Radioaktivität und Gesundheit: Fakten und Hintergründe

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Radioaktivität und Gesundheit: Fakten und Hintergründe Verfasser: Dr. med. Patric Schlegel 29.10.2011

Wie nach dem Super-GAU in Tschernobyl müssen wir leider auch nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima eine Zunahme von Krebs- und Leukämieerkrankungen erwarten. In der Umgebung von Atomkraftwerken und Wiederaufbearbeitungsanlagen ist auch im normalen Betrieb ohne Störfälle und GAUs ein erhöhtes Krebs- und Leukämierisiko nachweisbar.

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Radioaktive Strahlung: Was ist das eigentlich? 5 3. Radioaktive Strahlung: Wie schädigt sie Körper und 11 Gesundheit? 4. Gibt es unschädliche Strahlendosen? 14 5. Die akute Strahlenkrankheit 19 6. Schutz vor radioaktiver Strahlung 20 7. Gefahr durch Aufnahme radioaktiver Stoffe über 25 Nahrungsmittel, Trinkwasser und die Atemluft 8. Natürliche und künstliche Strahlenbelastung 29 9. Krebs-Risiko durch niedrige Strahlendosen 32 10. Erhöhtes Krebs- und Leukämierisiko in der Umgebung 34 von Atomkraftwerken? 11. Fazit 38 12. Referenzen 38

Einleitung Die Reaktorkatastrophe in Fukushima konfrontiert uns mit Zahlen über Strahlungsdosen und Grenzwerte. Was bedeuten diese Zahlen für unsere Gesundheit? Besteht in der Schweiz ein Risiko, drohen Krebs und Missbildungen? Wie sieht die Situation in Japan aus: Wie hoch ist dort die Erkrankungsgefahr? Auf diesen Seiten wollen wir Hilfe bieten bei Fragen rund um die Radioaktivität, radioaktive Belastung und das Risiko zu erkranken. Wir veranschaulichen die Hintergründe mit Graphiken und Tabellen.

Radioaktive Strahlung: Was ist das? Als Radioaktivität bezeichnen wir die Eigenschaft instabiler Atomkerne, unter Abgabe energiereicher Teilchen oder elektromagnetischer Strahlung zu zerfallen. Radioaktive Strahlung besteht aus diesen ausgesandten Teilchen oder elektromagnetischen Wellen. Wir unterscheiden verschiedene Arten radioaktiver Strahlung: α - Alphastrahlung ( 1 ) Betastrahlung ( 2 ) γ N a Gammastrahlung ( 3 ) Neutronenstrahlung ( 4 ) Für den Menschen und andere Lebewesen ist radioaktive Strahlung schädlich. Die energiereichen Teilchen und Wellen schädigen Zellen und Gewebe. Die verschiedenen Strahlungsarten sind unterschiedlich gefährlich.

Alphastrahlung zum Beispiel ist viel einfacher abzuschirmen als Gammastrahlung: Schutzkleidung schützt gut und effektiv vor ihr. Nimmt der Körper hingegen Teilchen eines radioaktiven Stoffes auf, dann ist die im Körperinneren abgegebene Alphastrahlung sogar gefährlicher als Gammastrahlung.

Nähere Details für Interessierte: Alpha-Strahlung ( 1 ) : α Alphastrahlung besteht aus energiereichen Teilchen (zusammengesetzt aus 2 Protonen und 2 Neutronen), die mit hoher Geschwindigkeit von einem zerfallenden Atomkern ausgesendet werden. Aufgrund der elektrischen Ladung und der relativ großen Masse der ausgesandten Teilchen hat Alphastrahlung nur eine geringe Eindringtiefe und kann relativ einfach durch dünne Materialien abgeschirmt werden; Alphastrahlung, die von außen auf den menschlichen Körper wirkt, ist daher relativ ungefährlich, weil die Alphateilchen überwiegend nur in die oberen, toten Hautschichten eindringen. Ein über Atemluft, Nahrungsmittel oder Trinkwasser in den Körper gelangter Alphastrahler ist dagegen sehr schädlich, da in diesem Fall nicht die toten Hautschichten, sondern lebende Zellen durch das Alpha-Teilchen-Bombardement getroffen werden und die Strahlungsenergie aufgrund der geringen Eindringtiefe hochkonzentriert auf engem Raum abgegeben wird.

Beta-Strahlung ( 2 ) : - Betastrahlung besteht aus Elektronen ( - ) oder Positronen ( + ), die mit hoher Geschwindigkeit von einem zerfallenden Atomkern ausgesendet werden. Aufgrund ihrer elektrischen Ladung und Masse haben auch Betastrahlen nur eine geringe Eindringtiefe und können ebenfalls durch relativ dünne Materialien abgeschirmt werden; Betastrahlung, die von außen auf den menschlichen Körper wirkt, führt in der Regel nur zu einer Schädigung der Haut, kann dort aber zu intensiven Hautverbrennungen und Spätfolgen wie Hautkrebs führen. Sind die Augen der Betastrahlung ausgesetzt, kann es zur Trübung der Augenlinse (grauer Star) kommen. Über die Atmung oder die Nahrung in den Körper aufgenommene Betastrahler führen durch die geringe Eindringtiefe von wenigen Millimetern zu einer lokal konzentrierten Abgabe der Strahlungsenergie auf engem Raum und einer hohen Strahlenbelastung der umliegenden Gewebe: Gut dokumentiert ist das Auftreten von Schilddrüsenkrebs nach Aufnahme von radioaktivem 131 Jod, das in der Schilddrüse angereichert und gespeichert wird und ein starker Betastrahler ist. 90 Strontium, ebenfalls ein Betastrahler, wird im Knochen gespeichert und kann zu Knochenkrebs führen sowie durch Strahlenbelastung des blutbildenden Knochenmarks zu Leukämie.

Gammastrahlung ( 3 ) : γ Gammastrahlung besteht nicht aus Teilchen, sondern elektromagnetischen Wellen, die von einem zerfallenden Atomkern ausgesendet werden. Durch die fehlende elektrische Ladung sowie die fehlende Masse sind Gammastrahlen deutlich schwerer abzuschirmen und es werden dazu dicke Schichten schwerer Materialen wie zum Beispiel Blei- oder Betonplatten benötigt. Die Eindringtiefe von Gammastrahlen im menschlichen Körper ist sehr groß, sie können so auch bei Wirkung von außen in tief gelegene Gewebeschichten und Organe vordringen und dort Schäden verursachen. Andererseits geben sie ihre Energie durch die größere Eindringtiefe weniger gebündelt und auf weniger engem Raum ab als Alpha- und Betastrahlen und führen so bei selber Dosis zu geringeren Schäden.

Neutronen-Strahlung ( 4 ) : N Neutronenstrahlung besteht aus Neutronen, die mit hoher Geschwindigkeit von einem zerfallenden Atomkern ausgesendet werden. Durch den natürlichen Zerfall von Atomkernen entsteht Neutronenstrahlung nur selten; sie wird aber unter anderem bei der Kernspaltung in Atomkraftwerken freigesetzt. Zusätzlich zur direkten Schädigung kann Neutronenstrahlung im bestrahlten Objekt, inklusive dem menschlichen Körper, Radioaktivität erzeugen und das bestrahlte Objekt radioaktiv machen: Das geschieht durch Einfangen von Neutronen durch die bestrahlten Atomkerne, die dann in ein anderes Nuklid, oft ein radioaktives Isotop, umgewandelt werden und unter Aussendung von Alpha-, Beta- oder Gammastrahlung zerfallen. Durch diesen Mechanismus macht Neutronenstrahlung das Baumaterial und Inventar von Atomkraftwerken radioaktiv, sodass dieses am Ende seiner Nutzungsdauer als Atommüll entsorgt werden muss. Da Neutronen keine elektrische Ladung haben, hat Neutronenstrahlung eine hohe Durchdringtiefe, ähnlich wie Gammastrahlung, und ist schwer abschirmbar.

Wie schädigt radioaktive Strahlung unseren Körper und unsere Gesundheit? Für den Menschen und andere Lebewesen ist radioaktive Strahlung schädlich. Die energiereichen Teilchen und Wellen führen zu Schäden an Zellen und Geweben. Geschädigt oder zerstört werden wichtige Moleküle und Strukturen, die für die Zellfunktion wichtig sind wie die Zellmembran, Enzyme oder die Erbsubstanz (DNA). Entstehung von Krebs durch radioaktive Strahlung ( 5 )

Schema zur Kontrolle der Zellteilung in normalen Zellen und Krebs zellen ( 23 ) : (A). Normale Zellen: Fehlerhafte Zellen zerstören sich durch den sogenannten programmierten Zelltod selber und vermehren sich nicht weiter. (B). Krebszellen: Durch Fehlen des programmierten Zelltods können sich fehlerhafte Zellen unkontrolliert vermehren und wuchern.

Nähere Details für Interessierte: Beim Eindringen radioaktiver Strahlung ins Gewebe wird Energie an die umgebenden Atome und chemischen Verbindungen abgegeben. Aus der Hülle eines getroffenen Atoms werden dabei Elektronen geschlagen, das getroffene Atom oder Molekül wird ionisiert, das heißt positiv elektrisch geladen. Die Änderung der elektrischen Ladung innerhalb des getroffenen Moleküls führt zu einer Störung seiner chemischen Bindungen: Ein Molekülbruch oder ein anderer Schaden entsteht. Als weitere Strahlenwirkung bilden sich im Gewebe sogenannte Radikale, das sind chemisch hochreaktive Atome und Moleküle, die ihrerseits weitere Schäden verursachen. Neben der Art der radioaktiven Strahlung (Alpha- Beta-, Gamma- oder Neutronenstrahlung) ist die Zeit ein entscheidender Faktor, der über das Ausmass einer Strahlenschädigung entscheidet: Wird eine hohe Gesamtdosis in sehr kurzer Zeit, zum Beispiel innerhalb weniger Minuten oder Stunden aufgenommen, hat der Körper kaum eine Chance, die entstehenden Schäden zu reparieren. Die gesundheitlichen Folgen sind entsprechend grösser. Erfolgt die Aufnahme der selben Gesamtdosis dagegen über einen langen Zeitraum, zum Beispiel ein Jahr, sind die entstehenden Schäden durch mögliche Reparaturen deutlich geringer. Ein Beispiel: Würde jemand die gesamte Jahresmenge an Wein und Bier an einem einzigen Abend trinken, hätte das ganz andere

Auswirkungen, als wenn er über das ganze Jahr verteilt jede Woche 2 Gläser trinkt. Die in den Medienberichten aus Fukushima oft gemachten Vergleiche zwischen erhaltenen Strahlendosen und normalen oder maximal zulässigen Jahresdosen sind deshalb nicht sinnvoll und führen zu falschen Schlussfolgerungen.

Strahlenschäden Schwellendosis Strahlenschäden Gibt es unschädliche Strahlendosen? News-Berichte aus Fukushima berichten immer wieder über unschädliche oder ungefährliche Strahlendosen: Das sind Falschinformationen! Eine Schwelle, unter der keine Strahlenschäden zu erwarten sind, existiert nicht. Wir müssen zwei grundsätzlich unterschiedliche Arten von Strahlenschäden unterscheiden: Einerseits treten bei hohen Dosen früh erkennbare Beschwerden auf wie Hautverbrennungen, Haarausfall, Übelkeit, Erbrechen und Durchfall. Diese Symptome treten nur auf, wenn eine gewisse Schwellendosis überschritten wurde. Andererseits kann radioaktive Strahlung Krebs und Leukämie verursachen und dieses Risiko steigt schon bei sehr kleinen Dosen ohne Schwellendosis. Dosis Strahlenschäden mit Schwellendosis (sog. "deterministische" Strahlenschäden): Z.B. Hautverbrennungen, Haarausfall, Durchfall, Erbrechen, Blutungen Dosis Strahlenschäden ohne Schwellendosis (sog. "stochastische" Strahlenschäden): Z.B. Krebs, Leukämie

In den meisten Medienberichten aus Fukushima wird diese Unterscheidung nicht gemacht. Dies zieht falsche Interpretationen und Schlussfolgerungen nach sich.

Strahlenschäden Schwellendosis Nähere Details für Interessierte: Strahlenschäden mit Schwellendosis: Dosis Wird die sogenannte Schwellendosis überschritten, werden so viele Zellen zerstört oder geschädigt, dass Beschwerden auftreten, zum Beispiel Haarausfall, Hautverbrennungen, Übelkeit und Erbrechen, Durchfall, Blutungen, Blutarmut und gestörte Infektabwehr. Lebende Organismen also auch der Mensch verfügen jedoch über verschiedene Reparatursysteme, um entstehende Schäden zu reparieren: Ist die Strahlenbelastung nicht zu hoch, kann ein Grossteil der Schäden repariert werden. Die geschädigten Zellen überleben und es treten keine Symptome oder Beschwerden auf.

Strahlenschäden Strahlenschäden ohne Schwellendosis: Dosis Im Gegensatz zu Symptomen wie Hautverbrennungen, Durchfall und Haarausfall, die erst dann auftreten, wenn sehr viele Zellen geschädigt wurden, genügt zur Auslösung von Krebs eine einzige Zelle, die sich wegen DNA-Schäden unkontrolliert teilt und vermehrt. Das DNA-Reparatursystem korrigiert entstehende DNA- Schäden zwar, leider aber nicht ganz fehlerfrei. Es kommt immer wieder zu fehlerhaften Reparaturen, gebrochene DNA- Stränge werden falsch wieder zusammengesetzt, zerstörte DNA-Bausteine durch falsche Bausteine ersetzt, sogenannte Mutationen entstehen. Der genetische Code der Zellen ist nun fehlerhaft, die mutierten Zellen führen ihre Funktion nicht mehr korrekt aus, die Steuerung wichtiger Zellfunktionen, wie zum Beispiel die Kontrolle der Zellteilung, ist gestört: So kann es zu einer unkontrollierten Wucherung derartiger Zellen kommen, Krebs entsteht.

Weil bei einer kleinen Strahlendosis weniger DNA-Schäden entstehen als bei einer großen Dosis, ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein wichtiges Gen geschädigt wird, kleiner. Theoretisch kann das aber schon durch einen einzelnen Alpha-, Beta- oder Gammastrahl passieren; es ist lediglich die Wahrscheinlichkeit sehr gering. Eine Erhöhung des Krebsrisikos ist auch bei kleinen Strahlendosen noch nachweisbar und nimmt proportional zur erhaltenen Strahlendosis zu: Man spricht von der sogenannten "linearen Dosis-Antwortkurve ohne sicheren Schwellenwert" (linear no-threshold (LNT) dose-response) (6) : Es gibt keine Strahlendosis, die als unschädlich bezeichnet werden könnte, eine ungefährliche Schwellendosis existiert nicht. Weil die entstandenen DNA-Schäden bei der Zellteilung an die Tochterzellen weitergegeben werden, sammeln sich diese im Verlauf des Lebens an. Krebs und Leukämie können so noch Jahre oder Jahrzehnte nach der Strahlenbelastung auftreten, wenn weitere Gendefekte hinzukommen und die durch die Strahlenbelastung verursachten Schäden verstärken.

Die akute Strahlenkrankheit ( 7 ) Die akute Strahlenkrankheit, an der nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl viele Aufräumarbeiter erkrankten, ist im Gegensatz zu einer erhöhten Krebsgefahr, ein Beispiel eines Strahlenschadens mit Schwellendosis: Die Dosisschwelle liegt beim Menschen bei ca. 200-300 msv *. Unterhalb dieser Schwellendosis tritt sie nicht auf. Wer innerhalb kurzer Zeit eine höhere Dosis aufnimmt, erleidet folgende Symptome: 0,5 1 Sv = 500 1'000 msv Kopfschmerzen, Übelkeit 1 2 Sv = 1'000 2'000 msv Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, erhöhtes Infektrisiko Vorübergehende Zeugungsunfähigkeit beim Mann 10% Todesfälle nach 30 Tagen 2-3 Sv = 2'000 3'000 msv Übelkeit, Erbrechen, Haarausfall, Kraftlosigkeit, stark erhöhtes Infektrisiko Bleibende Zeugungsunfähigkeit bei der Frau 35 % Todesfälle nach 30 Tagen 3-4 Sv = 3'000 4'000 msv Zusätzlich Durchfall, Haut- und Schleimhautblutungen sowie innere Blutungen 50% Todesfälle nach 30 Tagen 4 6 Sv = 4'000 6'000 msv 60-90% Todesfälle nach 30 Tagen 6 10 Sv = 6'000 10'000 msv Das blutbildende Knochenmark ist nahezu oder vollständig zerstört, ohne Knochenmarkstransplantation ist ein Überleben unmöglich. Die Magen- und Darmschleimhaut ist schwer geschädigt, es treten massive Durchfälle und Darmblutungen auf mit großem Flüssigkeits- und Blutverlust. 100% Todesfälle nach 14 Tagen 10 20 Sv = 10'000 20'000 msv 100% Todesfälle nach 7 Tagen 20 50 Sv = 20'000 50'000 msv 100% Todesfälle nach 3 Tagen * Definition: - Sievert [Sv] = 1 Joule / kg: Einheit der aufgenommenen Menge an Strahlungsenergie - Millisievert [msv] = Ein Tausendstel Sievert

Schutz vor radioaktiver Strahlung Die sogenannte "AAAA-Regel des Strahlenschutzes" fasst einige Möglichkeiten zusammen, wie die aufgenommene Dosis radioaktiver Strahlung reduziert werden kann: 1.) Aufenthaltsdauer in der Nähe der Strahlenquelle auf ein nötiges Minimum reduzieren 2.) Abstand von der Strahlenquelle so weit wie möglich vergrössern 3.) Abschirmung radioaktiver Strahlung durch geeignete Schutzmaterialien 4.) Aufnahme radioaktiver Partikel in den eigenen Körper verhindern Unter geordneten Bedingungen in einem Labor mögen diese Massnahmen umsetzbar sein. Dort ist es praktikabel beim Hantieren mit radioaktiven Stoffen für kurze Zeit einen Schutzanzug zu tragen und eine Atemmaske. Bei einer Reaktorkatastrophe wie in Tschernobyl und Fukushima, bei der riesige Flächen radioaktiv verseucht werden und mit ihr Städte, Felder, Flüsse, Seen und das Meer, stößt die AAAA-Regel allerdings an Grenzen.

In den stark kontaminierten Gebieten bleibt nichts anderes als die Flucht: Sperrzonen müssen errichtet werden. Sie bleiben für Tausende von Jahren unbewohnbar. Der einzig wahre Schutz vor radioaktiver Strahlung aus Atomkraftwerken, Wiederaufbearbeitungsanlagen, Endund Zwischenlagern ist darum der Ausstieg aus der Atomenergie, der Umstieg auf erneuerbare Energien, Energie- Einsparung und Energie-Effizienz!

Nähere Details für Interessierte: Abschirmung radioaktiver Strahlung ( 8 ) : Alpha- und Betastrahlen, die beide aus geladenen Teilchen bestehen, können durch eine relativ dünne Schicht eines geeigneten Materials vollständig abgeschirmt werden. Eine wenige Millimeter dicke Schicht Papier oder Kunststoff schirmt Alphastrahlen vollständig ab, eine wenige Millimeter dicke Schicht Aluminium oder eines anderen Metalls genügt zur Abschirmung von Betastrahlen. Vor Alpha- und Betastrahlern, die von außen auf uns wirken, können wir uns deshalb relativ gut mit Schutzkleidung schützen. Gelangen solche Alpha- und Betastrahler wie 131 Jod, 137 Caesium, 90 Strontium und 239 Plutonium jedoch in den Körper, kann ihre Strahlung nicht mehr abgeschirmt werden und führt zu einer starken Belastung der umliegenden Zellen und Gewebe. Zur Abschirmung von Gammastrahlen, die nicht aus geladenen Teilchen sondern elektromagnetischen Wellen bestehen, sind dicke Schichten schwerer Materialien nötig wie z.b. Blei- oder Betonplatten. Sogar diese schweren Materialien schirmen die Strahlung nicht vollständig ab, sondern führen lediglich zu einer Abschwächung.

Alphastrahlung wird durch ein Blatt Papier oder Kunststoff, Betastrahlung durch ein Metallblech von wenigen Millimetern Dicke vollständig absorbiert. Zur hinreichenden Schwächung von Gammastrahlung werden dagegen dicke Schichten schwerer Materialien wie Blei- oder Betonplatten benötigt ( 8 ). Abstandsquadratgesetz: Wird der Abstand verdoppelt, reduziert sich die Dosis auf ¼, wird der Abstand verdreifacht, reduziert sich die Strahlung auf 1 / ( 24 ) 9. Bleiklötze zur Abschirmung von Gammastrahlung einer radioaktiven Strahlenquelle in einem Labor ( 25 )

Neutronenstrahlung abzuschirmen ist schwierig und gelingt am besten durch eine Kombination aus Bor oder Cadmium mit wasserstoffhaltigen Materialien wie Wasser, Paraffin oder Polyethylen. Borhaltiges Wasser zur Abschirmung von Neutronenstrahlung im Abklingbecken eines Atomkraftwerks ( 26 )

Gefahr durch Aufnahme radioaktiver Stoffe über Nahrungsmittel, Trinkwasser und die Atemluft Eine grosse Gefahr geht bei Störfällen in Atomkraftwerken von der Freisetzung gas- und staubförmiger radioaktiver Stoffe aus. Diese radioaktiven Stoffe gelangen in die Umwelt und werden als radioaktive Wolke über grosse Gebiete verteilt. Kontamination eines riesigen Gebiets in der ehemaligen Sowjetunion und Europa: Verteilung von 137 Caesium nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl 1986 ( 9 )

Aus der radioaktiven Wolke sinken die freigesetzten radioaktiven Spaltprodukte langsam zu Boden oder werden, mit Regenwasser vermischt, ausgeregnet. So gelangen sie auf Felder und Pflanzen, in Flüsse, Seen und ins Meer und werden über Nahrungsmittel und das Trinkwasser aufgenommen. Über die Atemluft können sie zudem auch direkt in den Körper gelangen. Einmal im Körper führen die radioaktiven Stoffe zu einer inneren Bestrahlung von Zellen und Organen aus nächster Entfernung, vor der keine Abschirmung mehr schützen kann.

Nähere Details für Interessierte: Die bei einer Reaktorkatastrophe freigesetzten Radioisotope haben unterschiedliche Eigenschaften: 131 Jod wird in der Schilddrüse angereichert und gespeichert zerfällt dort unter Abgabe von Betastrahlung und führt zu einer hohen Strahlenbelastung des strahlungsempfindlichen Organs: Schilddrüsenkrebs entsteht. 137 Caesium verhält sich im Körper wie Kalium, verteilt sich im gesamten Organismus und wird vor allem in der Muskulatur ge speichert. Es zerfällt unter Abgabe von Betaund Gammastrahlung. Wegen der grossen freigesetzten Menge und einer relativ langen Halbwertszeit von 30 Jahren ist 137 Caesium für einen grossen Teil der noch heute in Mitteleuropa nachweisbaren Strahlenbelastung durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl verantwortlich. 90 Strontium verhält sich im Körper wie Calcium, wird im Knochen eingelagert und zerfällt dort unter Abgabe von Betastrahlung: Es führt dort zu einer langandauernden Strahlenbelastung von Knochen und blutbildendem Knochenmark und kann so Knochenkrebs und Leukämie auslösen.

131 Jod 137 Caesium 90 Strontium Anreicherung von 90 Strontium, 131 Jod und 137 ( 10, 11, 12, 13 ) Caesium im Körper Viele weitere radioaktive Stoffe gelangen bei einem Reaktorunfall in die Umwelt und tragen zur radioaktiven Belastung bei. Radioisotope, die unter Abgabe von Alpha- oder Betastrahlung zerfallen, sind bei der Aufnahme in den Körper besonders gefährlich. Die von ihnen abgegebene Strahlung hat, im Gegensatz zu Gammastrahlung, im Gewebe nur eine geringe Eindringtiefe von wenigen Millimetern und gibt die Strahlungsenergie so hochkonzentriert auf engem Raum ab. Das führt zu einer hohen Strahlenbelastung der betroffenen Organe und Gewebe.

Natürliche und künstliche Strahlenbelastung in Europa ( 14 ) Die durchschnittliche jährliche Strahlenbelastung in Mitteleuropa liegt bei ca. 4.0 msv/jahr. Je 50% davon sind natürlichen respektive künstlichen Ursprungs: Natürliche Strahlenbelastung 2.0 msv - Kosmische Strahlung (O m.ü.m.) 0.3 msv - Terrestrische Strahlung * 1.7 msv Künstliche Strahlenbelastung 2.0 msv - Medizinische Anwendungen ** 1.9 msv/jahr - Atomkraftwerke (Normalbetrieb) 0.01 msv/jahr - Folgen des Reaktorunfalls von 0.016 msv/jahr Tschernobyl heute in Europa - Radioaktiver Fallout der oberirdischen 0.01 msv/jahr Atombombenversuche vor 1963 - Sonstige <0.02 msv/jahr * 1.1 msv innerlich durch Einatmen des radioaktiven Edelgases 222 Radon, das aus dem radioaktiven Zerfall von uranhaltigem Gestein (z.b. Granit) stammt und sich in Wohnungen und Häusern ansammeln kann. 0,3 msv innerlich durch Aufnahme natürlich vorkommender Radionuklide über die Nahrung und das Trinkwasser: U.a. natürlich vorkommendes radioaktives Kalium 40 K sowie radioaktiver Kohlenstoff 14 C. 0.3 msv äußerlich. ** Die individuelle Strahlenbelastung aus medizinischen Anwendungen variiert sehr stark. Beispiele von Strahlendosen medizinischer Anwendungen: - Konventionelles Röntgenbild des Brustkorbs: 0.02 msv - Computertomographie des Brustkorbs: 8.0 msv - Computertomographie des Bauches: 10.0 msv

AKWs Tschernobyl Atombombentests Sonstige Kosmisch Radon Medizin 40 K+ und 14 C Sonstige Künstliche Strahlenbelastung Natürliche Strahlenbelastung Natürliche und künstliche radioaktive Strahlenbelastung Diese Zahlen und die Graphik zeigen, dass der Anteil der Strahlenbelastung durch Atomkraftwerke im Normalbetrieb (0.01 msv/jahr) im Vergleich mit der natürlichen Strahlenbelastung (2.0 msv/jahr) sehr klein ist. Auch die Folgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im April 1986 tragen mit 0.016 msv/jahr nur noch sehr wenig zur Jahresgesamtdosis in Mitteleuropa bei. Trotz der geringen Strahlenbelastung ist das Krebs- und Leukämierisiko im Umkreis von Atomkraftwerken und Wiederaufbereitungsanlagen jedoch auch im Normalbetrieb erhöht. Es wird deshalb angenommen, dass das Risiko kleiner Strahlendosen größer ist als bislang vermutet. Auch die Art der radioaktiven Strahlung ist wohl von größerer Bedeutung als bisher gedacht. Vor allem die innere Belastung

durch Alpha- und Betastrahlung, aus in den Körper gelangten Radioisotopen, scheint besonders gefährlich zu sein. In den Schlagzeilen aus Fukushima werden oft Vergleiche gemacht zwischen der vor Ort herrschenden Strahlenbelastung und der normalerweise vorhandenen Radioaktivität. Zwischen den unterschiedlichen Arten radioaktiver Strahlung (Alpha-, Beta-, Gammastrahlung) unterscheiden die Newsberichte in der Regel nicht, ebensowenig zwischen der Strahlenbelastung von außen und innerer Exposition nach Aufnahme radioaktiver Stoffe in den Körper: Die gezogenen Schlussfolgerungen sind daher unzulässig und ihr oft verharmlosender Inhalt falsch!

Krebsrisiko durch niedrige Dosen radioaktiver Strahlung ( 15 ) Die wissenschaftliche Einschätzung des Krebs-, Leukämie- und Missbildungsrisikos nach einer Strahlenexposition basiert größtenteils auf Daten, die an den Überlebenden der Atombombenabwürfe in Hiroshima und Nagasaki erhoben wurden, zum Teil ergänzt durch Daten aus medizinischen Strahlenanwendungen. Es handelt sich dabei um kurzfristige, externe Bestrahlungen mit hohen Dosen von Gamma- und Röntgenstrahlen. Durch Berechnungen wird versucht auf die Wirkung viel kleinerer Strahlendosen schließen zu können. Die radioaktive Belastung der Bevölkerung durch Jod, 137 Caesium, 90 Strontium sowie andere Radionuklide, die in geringer Menge im Normalbetrieb eines Atomkraftwerks, in großen Mengen bei einem (Super-) GAU wie aktuell in Japan freigesetzt werden, entspricht diesem Modell jedoch nicht. Im Gegensatz zur kurzfristigen externen Gammastrahlenbelastung bei der Explosion einer Atombombe oder der Röntgenund Gammastrahlenexposition einer medizinischen Anwendung, werden die bei einem AKW-Störfall freigesetzten radioaktiven Stoffe im Körper aufgenommen, in Organen angereichert und zum Teil langfristig gespeichert. Sie führen so zu einer langandauernden Strahlenbelastung der umliegenden Gewebe. Beim Zerfall geben diese Radionuklide neben Gammaauch Alpha- und Betastrahlung ab: Alpha- und Betastrahlung 131

hat im Körper nur eine sehr geringe Reichweite von wenigen Millimetern. Die Strahlungsenergie wird deshalb hochkonzentriert auf engem Raum abgegeben. Das führt zu einer hohen Strahlenbelastung der umliegenden Gewebe: Bei vergleichbarer Dosis geht von aufgenommenen Alpha- und Betastrahlern deshalb eine höhere Gesundheitsgefahr aus als von externen Gammastrahlen. Auf die Auswirkungen der Strahlenbelastung durch inkorporierte Alpha- und Betastrahler kann darum nicht durch Daten externer Gammastrahlenexposition geschlossen werden. Das Gesundheitsrisiko wurde deshalb bislang offensichtlich zu tief eingeschätzt und musste aufgrund der beobachteten Zunahme von Krebs- und Leukämiefällen schon wiederholt nach oben korrigiert werden.

Erhöhtes Krebs- und Leukämierisiko in der Umgebung von Atomkraftwerken und kerntechnischen Anlagen? 1983 wurde zum ersten Mal eine Häufung von Leukämie- Fällen bei Kindern festgestellt, die in der Nähe der Wiederaufbearbeitungsanlage von Sellafield (UK) leben (16, 17). Seither wurde eine Vielzahl von Untersuchungen durchgeführt, um das Risiko von Leukämien und Krebserkrankungen im Umfeld kerntechnischer Anlagen zu untersuchen. In mehreren dieser Untersuchungen bestätigte sich eine Häufung von Krebs und Leukämien in der Umgebung dieser Anlagen, unter anderem in der Nähe der Wiederaufbearbeitungsanlagen von Sellafield (UK) und Dounreay (Scotland) (18, 19) sowie um das Atomkraftwerk Krümmel in Schleswig-Holstein (Deutschland) (20, 21). Das relative Risiko lag bei diesen Untersuchungen im Bereich von 2 bis 40, das heißt das Risiko an Leukämie zu erkranken, war in der Nähe dieser kerntechnischen Anlagen bis 40-fach erhöht. In anderen Studien, unter anderem in größeren Multizenterstudien, wurden diese Ergebnisse nicht bestätigt. Auch heute, fast 30 Jahre nach Beginn der Untersuchungen, wird die Debatte weiterhin sehr kontrovers geführt. Eine dieser Studien, die sogenannte "KiKK-Studie" (Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken) (22) wurde 2007 publiziert und hat in der Öffentlichkeit einige Aufmerksamkeit erregt:

Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken (KiKK-Studie) ( 22 ) Studien-Art: Herausgeber: Epidemiologische Fall-Kontroll-Studie Deutsches Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) Datenerhebung: 1980 2003 Erscheinungsdatum: 2007 Ergebnis: In Deutschland lässt sich ein Zusammenhang nachweisen zwischen der Nähe der Wohnung zu einem Atomkraftwerk und dem Risiko, dass ein Kind vor seinem 5. Geburtstag an Krebs oder Leukämie erkrankt: Kinder unter 5 Jahren, die im Umkreis von 5 km um ein Atomkraftwerk wohnen, haben ein 1,61- fach erhöhtes Krebs- und ein 2,19-fach erhöhtes Leukämierisiko.

Nähere Details für Interessierte: Der Grenzwert für die Belastung in der Umgebung von kerntechnischen Anlagen in Deutschland beträgt 0,3 msv pro Jahr. Die tatsächlichen Belastungen liegen weit darunter. Schätzungsweise ist eine Person, deren Wohnsitz sich in 5 km Entfernung von einem Atomkraftwerk befindet, einer Belastung zwischen 0,0000019 msv und 0,00032 msv ausgesetzt. Die natürliche jährliche Strahlenexposition in Deutschland beträgt etwa 2,1 msv mit gewissen Schwankungen. Demgegenüber ist die Strahlenbelastung in der Nähe deutscher Atomkraftwerke folglich um den Faktor 1'000 bis 100'000 niedriger. Wäre die AKW-bedingte Strahlungsexposition für den beobachteten Risikoanstieg ursächlich verantwortlich, müsste es aufgrund der Schwankungen der natürlichen Strahlenexposition auch erhebliche regionale Unterschiede in der Leukämiehäufigkeit geben, was aber nicht der Fall ist. Deshalb galt ein erhöhtes Krebsrisiko durch die, im Normalbetrieb, nur sehr geringe Strahlenbelastung durch deutsche Atomkraftwerke bis zur Veröffentlichung der KiKK-Studie als unwahrscheinlich. Allerdings wurde schon aus anderen Ländern über eine erhöhte Krebs- und Leukämierate im Umkreis von Kernanlagen berichtet. Die genauen Ursachen und Mechanismen dieses Phänomens sind bislang unklar. Die KiKK-Studie hat allein die Häufigkeit von Krebs- und Leukämieerkrankungen untersucht: Sie erlaubt keine Aussage darüber, wodurch die beobachtete Zunahme von Kinderkrebs-

fällen in der Umgebung deutscher Kernkraftwerke zu erklären ist. Es wird vermutet, dass die spezifische Wirkung inkorporierter Radionuklide und deren Alpha-, Beta- und Gammastrahlung mit lokal hoher Gewebedosis ein höheres Risiko darstellt als anhand der Daten äußerlicher Gammastrahlenexposition vermutet.

Fazit Über das genaue Ausmaß der zu erwartenden Gesundheitsschäden durch die Reaktorkatastrophe von Fukushima können wir aufgrund der unsicheren Datenlage aktuell nur spekulieren. Wie nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 ist jedoch mit einer Zunahme von Krebs- und Leukämieerkrankungen in den radioaktiv belasteten Gebieten zu rechnen. Das wahre Ausmaß der Katastrophe wird sich erst in einigen Jahren zeigen; erst dann wird klar werden, wie stark der pazifische Ozean wirklich mit den radioaktiven Spaltprodukten 131 Jod, 137 Caesium, 90 Strontium, 238 Plutonium sowie anderen Radionukliden aus den Unglücksreaktoren von Fukushima kontaminiert wurde, wie sehr sich die radioaktiven Stoffe in der Nahrungskette anreichern und wie viele Menschen dadurch auch weit außerhalb von Japan erkranken. Auch im Normalbetrieb, das heißt ohne atomare Stör- und Zwischenfälle, lässt sich im Umkreis von Atomkraftwerken und anderen kerntechnischen Anlagen ein erhöhtes Krebsund Leukämierisiko nachweisen. Die genauen Ursachen und Mechanismen dieses Phänomens sind bislang unklar. Als mögliche Erklärung diskutiert wird unter anderem die Aufnahme radioaktiver Nuklide über Nahrung, Trinkwasser und Atemluft. Alpha- und Betastrahlung aussendende Radionuklide gelten dabei, wegen der geringen Eindringtiefe und der deshalb lokal hohen Dosis mit räumlich konzentrierter Gewebeschädigung, als besonders gefährlich.

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