Nathan und seine Kinder von Mirjam Pressler. Adaption des dramatischen Gedichtes Nathan der Weise von Gotthold Ephraim Lessing für Kinder

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Transkript:

GERMANICA WRATISLAVIENSIA 137 Acta Universitatis Wratislaviensis No 3471 Wroc³aw 2013 Jana Baroková Brno Nathan und seine Kinder von Mirjam Pressler. Adaption des dramatischen Gedichtes Nathan der Weise von Gotthold Ephraim Lessing für Kinder 1. Einführung Bearbeitungen und Adaptionen bedeutender Werke der Erwachsenenliteratur haben in der Kinder- und Jugendliteratur eine lange Tradition. Bei dem Abenteuerbuch Robinson der Jüngere (1779/80) von Joachim Heinrich Campe, dem ersten adaptierten Werk der philanthropischen Kinder- und Jugendliteratur überhaupt, wurde z. B. das Werk Robinson Crusoe von Daniel Defoe an die Bedürfnisse kleiner Leser angepasst und mit der Absicht erweitert, ein Lehrbuch für jugendliche Leser zu schaffen. Einer Adaption liegt ein bekanntes klassisches Werk zugrunde, das durch einen neuen Autor in neuer Form bearbeitet wird und letztendlich vom Original in Form, Umfang, Inhalt und in Sprache abweicht. Diese Nacherzählungen werden von Lehrern und Schülern bei der Vorbereitung auf Prüfungen benutzt, um sich dem klassischen Werke anzunähern. Gudrun Schulz befasst sich in ihrem Artikel Klassiker für Kinder (Schulz 2006: 104) mit Shakespeares Komödie Ein Sommernachtstraum, nacherzählt von Franz Fühmann und Barbara Kindermann. Im Zusammenhang mit der Eignung von vereinfachten literarischen Werken als Lektüre für Jugendliche stellt sich immer wieder dieselbe Frage, auf die sich manchmal keine Antwort finden lässt. Man fragt sich primär: Inwieweit entspricht die vereinfachte Fassung für Kinder dem Original? Gudrun Schulz formuliert eine wichtige Frage zur Adaption, Bearbeitung und Kürzung von literarischen Werken zu Zwecken der Verwendung als Lektüre für Kinder: Wie viel Beachtung des jungen Lesers und seines Rezeptionsvermögens ist möglich und nötig und welche literarische Qualität weist die Adaption, die Bearbeitung auf? (Schulz 2006: 109)

26 Jana Baroková Ich möchte in meinem Beitrag feststellen, wie Mirjam Pressler in ihrer Adaption mit Lessings Werk Nathan der Weise umgeht und wie der neue Text aus Sicht der kinder- und jugendliterarischen Rezeption zu bewerten ist. 2. Aufbau und Inhaltsangabe des Werkes Nathan der Weise von Gotthold Ephraim Lessing Nach Goethes Faust ist Nathan der Weise (1779) eines der meist gespielten Stücke auf deutschen Theaterbühnen. Die aufklärerische Intention des Dramas über die Koexistenz der Religionen ist eng mit Lessings Tätigkeit als Bibliothekar verknüpft. Das Werk, ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen, wurde in der Zeit veröffentlicht, als Lessing (1729 1781) eine scharfe Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Orthodoxie erlebte und ihm weitere Publikationen untersagt wurden. Lessing reagierte kämpferisch und entschied sich für die Wahl einer anderen Gattung für seine ursprünglichen Aufsätze für das Drama: Ich muss versuchen, ob man mich auf meiner alten Kanzel, auf dem Theater, wenigstens noch ungestört wird predigen lassen. (Kluge / Radler 1974: 140). Eine Novelle aus dem Decamerone von Giovanni Boccaccio, in der die Geschichte des Juden Melchisedech und die Parabel von den drei Ringen erzählt wird, beeinflusste Lessing. Die Struktur des Werkes entspricht dem analytischen Drama: Anfangs unbekannte Tatsachen und Momente werden während der Handlung aufgedeckt. Ort des Geschehens ist Jerusalem etwa in den Jahren 1191 und 1192 zur Zeit der Kreuzzüge. Lessing konzentrierte sich primär auf die Spannungen zwischen den Religionen, er hob die beiderseitige Toleranz hervor. Drei Religionen das Christentum, das Judentum und der Islam treffen hier unmittelbar aufeinander. Die Ringparabel bildet eine Szene, die genau in die Mitte des Dramas gelegt wird. Der Sultan, dem die Parabel von Nathan erzählt wird, erkennt in ihr ein Gleichnis für die drei Religionen und begreift, dass die Religion gleich um welche es sich handelt die Werte der Humanität anerkennen muss. Der innere Vorgang des Dramas baut auf dem idealistischen Glauben auf, dass die gute Tat Nathans, die zeitlich noch vor Beginn des Dramas liegt, zur Bedingung für ein gutes Ende wird. Nathan wurde einst Zeuge eines Verbrechens, das Christen an Juden verübten, wobei unter den Opfern auch seine Frau und seine sieben Söhne waren. Nathan reagiert nicht mit dem Wunsch nach Vergeltung, sondern besiegt mit der Vernunft seine Leidenschaft: Statt seiner Kinder erzieht er die elternlose, christlich getaufte Recha. Durch diese Tat relativiert er die Bedeutung aller Religionen und unterstreicht ihren wahren Kerngehalt. Selbstkritik, Vernunft, religiöse Toleranz und hartnäckiger Glaube an den Menschen sind Nathans wichtigste Charakterzüge, die sich im Drama zu einer untrennbaren Einheit vereinigen und sich letztendlich in eine große unpolitische Macht umwandeln.

Nathan und seine Kinder von Mirjam Pressler 27 G.E. Lessing hat die Aufführung des Werkes nicht mehr erlebt: Erst 1801 wurde das Werk in der Bearbeitung von F. Schiller auf der Bühne erfolgreich. In der Zeit des Aufstiegs des liberalen Bürgertums wurde Nathan der Weise zur obligatorischen Schullektüre erhoben. 3. Nathan und seine Kinder von Mirjam Pressler Mirjam Pressler (*1940) ist eine bekannte deutsche Kinder- und Jugendbuchautorin. Sie schreibt unter anderem Problembücher (Bitterschokolade, 1980) und historische Jugendbücher aus der deutschen Gegenwartsgeschichte (Malka Mai, 2001). Einen wichtigen Bereich ihrer kinder- und jugendliterarischen Tätigkeit stellen Übersetzungen aus dem Niederländischen und Hebräischen dar. Im Jahre 1991 hat sie das Tagebuch der Anne Frank aus dem Niederländischen ins Deutsche übersetzt. In dem Artikel Warum, wie und was ich übersetze denkt die Autorin über die Bedeutung und Schwierigkeiten ihrer Arbeit nach: Jede Übersetzung ist eine Herausforderung und eine Anmaßung, ein Balanceakt zwischen Treue zum Original und dem Dienst am neu entstehenden Buch; es ist ein Hin und Her zwischen vorgegebenen Strukturen und den Möglichkeiten, die die eigene Sprache bietet. Da sich die Bedeutungsfelder der einzelnen Wörter in Herkunftssprache und Zielsprache fast nie decken, ist jedes Übersetzen auch Interpretieren. Wie hat das der Autor gemeint? Wo liegen seine Schwerpunkte? Lassen sich syntaktische Strukturen übernehmen? Sollen sie übernommen werden, wenn sie im Deutschen schwerfälliger wirken als im Original? (Pressler 1999: 222) Ich meine, dass die Erfahrung mit dem Übersetzen für Mirjam Pressler eine gute Vorbereitung auf die Adaption eines solchen Werkes wie Nathan der Weise darstellt. Bereits durch den Untertitel des Werkes ein Roman deutet Mirjam Pressler an, dass sie die Gattung Drama verlässt und den Kindern und Jugendlichen das Werk über Nathan als Roman, als eine narrative literarische Form also, anbietet. Ihre Wahl begründet sie wie folgt: Lessings Nathan der Weise ist eine weltanschauliche Erörterung in Form eines Dramas, und das ist unter anderem ein Grund dafür, dass das Stück heute schwer lesbar ist, ganz abgesehen davon, dass die meisten Menschen ungern Theaterstücke lesen. Zudem erscheinen Lessings Figuren doch sehr im Dienst der Gedanken zu stehen, die er verbreiten wollte; die Menschen als Charaktere kommen mir dabei zu kurz. Mein Bedürfnis war es, sie etwas plastischer darzustellen, lebendiger. Das lässt sich in einem Roman natürlich viel einfacher machen als in einem Drama. (Pressler 2009: 250). M. Pressler bleibt trotzdem einem formalen Merkmal der Gattung Drama treu: Sie führt am Anfang die Liste der in ihrer Adaption handelnden Personen an, so wie es in der Einleitung zu einem Drama, also auch bei Lessings Nathan der Weise üblich ist. Beim Vergleich der handelnden Personen in der Tabelle stellt man fest, dass es Unterschiede bei einigen der auftretenden Figuren gibt:

28 Jana Baroková Tabelle 1. Die in den beiden Werken auftretenden Personen Handelnde Figuren in Nathan der Weise Handelnde Figuren in Nathan und seine Kinder Anzahl der Auftritte der Personen in den einzelnen Kapiteln in Nathan und seine Kinder Sultan Saladin Sultan Saladin --- Sittah, dessen Schwester Sittah, dessen Schwester 1 Nathan, ein reicher Jude in Jerusalem Recha, dessen angenommene Tochter Daja, eine Christin, aber in dem Hause des Juden, als Gesellschafterin der Recha ein junger Tempelherr ein Derwisch Nathan, jüdischer Kaufmann in Jerusalem Recha, dessen Tochter Daja, eine Christin, Rechas Gesellschafterin 3 Curd von Stauffen, später Leu von Filnek, ein junger Tempelritter Al-Hafi, ein Derwisch im Dienst Saladins der Patriarch von Jerusalem der Patriarch von Jerusalem --- ein Klosterbruder --- --- ein Emir nebst verschiedenen Mamelucken des Saladin Abu Hassan, ein Hauptmann des Saladins --- Geschem, ein Junge im Haus Nathans --- Elijahu, Verwalter Nathans 2 --- Jakob, Gehilfe Nathans --- --- 4 3 2 --- 2 Während Lessings Drama in insgesamt fünf Aufzüge aufgeteilt ist, deren kleinere Abschnitte die einzelnen Auftritte bilden und so den Anforderungen des klassischen Dramas entsprechen, teilt Mirjam Pressler ihre Adaption in selbständige, jeweils abgeschlossene Kapitel ein, wobei jedes Kapitel einem der handelnden Protagonisten bzw. Protagonistinnen gewidmet ist, deren Namen es trägt. Jede der handelnden Figuren verleiht so dem Erzählen ihre spezifische, subjektive Sicht auf die Ereignisse, bedingt durch deren Rolle und Stellung nicht nur im Hause Nathans, sondern auch in Jerusalem. Dabei verbindet alle Figuren die Gestalt des Nathan, sie denken über ihn nach, erzählen von seiner großen Barmherzigkeit und Freigebigkeit. Am Anfang erzählt der Findlingsjunge Geschem, der im Hause Nathans lebt. M. Pressler äußert sich dazu, warum sie sich diese Figur für ihre Adaption ausgedacht hat, wie folgt:

Nathan und seine Kinder von Mirjam Pressler 29 Um die Figuren in eine soziale Wirklichkeit einzubetten und einen möglichen Alltag zu beschreiben, habe ich zusätzlich einige Personen eingeführt, zum Beispiel Elijahu, Nathans Verwalter, und einen namenlosen Findeljungen der nicht weiß, wer er ist, und es nie wissen wird. Zur Person wird er erst, als Nathan ihm einen Namen gibt, Geschem. Im Mittelalter gab es viele Waisen, Halbwaisen, Findelkinder, ausgesetzte Kinder Kindheit spielte nicht annähernd die Rolle, die sie heute spielt. (Pressler 2009: 250) Im letzten Satz des Zitats ist die ausdrückliche Intention der Autorin klar und prägnant formuliert: Durch die Adaption des klassischen Werkes sollte eine leichte und für Kinder attraktive Lektüre geschaffen werden. Geschem heißt das erste Kapitel, und der arme und einst geschlagene Junge ist derjenige, von dem der Leser über den Großbrand im Hause Nathans, bei dem dessen Tochter Recha beinahe ums Leben gekommen wäre, zuerst erfährt: Erst verstand ich nicht, dass es ein Mensch war, der da schrie. Doch dann sah ich sie, Daja, die Herrin, wie sie sich drehte und wand und versuchte, sich aus dem Griff der Köchin zu befreien, ich sah ihr verzerrtes Gesicht und den aufgerissenen Mund. Recha!, schrie sie. Recha! Recha! Doch Zipora und eine Magd hielten sie fest und lockerten den Griff auch nicht, als Daja wie wild um sich schlug und schrie: Lasst mich los, ich muss zu Recha! Nathan ist nicht da! Gott steh bei uns, wenn Recha etwas passiert. Ihre Schreie übertönten das Prasseln der Flammen. (Pressler 2009: 9) Dagegen sieht der Zuschauer im ersten Auftritt von Lessings Drama zuerst den Flur in Nathans Haus. Nathan kehrt gerade von einer Reise zurück und Daja, Rechas Gesellschafterin, teilt ihm die aufregende Nachricht mit: Daja: Wie elend, elend, hättet Ihr indes Hier werden können! Euer Haus Das brannte. Nathan: So hab ich schon vernommen. Gebe Gott, Daß ich nur alles schon vernommen habe! (Lessing 1989: 9) Die handelnden Figuren hat M. Pressler in eine reale soziale Umgebung eingebettet, wodurch es ihr gelingt, deren Alltag so zu schildern, wie dieser damals mit allen üblichen und sich regelmäßig wiederholenden Tätigkeiten im Hause Nathans höchstwahrscheinlich tatsächlich ablief. Geschem schildert während er sich an den Ausbruch des Feuers erinnert, wo er während des normalen alltäglichen Geschehens im Haus seinen Unterschlupf hatte und unterstreicht dadurch indirekt seine Position als Findling in der Hierarchie der anderen Hausbewohner. Seine Aussage wirkt auf den Leser sehr plastisch und lebendig: Als ich das nächste Mal aufwachte, stand der Mond hoch über der Zitadelle. Erst war ich ganz verwirrt, wusste nicht, wo ich war, ich spürte nur, dass ich nicht auf meinem üblichen Fell in der Küche lag, unter dem Tisch, auf dem Zipora Hühner und anderes Fleisch koscher macht, schneidet und zum Kochen herrichtet. Der Boden unter mir war uneben, ich spürte Steine, die mich in den Rücken drückten, und meine Finger ertasteten raues Hundezahngras. (Pressler 2009: 11) Die stete Intention der Autorin ist es, die in ihrer Adaption auftretenden Helden und Heldinnen nicht nur als die Handlung begleitende Figuren darzustellen, son-

30 Jana Baroková dern als Menschen aus Fleisch und Blut. In der Nachbemerkung zum Werk meint sie, dass [ ] Lessings Figuren doch sehr im Dienst der Gedanken stehen, die er verbreiten wollte; die Menschen als Charaktere kommen mir dabei zu kurz (Pressler 2009: 250). Aus diesem Grund finden sich im Buch einige Kapitel, die denselben Erzähler haben (siehe Tabelle). So wird die Handlung aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet, wodurch der Leser den Eindruck einer allmählichen inneren Entwicklung der Protagonisten gewinnt. Die Geschichte wirkt dadurch nicht mehr statisch, sondern dynamisch und ihre Protagonisten gewinnen an Plastizität. Vor allem Nathans Tochter Recha, der Schilderung ihres Charakters und ihrer Gefühle, ist in der Adaption viel mehr Platz als im Originalwerk eingeräumt. M. Pressler äußert sich zu dieser Protagonistin, dass sie ihr besonders wichtig war, [ ] weil sie Nathan am nächsten steht und für die Tradierung seiner Werte eine entscheidende Rolle spielt. (Pressler 2009: 250). Rechas Auftritt wiederholt sich im Buch insgesamt vier Mal, also in vier Kapiteln (siehe Tabelle). Das Mädchen wurde genau wie Geschem als Findelkind in das Haus Nathans aufgenommen und als dessen eigene Tochter erzogen. Doch als sie von ihrer Erzieherin Daja die Wahrheit über ihre Herkunft erfährt, spürt sie einen tiefen Schmerz: Meine Haare fielen wie ein Vorhang vor mein Gesicht, ein flammender Vorhang, der mich vor der Welt verbarg. Der mich vor mir selbst verbarg. Ich schloss die Augen, ich wollte nichts mehr sehen, um mich herum sollte es so dunkel sein wie in meinem Herzen. Ich wollte ihre Worte nicht hören, die so unglaublich klangen und die ich doch glauben musste. (Pressler 2009: 207) Das Gespräch zwischen Daja und Recha im Lessings Originalwerk entspricht dagegen mehr dem philosophischen Nachdenken des Autors über Religion, über Gott und seine Beziehung zum Menschen. Recha spricht dabei Lessings primären Grundsatz aus, dass das Wort Gott und das Verb kämpfen nicht zusammenpassen: Recha: Was sprichst du da nun wieder, liebe Daja! Du hast doch wahrlich deine sonderbaren Begriffe! Sein, sein Gott! für den er kämpft! Wem eignet Gott? was ist das für ein Gott, Der einem Menschen eignet? der für sich Muß kämpfen lassen? Und wie weiß Man denn, für welchen Erdkloß man geboren, (Lessing 1989: 73) Die handelnden Personen sind in der Adaption von Pressler mehr als richtige Menschen mit ihren Sehnsüchten, Freuden und Schmerzen dargestellt. Ringparabel Die philosophische Botschaft des Originalwerks über die Koexistenz der drei Religionen des Christentums, des Judentums und des Islams wird in der Adaption

Nathan und seine Kinder von Mirjam Pressler 31 eindeutig und präzise in der Ringparabel formuliert. M. Pressler bringt sie in dem Kapitel mit dem Titel Al-Hafi unter. Al-Hafi ist Derwisch und gleichzeitig Vetter des Sultans im Dienst Saladins, den Sittah, Sultan Saladins Schwester beauftragt hat, Nathan in den Palast des Sultans zu bringen, weil sie Nathan um Geld bitten will. Seine Sorge um das Leben von Nathan und sein weiteres Schicksal drückt Al- Hafi symbolisch durch den Vergleich des menschlichen Lebens mit einem Schachspiel aus. Die ungleichen Rollen von Nathan und Saladin bei einem künftigen Vertrag, in dem es um ein Darlehen geht, vergleicht er mit den verschiedenen Figuren beim Schachspiel, die jeweils einen unterschiedlichen Rang haben: Die Welt besteht aus vierundsechzig Feldern, dachte ich, während ich so dahinschritt, und das Schicksal spielt Schach mit uns. Es kümmert sich nicht um den Einzelnen, es kennt kein Mitleid und kein Erbarmen, wir werden hin und her geschoben, wir werden geopfert, ohne dass wir den Sinn der Spielzüge erkennen können. Falls es einen solchen Sinn überhaupt gibt. (Pressler 2009: 154) Der Sultan empfängt Nathan in seinem Rosengarten, dessen Atmosphäre der mit seinen blühenden und duftenden exotische Rosen eine geheimnisvolle Kulisse für das Gespräch darstellt. Al-Hafi beobachtet mit steigender Sorge um das Schicksal seines Freundes alle an der Audienz Beteiligten den Sultan, dessen Schwester Sittah und Nathan und führt seinen Vergleich mit dem Schachspiel weiter fort. Die handelnden Personen haben entsprechend ihrer sozialen Bedeutung die Rollen von verschiedenen Figuren König, Dame, Läufer auf dem Schachbrett: Die Dame hatte sich einen strategisch günstigen Platz am Rand des Spielfelds gesucht. [ ] Nach einigen belanglosen Förmlichkeiten sagte Saladin plötzlich: Du nennst dich also Nathan. Nathan der Weise. Er hat das Spiel eröffnet, dachte ich, das war der erste Schachzug. Nathan machte den Gegenzug, er schüttelte den Kopf. Ich nenne mich nicht so. [ ] Ich bin Kaufmann, sagte er vorsichtig und schützte seinen eigenen Läufer mit einem Pferd. [ ] Saladin hatte seine Figuren zum Angriff geordnet. (Pressler 2009: 156) Auf die gestellte Frage des Sultans, welche der drei Religionen die richtige sei, bittet Nathan den Herrn, ob er im Hinblick auf die Schwierigkeit der Frage mit einem Gleichnis antworten dürfe. Im Originalwerk bittet Nathan den Sultan, ob er ihm ein Geschichtchen erzählen darf, das Wort Parabel bzw. Gleichnis wird nicht verwendet. Al-Hafi nutzt für diese äußerst zugespitzte und für Nathan lebensgefährliche Situation wieder Schachtermini wie direkter Angriff, Rochade, Partie, unerwarteter Sprung, Gegenzug, Angriffsposition, die entscheidenden Züge, Schach und matt oder Remis. In der Adaption der Ringparabel von M. Pressler ist der Figur von Al-Hafi mehr Raum gewidmet. Er spielt während Nathan die Geschichte über die drei Ringe erzählt die Rolle des aufmerksamen und objektiven Beobachters. Mit Nathan verbindet ihn eine lange Freundschaft und mit dem Sultan Saladin ein Verwandtschaftsverhältnis, wobei er mit dem Sultan einst als Kind auch befreundet war.

32 Jana Baroková Durch seine Bemerkungen, die er während des Erzählens und des Gesprächs der beiden Protagonisten macht und die er mit Hilfe der Schachterminologie präzisiert und unterstreicht, wirkt die ganze Geschichte sehr spannend und lässt sich in einem Zuge durchlesen. 4. Schlusswort Beim Recherchieren für ihre Adaption hat die Autorin nicht nur die dramatische Vorlage von G.E. Lessing verwendet, sondern auch A. Maaloufs Werk Der Heilige Krieg der Barbaren. Die Kreuzzüge aus der Sicht der Araber und die Schrift von W. v. Tyros Geschichte der Kreuzzüge und des Königreichs Jerusalem (vgl. Pressler 2009: 250). Den Anhang der Adaption bilden Zeittafel, Nachweise der Zitate aus dem Alten Testament, dem Neuen Testament und dem Koran. Im Glossar werden unbekannte Wörter im Kontext erläutert. Mit ihrer Adaption des Werkes Nathan der Weise ist es M. Presssler meiner Ansicht nach sehr gut gelungen, jungen Lesern von heute die Botschaft der religiösen Toleranz nahe zu bringen. Mit Hilfe des Genres Roman erreichte sie eine lebendige Darstellung der einzelnen Figuren als lebendige Menschen mit eigenem Schicksal. Literatur Primärliteratur Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht. München 1989. Pressler, Mirjam: Nathan und seine Kinder. Weinheim-Basel 2009. Sekundärliteratur Kluge, Manfred / Radler, Rudolf (Hrsg.): Hauptwerke der deutschen Literatur. Einzeldarstellungen und Interpretationen. München 1974. Schulz, Gudrun: Klassiker für Kinder. In: Franz, Kurt / Payrhuber, Franz-Josef (Hrsg.): Odysseus, Robinson und Co. Vom Klassiker zum Kinder- und Jugendbuch. Baltmannsweiler, Hohengehren 2006. Pressler, Mirjam: Warum, wie und was ich übersetze. Überlegungen zum Übersetzen von Kinder- und Jugendbüchern aus dem Hebräischen und Niederländischen. In: Raecke, Renate (Hrsg.): Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland. Arbeitskreis für Jugendliteratur. München 1999. Abstracts Dieser Artikel befasst sich mit der Adaption eines der wichtigsten Werke der deutschen Literatur. Es wurde zuerst die schulische Tradition der Adaptionen der so genannten klassischen Werke an den

Nathan und seine Kinder von Mirjam Pressler 33 Schulen in Deutschland dargestellt. Es gibt zwei sehr wichtige Fragen, die diesen Prozess angehen: Die Beachtung der Qualitätssicherung der Adaption für Kinder und ihre Übereinstimmung mit dem Originalwerk. Das nächste Kapitel befasst sich mit dem Inhalt der Werkes Nathan der Weise von G.E. Lessing; es wurde auch der Jude Melchisedech erwähnt, dessen Geschichte die Parabel von den drei Ringen beinhaltet. Im Kapitel Nathan und seine Kinder wurde das Buch von Mirjam Pressler kritisch analysiert und mit dem Originalwerk verglichen. Ein sehr wichtiger Unterschied bei Mirjam Pressler betrifft die Umwandlung des Genres Drama in den Roman. Es gibt einige Differenzen bezüglich der handelnden Personen gegenüber der literarischen Quelle. Unterschiedlich ist auch die Anzahl ihrer Auftritte in den einzelnen Kapiteln, als auch ihr soziales Milieu. Schlüsselwörter: Adaptionen der literarischen Werke, Kinder- und Jugendliteratur, kritische Analyse des literarischen Werkes, Komparation Nathan und seine Kinder by Mirjam Pressler. Adaptation of the dramatic poem Nathan der Weise by Gotthold Ephraim Lessing for children This article deals with the adaptation of one of the most important works of the German literature. Firstly, the school tradition of the adaptations of the so-called classical literary works at schools in Germany was analyzed. There are two very significant questions concerning this process: the quality of the adaptation for children and its compliance with the original work. The next chapter deals with the content of the work Nathan der Weise by G.E. Lessing. I mentioned especially the Jew Melchisedech, whose story contains the parable of the three rings. In the chapter Nathan und seine Kinder by Mirjam Pressler I critically analyzed this book and compared it with the original work. The very important difference in Mirjam Pressler is the change of the drama genre to a novel. There are some differences in the characters in comparison with the original work. The number of their appearances in the particular chapters differs too, and different is also their social milieu. Keywords: Adaptation of the literary work, literature for children and youth, critical analysis of the literary work, comparison Jana Baroková Masarykova univerzita Pedagogická fakulta Poříčí 9/11 603 00 Brno Tschechische Republik E-Mail: barokova@ped.muni.cz