Das Feature. Junkerland in Bundeshand. Die Hohenzollern und die Restitution alten Adelsbesitzes. Von Carsten Probst. Produktion: Deutschlandfunk 2020

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Dok 5 Das Feature Montag, 05.04.2021, 13.04 14.00 Uhr Wiederholung: Montag, 05.04.2021, 18.04 19.00 Uhr Junkerland in Bundeshand Die Restitution alten Adelsbesitzes. Das Feature Junkerland in Bundeshand Die Hohenzollern und die Restitution alten Adelsbesitzes Von Carsten Probst Produktion: Deutschlandfunk 2020 Redaktion: Tina Klopp Regie: Claudia Kattanek Es sprachen: Mark Oliver Bögel und Jodokus Krämer Ton und Technik: Thomas Widdig und Gunther Rose 1/29

Atmo Stimmen Frau: Viele Wege führen nach Rom, ne! Autor: Ja! (außer Atem, lacht) Burghard Rübcke-v. Veltheim: Moin! Na? Wir winken einmal. Wir sind weit genug auseinander, glaub ich! Autor: Gut! Also, Sie habe ich jetzt wirklich lang gesucht! Veltheim: Ja? (lacht) Was haben Sie falsch verstanden? War doch gut beschrieben eigentlich. Quitzin in Nordvorpommern, 30 Kilometer südlich von Stralsund. Hier lebt Burghard Rübckevon Veltheim. Sein Großvater Burghard von Veltheim war nach 1945 von seinen Gütern in Schönfließ bei Berlin und in Quitzin vertrieben worden. Als Mitglied der Bekennenden Kirche hatte er galt er für die sowjetischen Besatzer als NS-Verfolgter. So war sein Besitz eigentlich vor Enteignung geschützt. Doch die regionalen Behörden teilten das Land im Zuge der Bodenreform trotzdem unter neuen Kleinbauern und Siedlern auf. O-Ton Burghard Rübcke-von Veltheim Und dann ist er über Frohnau zu Verwandten gegangen, hatte nichts außer Hemd und Hose. Und meine Mutter hat dann in Hamburg mit ihm und meinem Bruder zusammen aus erster Ehe meiner Mutter in Hamburg gelebt und hat dort im Büro gearbeitet und hat Treppen geputzt und so weiter, also da war gar nichts. Also, die reichen Verwandten waren überhaupt nicht. Eine Fluchtstation war bei einem Betrieb von Verwandten, da durfte sie dann aber in der Scheune übernachten, im Strohlager, und musste dann auch weiterziehen. Also, es war nicht so, dass sie willkommen waren wirklich. Sondern das war ein kompletter Aufbau von Null aus dem Garnichts. 2/29

Von der Landstraße führt eine alte kopfsteingepflasterte Allee hierher zum Herrenhaus aus dem 17. Jahrhundert, das im 18. Jahrhundert zum barocken Jagdschloss umgebaut worden war. Links und rechts zwei Kavaliershäuser, nebenan die alte Schlosskapelle und mehrere Fachwerkhäuser. Rübcke-von Veltheim wuchs nach dem Krieg in Westdeutschland auf, studierte und wurde Pfarrer. Als die Wende kam, lebte er verheiratet mit drei Kindern in Kellinghusen bei Hamburg. O-Ton Burghard Rübcke-von Veltheim Um es ganz einfach zu sagen: Nicht wenige saßen in der Familie oder vor dem Fernseher mit tränenden Augen, weil sie sagten: Hier hab ich ne Chance vielleicht noch mal wieder an eine Familientradition oder an mein ehemaliges Zuhause anzuknüpfen oder vielleicht dahinzugehen. Es war einfach die Freude sozusagen der Überwindung dieser martialischen Teilung. Und dann kam diese Überlegung: Hat man ne Chance, was zu machen, ja, nein? Wer soll es machen aus der Familie, wer kann es überhaupt machen? Meine landwirtschaftliche Ausbildung beschränkte sich damals auf ein bisschen Erntehilfe. Damit kann man natürlich keinen Betrieb aufbauen und leiten. Um es kurz zu sagen: Kein Geld, keine Ahnung, viel Ideen und Ambitionen. Doch bis heute liegt Burghard Rübcke-von Veltheim mit dem Staat im Streit. O-Ton Burkhard Rübcke-von Veltheim Ich glaube, man hat dieses emotionale Kapital von Vielen, die ihr Hab und Gut verloren haben, im Zweiten, nach dem Zweiten Weltkrieg und dann, wo das Vermögen in die Bodenreform ging auch wenn das ein furchtbarer Ausdruck ist, aber menschliches Kapital verspielt, auch Vertrauen verspielt, sehr viel Vertrauen in den Rechtstaat verspielt. 3/29

Ansage: Junkerland in Bundeshand. Die Hohenzollern und die Restitution des Adelsbesitzes. Ein Feature von Carsten Probst. Viele Familien, die nach 1945 in Ostdeutschland enteignet worden waren, hofften im Zuge der Wiedervereinigung den ehemaligen Besitz zurück zu erhalten. Doch im Einigungsvertrag schrieb die Bundesregierung 1990 fest, dass sie die Bodenreform in der ehemaligen sowjetischen Besatzungszone nicht rückgängig machen würde, und sie verankerte das auch im Grundgesetz. O-Ton Jürgen Aretz Dann hat es natürlich Menschen gegeben, die in sehr sachlicher Weise auf eine Entschädigung gedrängt haben, und andere die sich des Öfteren im Ton vergriffen haben. Jürgen Aretz leitete ab 1992 den Arbeitsstab Neue Länder im Bundeskanzleramt. O-Ton Jürgen Aretz Da sind Briefe eingegangen, die von der Argumentation und von der Ausdrucksweise völlig inakzeptabel waren. Emotional wird man diese Menschen verstehen können. Aber Emotionen allein sind kein guter Ratgeber. 4/29

Viele ehemalige Grundbesitzer, bei Weitem nicht alles Adlige, fühlten sich durch die Bundesregierung ein zweites Mal enteignet. Manche forderten die bedingungslose Rückabwicklung der Bodenreform und Rückgabe ihres ehemaligen Familienbesitzes. Andere bemängelten, dass die Entschädigungszahlungen des Staates nur einen kleinen Bruchteil des tatsächlichen Verkehrswertes abdeckten oder dass der Staat zahlreiche Ländereien aus ehemaligem Volkseigentum nun seinerseits übernommen hatte, so dass die Alteigentümer ihr ehemaliges Gut vom Staat kaufen oder pachten mussten. O-Ton Johannes Gerster Ich hab damals mit Verleumdungen zu tun gehabt als der zuständige Mann in dieser Gerster-Kommission. Es hat Fälschungsprotokolle gegeben über diesen Vorgang Mainz ein Hochhaus aus den siebziger Jahren. Am Ende seines langen Wohnungsflurs liegt das private Büro von Johannes Gerster. Aus großen Fenstern blickt man über die Mainzer Altstadt und den Dom. In der Wiedervereinigungszeit war der heute 79-jährige stellvertretender der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag; als Leiter der sogenannten Gerster-Kommission, die die Vorlagen für den Einigungsvertrag ausarbeitete, war er unter anderem am EALG, am Entscheidungs- und Ausgleichs-Abgaben-Gesetz beteiligt, das die Entschädigungen von Alteigentümern regelte. O-Ton Johannes Gerster Es ist lustig von heute zu sehen: Ich habe einen privaten Parkplatz in der Mainzer Altstadt, der Eigentümer hat mir den sofort gekündigt, ich sei nicht würdig, weil ich ihm nicht sage, dass er sofort sein Eigentum im Osten zurückkriegt. Da könnten Sie Loriot-Geschichten draus machen 5/29

Gerster wundert sich noch heute über die Argumentation von Adelsvertretern. Millionen Menschen hätten in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung ohne Job dagestanden. Auch sei in den fünfzig Jahren seit Kriegsende im Osten neues Eigentum entstanden, das nicht einfach so rückabgewickelt werden konnte. Johannes Gerster Natürlich gibt s die emotionale Komponente. Und natürlich hab ich auch Verständnis für Leute, die enttäuscht sind. Aber es ist mehr passiert. Es haben Leute erzählt, der Kohl sei der zweite Stalin. Der Stalin hat sie enteignet, jetzt würde der Kohl sie zum zweiten Mal enteignen. Andere haben gesagt, der Kohl sei ein Hehler, weil er die unrechtmäßig erworbenen Eigentumsverhältnisse fortführen würde! Und solche Geschichten. Zitat Michael Naumann Am Anfang der Einheit stand eine Lüge! ( ) schrieb sogar der frühere Kulturstaatsminister Michael Naumann, SPD-Mitglied und Herausgeber der Wochenzeitung Die Zeit Ende Januar 2004: Zitat Naumann (Fortsetzung) Hand in Hand mit der Volkskammer und dem Bundesverfassungsgericht unter der Präsidentschaft Roman Herzogs hat die Bundesregierung den Bundestag und die Altbesitzer im Jahre 1990 hinters Licht geführt. Es hagelte Lügen von höchster Stelle. Die größte Lüge: Die Sowjetunion habe die Wiedervereinigung abhängig gemacht von der Unwiderruflichkeit hoheitlicher Akte bis 1949 in ihrer Besatzungszone. [ ] Die Bundesregierung [habe] auf diese Bedingungen eingehen [müssen], um die Einheit Deutschlands zu erreichen. [ ] 6/29

Im sogenannten Göttinger Kreis - Studenten für den Rechtsstaat, mitbegründet von der späteren AfD-Vorständin Beatrix von Storch, sammelten sich die Enttäuschten. Was den vermeintlichen Verrat der Politik an Deutschland angeht, berufen sie sich direkt auf Michail Gorbatschow. Der ehemalige sowjetische Staats- und Parteichef hatte im Juli 1994 in einem Brief an den britischen Historiker Norman Stone erklärt: Anders als von der Bundesregierung behauptet, habe die Sowjetunion niemals die Beibehaltung der Bodenreform zur Vorbedingung für die deutsche Einheit gemacht. Gorbatschow wiederholt diese Aussage noch öfter etwa während eines Deutschlandbesuches 1998: O-Ton Michail Gorbatschow (russ. m. dt. Übersetzung) Ich habe mit Kanzler Kohl diese Frage überhaupt nicht besprochen. Das ist meine Antwort. Aber wir haben in der Tat damit nichts zu tun. Das müssen Sie im vereinigten Deutschland selbst klären. Burghard Rübcke-von Veltheim nimmt keine der damaligen Vorwürfe gegen die Bundesregierung oder den Einigungsvertrag in den Mund. Aber auch er war damals unter den Zuhörern im Berliner ICC, als Gorbatschow unter dem Jubel hunderter Alteigentümer wiederholte, die Beibehaltung der Bodenreform niemals zur Bedingung für die Wiedervereinigung gemacht zu haben. O-Ton Rübcke-von Veltheim Naja, gut, als Betroffener kann man sicherlich nicht alle Emotionen einfach abschalten. Das wär nun schon sehr mutig, wenn man das so sagen würde, da ist man immer als ganze Person betroffen, das ist vollkommen klar. Aber wenn der Sachverhalt, ich will nicht sagen: bewusstermaßen, aber möglicherweise politisch nicht aufgeklärt werden kann, aus politischen Gründen, weil man es verhindert, weil man eben diesen Bürger als Gegenüber sieht oder als Gefahr sieht, dann entfernen wir uns deutlich von demokratischen Grundlagen. Ohne Rechtssystem müssen wir über Demokratie nicht reden. Wir haben eine Gewaltenteilung! 7/29

Die Aussagen Michail Gorbatschows lösten in der Regierung Kohl Irritationen aus. O-Ton Johannes Gerster Es ist jetzt nicht meine Aufgabe, zu bewerten, was der Herr Gorbatschow gegenüber anderen Leuten gesagt hat. Ich kann nur sagen, was ich in bester Erinnerung habe, was er mir damals gesagt hat. Und ich glaub das auch. Und ich glaube auch Lothar de Maiziere, der klar gesagt hat, die Russen bestehen auf der Unantastbarkeit der sowjetischen Bodenreform bis 1949. Gerster erinnert sich an ein Treffen in inoffiziellem Rahmen. Für eine Benefizveranstaltung war Gorbatschow 1995, ein Jahr nach seinem Brief an Norman Stone, nach Mainz gekommen, um für ein Hilfsprojekt für die Kinder von Tschernobyl Geld zu sammeln. O-Ton Johannes Gerster Wir haben abends beim Edelitaliener an der Bergstraße gesessen, und es war eine tolle Stimmung. Der Gorbatschow war in bester Form, die Raissa war in bester Form, und ich habe bei diesem Ereignis den Gorbatschow gefragt, wie das war. Und Gorbatschow hat mir gesagt: Es war für uns völlig klar, dass wir nicht an der Bodenreform rütteln lassen, weil wir uns nicht nachträglich als Leute, die der Vereinigung zustimmen, von den Leuten, die die Profiteure an der deutschen Vereinigung sind, vorwerfen lassen wollen, wir hätten Unrecht begangen und wir möglicherweise noch Regressansprüchen ausgesetzt sind aus dem neuen, wiedervereinigten Deutschland. Den juristischen Grundsatzstreit um die Bodenreform und den Einigungsvertrag verloren die Alteigentümer nach mehreren Niederlagen vor dem Bundesverfassungsgericht und schließlich vor dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg. Doch die Debatte um Entschädigungen und Rückgaben von enteignetem Besitz in Ostdeutschland war damit keineswegs beendet. Burghard Rübcke-von Veltheim beispielsweise befindet sich bis heute vor dem Bundesverwaltungsgericht im Rechtsstreit mit dem Staat, weil dieser sich weigert, von Veltheims Großvater als NS-Verfolgten anzuerkennen. 8/29

O-Ton Burghard Rübcke-von Veltheim Nachdem wir feststellen konnten, dass wir, nach allem was wir wissen, NS-verfolgt enteignet waren und eigentlich fast alles zurückbekommen, was verfügbar war an Staatsland und so weiter - bekommen müssen -, erst da ist dieses Thema noch wieder richtig virulent für uns geworden, und da befinden wir uns heute ja auch noch in Auseinandersetzungen, die noch nicht endgültig geklärt sind. Da hätte man sich auch an dieser Stelle aufgrund des Wissens des Staates mehr Entgegenkommen erhofft, weil alle Unterlagen, die eine solche Verfolgung belegen, befinden sich in staatlicher Hand und sind für den Staat verfügbar, aber nicht für uns. Atmo Plenum des Deutschen Bundestages Ansage Claudia Roth (Bundestagsvizepräsidentin): So. Ich eröffne die Aussprache, das Wort hat Jan Korte für die Fraktion Die Linke. Die ganz große öffentliche Bühne erreichte der Streit um die russischen Enteignungen in Ostdeutschland jedoch erst im vergangenen Jahr. Am 16. Januar 2020 debattierte der Deutsche Bundestag in Berlin über die Rückgabeforderungen der Familie der Hohenzollern der letzte große Entschädigungsfall zu Enteignungen alten Adelsbesitzes in Ostdeutschland nach 1945. Das ehemalige preußische Kaiserhaus streitet seit Jahrzehnten mit drei Landesregierungen und dem Bund. Es geht um eine riesige Zahl an Objekten aus den Sammlungen Preußischer Kulturbesitz, des Deutschen Historischen Museums und der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten. 2019 drangen Einzelheiten der Verhandlungen an die Öffentlichkeit. Die Hohenzollern, so hieß es, verlangen unter anderem Wohnrecht in Schloss Cecilienhof in Potsdam. O-Ton Jan Korte Warum müssen wir uns im Jahre 2020 mit den Nachwirkungen der Monarchie beschäftigen? Ja, das ist eine gute Frage, da wir ja alle wissen und es auch breit gefeiert haben, dass erfreulicherweise mit der Revolution von 1918 die Monarchie hinweggefegt wurde, wofür wir den Revolutionärinnen und Revolutionären heute noch dankbar sein können. 9/29

Linken-Politiker Jan Korte sagt, die Enteignungen des ostdeutschen Adels nach 1945 seien keineswegs ein großes Unrecht gewesen. O-Ton Jan Korte Denn damals schätzte sowohl die sowjetische Militäradministration als auch dann später die DDR den deutschen Adel als zutiefst verstrickt und mit eine der Hauptursachen für den Nationalsozialismus und hat ihn deswegen in seinem Geltungsbereich vollständig enteignet. Und diese Entscheidung, um es hier einmal klar auszusprechen, war historisch und moralisch durch und durch richtig; bei allen Fehlentscheidungen, die es damals gegeben hat, um das mal klarzustellen. Tatsächlich geht es in der Debatte längst um viel mehr als nur um die Rückgabe von ein paar Schlössern und Kunstbesitz, der sich heute in staatlichen Museen befindet. O-Ton Stefanie Middendorf Sie berührt verschiedene Themen der Geschichte des 20. Jahrhunderts, die uns bis heute alle beschäftigen. Stefanie Middendorf ist Historikerin am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. O-Ton Stefanie Middendorf (Fortsetzung) Dazu zählt natürlich der Umgang mit der NS-Vergangenheit, aber auch das Erbe der deutsch-deutschen Teilung, Fragen der Wiedervereinigung, des Umgangs mit der Geschichte der DDR also, da kommen verschiedene wichtige Themen des 20. Jahrhunderts zusammen. Und gleichzeitig scheint es, dass sie auch, ja, Verschiebungen, Veränderungen im politischen Diskurs der Gegenwart zutage fördert. 10/29

In den ersten Jahren nach der Wende gaben die Alteigentümer den Ton an in der Debatte um die Enteignungen in Ostdeutschland. Liberale Stimmen wie der SPD-Politiker Richard Schröder, die die Beibehaltung der Bodenreform im Einigungsvertrag verteidigten, mussten sich vorhalten lassen, sie seien noch immer von der SED-Ideologie verblendet. Doch zwanzig Jahre später offenbart sich im Hohenzollern-Streit ein anderes Bild. O-Ton Marcel Schütz Wir erleben die Zuspitzung von Diskussionen in den vergangenen Jahren durch neu entstandene rechtskonservative Parteien, durch Radikalisierungsbewegungen in einer solchen politischen Rahmung fällt die Bewertung des Spielraums und der Zulässigkeit anders aus. Der Soziologe Marcel Schütz von der Northern Business School in Hamburg hat gemeinsam mit dem Historiker Konrad Hauber ein Thesenpapier zum Hohenzollern-Streit erarbeitet. Darin analysieren sie unter anderem, wie sich die gesellschaftliche Haltung gegenüber den Forderungen enteigneter Adelsfamilien gewandelt hat. O-Ton Marcel Schütz Die Besonderheit in diesem Fall ist, dass es um Vermögensansprüche geht gegenüber dem Staat und damit gerät eine sehr alte Diskussion letztendlich wieder in Gang: Was ist man bereit, dem Adel, der Monarchie, der Krone, einer aus heutiger Sicht fernen Zeit, einer vordemokratischen Zeit, ausgerechnet mit demokratischen Mitteln aus dem Eigentum der Bevölkerung wieder abzutreten und zur Verfügung zu stellen? Das ist zugegebener Weise in einer sehr demokratisierten, liberalisierten, emanzipierten Gesellschaft eine echte Zumutung! 11/29

Die Hohenzollern waren zu diesem Zeitpunkt jedenfalls nicht daran interessiert, eine öffentliche Debatte zu entfesseln. Erst recht nicht daran, dass der Satiriker Jan Böhmermann 2019 auf einer eigens eingerichteten Website vier vertrauliche Gutachten aus dem unterbrochenen Gerichtsverfahren der Hohenzollern gegen die Brandenburgische Landesregierung veröffentlichte.. und das Publikum aufforderte juristische Gründe gegen die Entschädigungsforderungen der Adelsfamilie zu sammeln. Über ihren Medienanwalt Markus Hennig versucht diese seither, jede Darstellung, die die Familie als falsche Tatsachenbehauptung bewertet, unter Androhung von Unterlassungsklagen zu unterbinden. Dies betrifft nicht nur Journalist*innen, sondern auch Historiker*innen. Dabei gehe es nicht darum, Kritikern einen Maulkorb zu verpassen, schreibt das Haus Hohenzollern in einer Erklärung vom Juli 2020 auf seiner offiziellen Homepage, sondern lediglich um die legitime Abwehr alternativer Fakten. O-Ton Burghard Rübcke von-veltheim Der Erwartungshorizont war vor dem rechtlichen Hintergrund siehe Grundgesetz, Eigentumsgarantie bei sehr Vielen, die von dieser Frage betroffen waren, der, dass sie zumindest Teile, wo keine Rechte Dritter entstanden waren, eine Möglichkeit einer teilweisen Rückgabe da war, um dann wieder anknüpfen zu können. Burghard Rübcke-von Veltheim hat den alten Familiensitz seiner Vorfahren gleich nach der Wiedervereinigung für einen symbolischen Preis zurückgekauft. Der damalige Bürgermeister hatte sich selbst mit einem Brief an ihn gewandt, ob er nicht Interesse hätte, das völlig heruntergewirtschaftete Gutshaus wiederherzurichten. 12/29

O-Ton Burghard Rübcke-von Veltheim Wir haben uns bewusst vorgestellt im Dorf, wie das anstand, wie wir angeschrieben worden waren vom Bürgermeister, ob wir das erwerben wollten, dieses Gebäude, und haben dann in der Versammlung des Dorfs gesagt, da wir kein Geld haben und das nicht finanzieren können, müssen wir uns vor Ort dabei ernähren können. Und dazu gehört dann einfach Fläche, landwirtschaftliche Fläche. Und haben gefragt, ob wir dann die Flächen pachten dürfen, und haben gleichzeitig gesagt: Die Flächen der sogenannten Bodenreformbauern oder Siedler sind für uns unantastbar, das ist vollkommen klar, aber wir würden es gerne pachten, um es bewirtschaften zu können, um dann eine Grundlage zu haben, auch in diesem Haus etwas tun zu können. Damals war vom Haupthaus des alten Jagdschlosses nur noch der graue Kern erhalten. Noch zu Nazizeiten hatte es die SS das Gebäude als sogenanntes Wehrertüchtigungslager genutzt. Zu DDR-Zeiten diente es als Lager für den Katastrophenschutz. O-Ton Burkhard Rübcke-von Veltheim Das Dach war nicht mehr zu tragen, da war früher ein Eichendachstuhl drauf. Das ist ja sehr hoch, bis zur Dachrinne hat es ja zwölf Meter, und da drauf sind noch mal zehn Meter, das ist also schon ein ganz schöner Klotz. Das Dach allein hat ja n paar hunderttausend Euro gekostet mit Dachstuhl und allem. Das hatten wir natürlich nicht, das Geld, und das war das, was an Förderung reinging. Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz gewährte damals für die Restaurierung des Daches einen großzügigen Zuschuss. O-Ton (Fortsetzung) Burghard Rübcke-von Veltheim Alles andere haben wir dann nach und nach mit Eigenmitteln selber gemacht. Ich hab selber die Schornsteine mit hochgemauert zum Teil oben, weil die Handwerker verschwunden waren. Es wurde zu kalt, dann konnten wir nicht heizen. 13/29

Von der Innenausstattung war nichts mehr erhalten. Türen waren mit Eisenplatten verstärkt und die Fenster mit Metallgittern versehen worden, um Diebstählen aus dem Lagerhaus vorzubeugen. O-Ton Burghard Rübcke-von Veltheim Veltheim: Hier bis hier war ne Wand hochgezogen, und hier waren zwei Toiletten eingebaut Autor: Im Kamin? Veltheim: Ja, den gab s nicht mehr. Also hier war der Waschraum, und das Waschwasser floss runter in den Keller, in den alten Gewölbekeller, hatte man keinen anderen Ablauf, das haben sie einfach reinlaufen lassen und die rechte Treppe hier haben wir nachgebaut, die war verheizt worden, die gab s nicht mehr, den rechten Treppenaufgang, weißt du so ne Flügeltreppe, die hoch geht und dann haben wir langsam angefangen. Ohne die Unterstützung seiner Frau und auch der Dorfbewohner von Quitzin hätte er den Wiederaufbau niemals geschafft, sagt Burghard Rübcke-von Veltheim. O-Ton Burghard Rübcke-von Veltheim Ich habe von vornherein gesagt, ich bin mit jeder Entscheidung einverstanden. Nur weil meine Vorfahren hier mal gelebt haben, muss ich da nicht wieder hin. Aber ich würde gerne die Chance nutzen, und ich habe keine guten Voraussetzungen dafür, aber wenn mir die Chance gegeben wird, werden wir es versuchen. 14/29

O-Ton Andrea Maleka Wir haben bei 33 Depots, davon sind zehn Depots Möbelmagazine, und hier befinden wir uns in dem größten Möbelmagazin, das in der ehemaligen Schlossküche untergebracht ist. Auf Schloss Wernigerode in Sachsen-Anhalt, dem einstigen Familiensitz der Grafen von Stolberg-Wernigerode, entstand nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eines der großen Depots für Kulturgüter aus sogenannten Schlossbergungen. Massenweise wurden bei den Enteignungen in der Sowjetisch Besetzten Zone Möbel, Kunstschätze, aber auch historische Waffen und anderes abtransportiert. Allein nach Schloss Wernigerode gelangten so die Inneneinrichtungen von mehr als sechzig Schlössern und Gutshöfen aus der Region. Manches landete in Museen, das meiste aber wurde, wie hier, in Depots verwahrt. O-Ton (Fortsetzung) Andrea Maleka/Konrad Breitenborn Andrea Maleka: Und von den knapp 400 Möbeln befinden sich hier circa sechzig Schränke. Immer noch, ja, ja Konrad Breitenborn: Wir hatten tausend, 1990, also haben rund 600 Möbelstücke zurückgegeben, ja? Das ist so n richtiger Raum, wo die Stücke wahrscheinlich seit 1946/47 stehen. Und Sie sehen ja hier, die kriegten dann in den fünfziger Jahren alle diesen schönen Aufkleber: Eigentum des Volkes Der Historiker Konrad Breitenborn und seine Kollegin Andrea Maleka kümmern sich seit den neunziger Jahren um die Anträge von Alteigentümern oder ihrer Erben, die bestimmte Gegenstände wieder zurückhaben wollen. O-Ton Konrad Breitenborn Wer da also 1945 als junger Mensch die Ostzone, die Sowjetische Besatzungszone hat verlassen müssen, die kamen also als Sechzigjährige oder Mittsechzigjährige hier an. Wir haben sie oft schon gleich erkannt, weil die sich auch ein bisschen ähneln, die Gutsbesitzer, die haben oft nen Lodenmantel an, und so n gleichen, auch das Jackett ähnelt oft. Und wir haben da interessante Gespräche geführt. Ich muss da auch eins sagen: Wir haben nie so viel über die Kunstgüter gewusst, wie zum Zeitpunkt, als wir sie zurückgegeben haben. 15/29

O-Ton (Archiv) Fanfare DDR-Rundfunk 20 Jahre DDR Ansager: Sie hören aus der Sendereihe 20 Jahre DDR : Junkerland in Bauernhand. : Wer kannte sie nicht, die Ostelbier, die ihre Rittergüter und Schlösser Klitschen nannten, in Berlin ihr Geld verjuxten, dem Kaiser, der Reichswehr und Hitler treueste Gefolgschaft leisteten mit Gardemaß und Hohlkopf die Herren von Itzenplitz, von Bülow, von Malzahn, von der Schulenburg und Henckel von Donnersmarck? Die Angst vor der Roten Arbeiter- und Bauernarmee trieb sie auf die Güter und Schlösser ihrer Vettern im Westen. Hier wollten sie abwarten, bis ihre Zeit wiederkommen würde. Aber diesmal war sie endgültig um! O-Ton (Archiv) Walter Ulbricht Dank der ruhmreichen Sowjetarmee für die Befreiung unseres Landes dafür, dass sie die Voraussetzungen schuf, damit die Arbeiter, die Bauern sich befreien konnten von der Herrschaft der Junker und Gutbesitzer! Die Bodenreform in Ostdeutschland gilt oft als Zeit der wahllosen Vernichtung. Die russischen Besatzer, heißt es, hätten Gutshäuser und Schlösser geplündert oder wertvolle Kunstschätze zerstört. Bei den Schlossbergungen jedoch, sagt Konrad Breitenborn, wurden die Kunstschätze nicht einfach geplündert. Oft waren es Kunsthistoriker oder Denkmalpfleger, die die Objekte schützen wollten, sie sortierten und auflisteten und dadurch retteten. Auf Schloss Wernigerode beispielsweise richtete die DDR mit den so verwahrten Gütern ein Feudalmuseum ein zur Demonstration des dekadenten Lebensstils des Klassenfeindes. O-Ton Konrad Breitenborn Wenn man eine Revolution durchführt und alles anders machen will und die Gesellschaft verändern und mit der alten Feudalschicht brechen will, dann hätte ich vielleicht angenommen und in der Sowjetunion ist das vielleicht auch so passiert, dass man die Herkunft versucht zu tilgen. Dass man jetzt gar nicht Karteikarten anlegt, wo die Provenienz da festgehalten ist. Die können sich doch heute eigentlich nur freuen, viele von denen, die wir auch bedenken mit diesen Restitutionen, dass das damals auch so recht ordentlich gemacht worden ist. 16/29

Doch es gibt auch eine andere Seite. Hundert Kilometer westlich von Wernigerode, auf der Moritzburg in Halle an der Saale, befand sich eines der größten ostdeutschen Lager für Schlossbergungsgut. Tonnenweise wurden hier die Stücke auf Lastwagen abgeliefert. Die alten Listen verzeichnen unter anderem: 7800 Gemälde, 290.000 Bücher, 24 Zentner Noten, 156 Tonnen Archivalien 772 Rüstungen. O-Ton Andrea Himpel Was woher in diese Moritzburg kam, das wissen wir einfach nicht. Vielleicht wurde es auch einfach vernichtet oder es ist verschenkt worden oder man hat sich bedient oder es ist einfach nicht nachzuvollziehen, was mit diesen Stücken passiert ist, und wir haben noch nicht mal irgendwie einen Namen oder was es sein könnte, ne? Andrea Himpel ist Provenienzforscherin und Restauratorin. Seit langem versucht sie, etwas Licht in die Herkunft der vielen tausend Stücke zu bringen, nach denen heute niemand mehr fragt oder sie wenigstens in einen erhaltenswerten Zustand zu bringen. Denn nur die wenigsten fanden nach dem Krieg den Weg in die Kunstsammlungen des Kunstmuseums Moritzburg der Rest stapelte sich zu DDR-Zeiten unsortiert in Kellern und Kammern, und niemand wusste, wohin damit. O-Ton Andrea Himpel Weil man nicht wusste wo man die lagern sollte und diese Überforderung hat dazu geführt, dass man gesagt hat: Wir müssen jetzt mal aussortieren. Hier gibt es ja auch nicht nur gute Kunst, die hierhergekommen sind, sondern auch nicht so wertvolle, und dann wurde mit ziemlich flotter Hand einige, ja, vernichtet, und dann konnte man sie doch nicht ganz vernichten. Also wurden sie aus diesen Spannrahmen rausgeschnitten, also an der Innenkante des Spannrahmens, und wurden dann versteckt so ein bisschen in den oberen Zimmern dieses Hauses, also des Talamtes. Da wurde Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre eine Bibliothek eingebaut mit Podesten und so weiter. Und unter diesen Podesten und in den Seitenwänden wurden diese Gemälde versteckt. Also wollte man vernichten und hat s aber dann doch irgendwie nicht gemacht, ja? Die Scham war dann wahrscheinlich zu groß. 17/29

Provenienzforschung zu jüdischem Alteigentum, das von den Nationalsozialisten enteignet worden war, ist mittlerweile an allen großen Museen in Deutschland üblich. Bei Kulturgütern aus Schlossbergungen wird bislang nur in Einzelfällen die Herkunft ermittelt, wenn sich Alteigentümer mit einem gezielten Rückgabeantrag an die Vermögensämter werden. O-Ton Ulrike Lorenz Da sprechen wir über ganz andere Zahlen. Ulrike Lorenz ist Präsidentin der Stiftung Weimarer Klassik. Deren Museen und Bibliotheken verfügen möglicherweise ebenfalls noch über Objekte aus Schlossbergungen, die sich unentdeckt aus den Beständen aus der DDR Zeit befinden. O-Ton (Fortsetzung) Ulrike Lorenz Das sind allein in der Anna-Amalia-Bibliothek 250.000 Erwerbungen, und es geht im Moment darum, tatsächlich ein Konzept zu erarbeiten, wie wir uns dieses zweiten Kapitels von Provenienzforschung annähern wollen. Bis zum Jahr 2014 mussten sich die Museen mit Alteigentümern von enteigneter Kunst grundsätzlich darüber einigen, ob sie Stücke aus ihren Sammlungen zurückgeben oder zum Beispiel als Dauerleihgaben behalten können. Oft kam es zu gütlichen Einigungen. Ein berühmtes Beispiel dafür ist die wertvolle Kunstsammlung der Familie Speck von Sternburg, die 1949 enteignet wurde und als Volkseigentum an das Museums der Bildenden Künste in Leipzig ging. Nach der Wende, nachdem die Sammlung wieder an sie restituiert worden war, schenkte die Familie sie dem Museum. 18/29

O-Ton Uwe Hartmann Wir haben dann Quellen, dass in den fünfziger Jahren West-Berliner Kunsthändler auf Einladung, auf Vermittlung dieser Kulturwaren Import-Export GmbH glaube ich, hieß sie, übers Land reisen. Uwe Hartmann, Provenienzforscher am Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg sagt, dass die DDR-Regierung Museen dazu anhielt, Kunstobjekte aus ihren Sammlungen zu verkaufen auch und gerade in den Westen, um Devisen zu beschaffen. O-Ton (Fortsetzung) Uwe Hartmann Und das bringt Unruhe, dass die Museumsdirektoren untereinander also: Unangemeldet kamen die aus Berlin mit Herrn Soundso und suchten sich was aus, und die anderen erwarten das auch. Und da gibt s dann auch erste Klagen von Museumsdirektoren: Ich konnte mich dagegen nicht wehren, oder sie fragen zurück, mit welcher Legitimation kommen da Leute aus Berlin und wählen hier Sachen aus? Normalerweise wurde der Umgang der DDR mit dem kulturellen Erbe von den Medien im Westen genau registriert. Uwe Hartmann vermutet, dass es politische Gründe haben könnte, wenn sie darüber heute schweigen. O-Ton Uwe Hartmann Aber das sind wirklich Spekulationen, dass es natürlich politisch einflussreiche Kreise im Westen gegeben hat, die da sagten: Wir sind eine Kulturnation, es ist alles unser kulturelles Erbe. 19/29

Dresden, das Residenzschloss. Ehemaliger Stammsitz des Adelsgeschlechts der Wettiner. Heute befindet sich hier neben dem weltberühmten Grünen Gewölbe oder der Rüstkammer die Verwaltung der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. O-Ton Thomas Rudert Dass wir unsere inzwischen mehrere Millionen Objekte sehr gut kennen nach zwölf Jahren Provenienzforschung bedeutet allerdings nicht, und das betrifft auch die Bodenreform und die Schlossbergung, dass wir für jedes einzelne Objekt wissen, wo es her ist. Thomas Rudert ist der Sammlungshistoriker in Dresden. Der Freistaat Sachsen hat vor einigen Jahren ein Forschungsprojekt namens DAPHNE aufgelegt, das alle Bestände der Kunstsammlungen lückenlos aufklären soll. O-Ton (Fortsetzung) Thomas Rudert Also: unbekannte Herkunft, unbekannte Schlossbergung, unbekannter Dargestellter, unbekannter Künstler, Mitte 18. Jahrhundert, irgendein nicht-museales Ahnenbild, das für die Familie natürlich extrem wichtig wäre und wo wir wirklich großen Aufwand betreiben, es irgendwie einem Schloss zuzuordnen. Wenn wir da überhaupt keinen Ansatz haben, weil schon 1945 in der Bodenreform in Sammeldepots das Wissen darüber verloren gegangen war, aus welchem Schloss dieses Objekt stammt und wir im Objekt selbst oft keine Hinweise haben, dann kann es sein, für einen Rest von unter zehn Prozent, wo wir nicht wissen, wo die her sind. Und ich fürchte, da werden wir es für einen bestimmten Prozentsatz auch nie rauskriegen. Auch die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden standen zu DDR-Zeiten unter dem Druck der Devisenbeschaffer, Objekte aus ihren Sammlungen zum Verkauf freizugeben. 20/29

O-Ton Thomas Rudert Dresden hat unter Generaldirektor Bachmann den etwas schlitzohrigen Beschluss gefasst, diese Wünsche aus dem Außenhandelsministerium und von der Kunst- und Antiquitäten GmbH dadurch zu erfüllen, dass man Schlossbergungsbestände abgibt in den Verkauf, um die eigenen Kernbestände zu schonen. Das ist ethisch natürlich aus heutiger Perspektive hochproblematisch, aber in der damaligen Situation zumindest nachvollziehbar als Entscheidung. Und deswegen haben wir in mehreren Tranchen bis August 89 mehrere hundert Schlossbergungsbilder in den Verkauf gegeben. Das Dresdner DAPHE-Projekt ist bislang einzigartig, und es ist die Folge aus einem juristischen Dauerstreit des Freistaates mit dem einstigen Adelsgeschlecht der Wettiner. Denn deren Anwälte betrieben über alte Bestandslisten der Dresdner Museen jahrelang eine eigene, systematische Provenienzrecherche und forderten so immer wieder neue kostbare Objekte aus den Museumsbeständen. Manche von ihnen boten die Erben der Wettiner anschließend auf Auktionen an und verkauften sie so an Privatleute. O-Ton Marion Ackermann Wir sind immer wieder damit konfrontiert, dass vermutet wird, dass wir in unseren Depots noch Dinge verbergen oder Dinge nicht offengelegt haben. Das ist aber absolut nicht wahr. Marion Ackermann ist die Generaldirektorin der Dresdner Kunstsammlungen. O-Ton (Fortsetzung) Marion Ackermann Das ist eben abgeschlossen und wir arbeiten eben auch sehr stark an einer erhöhten Transparenz. Also in dem Moment, in dem der komplette Bestand auch online zugänglich ist, mit Ausnahme bestimmter Dinge, die wir aus ethischen Gründen nicht ins Netz stellen würden und möglicherweise sogar mit der Chance, ein großes Zentraldepot, was wir beantragt haben, zu einem Schaudepot zu machen, und damit nochmal eine andere Form von Zugänglichkeit zu schaffen, können wir hoffentlich solche Unterstellungen und Vermutungen aus der Welt schaffen. 21/29

O-Ton Jürgen Aretz Ich bin seit dem Herbst 2017 für das Haus Hohenzollern tätig, und zu diesem Zeitpunkt hatten wir das Problem, dass es noch keine Übersicht gab über die Objekte, die im Zweifelsfalle dem Anspruch des Prinzen von Preußen unterliegen würden, weil wir keinen Zugang zu den Depots in den verschiedenen Museen gehabt hatten. Das hat fast eineinhalb Jahre gedauert, bis wir diese Übersicht hatten. Wir wissen eben seit Anfang 2019, worum es eigentlich geht. Jürgen Aretz, der Anfang der 1990er Jahre den Einigungsprozess noch vom Bundeskanzleramt aus begleitet hatte, verhandelt mittlerweile für das ehemalige Kaiserhaus der Hohenzollern mit der Bundesregierung. Aretz ist kein Anhänger der Monarchie. O-Ton Jürgen Aretz Es geht darum, dass zum einen dem Recht Genüge getan wird, und zum anderen geht es um die Sicherung von Kulturgut für die Öffentlichkeit, für die kommenden Generationen, für die Wissenschaft. Dabei gerät die Rolle des einstigen Kronprinzen Wilhelm Sohn des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II. in den Fokus, die er im Nationalsozialismus gespielt hat. Er hat Hitler hofiert und aktiv teilgenommen am sogenannten Tag von Potsdam, an dem die Nationalsozialsten die preußische Geschichte bei einem medienwirksam inszenierten Festakt für ihre Zwecke vereinnahmten. O-Ton Stefanie Middendorf Also, natürlich ist er eine schillernde und uneindeutige Figur in vielen seiner Facetten; ein unberechenbarer Charakter nach allem, was man über ihn weiß, der an unterschiedlichen Stellschrauben versucht, eine Rolle zu bekommen. 22/29

Die Historikerin Stefanie Middendorf vom Zentrum für Zeithistorische Forschung sieht einen breiten Konsens in der heutigen Geschichtswissenschaft, dass dem preußischen Kaiserhaus damals sehr am Aufstieg Hitlers und der Abschaffung der Demokratie gelegen war. Und so auch dem Kronprinzen Wilhelm. O-Ton (Fortsetzung) Stefanie Middendorf Und er beschreibt sich schon in vielen Phasen als jemand, der, egal unter welchen Konstellationen und gerne in Zusammenarbeit mit Hitler bzw. der NSDAP an die Macht kommen möchte, der keine Distanz zu dieser Bewegung hat, sondern Nähe sucht. Zum Beispiel schreibt der sozialdemokratische Journalist André Schiffrin damals, dass der Adelsfaschismus, wie er ihn nennt, der NSDAP geistige Deckung gibt und sozusagen auf diese Art und Weise dafür sorgt, dass sie als Kraft im Spiel bleibt, und auch die Grundgedanken der NSDAP sozusagen Eingang finden in das Allgemeingut der Nation, wie er es nennt, also salonfähig werden. Wenn es stimmt, dass die Hohenzollern während der Weimarer Republik der Machtergreifung Hitlers erheblichen Vorschub geleistet haben, haben ihre Erben heute keinen rechtlichen Anspruch mehr auf Entschädigung. So steht es in der sogenannten Unwürdigkeitsklausel zum Ausgleichsleistungsgesetz aus dem Jahr 1994, das die Gerster- Kommission seinerzeit mit Blick auf das SED-Unrecht erarbeitet hat. O-Ton Johannes Gerster Unser System war damals, ich verkürze das jetzt und sag es plastisch: Wer Blut an den Händen hat, der muss ausgeschlossen werden. Also wenn jemand zum Beispiel jemand vor Gericht gebracht hat als Systemfeind und Gegner, und der ist zehn Jahre in Bautzen gelandet: Der war ein Instrument des kommunistischen Systems und hat unter Missachtung der Grund- und Menschenrechte Menschen geschadet. Und ich war einer derjenigen oder vielleicht sogar derjenige, der gesagt hat: Ja, wenn wir das also mit den Leuten machen, die sich im Kommunismus schuldig gemacht haben, müssen wir das auch bei denen machen, die sich im Nazi-Staat schuldig gemacht haben. Da dürfen wir keinen Unterschied machen. Und erst die zweite Regelung hat ja dann Adlige getroffen. 23/29

Auf diese Regelung berief sich 2014 das Amt für offene Vermögensfragen des Landes Brandenburg. Es wies einen Antrag der Hohenzollern auf Entschädigung zurück. Grundlage war ein Gutachten des in Edinburgh lehrenden Historikers Stephan Malinowski. Die Hohenzollern lieferten ein Gegengutachten durch den Historiker Christopher Clark aus dem englischen Cambridge. Clark kam sinngemäß zu dem Schluss, der preußische Kronprinz sei eine Flasche gewesen und habe gar nicht die intellektuelle Fähigkeit besessen, dem Nationalsozialismus erheblich Vorschub leisten zu können. Zwei weitere Gutachten folgten, die ihrerseits eher gegensätzliche Positionen einnehmen. O-Ton Jürgen Aretz Historiker mögen dafür oder dagegen sein, das ist letztlich nicht wirklich erheblich. Jürgen Aretz als Verhandler für die Hohenzollern glaubt nicht, dass sich die Unwürdigkeitsklausel auf das frühere Kaiserhaus anwenden lässt. O-Ton (Fortsetzung) Jürgen Aretz Es gibt ja ein Verfahren, das bis zum Bundesverwaltungsgericht durchgefochten worden ist, das war die Sache Hugenberg. Aber man muss dann natürlich sehen: Hugenberg war ein oder war der Steigbügelhalter von Adolf Hitler. Kann man eine vergleichbare Rolle anderen zuweisen? Und im Falle der Hohenzollern wird man nicht davon ausgehen können, dass der Kronprinz, der manche törichte Äußerung getan hat, auch nur im Entferntesten in seiner Bedeutung mit Hugenberg zu vergleichen wäre! 24/29

Eine Lösung vor Gericht würde Jahre, vielleicht Jahrzehnte dauern. Anfang der 2000er Jahre führte Jürgen Aretz, damals als Kulturstaatssekretär in Thüringen, Verhandlungen des Freistaates mit der ernestinischen Linie des Hauses Wettin. Auch dort ging es um Kulturschätze von Weltrang: das Weltkulturerbe der Weimarer Klassik stand auf dem Spiel, darunter das Goethe-Schiller-Archiv, aber auch die Wartburg bei Eisenach. Der Marktwert wurde damals auf mehr als eine Milliarde D-Mark geschätzt. O-Ton Jürgen Aretz Der grundsätzliche Unterschied war, dass in Thüringen sowohl die Landesregierung, als auch die betroffenen Adelshäuser mit dem erkennbaren Willen sich an den Tisch gesetzt haben, um zu einer positiven Lösung zu kommen und nicht eine Abwehrhaltung von vornherein auf einer der beiden Seiten zu erkennen war. Das Thüringer Verhandlungsergebnis mit dem Haus Sachsen-Weimar und Eisenach gilt heute vielen als Vorbild für eine gütliche Einigung. Prinz Michael von Sachsen Weimar und Eisenach erhielt damals eine Entschädigungszahlung in Höhe von 15 Millionen Euro und einen Sitz im Stiftungsrat der Stiftung Weimarer Klassik, unter deren Dach Schlösser und Museen zusammengefasst sind. Nicht Wenige sahen die Mitspracherechte, die dem Prinzen eingeräumt wurden, mit Argwohn. O-Ton Prinz Michael von Sachsen-Weimar-Eisenach Ich habe eine Stimme ich bin zwar der wichtigste Zuwendungsgeber mit meiner Kunst, aber ich habe nur eine Stimme, die Stadt hat zwei, der Bund hat zwei, das Land hat zwei, und da sitzen überall Politiker. Ach, es macht mir natürlich Sorgen, dass Politiker nur in Legislaturperioden denken. Ich denke in Generationen. 25/29

O-Ton Ulrike Lorenz Prinz Michael wirkt extrem engagiert im Stiftungsrat der Stiftung mit. Er kann dort anders wirken als ein Vertreter der Bundesregierung oder der Landesregierung, und er nutzt diese Rolle zum Vorteil der Klassikstiftung, also in der Sache. Und selbst so ungewöhnliche Themen wie die Idee, das zentrale Residenzschloss in Weimar weiterzuentwickeln und zu öffnen für den neuen Souverän, in Vollendung der Weimarer Republik, das hat er komplett politisch auf dem Schirm, und das ist natürlich fast ungewöhnlich. Und auf diesem hohen Niveau auch des Austausches findet im Moment die Zusammenarbeit statt. Die Umwandlung der feudalen Besitzstände in bürgerliches Eigentum fand bereits in der Weimarer Republik statt. O-Ton Ulrike Lorenz Und wenn die ehemals regierenden Adelshäuser als Bürger ernstgenommen werden, und das wollen sie ja mit ihren Rückgabeansprüchen, dann müssen sie auch damit leben, dass der neue Souverän, die Öffentlichkeit/ die Zivilgesellschaft, über diese Angelegenheiten mitredet und mitdiskutiert. Und deswegen finde ich diese öffentlichen Aushandlungsprozesse, so wie sie damals in den neunziger Jahren, und bei uns endete das 2003, oder jetzt mit den Hohenzollern wiederaufleben, das find ich vollkommen in Ordnung, das ist die Grundlage. Es muss ausgehandelt werden! 26/29

Weitaus weniger bekannt sind die Verhandlungsdetails im Hohenzollernstreit, bei denen es um Objekte geht, die von der Unwürdigkeitsregelung des EALG gar nicht betroffen sind. Alles, was dem preußischen Herrscherhaus bereits zu Zeiten der Weimarer Republik überlassen worden war, befindet sich heute nur als Leihgabe in staatlicher Hand. Wie im Fall der sogenannten 19er-Liste. Darauf stehen Kunstwerke, die die Hohenzollern als die wichtigsten Objekte der kaiserlichen Familie betrachten: ein Gemälde von Antoine Watteau etwa, aber auch wertvolle Gobelins aus dem Berliner Kunstgewerbemuseum. Bei Letzteren bestreiten die Staatlichen Museen, dass sie mit denen auf der 19er-Liste identisch seien. Außerdem habe der Staat all diese Objekte dem ehemaligen Herrscherhaus schon 1927 abgekauft was wiederum die Hohenzollern bestreiten. 1963 und 1983 kaufte der Staat außerdem zwei Renaissance-Pokale und ein Gemälde von den Hohenzollern für insgesamt 15,3 Millionen D-Mark. Da sie aber ebenfalls auf der 19er-Liste auftauchen, sieht sich die Adelsfamilie dem Verdacht ausgesetzt, dieselben Objekte zweimal an den Staat verkauft zu haben. Allein wegen dieser Streitigkeiten könnten die Verhandlungen scheitern. O-Ton Jürgen Aretz Es befinden sich in den sogenannten Preußenmuseen in Potsdam und Berlin Tausende von Objekten, die unzweifelhaft dem Haus Hohenzollern gehören, und wenn man sich nicht einigt, dann ist natürlich auch der Aufbewahrungsort dieser Objekte irgendwann in Frage gestellt. Der Prinz von Preußen hat zugesagt, dass diese Objekte ausgestellt bleiben sollen, aber er hat nicht gesagt, wo sie ausgestellt bleiben sollen. Die Drohung betrifft insbesondere jene Objekte, die unzweifelhaft noch den Hohenzollern gehören: Werke etwa aus dem im Krieg zerstörten Hohenzollernmuseum im Berliner Schloss Monbijou; oder die sogenannte Hausbibliothek Friedrichs II. mit Aquarellsammlung und Hausarchiv, die allein über 1000 Werke enthält; oder Leihgaben wie die Kron-Karkassen oder das Richt- und das Kurschwert, die heute im Schloss Charlottenburg ausgestellt sind. Christoph Martin Vogtherr, Generaldirektor der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten äußerte sich dazu bei einer Anhörung im Kulturausschuss des Deutschen Bundestages, übertragen vom Parlaments-TV. 27/29

O-Ton Christoph Martin Vogtherr Die Aufgabe ist die Darstellung und Interpretation preußischer Vergangenheit vor dem europäischen Horizont und auf der Grundlage neuester Forschungsergebnisse und Vermittlungsmethoden. Deshalb ist dafür aus unserer Sicht das Modell eines Dynastierespektive Hohenzollernmuseums weder zeitgemäß noch geeignet. Im Rahmen der Verhandlungen haben die betroffenen Einrichtungen mit ihrem Verhandlungsangebot die Grenze dessen erreicht, was im allgemeinen öffentlichen Interesse vertretbar ist. Weiteren Spielraum sehen wir nicht. Die Präsentation der Leihgaben soll von den staatlichen Museen bestimmt werden nicht von den Hohenzollern. Nur wenn das ehemalige Herrscherhaus dem zustimmt, können die Verhandlungen weitergehen. O-Ton Christoph Martin Vogtherr Die Situation ist ja paradox, denn wir haben es einerseits mit einem rechtlichen Anspruch zu tun, der allen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zusteht. Andererseits ist das keine normale Familie, sondern eine Familie, die ihren Anspruch, auch den, den sie heute noch vertritt, aus einer ganz besonderen historischen Position herleitet und auch Geschichte regional, national und europäisch spiegelt. Das heißt, wir müssen also darauf hoffen und damit rechnen, dass diese Familie auch eine dieser Geschichte entsprechende, besondere Verantwortung wahrnimmt auch in den Gesten, die sie der Öffentlichkeit gegenüber macht und den Angeboten, die sie der Öffentlichkeit gegenüber macht. Das wäre für mich schon ein Teil der Antwort auf die Frage eines gangbaren Weges. 28/29

Der Prozess vor dem Landgericht Potsdam, mit dem die Hohenzollern 2014 ihre Entschädigungsansprüche gegen das Land Brandenburg einklagen wollten, wurde vor zwei Jahren ausgesetzt. Bevor sie den höchst ungewissen und langwierigen Rechtsweg beschritten, wollten Bundesregierung und das Adelshaus es noch einmal mit Verhandlungen versuchen. Als dann 2019 die öffentliche Debatte um die Forderungen der Hohenzollern losbrach, drohten die Gespräche erneut zu scheitern. Doch vor wenigen Wochen entschieden sich das Land Brandenburg und die Hohenzollern, den Prozess in Potsdam ein weiteres Jahr ruhen zu lassen. Es wird weiterverhandelt. So wie auch im Fall von Burghard Rübcke-von Veltheim, des Gutsbesitzers von Quitzin: Er erwartet in den kommenden Monaten das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, ob sein Großvater auch im Sinne des Eigentumsrechts als Verfolgter des NS-Regimes anerkannt wird. Bekäme er Recht, dann müsste die Bundesrepublik ihn für die enteigneten Güter seiner Vorfahren entschädigen. O-Ton Burghard Rübcke-von Veltheim Im Grunde ist ja der Staat, der da beklagt wird bin ich ja Teil dieses Staates. Also bin ich praktisch auch Beteiligter an dem Beklagten, als Kläger bin ich Teil des Beklagten. Das ist das wirklich Schwierige. Und die Frage ist: Was schützt jetzt der Beklagte? Schützt der mich eigentlich auch in meinem Bürgerrecht? Oder was will er schützen? Absage: Junkerland in Bundeshand. Die Hohenzollern und die Restitution des Adelsbesitzes. Ein Feature von Carsten Probst. Es sprachen: Mark Oliver Bögel und Jodokus Krämer Ton und Technik: Thomas Widdig und Gunther Rose Regie: Claudia Kattanek Redaktion: Tina Klopp Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2020. 29/29