E-Paper: Entwicklung der Fahrzeugsicherheit in den USA Die USA setzen neue Anforderungen und Technologien zur Fahrzeugsicherheit progressiv um. Amerikanische Fahrzeuge müssen so ausgestattet sein, dass sie mehr Lastfälle erfüllen als in anderen Regionen der Welt. TRW Automotive 2015
DIE USA GEBEN BEI DER ENTWICKLUNG der Fahrzeugsicherheit weltweit das Tempo vor. Seit 1979 mit dem US NCAP das erste Neuwagenbewertungsprogramm der Welt eingeführt wurde, hat das Land kontinuierlich an der Verbesserung der Sicherheitsausstattung gearbeitet. Die Ergebnisse spiegeln sich in den Unfallzahlen wider, die für viele Länder als Vorbild dienen. In den Jahren 2010 bis 2012 verzeichnete das US- Verkehrsministerium die wenigsten Unfälle mit Todesfolge seit Beginn der Aufzeichnung in 1975. Die Anzahl der Verkehrstoten pro 100.000 Einwohner ist von 20,6 im Jahr 1975 auf 10,7 in 2012 gesunken. Auch die Todesfälle pro 100 Millionen gefahrener Meilen wurden von 3,35 auf 1,14 reduziert. 01
Eine Studie des Insurance Institute for Highway Safety (IIHS) aus 2006 zeigt, dass Fortschritte in der Fahrzeugsicherheit seit Mitte der 1980er Jahre für die rückläufigen Statistiken verantwortlich sind. Um die Anzahl der Verkehrstoten weiter zu senken, arbeiten die US-Bundesbehörde für Straßen- und Fahrzeugsicherheit (NHTSA), die US NCAP-Organisation und das IIHS daran, dass sich neue Sicherheitstechnologien schneller verbreiten. Dies erfolgt durch eine Kombination aus gesetzlichen Vorschriften und Marktstimulation. Neue und überarbeitete AEB-CRASHTEST l Das IIHS hat 2013 seine Bewertung zum Frontalaufprallschutz eingeführt. Grundlage sind Forschungsergebnisse, die zeigen, dass FCW- und AEB-Systeme dazu beitragen, Auffahrunfälle bei niedrigen und mittleren Geschwindigkeiten zu verhindern. l Die Auszeichnung von Autos, die Systeme zum Frontalaufprallschutz optional oder als Standardausstattung besitzen, erfolgt in drei Stufen: Superior, Advanced oder Basic. l Für Superior muss das Fahrzeug über ein AEB-System verfügen, das bei Tests mit 20 und 40 km/h eine Kollision vermeiden oder deutlich abmildern kann. Die FCW-Ausstattung wird ebenfalls bewertet. 02
FMVSS-Vorschriften (Federal Motor Vehicle Safety Standards) sind nach wie vor der wichtigste Antrieb für neue Sicherheitstechnologien, während Aktualisierungen im US NCAP-Rating für die Ausstattungsraten während der gesetzlichen Einführungsphasen sorgen. Als Ergebnis hat die Komplexität in den letzten zehn Jahren signifikant zugenommen. Die NHTSA hat die FMVSS 208 angepasst, die wichtigste Vorschrift für Sicherheitsgurte und Airbags in den USA. Die überarbeitete FMVSS 214 für den seitlichen Pfahlaufprall sowie die neue FMVSS 226 zum Schutz bei Fahrzeugüberschlägen haben die Ausstattung mit Kopf-Seiten-Airbags in Nordamerika vorangetrieben. Beim US NCAP wird in den Crash-Tests nicht nur mit Dummys gearbeitet, die einen 50-Prozent-Mann, sondern auch eine 5-Prozent-Frau reflektieren. Dies hat den Einsatz von Dual-Contour-Airbags, zweistufigen Gasgeneratoren und adaptiven Abströmöffnungen gefördert. Das IIHS steigert die Anforderungen an den Insassenschutz, indem es auch andere Crash-Szenarien betrachtet. Zum Beispiel unterscheidet sich der IIHS-Frontalaufpralltest mit 03
geringer Überdeckung von dem, den die NHTSA gerade entwickelt. Fahrzeuge müssen in Nordamerika so ausgestattet sein, dass sie mehr Lastfälle erfüllen als in anderen Regionen der Welt, sagt Steve Peterson, Director Engineering Occupant Safety Systems North America bei TRW. Für die verschiedenen Testszenarien und den Schutz unterschiedlicher Insassentypen liegt die Lösung darin, Technologien adaptiver auszulegen. Gleichzeitig gilt es, die Sicherheitssysteme erschwinglicher zu machen sowie durch Leichtbau und kompakte Abmessungen den Kraftstoffverbrauch zu senken. TRW optimiert und standardisiert seine Schlüsseltechnologien kontinuierlich. Anstatt Dutzend verschiedener Gasgeneratoren zu entwickeln, konzentriert sich TRW auf einige Basistechnologien und verwendet für Fahrer- und Beifahrer-Airbags dieselben Systeme. Das Gleiche gilt für Gurtaufroller. Mit dem Einsatz virtueller Werkzeuge lassen sich die 04
Entwicklungskosten weiter senken. Heutzutage werden Kopf-Seiten-Airbags fast ausschließlich virtuell entwickelt und die ersten Prototypen erfüllen die dynamischen Anforderungen beinahe unmittelbar. Da Lastfälle und Testszenarien immer komplexer werden, erwarten Fahrzeughersteller von ihren Zulieferern zunehmend einen Systemansatz, sagt Thomas Klena, Chief Engineer Occupant Safety Systems bei TRW. Zukünftige Vorschriften werden die Sicherheit auf den Rücksitzen vermehrt in den Fokus rücken. Es wird immer wichtiger, die GERINGE ÜBERDECKUNG Seit 2012 simuliert der IIHS- Frontallaufpralltest mit geringer Überdeckung, was passiert, wenn ein Auto mit einem Teil der Frontpartie gegen ein anderes Fahrzeug oder Objekt, wie einen Baum, prallt. Im Test fährt das Fahrzeug mit 64 km/h gegen eine starre Barriere, die es mit 25 Prozent der Fahrerseite trifft. Da die primäre Knautschzone dabei umgangen wird, ist es für das Fahrzeug schwieriger, die Aufprallenergie sinnvoll abzubauen. Von zwölf bisher getesteten Kleinwagen erhielt der Mini Cooper Countryman (Foto) als einziger die Wertung Gut. 05
Schnittstellen aller Insassen zum gesamten Innenraum, wie den Sitzlehnen oder Verkleidungsteilen, zu berücksichtigen. Für die NHTSA ist die Sicherheit auf den Rücksitzen eines der Themen mit hohem Stellenwert. Zwar sind die hinteren Sitzplätze in nur elf Prozent aller Fahrten besetzt, allerdings dann meist von sehr alten oder sehr jungen Insassen. Autounfälle sind die Haupttodesursache bei Kindern in den Vereinigten Staaten. Darum ist für das Land der Insassenschutz im Fond ein sehr wichtiges Anliegen. Forschungen der NHTSA untersuchen das Verbesserungspotential durch adaptive Rückhaltesysteme, wie sie für die Vordersitze verwendet werden. Schon kleine Änderungen können signifikante Fortschritte erzielen. Die USA bringen außerdem Systeme zur Unfallprävention voran. NHTSA und IIHS bestätigen den Sicherheitsgewinn der elektronischen Stabilitätskontrolle (ESC) und wollen die Verbreitung weiterer aktiver Sicherheitstechnologien beschleunigen. Die Markteinführung des ESC wird dabei als Vorbild dienen, sagt Kevin McMahon, Government Affairs Consultant für TRW. Die verpflichtende Ausstattung 06
einer Technologie mittels FMVSS und ihre Bewertung im US NCAP-Rating sind heute zeitlich abgestimmt. Das beschleunigt die Einführung. Der nächste Schritt in der Unfallprävention sind Rückfahrkameras. Sie sollen tödliche Unfälle beim Rückwärtsfahren verhindern, in die oft Kinder involviert sind. Beim US NCAP sind sie bereits eine empfohlene Technologie und ab Mai 2018 fordert die FMVSS 111 sie als Standardausstattung. Automatische Notbremssysteme (AEB), der Spurhalteassistent und der Schutz vor Fußgängerkollisionen werden ebenfalls in zukünftigen Vorschriften berücksichtigt. Wenn diese Technologien ähnlich wie das ESC eingeführt werden, haben wir eine Einstiegsphase von etwa drei Jahren und von Jahr zu Jahr steigt die Ausstattungsrate von 20, über 50 auf 100 Prozent, sagt McMahon. Heute haben die USA trotz Druck von Unternehmen noch keine Roadmap für automatisiertes Fahren. Die NHTSA wird jedoch in den nächsten sieben Jahren an Gesetzgebungen für Technologien arbeiten, mit denen sich sichere teilautomatisierte Fahrfunktionen realisieren 07
lassen. Dazu gehört die Fahrzeug-Fahrzeug- sowie die Fahrzeug-Infrastruktur-Kommunikation. Die NHTSA geht davon aus, dass dies in der Zusammenführung mit Fahrerassistenzsystemen helfen kann, 80 Prozent aller Unfälle zu vermeiden oder zu vermindern, die auf die Unaufmerksamkeit des Fahrers zurückzuführen sind. Die Behörde veröffentlichte kürzlich einen Hinweis (ANPRM) zum Vorschlag einer entsprechenden Gesetzesinitiative. Andrew Whydell, Director of Global Electronics Product Planning bei TRW, sagt: Die Empfangs- und Sendeeinheit für Car-to-X ist ein weiterer Sensor, der Informationen über das Sichtfeld hinaus liefert. Diese müssen wir genauso im zentralen Steuergerät integrieren wie Kamera- oder GPS- Daten. Aktuell stehen AEB-Systeme in den USA im Fokus. Das IIHS hat die Kriterien für seine Top Safety Pick + Auszeichnung verschärft, um ihre Verbreitung zu fördern. Familienautos und kleine Crossovers, die häufig als Top Safety Pick bewertet werden, bilden mehr als die Hälfte des US- Fahrzeugmarkts. 08
Seit 2014 wird der Top Safety Pick + nur noch vergeben, wenn das Auto eine AEB oder eine vorausschauende Kollisionswarnung (FCW) besitzt, erläutert Whydell. Nächstes Jahr steigen die Anforderungen: Dann ist die AEB Voraussetzung für das höchste Rating. Das ist ein wichtiger Impuls für den Markt und es ist zu erwarten, dass NHTSA und US NCAP ihre AEB-Anforderungen an die des IIHS anpassen. Auch bei diesen Systemen gilt es, bessere Leistung erschwinglicher zu gestalten. Für die AEB kann das bedeuten, das Sichtfeld von Radarsensoren so auszulegen, dass die bislang für die adaptive Geschwindigkeitsregelung verwendete Technologie auch zur Verbesserung der Sicherheit im Stadtverkehr genutzt werden kann. Die erschwinglichen und leistungsfähigen Sensoren, mit denen die in den USA adressierten Szenarien erfüllt werden können, könnten auch den Insassenschutz weiter verbessern. Der Seitenaufprall ist in den USA ein wichtiges Thema. Wenn das Auto erkennt, dass eine Kollision unmittelbar 09
bevorsteht, können die Rückhaltesysteme früher oder sogar vor dem Aufprall auslösen und den Insassen in eine günstigere Position führen. Dies könnte im nächsten Jahrzehnt zu neuen Testszenarien führen. Fanden Sie den Bericht hilfreich? Teilen Sie ihn mit Ihren Kollegen auf LinkedIn. Dieser Artikel erschien zuerst im TRW-Magazin Advances. Melden Sie sich hier an, um Advances regelmäßig zu erhalten. Wenn Sie Interesse an weiteren Updates haben, folgen Sie TRW auf LinkedIn oder Xing. TRW Automotive 2015 10