1. Internationale Schall- und Akustiktage 2011 Schallschutz Fallbeispiele Ch. Geyer 1 Schallschutz Fallbeispiele Christoph Geyer Dr. rer. nat. Diplomphysiker Prof. für Bauphysik Berner Fachhochschule CH-Biel/Bienne
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1. Internationale Schall- und Akustiktage 2011 Schallschutz Fallbeispiele Ch. Geyer 3 1. Einleitung Der Schallschutz zwischen Nutzungseinheiten ist durch die Vielzahl von Einflussgrössen der Nutzung und der Konstruktionen sehr komplex. Dies gilt insbesondere bei Umnutzungen. Anhand von Fallbeispielen sollen einige Probleme erläutert werden. 2. Fallbeispiel 1: Gewerbegebäude mit Verkaufsnutzung Bei Umnutzungen in bestehenden Gebäuden wird dem Schallschutz häufig nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt. Daher werden die Planungen meist auch ohne Beteiligung eines Bauphysikers durchgeführt. Während der Planung wird leicht übersehen, dass sich durch die Umnutzung die Anforderungen an trennende Bauteile zwischen den Nutzungseinheiten massiv ändern können. In der Folge kommt es dann zu Beschwerden der Nutzer. Die Nutzung in einem Gewerbegebäude ist üblicherweise wie folgt aufgeteilt: Im Erdgeschoss befinden sich die Verkaufsräume und darüber die Büroräume. In einem Einkaufszentrum wurde die Verkaufsfläche auf das 1. Obergeschoss erweitert. Darüber hinaus wurden die neuen Verkaufsbereiche an ein Unternehmen vermietet, welches hochwertige Hifi Geräte einschliesslich Heimkinoanlagen verkauft. Nach Bezug der Verkaufsräume kam es zu massiven Beschwerden der Mieter der an die neuen Verkaufsflächen angrenzenden Büroräume. Bei einer Baubegehung stellte sich heraus, dass in den Verkaufsräumen der Bereich für die Demonstration der Hifi-Anlagen und der Heimkinoanlagen direkt an der Mietbereichstrennwand angeordnet war. Übliche Mietbereichstrennwände zwischen fremden Nutzungseinheiten in Büros weisen einen Luftschallschutz von R w = 53 db auf. Durch die Umnutzung der Büroräume in Verkaufsräume wachsen die Schallschutzanforderungen an den Luftschallschutz dieser Wand deutlich an: bei der Mietbereichstrennwand handelt es sich nun um eine Wand zwischen einem besonders lauten Raum und einem schutzbedürftigen Raum. Da in Verkaufsräumen unterschiedlich laute Nutzungen auftreten können, werden in Tabelle 5, DIN 4109 Schallschutz im Hochbau [1] Anforderungen an den Luftschallschutz dieser Wände in Abhängigkeit der Schalldruckpegel im Verkaufsraum formuliert: bei A-bewerteten Schalldruckpegeln im Verkaufsraum von L AF = 75 db(a) bis 80 db(a) ein bewertetes Schalldämm-Maß der Wand von erf. R w = 57 db bei A-bewerteten Schalldruckpegeln im Verkaufsraum von L AF = 81 db(a) bis 85 db(a) ein bewertetes Schalldämm-Maß der Wand von erf. R w = 62 db Wobei beim Betrieb von Heimkinoanlagen noch wesentlich höhere Schalldruckpegel, insbesondere auch bei tiefen Frequenzen, auftreten können. Die Messung des Luftschallschutzes ergab einen Wert für das bewertete Schalldämm- Mass von R w = 55 db. Abbildung 1 zeigt die Messwerte für die Mietbereichstrennwand mit den Bezugskurven nach ISO 717-1[2].
4 Schallschutz Fallbeispiele Ch. Geyer 1. Internationale Schall- und Akustiktage 2011 Abbildung 1: Ergebnisse der Messung des Luftschallschutzes für die Trennwand zwischen Büro und Verkaufsraum. Damit weist die Trennwand einen üblichen Wert für den Luftschallschutz zwischen Büros auf. Dieser Wert ist aber nicht ausreichend für den Schallschutz zwischen einem Verkaufsraum mit Kinobetrieb und einem Büro. Aufgrund der vorhandenen Randbedingungen waren die Möglichkeiten für die Herstellung eines höheren Schallschutzes z. B. durch den Einbau von Vorsatzschalen begrenzt. Der Betrieb einer Heimkinoanlage direkt angrenzend an einen schutzbedürftigen Bürobereich ist deshalb ohne Beeinträchtigung des Bürobetriebes an diesem Standort nicht möglich. Daher wurde empfohlen, die Demonstrationsbereiche für den Heimkino- und Hifi-Anlagen in den Kernbereich der Verkaufsfläche zu verschieben und möglichst durch Pufferräume von den schutzbedürftigen Büros zu trennen. 3. Fallbeispiel 2: Holzbalkendecken im Wohnungsbau Immer häufiger werden Altbauten umgenutzt und in hochwertige Eigentumswohnungen umgewandelt. In Altbauten, die während der Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert oder vorher erbaut wurden, sind häufig Geschossdecken mit Holzbalkenkonstruktionen vorhanden. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass der vorhandene Luft- und Trittschallschutz dieser Geschossdecken ohne eine schalltechnische Sanierung den heutigen Ansprüchen an einen Schallschutz zwischen Wohneinheiten nicht mehr genügt. Dies gilt insbesondere, wenn die Eigentumswohnungen als Komfort- oder Luxuswohnungen vermarktet werden.
1. Internationale Schall- und Akustiktage 2011 Schallschutz Fallbeispiele Ch. Geyer 5 Bei diesem Fallbeispiel wurde ein ehemaliges Bürogebäude in Eigentumswohnungen umgewandelt. Nach dem Bezug der Wohnungen wurden massive Klagen der Käufer über den Schallschutz der Wohnungen vorgebracht. Daraufhin wurden Messungen des Luftund Trittschallschutzes der Geschossdecken durchgeführt. Das Ergebnis war ein bewerteter Norm-Trittschallpegel von L n,w = 66 db für den Trittschallschutz und ein bewertetes Schalldämm-Mass von R w = 48 db für den Luftschallschutz der Geschossdecke. In Abbildung 2 sind die Messwerte der bewerteten Norm- Trittschallpegel mit der verschobenen und unverschobenen Bezugskurve nach ISO 717-2 [3] dargestellt. Abbildung 3 zeigt die Messwerte der Schalldämm-Masse der Geschossdecke mit den Bezugskurven nach ISO 717-1. Vergleicht man die Messergebnisse mit den Mindestanforderungen der DIN 4109, so stellt man fest, dass sowohl die Anforderungen des Luftschallschutzes mit erf. R w 54 db, als auch die Anforderungen an den Trittschallschutz mit erf. L nw 53 db deutlich verfehlt sind. Betrachtet man den Frequenzverlauf der Messwerte für die Norm-Trittschallpegel, so erkennt man auch das typische Verhalten einer Holzbalkendecke: der niedrige Trittschallschutz bei tiefen Frequenzen. Die Normtrittschallpegel nehmen mit abnehmender Frequenz stark zu. Dieses Verhalten kann auch beim Luftschallschutz der überprüften Geschossdecke beobachtet werden. Auch hier nimmt der Luftschallschutz zu niedrigen Frequenzen hin ab. Um das Verhalten des Luftschallschutzes einer Geschossdecke gegenüber Geräuschen mit dem typischen Frequenzspektrum von Wohngeräuschen auch mit einer Einzahlangabe beurteilen zu können, wird der Einzahlwert durch Addition des Spektrumsanpassungswerts C spektral korrigiert. Auch der bewertete Normtrittschallpegel wird durch Addition des Spektrumsanpassungswertes C I spektral korrigiert, um eine bessere Beschreibung der bei Begehen einer Geschossdecke entstehenden Gehgeräusche im darunter liegenden Raum zu erzielen. Zur Beurteilung des tieffrequenten Verhaltens des Bauteils werden ausserdem die Spektrumsanpassungswerte für einen erweiterten Frequenzbereich bis zu den Frequenzen 63 Hz bzw. 50 Hz berechnet.
6 Schallschutz Fallbeispiele Ch. Geyer 1. Internationale Schall- und Akustiktage 2011 Abbildung 2: Messergebnisse des Trittschallschutzes der Holzbalkendecke. Aus der Messung des Luftschallschutzes der Geschossdecke ergibt sich für das spektral korrigierte Schalldämm-Mass ein Wert von R w + C = 48 db 5 db = 43 db bzw. unter Einbeziehung der tieffrequenten Übertragung R w + C 50-3150 = 48 db 5 db = 43 db Für die spektral korrigierten Einzahlwerte des Trittschallschutzes lauten die Werte L n,w + C I = 66 db + 1 db = 67 db bzw. unter Einbeziehung der tieffrequenten Übertragung L n,w + C I 50-2500 = 66 db + 2 db = 68 db Damit belegen die Schallmessungen ein übliches Schallschutzniveau der Holzbalkendecke, die dem anderer, nicht sanierter Bestandsdecken mit Holzbalkenkonstruktion, entspricht.
1. Internationale Schall- und Akustiktage 2011 Schallschutz Fallbeispiele Ch. Geyer 7 Abbildung 3: Messergebnisse für den Luftschallschutz der Holzbalkendecke. Dieses Schallschutzniveau bleibt aber weit hinter der heutigen Komforterwartung zurück, die etwa im Bereich der erhöhten Schallschutzanforderungen von erf. R w 55 db für den Luftschallschutz und von erf. L n,w 46 db für den Trittschallschutz anzusiedeln ist. Daher muss bei der Umnutzung von Gebäuden mit Holzbalkendecken der Schallschutz der Geschossdecken unbedingt ertüchtigt werden, um ein Schallschutzniveau nach dem Stand der Technik zu erzielen. 4. Fallbeispiel Nr. 3: Tieffrequente Schallübertragung von Holzbalkendecken Bei diesem Objekt wurde eine ehemalige Kaserne in Eigentumswohnungen umgebaut. Die Geschossdecken wurden mit einem Heizestrich auf Polystyrol-Wärmedämmung ausgestattet. Unter der Geschossdecke war eine abgehängte Decke mit einer geschlossenen Gipskartonbeplankung eingebaut worden. Die Aussenwände wurden mit einer innenliegenden Wärmedämmung mit Gipskartonverkleidung saniert. Vom Käufer der Eigentumswohnung wurde eine Belästigung durch Gehgeräusche beklagt. Daraufhin wurden Messungen des Schallschutzes der Geschossdecken durchgeführt. Die Ergebnisse der Schallmessungen sind in Abbildung 4 für den Luftschallschutz und in Abbildung 5 für den Trittschallschutz dargestellt.
8 Schallschutz Fallbeispiele Ch. Geyer 1. Internationale Schall- und Akustiktage 2011 Betrachtet man zunächst nur die Einzahlwerte, so liefern die Schallmessungen ein sehr gutes Ergebnis von L n,w = 39 db für den bewerteten Norm-Trittschallpegel und ein bewertetes Schalldämm-Mass von R w = 67 db für den Luftschallschutz der Geschossdecke. Allerdings zeigt sich bei näherer Betrachtung der frequenzabhängigen Werte eine sehr starke Schallübertragung bei den niedrigen Frequenzen. Dies wird auch bei der Bildung der spektral korrigierten Einzahlwerte deutlich: für das spektral korrigierte Schalldämm- Mass erhält man einen Wert von R w + C = 66 db 1 db = 65 db bzw. unter Einbeziehung der tieffrequenten Übertragung R w + C 50-3150 = 67 db 8 db = 59 db Für die spektral korrigierten Einzahlwerte des Trittschallschutzes lauten die Werte L n,w + C I = 39 db + 4 db = 43 db bzw. unter Einbeziehung der tieffrequenten Übertragung L n,w + C I 50-2500 = 39 db + 17 db = 56 db Damit kommt es insbesondere beim Trittschallschutz durch die tieffrequente Übertragung zu einer starken Verschlechterung des Trittschallschutzes. Da sich das Objekt darüber hinaus noch in einer ruhigen Gegend ohne Aussenlärmbelastung befand, konnte in der Folge, trotz dem guten Einzahlwert, jeder Schritt aus der Wohnung darüber deutlich wahrgenommen werden. Dieses Fallbeispiel demonstriert, dass bei der Sanierung von Holzbalkendecken der tieffrequenten Schallübertragung besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden muss, da sonst kein zufriedenstellender Schallschutz erzielt wird.
1. Internationale Schall- und Akustiktage 2011 Schallschutz Fallbeispiele Ch. Geyer 9 Abbildung 4: Messergebnisse für den Luftschallschutz der Geschossdecke über dem Wohnzimmer.
10 Schallschutz Fallbeispiele Ch. Geyer 1. Internationale Schall- und Akustiktage 2011 Abbildung 5: Messergebnisse für den Trittschallschutz der Geschossdecke über dem Wohnzimmer. 5. Fallbeispiel 3: Nutzergeräusche im Wohnungsbau Die Geräusche bei der Betätigung von Installationen werden in benachbarten Wohnungen in der Regel als sehr lästig empfunden. Daher kommt der Reduzierung dieser Geräusche zur Sicherstellung eines hohen Schallschutzniveaus eine grosse Bedeutung zu. Deshalb wurden die Anforderungen an die Installationsschallpegel und an die Schallpegel haustechnischer Anlagen in den vergangenen Jahren verschärft. Für Nutzergeräusche gibt es in Deutschland bisher weder Anforderungen noch ein genormtes Nachweisverfahren. Trotzdem können durch übliche Betätigung von Armaturen in Nachbarwohnungen hohe Schallpegel entstehen, die wesentlich lauter sind als die zulässigen Installationsschallpegel. In einem Neubau wurden Geräusche beklagt, die durch das Betätigen eines WC-Deckels und eines Lichtschalters entstanden. Das Bad grenzt an die Mietbereichstrennwand an. Auf der anderen Seite befindet sich das Wohnzimmer der Nachbarwohnung. Der Lichtschalter ist in der Mietbereichstrennwand eingebaut, die das Schlafzimmer von dem Wohnzimmer der Nachbarwohnung trennt. Zur Überprüfung dieser Klagen wurden Schallmessungen im Wohnzimmer der Nachbarwohnung durchgeführt. Abbildung 6 zeigt den zeitlichen Verlauf des Schallpegels beim Betätigen des WC-Deckels im benachbarten Wohnzimmer. In Abbildung 7 ist der zeitliche Verlauf des Schallpegels im benachbarten Wohnzimmer beim Betätigen des Lichtschalters dargestellt.
1. Internationale Schall- und Akustiktage 2011 Schallschutz Fallbeispiele Ch. Geyer 11 Abbildung 6: Schallpegel beim Betätigen des WC-Deckels im benachbarten Wohnzimmer. Die blaue Kurve stellt den zeitlichen Verlauf des gemessenen Schallpegels, die rote Kurve den maximalen Schallpegel des jeweiligen Ereignisses und die grüne Kurve den äquivalenten Schallpegel des Ereignisses dar. Der nachhallzeitkorrigierte Wert für den Schallpegel des WC-Deckels ergibt einen Schallpegel von 40 db(a). Für den Schallpegel des Lichtschalters lautet der entsprechende Wert 52 db(a). Damit sind die Nutzergeräusche wesentlich lauter als die zulässigen maximalen Schalldruckpegel für Geräusche von Wasserinstallationen von 30 db(a).
12 Schallschutz Fallbeispiele Ch. Geyer 1. Internationale Schall- und Akustiktage 2011 Abbildung 7: Schallpegel beim Betätigen des Lichtschalters im benachbarten Wohnzimmer 6. Literatur [1] DIN 4109 Schallschutz im Hochbau, Anforderungen und Nachweise, Ausgabe November 1989 [2] EN ISO 717-1 Akustik Bewertung der Schalldämmung in Gebäuden und von Bauteilen Teil 1: Luftschalldämmung, Ausgabe November 2006 [3] EN ISO 717-2 Akustik Bewertung der Schalldämmung in Gebäuden und von Bauteilen Teil 2: Trittschalldämmung, Ausgabe November 2006