2.2 Funktionsdiagnostik

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14 2.2 Funktionsdiagnostik In der ophthalmologischen Diagnostik kommen morphologische, funktionsdiagnostische und bildgebende Untersuchungsverfahren zur Anwendung. Um eine augenärztliche Diagnose zu sichern, werden im allgemeinen verschiedene diagnostische Verfahren kombiniert. Die augenärztliche Funktionsdiagnostik ermöglicht eine differenzierte Beurteilung von Netzhaut und Sehbahn und ist die Basis für das weitere diagnostische Vorgehen. 2.2.1 Visus Die Sehschärfenbestimmung ist ein grundlegender Funktionstest des visuellen Systems. Die Sehschärfe beschreibt das maximale räumliche Auflösungsvermögen der Fovea centralis bei optimaler Korrektur von Refraktionsanomalien (Visus cum correctione). Die Visusbestimmung stellt somit einen Funktionstest der Netzhautmitte dar. Unter dem maximalen räumlichen Auflösungsvermögen versteht man die Fähigkeit zwei Punkte als eben noch getrennt wahrzunehmen (Trennschärfe, Minimum separabile). Die maximale Trennschärfe des menschlichen Auges liegt bei einer halben Bogenminute. Das entspricht einem Zapfendurchmesser und einem Visus von 2,0. Damit das menschliche Auge zwei Punkte als getrennt wahrnehmen kann, muß sich zwischen zwei gereizten Zapfen mindestens noch ein ungereizter Zapfen befinden. In der Fovea centralis liegen die Zapfen mit einem Abstand von 2,5 µm sehr dicht nebeneinander. Die Sehschärfe nimmt in der Netzhautperipherie rasch ab. In der Netzhautperipherie wird der Abstand zwischen den Zapfen immer größer, mehrere Zapfen werden hier mit nur einer Ganglienzelle verschaltet, außerdem befinden sich in der Peripherie auch Stäbchen, die für das Dämmerungssehen verantwortlich sind. So wird bei etwa 10 parafoveal eine Sehschärfe von 0,1 gemessen. Der Zapfenabstand auf der Netzhaut, Streuungsphänomene und optische Abblidungsfehler begrenzen das Minimum separabile, den minimalen Abstand oder Sehwinkel, auf eine Bogenminute (1/60 Grad). Als volle Sehschärfe wird daher ein Visus von 1,0 angenommen.

15 Bei einem Visus von 1,0 können zwei Punkte von 1,5 mm Abstand aus 5 m Entfernung als getrennt wahrgenommen werden. Für den Visus gibt es demnach zwei Definitionsmöglichkeiten. Visus = Leseabstand (d) / Sollabstand (D). Oder den Visus als Reziprokwert des kleinsten Sehwinkels α, unter dem der Patient zwei Punkte als noch getrennt wahrnimmt: Visus = 1/α (α in Bogenminuten). Die mittlere Sehschärfe bei Jugendlichen ist besser, sie nimmt allerdings im Laufe des Lebens kontinuierlich ab. Unter Sehleistung versteht man das räumliche Auflösungsvermögen ohne Korrektur von Refraktionsanomalien. Sie wird als Visus sine correctione, Visus naturalis oder Rohvisus bezeichnet. Der Visus wird in der Regel subjektiv geprüft. Die Visusprüfung erfolgt mit Sehzeichen, den Optotypen. Bei der Visusprüfung kommen verschiedene Sehzeichen zur Anwendung: Landolt-Ringe, Pflüger-Haken, Snellen-Haken, Zahlen, Buchstaben und Bildtafeln für Kinder. Die Landolt-Ringe gelten nach einer DIN-Norm als Standardzeichen. Bei der Erstellung augenärztlicher Gutachten müssen Landolt-Ringe als Sehzeichen verwendet werden. 2.2.2 Farbensehen Das für das menschliche Auge sichtbare Licht liegt in einem Wellenlängenbereich von 380-760 nm. Sichtbares Licht kann durch ein Prisma in seine einzelnen Wellenlängen zerlegt werden. Durch die unterschiedliche Brechung des Lichtes entsteht ein Farbsprektum: Violett, Indigo, Blau, Grün, Gelb, Orange, Rot. Das farbtüchtige helladaptierte Auge kann bis zu 160 verschiedene Farbtöne unterscheiden. Die Farbqualität wird durch den Farbton, die Farbsättigung (Weißunähnlichkeit) und die Farbhelligkeit bestimmt. Alle Farbtöne des Farbspektrums sind durch Mischen der drei Spektralfarben Rot, Grün und Blau darstellbar. Die Farbempfindung Weiß tritt auf, wenn alle Spektralfarben vorhanden sind. Schwarz ist der Simultankontrast zum hellsten Weiß. Im menschlichen Auge existieren drei verschiedene Zapfentypen, deren Außensegmente entweder ein im langwelligen, im mittelwelligen oder im kurzwelligen Bereich empfindliches Sehpigment enthalten.

16 Das Außensegment eines Zapfen enthält ein Sehpigment, das für Licht einer bestimmten Wellenlänge eine maximale Absorption hat. Die Sehpigmente bestehen aus dem Vitamin-A-Derivat Retinal und dem Membraneiweiß Opsin, dessen jeweilige Aminosäurensequenz die unterschiedlichen Absorptionseigenschaften bewirkt. So werden rotsensitive Zapfen (Absorptionsmaximum bei 560-590 nm), grünsensitive Zapfen (Absorptionsmaximum bei 530-550 nm) und blausensitive Zapfen (Absorptionsmaximum bei 420-450 nm) unterschieden. Sie stellen die Grundlage der Trichromasie des Farbensehens dar, bei der aus den drei Grundfarben rot, grün und blau der jeweilige Farbeindruck durch Mischung herstellbar ist. Die drei Zapfentypen kommen in unterschiedlicher Häufigkeit vor. Auf elf langwellig empfindliche Zapfen kommen neun mittelwellig empfindliche und ein kurzwellig empfindlicher Zapfen. Dabei sind die lang- und mittelwelligen Zapfen ca. fünfzehnfach lichtempfindlicher als die kurzwelligen Zapfen. Eine bestimmte Farbempfindung entsteht erst durch die Verrechnung der Erregungsstärken benachbarter Zapfentypen. Das Absorptionsmaximum der rotsensitiven Zapfen liegt beispielsweise mit 560-590 nm im gelben Bereich des Farbspektrums. Die Erregung der rotsensitiven Zapfen mit einer deutlich geringeren Erregung der grünsensitiven Zapfen bewirkt die Farbempfindung rot. Ein einzelner Zapfen mit seinem Absorptionsmaximum kann auf Belichtung unterschiedlicher Wellenlänge nur mit heller oder dunkler reagieren. Wobei eine Wellenlängenänderung auf das Absorptionsmaximum zu wie eine Aufhellung, eine Wellenlängenänderung vom Absorptionsmaximum weg wie eine Abdunkelung wirkt. Demzufolge wird entweder die nachgeschaltete ON-Bipolarzelle oder OFF- Bipolarzelle des Zapfens aktiviert. Allerdings entsteht die Farbwahrnehmung nicht allein auf Rezeptorenebene. Die Unterscheidung der Farbeindrücke erfolgt erst über die gleichzeitige Aktivität der drei Zapfentypen und die Verrechnung ihrer Signale auf postrezeptoraler Ebene. Die trichromatische Theorie des Farbensehens (Helmholtz, Young) und die farbantagonistische Theorie (Hering) werden in der Zonentheorie durch von Kries synthetisiert. In der Zone der Zapfen wird die Trichromasie des Farbensehens nach Helmholtz und Young realisiert, in der postrezeptoralen Zone kommen bereits bei den Horizontalzellen und allen weiteren Verschaltungen Gegenfarbenneurone für rot und grün bzw. für blau und gelb vor.

17 Die antagonistischen Schaltungen der elektrischen Signale der Photorezeptoren erfolgen nach der Gegenfarbentheorie von Hering. Die Gegenfarbenneurone sind wie im Hell-Dunkel-System in rezeptiven Feldern organisiert. Trifft langwelliges Licht in das Zentrum des rezeptiven Feldes einer Ganglienzelle, kann es die Entladungsrate der Ganglienzelle erhöhen, trifft mittelwelliges Licht in die Peripherie des rezeptiven Feldes dieser Ganglienzelle, kann es die Entladungsrate hemmen bzw. umgekehrt. Das weitergeleitete Signal entspricht dann der Subtraktion aus lang- und mittelwellig sensitiven Rezeptoren. Die breit und überlappend verlaufenden Absorptionskurven der drei Zapfensysteme zeigen, daß die verschiedenen Zapfentypen nicht sehr wellenlängenselektiv sind, sondern auf ein breites Band des Farbspektrums reagieren. Erst die gleichzeitige Aktivität der verschiedenen Zapfentypen und die Verrechnung ihre Signale gegeneinander führt zu unterschiedlichen Farbwahrnehmungen. Daher genügt eine geringfügige Änderung der Wellenlängenzusammensetzung des einfallenden Lichtes, um das Signal eines anderen Zapfentyps überwiegen zu lassen. Es werden genetisch bedingte und erworbene Farbsinnstörungen unterschieden. Die Gene für das rot- und grünsensitive Photopigment befinden sich auf dem langen Arm des X-Chromosoms, das Gen für das blausensitive Photopigment befindet sich auf dem Chromosom 7. Bei den Farbsinnstörungen kommen die Monochromasie, die verschiedenen Formen der Dichromasie und der anomalen Trichromasie vor. Die seltene Achromasie (totale Farbenblindheit) beruht auf einem völligen Fehlen der Zapfenfunktion. Die Patienten nehmen nur noch Grautöne wahr. Neben der Farbsinnstörung besteht eine starke Minderung der Sehschärfe, ein Nystagmus und eine Photophobie. Bei der Zapfenmonochromasie kann nicht zwischen den Farben unterschieden werden, da nur ein Zapfenpigment vorhanden ist. Zu der Dichromasie zählen die Protanopie (Rotblindheit), die Deuteranopie (Grünblindheit) und die Tritanopie (Blaublindheit). Die anomale Trichromasie kann als Protanomalie (Rotschwäche), Deuteranomalie (Grünschwäche) und Tritanomalie (Blauschwäche) vorkommen.

18 Erworbene Farbsinnstörungen kommen vor allem bei Erkrankungen der Netzhautmitte und des Sehnervs vor. Zur Farbsinnprüfung werden pseudoisochromatische Tafeln nach Ishihara oder Stilling-Velhagen und Farbflecktests verwendet. Oft verwendete Farbflecktests sind der desaturierte Lanthony Panel D15 und der Roth 28 Hue Test. Die eindeutige Diagnose einer genetisch bedingten Farbsinnstörung ist am besten mit dem Anomaloskop möglich. Bei Verdacht auf erworbene Farbsinnstörungen kommen vor allem Farbflecktests und Farbtafeln (einschließlich Tafeln zur Prüfung des Blausinns) zur Anwendung. Die Farbdifferenzierung ist bei erworbenen Krankheitsprozessen der Makula häufig frühzeitig gestört. Daher kommt der Farbsinnprüfung als Screeningmethode zur Früherkennung von medikamentös bedingten Netzhautschäden eine besondere Bedeutung zu. 2.2.3 Perimetrie Die Perimetrie ist eine wichtige Untersuchung zur Beurteilung von Netzhaut und Sehbahn. Das monokulare Gesichtsfeld ist das Wahrnehmungsfeld des unbewegten Auges bei Geradeausblick. Das normale Gesichtsfeld reicht nach temporal bis ca. 100, nach unten bis 70, nach oben sowie nach medial bis ca. 60. Das Gesichtsfeld für Farben ist wesentlich kleiner als für unbunte Lichtmarken, wobei Grün < Rot < Blau gilt, da die blauempfindlichen Zapfen mehr perifoveal angeordnet sind. Die Gesichtsfelder des rechten und des linken Auges überlappen sich bis auf eine ca. 30 breite temporale Sichel. Es wird zwischen kinetischer und statischer Perimetrie unterschieden. Bei der kinetischen Perimetrie werden bewegte Lichtmarken von peripher kommend in verschiedenen Meridianen nach zentral bewegt, wobei die Orte der ersten Wahrnehmung auf einem Vordruck markiert werden. Lichtmarken der gleichen Größe und Helligkeit beschreiben einen konzentrischen Kreis gleicher Wahrnehmung (Isoptere). Entsprechend der zunehmenden Sensitivität der Netzhaut nach zentral werden die Lichtmarken immer kleiner und lichtärmer. Somit werden auch die Isopteren nach zentral immer kleiner. Das Prinzip der statischen Perimetrie besteht darin, unbewegte Lichtmarken an festgelegten Gesichtsfeldorten so lange in ihrer Helligkeit zu steigern bis sie wahrgenommen werden.

19 Vom Zentrum zur Peripherie besteht ein Empfindlichkeitsabfall. Ein niedriger Schwellenkontrast entspricht einer hohen Empfindlichkeit für Lichtunterschiede. Die Empfindllichkeit für Lichtunterschiede wird in Dezibel (db) angegeben. Für klinische Fragestellungen beschränkt man sich oft auf zentrale Gesichtsfeldanteile mit einer Ausdehnung von jeweils 30. Die statische Perimetrie ist in Form der automatischen Rasterperimetrie zur häufigsten perimetrischen Untersuchungsmethode geworden. Es kann zwischen einer schwellenbestimmenden und einer überschwelligen Perimetrie unterschieden werden, wobei die schwellenbestimmende Perimetrie das deutlich zeitaufwendigere Verfahren darstellt. Für die Schwellenbestimmung beschränkt man sich in der Regel auf die zentralen 30 des Gesichtsfeldes. Eine Indikation zur schwellenbestimmenden Perimetrie besteht, wenn diskrete Gesichtsfelddefekte aufgedeckt und ihre Defekttiefe bestimmt werden soll. Sie dient u.a. der Früherkennung von Medikamentenintoxikationen, Makulaerkrankungen, Glaukomen und Läsionen im Nervus opticus bzw. im Chiasma opticus. Die überschwellige Perimetrie dient der Aufdeckung von ausgedehnten bzw. absoluten Gesichtsfelddefekten. Sie ist zur Untersuchung des gesamten Gesichtsfeldes geeignet. 2.2.4 Multifokales ERG Mit dem Ganzfeld-Elektroretinogramm (ERG) werden Summenantworten des Stäbchen- und Zapfensystems abgeleitet. Da es sich um eine Summenantwort der gesamten Netzhaut handelt, ist das Ganzfeld-ERG besonders bei generalisierten Netzhautdystrophien und Funktionsstörungen der Netzhaut indiziert. Die gezielte Untersuchung der Makula oder kleinerer Netzhautareale ist nicht möglich. Die Reizantworten der Makula haben nur einen Anteil von ca. 5% am ERG, so dass ihre Funktionsstörung in der Summenantwort der noch intakten Netzhautanteile verborgen bliebe. Das multifokale ERG (mf-erg) nach Sutter und Tran ist eine neue elektrophysiologische Untersuchungsmethode [8], mit der es möglich ist, die Netzhautfunktion des hinteren Pols differenziert zu untersuchen. Die Stimulation der Netzhaut erfolgt über einen Computermonitor.

20 Das Reizfeld besteht aus 61, 103 oder 241 hexagonalen Feldern, wobei die Felder wegen der höheren zentralen Rezeptordichte zentral kleiner sind als peripher. Jedes Hexagon wechselt entsprechend einer binären m-sequenz in rascher Folge zwischen schwarz und weiß. Die binäre m-sequenz ist für die verschiedenen hexagonalen Felder zeitlich verschoben. Es entsteht ein Stimulationsfeld mit 61, 103 oder 241 schwarz-weiß-flimmernden hexagonalen Feldern, wobei sich die mittlere Leuchtdichte nur gering verändert. Die Fixation des Patienten in der Mitte des Reizfeldes wird durch eine zentrale Fixationshilfe erleichtert. Mittels der von der Hornhaut abgeleiteten Rohkurve, der bekannten binären m-sequenz und deren zeitliche Versetzung für jedes hexagonale Feld kann eine Reizantwort für jedes hexagonale Feld berechnet werden. Es resultieren 61, 103 bzw. 241 kleine ERG-Kurven. Addiert man alle Kurven eines Reizfeldes, resultiert eine Kurve, die der Zapfenantwort im Ganzfeld-ERG sehr ähnlich ist. Die Arbeitsgruppe von Hood zeigte, daß die Bestandteile der Reizantworten im mf-erg und im Ganzfeld-ERG den gleichen Zellen entspringen [9]. Im mf-erg und im Ganzfeld-ERG werden also vergleichbare Zapfenfunktionen untersucht. Neben der Darstellung als Einzelantworten (lokale ERG-Antworten, trace arrays ) können Antwortgruppen gebildet werden. Die Einteilung der lokalen ERG-Antworten erfolgt meist in fünf um das Zentrum angeordnete Ringgruppen, die Antwort pro Netzhautareal wird für jede Ringgruppe berechnet. Die Einzelantworten werden mit der gemittelten Reizantwort bei Gesunden in Beziehung gesetzt. Auf der Grundlage des errechneten Skalarproduktes können die Ergebnisse als zwei- und dreidimensionale Grafik dargestellt werden. Das Skalarprodukt ermöglicht die Darstellung von Amplituden- und Gipfelzeitabweichungen. Mit dem multifokalen ERG ist es demnach möglich, die Netzhautfunktion für verschiedene Areale des hinteren Pols getrennt zu untersuchen und zu quantifizieren. Das mf-erg ist eine neue elektrophysiologische Untersuchungsmethode, bei der sich der Umfang klinisch relevanter Indikationen noch in der Abklärung befindet. Wichtige Indikationen sind angeborene und verschiedene erworbene Makulaerkrankungen. Eine weitere Indikation für das mf-erg ist die unklare Visusminderung bei normalem morphologischem Netzhautbefund.