am Werke zu sehen. Einer anspruchsvolleren Definition von Gruppenarbeit mit rotierenden sowie integrierten setzt flächendeckend Gruppenarbeit ein PI-Mitteilungen Nr. 4 Seite 3

dispositiven und qualitätssichernden Aufgaben entsprechen nach den Umfrageergebnissen die Lösungen in etwa einem Drittel der Betriebe. Dabei dominieren Pilotversuche oder Einsätze in Teilbereichen. Nur etwa jeder zwanzigste Betrieb der Investitionsgüterindustrie wies eine flächendeckende Nutzung aus. 7 Die Zertifizierung nach der DIN/ISO 9000 Normenreihe, das Prinzip der kontinuierlichen Verbesserung (KVP) und Qualitätszirkel als Elemente eines innovativen Qualitätsmanagements weisen nicht nur die höchsten Verbreitungszahlen auf, sondern sind auch innerhalb der Betriebe am stärksten diffundiert. Insbesondere die Zertifizierung wird zumeist gleich betriebsweit umgesetzt. Allerdings sollte das ISO-Zertifikat als Ausweis innovativer Qualitätsmanagementmethoden nicht überschätzt werden. Der Indikator Verzicht auf die Wareneingangskontrolle deutet an, daß sich wohl bisher nicht mehr als ein Fünftel der Investitionsgüterbetriebe mit sehr weitreichenden, integrativen Ansätzen von Total Quality Management (TQM) auseinandergesetzt haben. Dem Umweltaudit, einem noch recht neuen, aber sehr intensiv diskutierten Thema, haben sich bisher 6 Prozent der Betriebe, zumeist jedoch nur für Teilbereiche ihrer Aktivitäten, unterzogen. Zertifizierungsmaßnahmen sind am weitesten diffundiert 8 Unter den Maßnahmen zur Neugestaltung der Wertschöpfungskette weist die Fertigungssegmentierung, also der Übergang vom Verrichtungsprinzip auf eine produktlinienorientierte Anordnung, mit 40 Prozent die höchste Verbreitung auf. Dieses Element neuer wird zudem mit einem Anteil von über 10 Prozent der Betriebe relativ häufig flächendeckend genutzt. Verbreitung und Strukturmerkmale der Betriebe Zwischen der Verbreitung neuer und den Strukturmerkmalen der Betriebe lassen sich Zusammenhänge aufzeigen: Gruppentorische Elemente Arbeitsorganisa- 9 arbeit, kontinuierlicher Verbesserungsprozeß (KVP) oder Segmentierung der werden von Betrieben unterschiedlicher Grös- Fertigung werden eher in großen Betrieben umgesetzt. Bei der Umgestaltung der Wertschöpfungskette vom Verrichtungsprinzip auf eine produktlinienoriense genutzt tierte Anordnung ist dies am stärksten ausgeprägt. Für das arbeitsorganisatorische Prinzip Gruppenarbeit ergeben sich durch eine abnehmende Größe der Betriebe die geringsten Einschränkungen, diese Elemente werden gleichmäßiger von Betrieben unterschiedlicher Größe genutzt. PI-Mitteilungen Nr. 4

10 Im Zusammenhang mit der Fertigungsart fällt auf, daß der kontinuierliche Verbesserungsprozeß bei Programmfertigern verbreiteter ist als bei Betrieben mit kundenspezifischer Fertigung. Dies könnte damit zusammenhängen, daß bei einer kundenspezifischen Fertigung keine genügende Standardisierung des Produktionsprozesses erfolgt, so daß das Instrument des KVP nur unzureichend genutzt werden kann. Zudem herrscht bei Betrieben, die kundenspezifisch fertigen, eher eine problemlösungsorientierte Kommunikationskultur, die eine dezidierte Einführung des KVP überflüssig machen könnte. Programmfertiger installieren eher das Instrument der kontinuierlichen Verbesserung Prozent 100 Gruppenarbeit 90 80 70 60 50 40 30 20 30 39 29 32 50 45 45 79 75 31 4342 24 61 44 48 46 41 40 39 33 33 29 30 33 4748 36 58 KVP Fertigungssegmentierung 46 32 44 40 Zusammenhang zwischen Verbreitung und betrieblichen Strukturmerkmalen (n = 1 305) 10 0 klein mittel groß Sonstige Maschinenbau Straßenfahrzeugbau Elektrotechnik kundenspezifische Fertigung Variantenfertigung Programmfertigung Gesamt Betriebsgröße Branche Fertigungsart Überraschend ist dagegen, daß Gruppenarbeit und Fertigungssegmentierung bei Programmfertigern stärker verbreitet sind als bei Betrieben mit Betriebe mit kun- 11 kundenspezifischer Fertigung. Dies erscheint insofern inkonsequent, als daß denspezifischer Fertigung weisen diese Konzepte eine schnelle und flexible Anpassung der Fertigung an kundenspezifische Anforderungen sicherstellen sollen. Für Betriebe mit kundenspezifiquoten bei Grup- geringere Nutzerpenarbeit und scher Fertigung scheinen also noch Umsetzungs- und Verbesserungspotentiale Segmentierung vorhanden zu sein, um durch die Einführung entsprechender Elemente neuer auf Schnelligkeit und Flexibilität bei der Bearbeitung kundenspezifischer Aufträge zu erhöhen. 12 Auch mit Blick auf die Branchen stellt man Überraschendes fest. Die häufig zitierte Vorreiterstellung der Automobilindustrie und ihrer Zulieferer manifestiert sich nur in der Verbreitung innovativer Konzepte des Qualitätsmanagements wie dem Prozeß der kontinuierlichen Verbesserung (KVP). Bei der Verbrei- Straßenfahrzeugbau ist nicht immer der Vorreiter PI-Mitteilungen Nr. 4 Seite 5

tung arbeitsorganisatorischer Konzepte wie der Gruppenarbeit weist der Straßenfahrzeugbau jedoch die geringsten Nutzerquoten auf, hier schlüpft die Elektroindustrie in die Rolle des Vorreiters. Die Segmentierung der Fertigung ist in den Branchen Maschinenbau, Straßenfahrzeugbau und Elektrotechnik annähernd gleich stark verbreitet. Die Betriebe aus den sonstigen Branchen des Investitionsgütergewerbes weisen bei der Verbreitung dieses Elements geringere Anteile auf, da einige dieser Betriebe Baustellenfertigung betreiben und daher für eine Segmentierung nicht in Frage kommen. Verbreitungsdynamik 13 Wie die Betrachtung der Strukturmerkmale der Betriebe zeigt, kann nicht jeder Betrieb seine Produktion nach den neuen Prinzipien organisieren. Es gibt Produkt- und Produktionsmerkmale, die die Einführung einzelner Elemente neuer unmöglich machen oder zumindest nicht sinnvoll erscheinen lassen. Der Anteil dieser Betriebe ist in der folgenden Abbildung grob abgeschätzt, da die Ermittlung dieser Anzahl ungleich schwieriger ist als die Bestimmung von Verbreitungsquoten. Dieses Vorgehen verhindert jedoch, daß vorschnell Diffusionsdefizite ausgemacht werden. Aus dem Vergleich der Diffusionsquoten und -potentiale geht aber hervor, das weitere Nutzungsmöglichkeiten nach wie vor im Bereich der Arbeitsorganisation liegen. Nicht jeder Betrieb kann jedes Element neuer umsetzen 100% Wertschöpfungskette Arbeitsorganisation Qualitätssicherung Produktentwicklung 80% 60% 40% 20% 0% Produktentwicklungsteams Fertigungssegmentierung Gruppenarbeit Qualitätszirkel Aufgabenintegration Legende Anteil der Betriebe, der das Gestaltungselement nutzt Früherer Umfang der Verbreitung (Stand 1993) Anteil der Betriebe, der das Gestaltungselement nicht nutzen kann Anteil der Betriebe, der das Gestaltungselement nicht nutzt: Verbreitungsstand und Verbreitungspotentiale neuer (n = 1 305) 14 PI-Mitteilungen Nr. 4

Beim Vergleich aktueller Daten mit Verbreitungszahlen ausgewählter Gestaltungselemente neuer aus einer älteren ISI-Studie zeigt sich: Bei der Umsetzung neuer Formen der Arbeitsorganisation, der Qualitätssicherung und der Produktentwicklung war in den letzten drei Jahren eine relativ hohe Dynamik zu verzeichnen. Der Anteil der diese Prinzipien nutzenden Betriebe hat mittlerweile das Niveau erreicht, das 1993 in der Gestaltung der Wertschöpfungskette bereits erreicht war. Das Nutzungsniveau in diesem Gestaltungsbereich nahm dagegen kaum zu. 100 90 80 Anwendung geplant in % Nutzer in % 70 60 50 40 30 20 10 Derzeitige und geplante Anwendungen einzelner Elemente neuer (n = 1 305) 0 Gruppenarbeit Aufgabenintegration Dezentralisierung Entwicklungsteams Qualitätszirkel KVP Zertifizierung (ISO 9000 ff) Umweltaudit Verzicht auf Wareneingangskontrolle Fertigungssegmentierung Zuliefererkonzentration Nullpufferprinzip/ Kanban JIT-Anlieferung JIT-Lieferung zum Kunden neue Organisationsprinzipien innovatives Qualitätsmanagement Neugestaltung der Wertschöpfungskette 15 Die der obigen Abbildung zu entnehmenden Planungen der Betriebe zeigen jedoch auch, daß nur im Bereich der Qualitätsmanagementmethoden eine solch hohe Dynamik aufrechterhalten wird. Die Maßnahmen zur Neugestaltung der Wertschöpfungskette lassen dagegen wie bei der Vergangenheitsbetrachtung die geringste, zukünftige Dynamik erkennen. Weniger als 10 Prozent der Betriebe planen, erstmals entsprechende Konzepte zu realisieren. Auch bei den organisatorischen Gestaltungselementen scheint sich eine Sättigung bezüglich der weiteren Verbreitung abzuzeichnen. Nur ein Zehntel der Befragten plant noch, erstmalig Gruppenarbeit oder eine Integration verschiedener Aufgaben einzuführen. Für die anderen organisatorischen Elemente neuer Produkti- Zukünftige Dynamik bei der Verbreitung neuer sehr gering PI-Mitteilungen Nr. 4 Seite 7

onskonzepte ist der Anteil der die Anwendung planenden Betriebe noch geringer. 16 Die Zertifizierung nach der DIN/ISO 9000 Normenreihe weist den höchsten Anteil von Betrieben auf, die hier künftig aktiv werden wollen. Der von den Kunden ausgeübte Zertifizierungs- und Auditierungsdruck scheint fast alle Nichtnutzer zur Planung der entsprechenden Maßnahmen zu veranlassen. Ein Viertel aller Betriebe plant konkret, sich nach Prinzipien des Umweltschutzes auditieren zu lassen. Dies entspricht der vierfachen Anzahl der Betriebe, die dieses Element bereits nutzen. Hier könnte also eine der Qualitätszertifizierung vergleichbare Dynamik entstehen. Fazit 17 Trotz der hohen Aufmerksamkeit, die die neuen über geraume Zeit in der Öffentlichkeit erzielt haben, und ihrer Potentiale für eine nachhaltige Steigerung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit sind die Einsatzmöglichkeiten in der Investitionsgüterindustrie bisher nicht ausgeschöpft. Noch zu wenige Betriebe nutzen die Chancen der neuen Ansätze und Prinzipien umfassend. Zudem scheint die Dynamik ihrer weiteren Verbreitung nach der Anfangseuphorie ins Stocken geraten. Eine einseitig auf Kostensenkung orientierte Standortdebatte droht Ansätze zu einer umfassenden Modernisierung und innovativen Orientierung der Produktionsstrukturen in den Hintergrund zu drängen (vgl. PI-Mitteilung Nr. 2). Hohe Dynamik bei zukünftiger Zertifizierung und Umweltauditierung Verbreitungspotentiale neuer bisher nicht ausgeschöpft 18 Die unterschiedlichen Nutzungsintensitäten der einzelnen Elemente neuer je nach betrieblichen Rahmenbedingungen verweisen allerdings auch auf die Notwendigkeit, jeweils betriebsindividuell die richtige Mischung und den richtigen Umfang der Realisierung zu bestimmen. Neben Branche, Betriebsgröße und Fertigungsart sind für das Ausmaß der Wirkungen neuer weitere Faktoren maßgeblich. Um für ein einzelnes Unternehmen handlungsleitend sein zu können, muß die Wirkung der verschiedenen Elemente neuer vor dem Hintergrund möglichst vieler gleichzeitig betrachteter Ausgangsbedingungen transparent gemacht werden. Bei der Orientierung an Vorreiterunternehmen muß also auf die Vergleichbarkeit der Rahmenbedingungen wie Produkt, Betriebsgröße, Dispositionsart und hergestellte Seriengröße geachtet werden. Eine solche, betriebsspezifische Analyse kann auf der Basis der vorliegenden Umfragedaten erfolgen. Bei der Einführung neuer muß auf die Rahmenbedingungen geachtet werden PI-Mitteilungen Nr. 4

Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI) Breslauer Straße 48 76139 Karlsruhe Fraunhofer-ISI, Februar 1997 PI-Mitteilungen Nr. 4 Seite 9