Grammatik zu Lektion 8, Fassung vom 14.07.2013 1 LEKTION 8 1. DIE BILDUNG DES KONJUNKTIVS Vorbemerkung: Es ist leider nicht möglich, den einzelnen Konjunktivformen eine deutsche Übersetzung beizugeben, weil je nach Funktion des Konjunktivs im Satz ein und derselben lateinischen Formn mehrere Übersetzungsmöglichkeiten im Deutschen entsprechen. 1.1 KONJUNKTIV PRÄSENS AKTIV UND PASSIV In der â-konjugation wird der Konjunktiv dadurch gebildet, dass der Stammauslaut a in ein e verwandelt wird: Beispiele für die â-konjugation: Indikativ Präsens Konjunktiv Präsens lauda-t laude-t laudâ-tur laudê-tur lauda-nt laude-nt lauda-ntur laude-ntur In den übrigen Konjugationen wird zwischen Stammausgang und Personalendung ein Moduskennzeichen a eingefügt. Die enstehenden Formen lauten also: Beispiele für die ê-konjugation : mone-t mone-a-t monê-tur mone-a-tur mone-nt mone-a-nt mone-ntur mone-a-ntur Beispiele für die konsonantische Konjugation: duc-i-t duc-a-t duc-i-tur duc-a-tur duc-u-nt duc-a-nt duc-u-ntur duc-a-ntur Beispiele für die kurzvokalische Konjugation capi-t capi-a-t capi-tur capi-a-tur capi-u-nt capi-a-nt capi-u-ntur capi-a-ntur
Grammatik zu Lektion 8, Fassung vom 14.07.2013 2 Beispiele für die î-konjugation fîni-t fîni-a-t fînî-tur fîni-â-tur fîni-u-nt fîni-a-nt fîni-u-ntur fîni-a-ntur Die unregelmäßigen Verben esse und posse bilden den Konjunktiv Präsens folgendermaßen: Indikativ Präsens est sunt potest possunt Konjunktiv Präsens sit sint possit possunt 1.2 IMPERFEKT AKTIV UND PASSIV Beim Konjunktiv Imperfekt tritt an die Präsenststamm des Verbs die Bildesilbe re und daran die Personalendungen des Aktivs und des Passivs. Dieses Prinzip gilt für alle Konjugationsklassen und selbst für die unregelmäßigen Verben esse und posse. Beispiele: Infinitiv Präsens Aktiv laudâ-re monê-re es-se pos-se Konjunktiv Imperfekt laudâ-re-t monê-re-tur es-se-t pos-se-nt Trick 17: Wenn der Infinitiv Präsens Aktiv in der Verbform enthalten ist, handelt es sich um einen Konjunktiv Imperfekt. 1.3 KONJUNKTIV PERFEKT UND PLUSQUAMPERFEKT AKTIV Der Konjunktiv Perfekt und der Konkunktiv Plusquamperfekt Aktiv werden vom aktiven Perfektstamm eines Verbs aus gebildet. An diesen treten für den Konjunktiv Perfekt die Endungen erit und erint und für den Konjunktiv des Plusquamperfekts die Endungen isset und issent. 3.Sg.Konj.Perf.Akt. 3.Pl.Konj.Perf.Akt. 3.Sg.Konj.Plqmpf.Akt. 3.Pl.Konj.Perf.Akt. laudâv-erit laudav-erint laudâv-isset laudav-issent
Grammatik zu Lektion 8, Fassung vom 14.07.2013 3 1.4 KONJUNKTIV PERFEKT UND PLUSQUAMPERFEKT PASSIV BZW. MEDIUM Der Konjunktiv Passiv des Perfekts und des Plusquamperfekts setzt sich aus den gleichen Komponenten zusammen wie die entsprechenden Formen des Indikativs, nämlich aus dem PPP oder PPM als Prädikatsterm und einer finiten Verbform von esse. Dabei gelten die folgenden Bildungsregeln: Der Konjunktiv Perfekt Passiv/Medium wird gebildet aus dem PPP/PPM und dem Konjunktiv Präsens von esse. Konjunkt Pluquamperfekt Passiv/Medium wird gebildet aus dem PPP/PPM und dem Konjunktiv Imperfekt von esse. Die folgende Tabelle zeigt die Formen des Indikativs und des Konjunktivs im Vergleich: Tempus Indikativ Konjunktiv Perfekt Passiv laudâtus/a/um est laudâtus/a/um sit Plusquamperfekt Passiv laudâtî/ae/a sunt laudâtus/a/um erat laudâtî/ae/a erant laudâtî/ae/a sint laudâtus/a/um esset laudâtî/ae/a essent 2. ZUR FUNKTION DES KONJUNKTIVS 2.1 DER KONJUNKTIV DER INNERLICHEN ABHÄNGIGKEIT 2.1.1 Grundlagen Der Konjunktiv kann in Nebensätzen stehen zur Bezeichnung der innerlichen Abhängigkeit. Nebensätze sind dann innerlich abhängig, wenn sie die Meinung einer im Text als Sprecher oder Denker auftretenden Person (und nicht eine Äußerung des Autors selbst) wiedergeben. Vgl. die beiden folgenden Beispiele für äußerliche und innerliche Abhängigkeit. äußerlich abhängig: Haeduî Caesarî grâtiâs êgêrunt, quod Bellovacôs cônservâverat. Die Haeduer dankten Cäsar, weil er die Bellovaker verschont hatte. innerlich abhängig: Haeduî Caesarî grâtiâs êgêrunt, quod Bellovacôs cônservâvisset. Die Haeduer dankten Cäsar, weil er die Bellovaker verschont habe. Im ersten Beispiel ist der Kausalsatz eine vom Autor als Tatsache dargestellte Aussage, im zweiten lediglich die vom Autor referierte Aussage der Häduer. Wie der kausale quod -Satz zeigt, können grundsätzlich alle Nebensätze in die innerliche Abhängigkeit treten. Immer innerlich abhängig sind indirekte Fragesätze und Begehrssätze. Für die deutsche Übersetzung gilt: Wenn ein Konjunktiv erforderlich ist, wird, soweit es geht, der Konjunktiv I benutzt, und wenn dessen Formen mit dem Indikativ identisch sind, durch den Konjunktiv II ersetzt.
Grammatik zu Lektion 8, Fassung vom 14.07.2013 4 2.1.2 Beispiele mit Fragesätzen: a) lateinisch und deutsch mit Konjunktiv Caesar ex captivîs inquîrit, quae in castrîs hostium gererentur. Caesar fragte die Gefangenen, was im Lager der Feinde geschehe. b) lateinisch im Konjunktiv, deutsch im Indikativ Caesar non ignôrâvit, quae in castrîs hostium gererentur. Caesar wußte sehr wohl, was im Lager der Feinde geschah. Ob der lateinische Konjunktiv bei indirekten Fragesätzen im Deutschen mit einem Konjunktiv wiedergegeben wird oder nicht, hängt von der Bedeutung des übergeordneten Prädikats ab. Verben, die wissen bedeuten, ziehen im Deutschen den Indikativ nach sich, Verben die einen Sprechakt beinhalten, wie fragen, erfordern nach den Regeln der indirekten Rede den Konjunktiv. 2.1.3 Beispiele mit Begehrssätzen: a) Subjekt- Objektsätze des Begehrens Subjekt- Objektsätze des Begehrens werden im Lateinischen eingeleitet durch die Subjunktion ut (= dass) bzw. durch das verneinende ne (= dass nicht). Bei Übersetzung durch einen dass-satz wird dass Begehren zumeist durch den Konjunktiv des Modalverbs sollen zum Ausdruck gebracht. Oft ist auch eine Übersetzung durch einen Infinitiv mit zu möglich und auch empfehlenswert. Im Kopf sollten Sie jedoch immer erst einmal einen dass-satz bilden, um sinnentstellende Konstruktionsfehler zu vermeiden. Caesar Labiênô imperâvit, ut celeriter pontem faceret. Cäsar befahl Labienus, dass er schnell eine Brücke bauen sollte. schnell eine Brücke zu bauen. Eine Besonderheit bildet die Subjunktion ne in der Bedeutung dass nach Verben des Fürchtens. Zwar liegt den folgenden Beispielsätzen eindeutig ein Begehren zu Grunde Hoffentlich baut Cäsar keine Brücke, das Begehren wird in der deutschen Übersetzung jedoch nicht durch sollen ausgedrückt, sondern durch den bloßen Konjunktiv, und zwar, soweit möglich, durch den Konjunktiv I. Gallî verêbântur, nê Caesar celeriter pontem faceret. Die Gallier fürchteten, dass Caesar schnell eine Brücke bauen werde. Gallî verêbântur, nê iam Caesar pontem fêcisset. Die Gallier fürchteten, dass Caesar bereits eine Brücke gebaut habe. b) Adverbielle Finalsätze Adverbielle Finalsätze werden im Lateinischen ebenfalls durch die Subjunktionen ut (= damit) und ne (= damit nicht) eingeleitet. Während deutsche Finalsätze der Gegenwart im Indikativ stehen, wird das lateinische Prädikat in einem Vergangenheitskontext meist durch einen Konjunktiv II wiedergegeben. Stimmt das Subjekt des übergeordneten Satzes mit dem Subjekt des Finalsatzes überein, ist die Übersetzung durch einen Infinitiv mit um zu zu empfehlende Variante. Das gilt
Grammatik zu Lektion 8, Fassung vom 14.07.2013 5 auch dann, wenn der Finalsatz ein passives Prädikat hat, dessen logisches Subjekt das Subjekt des Hauptsatzes ist. Beispiel 1: Das Subjekt des Hauptsatzes und das Subjekt des Nebensatzes sind identisch. Caesar pontem rescîdit, nê hostibus occâsiônem trânsitiônis darêt. Cäsar ließ die Brücke einreißen, damit er den Feinden keine Möglichkeit zur Überquerung gäbe/geben würde. um den Feinden keine Möglichkeit zur Überquerung zu geben. Beispiel 2: Das Subjekt des Hauptsatzes stimmt mit dem logischen Subjekt des Nebensatzes überein. Caesar pontem rescîdit, nê hostibus occâsiô trânsitiônis darêtur. Cäsar ließ die Brücke einreißen, damit den Feinden keine Möglichkeit zur Überquerung gegeben würde. um den Feinden keine Möglichkeit zur Überquerung zu geben. Beispiel 3: Das Subjekt des Hauptsatzes und das des Nebensatzes stimmen in keiner Weise überein. Caesar P. Crassum in Aquîtâniam mittit, nê ex hîs nâtiônibus auxilia in Galliam mittantur. Cäsar schickte P. Crassus nach Aquitanien, damit aus diesen Völkern keine Hilfstruppen nach Gallien geschickt würden. c) Final gefärbte Relativsätze Final gefärbte Relativsätze stehen im Konjunktiv und sind einerseits Attributsätze und sagen als solche etwas etwas über das Beziehungswort des Relativpronomens aus. Daneben teilen sie aber auch etwas über die Absicht des Subjekts im Hauptsatz mit. Das Prädikat solcher final gefärbter Relativsätze wird übersetzt mit dem Indikativ des Modalverbs sollen. Gallî legâtôs mittunt, quî frumentum pollicêrentur. Die Gallier schickten Gesandte, die Getreide versprechen sollten. 2.1.4 DER GEBRAUCH DES REFLEXIVEN PERSONAL- UND POSSESSIVPRONOMENS IN INNERLICH ABHÄNGIGEN NEBENSÄTZEN Auf das Subjekt des übergeordneten Satzes kann im innerlich abhängigen Nebensatz nur in der reflexiven Form, also durch das reflexive Personalpronomen sui, sibi, se, se sowie das reflexive Possessivpronomen suus, sua, suum Bezug genommen werden. Der Unterschied zwischen innerlicher und äußerlicher Abhängigkeit wird an den folgenden Beispielen deutlich: äußerlich abhängig: Caesar Haeduôs collaudâvit, quod eum frûmentô iûverant. Caesar pries die Häduer, weil sie ihn mit Getreide unterstützt hatten. innerlich abhängig: Caesar Haeduôs collaudâvit, quod sê frûmentô iûvissent.
Grammatik zu Lektion 8, Fassung vom 14.07.2013 6 Caesar pries die Häduer, weil sie ihn mit Getreide unterstützt hätten. Reflexivpronomina in innerlich abhängigen Nebensätzen stehen also: a) mit Bezug auf das Subjekt des Nebensatzes selbst (direkte Reflexivität) b) mit Bezug auf das Subjekt des übergeordneten Satzes (indirekte Reflexivität) Vergleiche die beiden folgenden Beispielsätze: indirekt reflexiv: Haeduî Caesarî grâtiâs êgêrunt, quod sê cônservâvisset. Die Bellovaker dankten Caesar, weil er sie geschont habe. direkt reflexiv: Haeduî Caesarî grâtiâs êgêrunt, quod sê â fînibus Bellovacôrum recêpisset. Die Haeduer dankten Caesar, wei er sich aus dem Gebiet der Bellovaker zurückgezogen habe Ob direkte oder indirekte Reflexivität vorliegt, entscheidet allein der Kontext. 2. DIE ZEITENFOLGE DES KONJUNKTIVS (CONSECUTIO TEMPORUM CONIUNCTIVI) Der lateinische Konjunktiv drückt wie der deutsche keine selbständige Zeit aus, sondern lediglich ein Zeitverhältnis zum übergeordneten Verb, zu dem er in gleichzeitiger, vorzeitiger oder nachzeitiger Relation stehen kann. Übersicht über das Zeitverhältnis des lateinischen Konjunktivs: Tempus des Gleichzeitigkeit Vorzeitigkeit Nachzeitigkeit übegeordneten Verbs Tempus der Gegenwart Konjunktiv Präsens Konjunktiv Perfekt Konjunktiv Präsens (echtes Präsens, historisches Präsens, resultatives Perfekt und Futur) Tempus der Vergangenheit (historisches Präsens, Imperfekt, historisches Perfekt, Plusquamperfekt) Konjunktiv Imperfekt Konjunktiv Plusquamperfekt (als Ersatz für den nicht vorhandenen Konjunktiv des Futur I) Konjunktiv Perfekt (als Ersatz des nicht vorhandenen Konjunktivs des Futur II). Konjunktiv Imperfekt (als Ersatz für den nicht vorhandenen Konjunktiv des Futur I) Konjunktiv Plusquamperfekt (als Ersatz des nicht vorhandenen Konjunktivs des Futur II).
Grammatik zu Lektion 8, Fassung vom 14.07.2013 7 Trick 17: Zum Übersetzen ins Deutsche müssen Sie sich lediglich merken: Konjunktiv Präsens und Imperfekt sind gleichzeitig. Konjunktiv Perfekt und Plusquamperfekt sind vorzeitig. Konjunktiv Präsens und Imperfekt können den Konjunktiv des Futur I ersetzen. Konjunktiv Perfekt und Plusquamperfekt können den Konjunktiv des Futur II ersetzen. 2.1 BEISPIELE FÜR DIE GLEICHZEITGKEIT: Caesar ex captîvîs inquîrit, quae apud Helvetiôs gerantur*. Caesar ex captivis inquisivit, quae apud Helvetios gererentur*. In der Übersetzung steht in beiden Fällen der Konjunktiv I der Gleichzeitigkeit: Caesar fragte die Gefangenen, was bei den Helvetiern geschehe. * Merke: geri (= Passiv zu gerere) heißt "geschehen" 2.2 BEISPIELE FÜR DIE VORZEITIGKEIT: Caesar decimam legiôem collaudat, quod impetum hostium fortiter sustinuerit. Caesar decimam legionem collaudâvit, quod impetum hostium fortiter sustinuisset. In der Übersetzung steht in beiden Fällen der Konjunktiv I der Vorzeitigkeit: Caesar lobte die 10. Legion, weil sie dem Angriff der Feinde tapfer standgehalten habe.