6 8 N 5 8 I N G E R M A N Y M A D E T E X T J O E R N F R E D E R I C K E N G E L B A C H F O T O S T H O M A S M E Y E R Voll im Zeitplan In nur 25 Jahren wurde aus der kleinen Manufaktur Nomos mit Sitz in Glashütte einer der größten deutschen Hersteller mechanischer Uhren
Eine Uhr wird zum Leben erweckt: Sobald Unruh und 6 9 Unruhkolben eingesetzt werden, beginnt das neue, ultraflache Uhrwerk DUW 3001 zu ticken (links); die Nomos-Mitarbeiter blicken über Glashütte und das Müglitztal (unten). Feinarbeit: das Vermessen einer Werkplatte (ganz unten) Wer Uwe Ahrendt besuchen möchte, reist mit dem Zug an. Während der Fahrt vom Dresdner Hauptbahnhof nach Glashütte kann man die dicht bewaldeten Berghänge rund um das Müglitztal bestaunen, die ein wenig an Grimms Märchen erinnern. Dann aber kommen verwaiste Industrieruinen und zugenagelte Bahnhofsfenster. Schließlich Glashütte. Hier hat die Firma Nomos ihren Hauptsitz, hier baut sie mechanische Armbanduhren, die so schlicht und schön sind wie Bauhaus-Villen. Der Regionalzug stoppt, und Nomos-Firmenchef Ahrendt ist sofort in Sichtweite die Firma ist im alten Bahnhofsgebäude untergebracht. Ahrendt hält gerade in einem kubischen gläsernen Anbau direkt neben den Gleisen eine morgendliche Besprechung ab. Anschließend stellt sich der Firmenchef vor. Ahrendt, 47 Jahre, eher Typ netter Kollege als dominanter Herrscher, entschuldigt sich für die knapp bemessene Zeit. Sein guter Grund: Er muss später noch zum sächsischen Ministerpräsidenten. Das Treffen will er offenbar krawattenlos im T-Shirt bestreiten, darüber ein schwarzes Sakko. Ahrendt ist ein gefragter Mann. Er und seine gut 250 Mitarbeiter, von denen allein 60 im vergangenen Jahr zum Team gestoßen sind, legen seit Jahren ein beeindruckendes Wachstum hin. Der größte Hersteller mechanischer Uhren in Deutschland ist man laut Ahrendt schon, 2015 gründete er auch eine Vertriebsgesellschaft in New York. Wir haben alles vorbereitet, um unseren Umsatz in den nächsten drei Jahren noch einmal zu verdoppeln, nennt er die Ziele. Der Bahnhof von Glashütte ist dafür schon lange zu eng geworden, daran hat auch der Zukauf des ehemaligen Stellwerks nicht viel geändert. Die hauseigene Designagentur Berlinerblau mit rund 30 Mitarbeitern hat ihren Sitz in Berlin-Kreuzberg und wird von Kreativchefin Judith Borowski geleitet. Die Werkstätten der Nomos-Uhrmacher sind verteilt auf mehrere Gebäude in der Kleinstadt mit der tickenden Tradition. Bereits 1845 gründete der sächsische Uhrmacher Ferdinand Adolph Lange in Glashütte seine erste Uhrenfirma der Beginn vom Aufstieg zum wichtigsten deutschen Produktions standort für Luxusuhren. Die werden heute direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite von Ahrendts Glaskasten bei den Nachfolgefirmen A. Lange & Söhne und Glashütte Original hergestellt. Seinen Glashütte-Start mit Nomos wird Ahrendt nie vergessen: In einer Dreizimmerwohnung hier in der Nähe fing alles an. Das Telefon musste sich Firmengründer Roland Schwertner noch mit,heidis Imbiss im Erdgeschoss teilen. Auf das Geheimnis seines Erfolgs angesprochen, errungen auch gegen die inzwischen zu Schweizer Luxuskonzernen gehörende Konkurrenz, gibt sich der gebürtige Glashütter wieder bescheiden: Wir sind uns treu geblieben und haben nie verrückte Uhren gebaut. Verrückt schien nur die ursprüngliche Idee: In der Nachwendezeit gründete der Düsseldorfer EDV-Experte Roland Schwertner mit seinen Ersparnissen die Uhrenfirma Nomos
7 0 Modell Ludwig wird in der Endmontage der kleine Sekundenzeiger aufgesetzt (unten). Herzstück jeder Uhrmacherei sind Fräsmaschinen, hier wird eine Werkplatte gefräst (rechts). Auch heute noch werden Zahnräder und Zeiger von Hand montiert (ganz unten)»glashütte ist ein Qualitätsstandort, ähnlich der Champagne in Frankreich«Uwe Ahrendt, CEO Nomos Glashütte. Das Produktionsziel: preiswerte mechanische Uhren im schlichten Bauhaus-Design. Der Plan ging auf, allerdings anders als geplant. Denn die Wettbewerbsbehörde verklagte das Unternehmen zunächst, weil zu viele Teile nicht vor Ort hergestellt wurden. Heute profitiert Ahrendt von diesem Prinzip. Glashütte ist ein Qualitätsstandort, ähnlich der Champagne in Frankreich oder der Region Parma in Italien, erklärt er. Also muss, wer Glashütte auf sein Zifferblatt schreiben will, 50 Prozent der Wertschöpfung an einem Uhrwerk am Ort erbringen. Aus der Not machte Nomos eine Tugend und investierte früh in die Herstellung eigener Uhrwerke. Sieben Jahre lang entwickelte man sein eigenes Hemmungssystem, das Herz der Uhr mit der pulsierenden Unruh. Kosten: gut elf Millionen Euro. Auf der Baselworld, der wichtigsten Uhrenmesse der Welt, war es 2014 die Sensation. Nomos bricht das Swatch-Monopol, resümierte die FAZ, das war der Ritterschlag. Heute haben wir je nach Uhrwerk eine Fertigungstiefe
7 2 Uhren aus Glashütte D I E A N F Ä N G E Bereits zu Kaiser Wilhelms Zeiten wurden in dem kleinen Städtchen im Osten des Erzgebirges Uhren gefertigt. Die Uhrmacher sitzen immer in den Räumen, in denen es am hellsten ist, hier wird das Uhrwerk Epsilon montiert (ganz oben). Meist krawattenlos: Nomos-Chef Uwe Ahrendt (oben). Die Minimatik aus der Kollektion Neomatik First Edition mit champagnerfarbenem Zifferblatt ist der neue Nomos-Hit (unten) von 95 Prozent in den Uhrwerken, sagt Ahrendt, von der Armbandschließe bis zum Katalog entwerfen alles unsere eigenen Mitarbeiter. Ausgelagert wird nicht. Einzige Ausnahme ist das Design. Das entsteht immer wieder in Zusammenarbeit mit bekannten Industriedesignern, wobei Ahrendt strikt auf frischen Wind setzt. Was widersprüchlich klingt, begründet er so: Designer wie Mark Braun oder Werner Aisslinger haben vor der Zusammenarbeit mit uns noch nie eine Uhr entworfen. Gerade die Sichtweise von Leuten, die ganz andere Dinge entworfen haben Elektronikprodukte, Stühle, Leuchten, hält unsere Produkte frisch. Ahrendts jüngstes Werk kommt gerade besonders gut an. Sein leitender Konstrukteur Theodor Prenzel, erst 31 Jahre alt und direkt von der Uni weg verpflich- D I E D D R - P L A N W I R T S C H A F T 1951 gingen Hersteller wie A. Lange & Söhne im volkseigenen Firmenverbund Glashütter Uhrenbetriebe auf. 1 9 9 0 B I S H E U T E Ganz langsam und mit viel Fremdkapital wurde Glashütte wieder zum wichtigsten deutschen Produktionsstandort für Luxusuhren. tet, hat für Nomos ein ultraflaches Automatikwerk konstruiert. 3,2 Millimeter flach ist das DUW 3001 genannte Stück Feinmechanik. Auf einer Uhrenmesse in London machte Ahrendt bei der Vorstellung der auf den Namen Neomatik getauften Uhrenkollektion eine ganz neue Erfahrung: Wir galten früher als Architektenmarke, nun drängelten sich plötzlich auch Banker und Manager an unseren Stand. Von denen hat Ahrendt nichts zu befürchten, denn Nomos ist, als eine von wenigen Firmen der Luxusuhrenbranche, finanziell unabhängig von großen Konzernen. Die Marke gehört Ahrendt und dem Mehrheitseigner Roland Schwertner sowie drei weiteren Gesellschaftern. Und auch die Prioritäten setzt Ahrendt gern etwas anders als die Kollegen. Er verzichtet lieber auf den einen oder anderen Prozentpunkt Rendite und investiert stattdessen ins Produkt. Wir orientieren uns da eher ein wenig an Rolex, sagt Ahrendt, wir machen nicht ständig was Neues, sondern verbessern lieber Jahr für Jahr das Vorhandene.