Das Magazin. Aus der Heimstiftung. Versprechen halten Hilfe bei der Heimplatzsuche Seiten 4 bis 8



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Transkript:

Ausgabe 4/2007 Das Magazin. Aus der Heimstiftung Versprechen halten Hilfe bei der Heimplatzsuche Seiten 4 bis 8 Stationäre Pflege benachteiligt Kommentar zur Pflegereform Seite 11 Neues Angebot Betreuung rund um die Uhr Seite 24

Editorial Inhalt Das Magazin. Aus der Heimstiftung Nachrichten, Meinungen und Berichte aus der Evangelischen Heimstiftung GmbH Stuttgart und ihren Tochterunternehmen. Liebe Leserin, lieber Leser, bei guter Gesundheit ein hohes Alter erreichen und möglichst in den eigenen vier Wänden zu bleiben diesen Wunsch haben alle. Allein, hilflos und pflegebedürftig zu sein, diese Sorge treibt viele um. Welche Konsequenzen zieht die Evangelische Heimstiftung daraus? Wir begegnen Menschen in einer Haltung, die sich an christlichen Werten orientiert. Mit unserer qualifizierten Arbeit begleiten wir unsere Kunden, um ihnen in jeder Situation ein Höchstmaß an Selbstbestimmung zu ermöglichen. So haben wir es in unserer Vision formuliert. Sie ist für die Geschäftsführung und für jeden Mitarbeiter der EHS Verpflichtung. Ich wünsche Ihnen ein gesegnetes Weihnachtsfest. Wolfgang D. Wanning Hauptgeschäftsführer Titel Halten, was man verspricht Rat und Hilfe bei der Heimplatzsuche Seite 4 7 Was ist bei der Aufnahme ins Pflegeheim zu beachten? Seite 8 Impuls Rundfunkpfarrerin Lucie Panzer, Tübingen Seite 9 Altenhilfe aktuell Deutscher Altenpflege-Monitor 2007/2008 Seite 10 Analyse des Gesetzentwurfs für die Reform der Pflegeversicherung Seite 11 Pflegebeispiel Die zweite Familie bereichert das Leben Tagesbetreuung im Robert- Breuning-Stift, Besigheim Seite 12 13 Freundeskreis Seite 14 Porträt Brunhilde Setzer sorgt dafür, dass die Cafeteria im Karl-Wacker-Heim, Stuttgart, täglich geöffnet ist Seite 15 Aus meinem Leben Hildegard Bauernfeind, Dr.-Carl- Möricke-Altenstift in Neuenstadt Seite 16 17 Reportage Ein Lächeln für ein Lächeln sechs Frauen haben über Ein-Euro-Jobs den Einstieg in den Pflegeberuf geschafft Seite 18 19 Aus der Heimstiftung Bericht von HORIZONTE, dem Stuttgarter Pflegeforum der EHS Seite 20 21 Kurzberichte und Informationen aus den Einrichtungen Seite 22 23 24-Stunden-Betreuung: Ein neues Angebot der EHS Seite 24 Hausgemeinschaften im Württembergischen Lutherstift, Stuttgart Seite 25 Namen und Anschriften Verzeichnis der Einrichtungen Impressum Seite 26 Das Magazin Aus der Heimstiftung Verantwortlich Wolfgang D. Wanning Redaktion Albert Thiele Redaktionssekretariat Jens Zanzinger Telefon (07 11) 6 36 76-122 Telefax (07 11) 6 36 76-554 j.zanzinger@ev-heimstiftung.de Anschrift der Redaktion Das Magazin. Aus der Heimstiftung Hackstraße 12, 70190 Stuttgart Schlussredaktion Susanne Wetterich Kommunikation, Stuttgart Gestaltung CD/S Concept & Design Stuttgart GmbH Produktion und Druck Henkel GmbH Druckerei, Stuttgart Bildnachweise der Ausgabe 4/2007 Schlegel (Seite 18/19) Nachdruck und elektronische Verwendung nur mit schriftlicher Genehmigung. Das Magazin. Aus der Heimstiftung erscheint 4x im Jahr. Aufl age: 20.000 Herausgeber Evangelische Heimstiftung GmbH Stuttgart www.ev-heimstiftung.de Der Bezugspreis ist durch den Beitrag abgegolten. Aus der Heimstiftung 4/2007 3

Titel Halten, was man verspricht Rat und Hilfe bei der Heimplatzsuche Die Bevölkerung wird immer älter. Was in den vergangenen Jahren teilweise wie ein Schreckgespenst die politische Diskussion beherrschte, ist eigentlich eine positive Nachricht: Die Lebenserwartung steigt und die Chance wächst, bei guter Gesundheit ein hohes Alter zu erreichen. 4 Aus der Heimstiftung 4/2007

Titel Viele Menschen fürchten sich jedoch nicht nur davor, dass ihre Leistungsfähigkeit mit wachsendem Alter abnimmt. Sie machen sich Sorgen, was passiert, wenn sie pflegebedürftig werden. Da ist es besser, wenn Betroffene und Angehörige auf eine mögliche Pflegebedürftigkeit vorbereitet sind. Von den Angehörigen ist in solchen Fällen Fingerspitzengefühl gefragt. Die meisten älteren Menschen reagieren empfindlich, wenn sie sich bevormundet fühlen. Und vor allem die Kinder fürchten, dass sie ihre Eltern kränken könnten. Es empfiehlt sich, heikle Dinge, wie zum Beispiel eine mögliche Pflegebedürftigkeit, nicht erst anzusprechen, wenn sie eintreten, die finanziellen und juristischen Fakten zu klären und zu wissen, was der Wunsch der Eltern ist. Die Stadt München hat in einem Ratgeber Fragen aufgelistet, die sich Betroffene und Angehörige allgemein stellen sollten: Bietet das derzeitige Wohnumfeld die Lebensqualität und Sicherheit, die ich mir wünsche? Ist meine Wohnung altersgerecht oder lässt sie sich entsprechend umgestalten? Sind Regelungen getroffen oder zu treffen hinsichtlich Vollmachten, Vorsorgeverfügungen, Betreuungsverfügungen? Sind Veränderungen bei finanziellen Belastungen im Falle einer ernsthaften Erkrankung oder Pflegebedürftigkeit bekannt und überschaubar? Ist mir bekannt, welche Leistungen aus der Pflegeversicherung ich gegebenenfalls bekomme? Was sind meine persönlichen Wünsche, Bedürfnisse und Interessen? Wissen meine Angehörigen davon? Information und Beratung Ängste entstehen oft in Folge mangelnder Information. Deshalb ist es wichtig, sich zu informieren und beraten zu lassen. Es gibt umfangreiches Material zu allen Fragen rund um Alter und Pflegebedürftigkeit (siehe Kasten unten auf der Seite). Die Verbände der Freien Wohlfahrtspflege, unter ihnen das Diakonische Werk und die örtlichen Diakonie- Sozialstationen, zählen zu den wichtigen Anlaufstellen für ratsuchende ältere Menschen und deren Angehörige. Die einzelnen Städte und Gemeinden unterhalten Beratungsstellen für ältere Menschen, zumeist bei den Sozialämtern. Aber auch die Krankenund Pflegekassen erteilen Auskünfte. 70 Prozent der älteren Menschen würden sich für eine Pflege zu Hause durch Angehörige oder einen ambulanten Pflegedienst entscheiden, hat der aktuelle Deutsche Altenpflege- Monitor ermittelt (siehe Bericht auf Seite 10). Demgegenüber würden sich nur acht Prozent für ein Pflegeheim entscheiden. Der Wunsch, möglichst lange zu Hause zu bleiben und möglichst nicht in ein Pflegeheim zu müssen, ist verständlich. Allerdings ist den meisten Menschen auch gar nicht bekannt, wie das Leben im Pflegeheim heute ist. Oft herrschen ganz falsche Vorstellungen. Wenn die Angehörigen durch das Haus gehen, sind sie ganz erstaunt, dass sie keine dunklen Flure, sondern lichtdurchflutete Wohnbereiche vorfinden, weiß Birgit Göser, die im Blumhardt-Haus der Evangelischen Heimstiftung in Uhingen für den Sozialdienst und damit für die Beratung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen zuständig ist. In der Regel sind es die Angehörigen, die auf die Suche nach einem Heimplatz gehen und die Informationen und Rat suchen. Ihnen falle die Entscheidung, den Ehemann, die Mutter Wichtige Informationen aus dem Internet: www.hilfe-und-pflege-im-alter.de Informationsseiten des Kuratoriums deutsche Altershilfe für ältere Menschen und pflegende Angehörige www.bmj.de/media/archive/451.pdf Informationen des Bundesministeriums für Justiz zur Vorsorgevollmacht www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/politikbereiche/aeltere-menschen.html Informationen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für ältere Menschen www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/kategorien/publikationen/publikationen,did= 3166.html Leitfaden zur Wahl eines Pflegeplatzes (Bundesministerium für Familie, Frauen, Senioren und Jugend) Aus der Heimstiftung 4/2007 5

Titel oder den Vater in ein Pflegeheim zu geben, in der Regel sehr schwer, weiß die Sozialpädagogin. Zumeist haben sie den Pflegebedürftigen zuvor versorgt und sind durch die anstrengende Pflege erschöpft. Schlechtes Gewissen der Gedanke, den Vater oder die Mutter wegzugeben und entsprechend moralischer Druck lasten auf ihnen. Andererseits empfinden sie den Schritt häufig auch als persönlichen Verlust. Sie haben es häufig zu ihrer eigenen Lebensaufgabe gemacht, für die pflegebedürftige Person da zu sein. Sie wurden gebraucht und erhielten für ihren Einsatz Bestätigung. Wichtig sei es daher, sich für die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen Zeit und ihre Anliegen ernst zu nehmen. Sie müssen ausreichend Gelegenheit haben, das Haus kennen zu lernen und die Atmosphäre zu spüren. Menschliche Seite entscheidet Nach Kriterien, die ausschlaggebend sind, sich für ein Heim zu entscheiden, braucht man Birgit Göser nicht lange zu fragen. Allererstes Anliegen ist, den Angehörigen gut versorgt zu wissen. Es werde Wert darauf gelegt, wie das Zimmer und die Gemeinschaftsräume ausgestattet sind. Insbesondere Einzelzimmer sind gefragt. Aber auch schöne Außenanlagen, das Essen sowie die Freundlichkeit des Personals seien weitere Aspekte. Nachgefragt werden auch die jeweiligen Pflegekonzeptionen. Die Angehörigen prüfen, ob das Heim in der Lage ist, auf die Wünsche der Einzelnen jeweils individuell einzugehen. Ob der Pflegebedürftige gefördert wird und Maßnahmen getroffen werden, seine Selbstständigkeit möglichst weitgehend und lange zu erhalten, und ob es Seelsorge und Gottesdiens- Die menschliche Würde anerkannt Angehörige berichten über ihre Erfahrungen mit der stationären Pflege Der Umzug ins Heim ist für Pflegebedürftige der Beginn eines neuen Lebensabschnitts. Nicht nur der Abschied von den eigenen vier Wänden fällt schwer viele Betroffene empfinden den Umzug auch als den schmerzlichen Verlust eines Stücks Unabhängigkeit. Nicht weniger schwer ist der Schritt zumeist für die Angehörigen, die zwar von den hohen physischen Anforderungen der Pflege entlastet sind, für die der Umzug in die stationäre Pflege aber ebenfalls eine Veränderung der Lebenssituation mit sich bringt. Die Angehörigen in die Obhut anderer, zudem zunächst noch Fremder zu geben, setzt großes Vertrauen voraus. Brief an das Michael-Hörauf- Stift, Bad Boll Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Evangelischen Heimstiftung garantieren nicht nur professionelle Pflege nach modernsten Standards, sondern sehen sich auch dem christlichen Menschenbild verpflichtet. Den Pflegebedürftigen das größte Maß an Selbstbestimmung zu gewährleisten, auf die Bewohner individuell zuzugehen und Respekt für ihre Lebensgeschichte zu haben, sind die Maximen der Arbeit. Brief an das Paul-Gerhardt- Stift, Giengen Neben den vielen kritischen Berichten über die Pflege stehen Briefe von Angehörigen, die oft nach anfänglicher Skepsis ein positives Bild stationärer Einrichtungen erhalten haben. 6 Aus der Heimstiftung 4/2007

Titel te gibt, sind ebenfalls wichtig. Angehörige haben schließlich Interesse, selbst mitzugestalten und einbezogen zu werden. Schließlich seien natürlich auch die Kosten ein Kriterium. Der Sozialpädagogin fällt allerdings auf, dass Sachfragen nicht ausschlaggebend für die letztendliche Entscheidung für ein Heim sind, sondern letztendlich die menschliche Seite. Deshalb komme es darauf an, dass die Verantwortlichen im Pflegeheim das notwendige Fingerspitzengefühl aufbringen und dass sie Einfühlungsvermögen, Verständnis und die Fähigkeit, auf die jeweilige Persönlichkeit einzugehen, besitzen. Für die Neuaufnahme in das Heim gelten im Blumhardt-Haus daher klare Regeln. Jeder Bereich hat seine festen Aufgaben. Hausdirektorin Irene Göggelmann begrüßt jeden neuen Bewohner persönlich. Es gibt ein ausführliches Aufnahmegespräch, in dem beispielsweise geklärt wird: Worauf kommt es dem neuen Bewohner besonders an, wer soll benachrichtigt werden, wenn es ihm schlecht geht? Der Verantwortliche für die Pflege erfragt Wünsche und Vorstellungen und auch den individuellen Tagesablauf. Der persönliche Zustand Allergien und Unverträglichkeiten, Gehfähigkeit oder Sturzgefährdung etc wird genau festgehalten. Aufbauend auf der jeweiligen Biographie wird für jeden Bewohner ein individueller Pflegeplan erstellt. Dabei wird Wert darauf gelegt, Ziele zu erarbeiten und zu vereinbaren. Ein Ziel kann beispielsweise sein, dass der Bewohner wieder selbstständig aufstehen kann oder auch, dass sich sein Allgemeinzustand wieder verbessert. Aber auch grundsätzliche Dinge werden angesprochen, beispielsweise der Umgang mit Sterben und Tod. Halten, was man verspricht sei die wichtigste Devise im Umgang mit den Bewohnern und Angehörigen, fasst Birgit Göser zusammen. Alle Mitarbeiter müssen eben ein zuverlässiger, kompetenter und ehrlicher Ansprechpartner für die Kunden sein. Die Bewohner brauchen Zeit, sich einzugewöhnen. Viele, so berichtet sie, sagen schon nach erstaunlich kurzer Zeit: Ich bin hier zu Hause. Susanne Wetterich Brief an das Blumhardt-Haus, Uhingen Bericht von Angehörigen, Paul-Gerhardt-Stift, Giengen Brief an das Michael-Hörauf-Stift, Bad Boll Mutter ohne ihr Haus, in dem sie 40 Jahre und das meist allein gelebt hatte das konnten wir uns schlecht vorstellen. Dagegen standen ihre wachsende Pflegebedürftigkeit und ihre starke Sehbehinderung. Der Tag des Abschiednehmens musste also kommen. An einem Freitag kam der Anruf aus dem Paul-Gerhardt-Stift: ein Zimmer ist in drei Tagen frei. Zum Glück war das folgende Wochenende ausgefüllt mit Einpacken und vielen Überlegungen somit war kaum Zeit für Traurigkeit und Abschiedsschmerz vom bisherigen Lebensraum. Am Montag brachten wir Mutter mit dem Gepäck ins Paul-Gerhardt- Stift. Mutter saß etwas verloren und traurig in ihrem Zimmer. Sicher wurde ihr der Wechsel erst jetzt langsam bewusst. In der folgenden Woche überlegten wir, wie das Zimmer zu einem richtigen Zuhause gestaltet werden könnte. Ein Sessel sollte ihr einen geborgenen Platz im Zimmer sichern, zwei Wandteppiche, die sie selbst geknüpft hatte und ein Bild an zu Hause erinnern. Ihr altes Radio auf dem Biedermeiertischchen und eine Stehlampe vervollständigten die Einrichtung. Durch die gewohnten Gegenstände fühlte sie sich im Zimmer langsam wohler. Wie in einem Ritual vollzog sich die Trennung vom Alten zu einem Neubeginn im Heim. Natürlich folgte noch ein Prozess mit vielen kleinen Schritten, durch die sie ihre Umgebung allmählich eroberte. Nach einem Jahr ist sie nach eigener Aussage froh, diesen Schritt getan zu haben, fühlt sich sehr gut versorgt, findet alle Mitarbeiter außerordentlich freundlich und hilfsbereit und möchte gern noch einige Jahre hier verbringen. Aus der Heimstiftung 4/2007 7

Titel Die Leserfrage Was ist bei der Aufnahme ins Pflegeheim zu beachten? Für die pflegebedürftige Person bedeutet ein Umzug in ein Heim einen tiefen Einschnitt. Doch auch den Angehörigen stellen sich viele Fragen. Neben Formalitäten, die es zu erledigen gilt, steht dabei vor allem die Hilfe bei der Eingewöhnung in der neuen Umgebung im Vordergrund. Die Vergütung der Leistungen des orientieren sich an den Vorgaben Pflegeheimes, das so genannte Pflegegeld, muss der Betroffene selbst bei barungen können vor der Unter- des Heimgesetzes. Besondere Verein- der Pflegekasse beantragen. Ist er zeichnung ergänzt werden. Der dazu nicht in der Lage, so kann ein Vertrag enthält auch eine Kündigungsfrist, die einzuhalten ist, wenn bevollmächtigter Angehöriger oder ein rechtlicher Betreuer dies übernehmen. zurück in eine eigene Wohnung, ein Pflegebedürftiger später wieder zu Angehörigen oder in eine andere Ist bereits eine Pflegeeinrichtung Pflegeeinrichtung umzieht. gefunden, so beraten und helfen die Im Heimvertrag ist außerdem festgelegt, was ins Heim mitgenommen Mitarbeiter bei der Antragstellung. werden kann oder soll. Die Auswahl der Pflegeeinrichtung ist eine der wichtigsten Entscheidungen, vor denen Pflegebedürftige und gegebenenfalls auch die Kündigung Rechtzeitig bedacht werden sollte ihre Angehörigen stehen. Die Heime des Mietvertrags der bisherigen Wohnung. Ratsam ist, das Mietverhältnis unterscheiden sich nicht nur in der Höhe des Pflegegeldes, also in den erst ein oder zwei Wochen nach dem Kosten, die für Unterbringung und geplanten Umzug ins Heim enden Betreuung anfallen, sondern auch in zu lassen, denn erfahrungsgemäß ihrer Ausstattung und in den Angeboten. Die Einrichtungen der Evange- Entrümpelung und Abschlussreno- brauchen auch Wohnungsauflösung, lischen Heimstiftung stehen in der vierung ihre Zeit. Tradition der Diakonie und orientieren sich an christlichen Werten. Anlässlich des Umzugs in eine Einige Häuser bieten ein so genanntes Pflegeeinrichtung sollten alle bestehenden Verträge überprüft werden. Probewohnen an. Dazu zählen nicht nur Versicherungspolicen, sondern beispielsweise auch Im Heimvertrag sind alle wichtigen Fragen zur Betreuung des Pflegebedürftigen festgehalten. Die Inhalte schlüsse und Zeitungsabonnements, Telefonan- Essenszubringdienste. Medikamente dürfen im Umzugsgepäck nicht fehlen. Außerdem sollte sichergestellt werden, dass der bisherige Hausarzt, sollte er künftig nicht mehr für die medizinische Betreuung zuständig sein, dem neuen Arzt alle aktuellen Befunde übermittelt. Pflegebedürftige Menschen sollten ihre wichtigsten persönlichen Dokumente bei sich haben oder bei der Heimleitung deponieren. Hierzu gehören Personalausweis und Meldebescheinigung, Atteste und Impfausweis sowie Bankkarte und Sparbücher (sofern nicht ein Angehöriger oder rechtlicher Betreuer die Vermögensverwaltung übernimmt). Der Aufbewahrungsort von Dokumenten wie Testament, Geburtsurkunde, Heiratsurkunden, Renten- und Pflegegeldbescheid sollte den Vertrauenspersonen bekannt sein. In dieser Rubrik beantworten wir Fragen unserer Leserinnen und Leser zu Themen der Altenpflege. Wenn auch Sie Fragen haben, können Sie uns diese zusenden: Evangelische Heimstiftung GmbH Redaktion Aus der Heimstiftung Stichwort Leserfrage Hackstraße 12, 70190 Stuttgart Fax: 07 11/6 36 76-5 54, E-Mail: j.zanzinger@ev-heimstiftung.de 8 Aus der Heimstiftung 4/2007

Impuls Die Sorgen loslassen Gedanken zu Weihnachten von Rundfunkpfarrerin Lucie Panzer Die Autorin wurde 1955 im Weserbergland geboren und lebt seit 1976 in Tübingen. Seit 1995 ist sie Beauftragte der Evangelischen Landeskirche für den Südwestrundfunk. Wenn man zum ersten Mal nicht heimfährt, um bei den Eltern Weihnachten zu feiern, sondern die Eltern kommen und am Heiligen Abend bei den Kindern sind dann ist man wirklich erwachsen. Das hat mir neulich jemand so erzählt und ich habe mich erinnert: Ja, so war das auch bei mir. Schulabschluss, Volljährigkeit, erste Schritte im Beruf: Immer habe ich mich noch als Tochter gefühlt, als Kind meiner Eltern und im Zweifelsfall bei Mutter angerufen. Und dann habe ich zum ersten Mal einen eigenen Weihnachtsbaum gekauft und die Eltern kamen zu Besuch. Da habe ich unterm Weihnachtsbaum gespürt: Jetzt werden sie alt, die Eltern. Und ich bin kein Kind mehr. Ich werde nie mehr Kind sein. Gelegenheit zu lernen Zum Glück geht auch dieses Erwachsenwerden nicht auf einen Schlag, sondern allmählich. Zuerst kommen die Eltern noch, um einen zu entlasten, erst recht, wenn Enkelkinder da sind. Aber von Jahr zu Jahr lassen ihre Kräfte nach. Und immer mehr sind die Kinder diejenigen, die mit und auch für die Eltern planen und organisieren müssen und dafür sorgen, dass alles in Ordnung geht. Natürlich: Das ist nicht immer leicht, sich auf diese neue Situation einzustellen. Aber vielleicht ist ja gerade Weihnachten eine Gelegenheit, es zu lernen. Man lernt, dass man rechtzeitig darüber sprechen muss, wie man es machen will. Was will und kann man von dem übernehmen, was schon immer so war? Das wird die alten Eltern freuen, wenn sie spüren: Es war doch gut, wie wir das früher gemacht haben und die Kinder übernehmen manches gern. Und die erwachsenen Kinder können sich an die eigene Kindheit erinnern und dann doch auch eigene Rituale finden, die jetzt besser zu ihrer anderen Welt passen. Gott rührt Herzen an Vielleicht fällt es einer Familie ja an Weihnachten leichter, sich dieser Anstrengung auszusetzen. Denn da ist doch immer auch diese Geschichte von dem Kind in der Krippe, in dem Gott zur Welt gekommen ist. Diese Geschichte, die zeigt: Gott kommt zur Welt und er kann Menschen anrühren. Er macht es hell, wo es für Menschen ganz dunkel schien. Die damals, bei denen Gott zur Welt kam, die hatten zunächst gar keine Aussichten mehr. Maria und Josef genauso wenig wie die Hirten auf dem Felde. Aber Gott kam bei ihnen zur Welt und sie erlebten: Wir sind nicht von Gott und der Welt verlassen. Er bleibt uns nah. Das hat sie getröstet und die Bibel erzählt: Sie kehrten um und lobten und priesen Gott für alles, was sie erlebt hatten. Gott kann Herzen anrühren und die kommen in Bewegung, für die es so aussah, als ob alles zu Ende wäre. Diese Erfahrung machen Menschen an Weihnachten bis heute. Deshalb ist Weihnachten eine Gelegenheit, ein neues Miteinander zu üben. Ein anderer Gedanke ist mir in diesem Zusammenhang wichtig geworden: Jesus, der damals geboren wurde, hat uns gelehrt, Vater unser zu sagen. Alle, die Vater unser beten, sind Brüder und Schwestern. Söhne und Töchter Gottes. Füreinander verantwortlich. Aufeinander angewiesen. Mir hat dieser Gedanke geholfen, mich nicht mehr allein zuständig zu fühlen für meine alte Mutter. Wir sind Teil der großen Familie Gottes. Da kann es auch andere geben, die neben mir und mit mir dafür sorgen, dass die alten Eltern gut leben können. Und ein Drittes habe ich begriffen: Ich kann es meiner Mutter nicht abnehmen, das Alter. Auch mit dem besten Willen und Bemühen nicht. Das ist ihr Leben, auch wenn es mir weh tut, wie es ihr geht. Sorgen loslassen Weihnachten hilft, auch mit den dunklen Seiten des Alters umzugehen. An Weihnachten kann man erleben, dass Gott sie erreicht, die alten, verwirrten, einsamen Menschen, meine Mutter, meinen Vater. Dass er sie erreicht, auch wenn es für mich so aussieht, als ob überhaupt nichts mehr sie erreichen kann in ihrer Einsamkeit und Schwäche und Traurigkeit. Er ist und er bleibt unser Vater im Himmel. Das hilft mir, die Sorge wenigstens ein Stück weit loszulassen in der Hoffnung darauf, dass er sie erwartet wie ein guter Vater. Dann wird alles gut sein und er wird die Tränen abwischen. Die meiner Eltern. Und meine auch. Aus der Heimstiftung 4/2007 9

Altenhilfe aktuell Bessere Information über Pflege Befragung der Generation 50plus: Was erwartet der Kunde von morgen? Immer weniger Menschen möchten in ein Pflegeheim und auch alternative Wohn- und Pflegeformen erhalten weniger Zuspruch. Mit dem Image der Altenpflege steht es weiterhin nicht zum Besten. Aber: Das Informationsverhalten hat sich geändert. Die Entscheidung für ein Pflegeheim basiert auf eingehender Information. Dieses sind die wichtigsten Ergebnisse des Altenpflege-Monitors (APM), einer repräsentativen Umfrage unter 500 Personen der Generation 50plus, die jährlich durchgeführt wird und dieses Jahr zum vierten Mal erscheint. Neben Einstellungen zur Pflege fragt der APM auch nach den Erwartungen der Kunden von morgen. Außerdem untersucht die Studie den Informationsstand und die Vorsorgeplanungen der Bevölkerung 50plus zu Angeboten und Dienstleistungen rund um die Pflege. Die Studie ist aussagekräftig für die rund 30 Millionen Menschen in Deutschland, die über 50 Jahre alt sind. Im Falle der Pflegebedürftigkeit wollen die Wenigsten ins Pflegeheim: Nur acht Prozent würden sich für die stationäre Pflege entscheiden. Das sind fünf Prozent weniger als in den Jahren 2005 und 2006 (jeweils 13 Prozent). Entscheidungen für Wohnformen 35 Prozent würden sich für eine Pflege zu Hause durch ambulante Pflegedienste entscheiden. Gleichauf mit ebenfalls 35 Prozent liegt die Pflege zu Hause durch Angehörige. Pflege in betreuten Wohnungen können sich 27 Prozent der Befragten vorstellen. 42 Prozent der Befragten geben an, sich noch gar nicht über das Thema Pflegemöglichkeiten und deren Kosten informiert zu haben (2006: 44 Prozent). Damit ist der Anteil der Nichtinformierten leicht rückläufig. Der Anteil derjenigen, die sich über Pflegemöglichkeiten informiert haben, steigt demgegenüber von 53 Prozent im Jahr 2005 über 56 Prozent im Jahr 2006 auf 58 Prozent im Jahr 2007. Am intensivsten informieren sich diejenigen, die für ihre Angehörigen einen Platz in einem Pflegeheim suchen. 78 Prozent von ihnen haben sich über Pflegemöglichkeiten informiert. In den meisten Fällen werden die in Frage kommenden Heime vorher besucht. Durchschnittlich 2,6 Heime werden besichtigt, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Die Werte für das Image der Altenpflege haben sich etwas verbessert: Nur noch 48 Prozent der Befragten meinen, dass die Pflegebedürftigen mit Medikamenten ruhig gestellt werden, 2006 waren es noch 56 Prozent. Besorgniserregend ist weiterhin der Wert bei der Frage nach der Versorgung: Nur 23 Prozent (2006: 23 Prozent) haben den Eindruck, dass man in der Pflege gut versorgt werde. Tröstlich für die Pflegebranche ist die Einschätzung der Befragten nach der Professionalität der Pflege. 44 Prozent sind der Meinung, dass die Pflege professionell organisiert sei. Entscheidungen für folgende Möglichkeiten Pflege zu Hause durch ambulante Pflegedienste Pflege zu Hause durch Angehörige oder Kinder Pflege im betreuten Wohnen/ Servicewohnen Pflege im Mehrgenerationenwohnen Pflege zu Hause durch Personal aus dem Ausland Pflege in selbstorganisierter Wohngemeinschaft Pflege in einem Altenpflegeheim 2007 2006 35% 35% 27% 12% 10% 13% 8% 10% 13% 8% 13% 37% 36% 32% Pflege im Ausland Keine davon Basis (Mehrfachangaben möglich) 2% 3% 494 Befragte 3% 5% 479 Befragte Quelle: APM, Umfrage 2007 Frage: Für welche dieser Möglichkeiten würden Sie sich entscheiden? 10 Aus der Heimstiftung 4/2007

Altenhilfe aktuell Benachteiligung der stationären Pflege Eine Analyse des vorliegenden Gesetzentwurfs für die Reform der Pflegeversicherung Am 17. Oktober hat die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Reform der Pflegeversicherung verabschiedet. Das Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung soll am 1. Juli 2008 in Kraft treten. Gesetzentwürfe und Arbeitszeugnisse haben eines gemeinsam: Interessant ist, was nicht darin steht. So wird betont, dass demente Menschen künftig in den Kreis der Leistungsberechtigten einbezogen werden sollen. Ob ein Mensch pflegebedürftig ist und somit Leistungen aus der Pflegeversicherung erhält, entscheidet sich heute anhand von Kriterien aus den Bereichen Körperpflege, Ernährung, Mobilität und hauswirtschaftlicher Versorgung sowie der dazu erforderlichen Zeit. Eine Ausweitung der Leistungen auf Demenzkranke setzt eine Überarbeitung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs voraus. Diese ist allerdings bisher nicht erfolgt. Richtige Richtung Statt einer konsequenten Einbeziehung Demenzkranker in die Pflegeversicherung sieht die aktuelle Reform eine Ausweitung der Leistungen im ambulanten und teilstationären Bereich für Menschen mit erheblichem allgemeinen Betreuungsbedarf vor. Auch Personen, deren Hilfebedarf noch nicht die Pflegestufe I erreicht, werden einbezogen. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Beschränkung auf die genannten Leistungsbereiche bedeutet aber eine Benachteiligung der dementen Menschen in den Pflegeheimen. Ist wegen Fortschreitens der Demenz häusliche Pflege nicht mehr möglich, so entfällt bei denjenigen, die die Pflegestufe I nicht erreichen, jegliche Pflegeversicherungsleistung. Benachteiligung vermeiden Die Pflegeversicherung soll dem Grundsatz ambulant vor stationär noch stärker als bisher Rechnung tragen. Die Einführung einer Pflegezeit für Angehörige ist an diesem Prinzip ausgerichtet. Das Bundesministerium für Gesundheit hebt in diesem Zusammenhang die geplante Anhebung der Leistungsbeträge, die Dynamisierung der Leistungen sowie die Einführung eines Anspruchs auf Beratung und die Schaffung von Pflegestützpunkten hervor. Unabhängige Beratung ist ein taugliches Werkzeug bei komplexen Produkten. Bei Pflegestützpunkten, die in Trägerschaft der Pflegekassen stehen sollen, kann es sich jedoch schwerlich um unabhängige Stellen handeln. Die Leistungen der Pflegeversicherung werden erstmals seit Inkrafttreten des Gesetzes angehoben, und zwar in drei Stufen bis zum 1. Januar 2012. Im Einzelnen betrifft dies alle Pflegestufen bei Inanspruchnahme eines ambulanten Pflegedienstes, Pflegegeld (häusliche Pflege durch Angehörige) und bei Verhinderungs- und Kurzzeitpflege. Demgegenüber bleiben die Leistungen in der stationären Pflege in der Stufe I und II bis 2014 unverändert. Lediglich in Stufe III und bei Härtefällen ist auch in der stationären Versorgung eine Erhöhung vorgesehen. In den Pflegeheimen lebt wohl kaum ein Mensch, der diese Wohnform der häuslichen Pflege vorzieht. Nach Einschätzung des Verfassers wird sich die Zahl der stationär gepflegten Menschen deshalb auch durch eine Stärkung der ambulanten Versorgung und Anhebung der ambulanten Versicherungsleistungen nicht nachhaltig verringern. Deswegen stellt sich die Frage, weshalb die stationär Gepflegten gegenüber denjenigen, die zu Hause leben, benachteiligt werden sollen. Ihre wirtschaftliche Belastung jedenfalls dürfte in der Regel höher sein. Fairer Wettbewerb Die ambulante Versorgung soll weiterhin durch Verträge mit Einzelpflegekräften gestärkt werden. Damit treten einzelne Pflegekräfte zu häuslichen Pflegediensten in Wettbewerb. Während Pflegedienste eine definierte Strukturqualität vorhalten müssen, unterliegen Einzelpflegekräfte diesen Regelungen nicht. Ein fairer Wettbewerb für alle Beteiligten setzt gleiche Bedingungen voraus. Diese sind im vorliegenden Gesetzentwurf nicht gegeben. Zu den in Privathaushalten beschäftigten Hilfskräften aus Osteuropa kommen künftig also noch Einzelpflegekräfte hinzu. Erklärtes Ziel des Gesetzentwurfs ist auch die Entbürokratisierung. Eine einfache Addition und Subtraktion der in der Gesetzeseinleitung aufgeführten neu geschaffenen mit den gestrichenen beziehungsweise geänderten Informationspflichten ergibt 15 neue Informationspflichten. Darüber hinaus enthält der Gesetzentwurf Öffnungsklauseln für zahlreiche neue Vorschriften. Ob der Entwurf diese vorgegebene Zielsetzung erfüllt, darf daher bezweifelt werden. Ralf-Rüdiger Kirchhof Aus der Heimstiftung 4/2007 11

Pflegebeispiel Die zweite Familie bereichert das Leben In der Tagesbetreuung im Robert-Breuning-Stift in Besigheim sind Menschen mit Demenz angenommen Wir wollen mit demenziell veränderten Menschen wie zu Hause leben. Diesem Anspruch versuchen Sabine Kleinschmager und ihr Team gerecht zu werden. Dass es ihnen gelingt, davon kann sich der Besucher überzeugen, wenn er für ein paar Stunden in eine Welt eintaucht, die so anders ist und in der doch versucht wird, ein Stück weit Normalität zu leben. Wenn ältere Menschen sich in ihrem Verhalten so verändern, dass es über normale Alterserscheinungen hinausgeht, reagieren Angehörige oft hilflos und sind völlig überfordert. Die Rolle, die der an Demenz erkrankte Mensch bisher in der Familie eingenommen hat, verändert sich langsam und das ist für alle Familienmitglieder eine Situation, die sie ohne Hilfe kaum oder nur sehr schwer bewältigen können. Herr V., der Haushaltsvorstand, wird immer vergesslicher und kann sich nur noch mit Mühe orientieren. Wir haben bisher immer alles miteinander besprochen und entschieden; das geht jetzt nicht mehr, berichtet seine Frau über die häusliche Lage. In der Tagesbetreuung in Besigheim wird jeder alte Mensch so angenommen, wie er ist. Wir erwarten nichts von unseren Gästen, macht die Leiterin der Tagesbetreuung klar. Dadurch ist der Umgang miteinander sehr entspannt und die Betreuten fühlen sich wohl, weil keinerlei Erwartungen an sie gestellt werden. Das heißt aber nicht, dass nichts getan wird, um die Gäste zu aktivieren und zu fördern. Nachdem Herr V. sich an diesem Morgen mehrmals von seiner Frau verabschiedet hat, betritt er freundlich lächelnd sein zweites Wohnzimmer. Es ist mit alten Möbeln und Bildern ausgestattet, wie sie auch in den Wohnungen der Gäste vorhanden sind, Pflanzen und selbst gefertigte Dekorationen tragen zu der anheimelnden Atmosphäre bei. Den Mittelpunkt des Raumes bildet ein großer Tisch mit ergonomischen Stühlen, wo jeder und jede möglichst immer am gleichen Platz sitzen kann, bequeme Liegesessel laden zur Erholung zwischendurch ein und trotzdem bleibt jeder ins Geschehen mit einbezogen. Der Blick durch die großen Fenster zeigt eine Terrasse mit angrenzender Grünfläche und Beete, die gemeinsam bepflanzt und gepflegt werden. Dabei ist Herr V. immer besonders aktiv, denn er ist begeisterter Gärtner. Keine Überforderung Inzwischen sitzt er auf seinem angestammten Platz und genießt seinen Kaffee. Das gemeinsame Frühstück ist ein schöner Start in den Tag. Nach dem Frühstück beginnen die Aktivitäten. Sie richten sich nach den Möglichkeiten der Einzelnen, nach dem Grad der Erkrankung und nach den 12 Aus der Heimstiftung 4/2007

Pflegebeispiel noch vorhandenen geistigen und körperlichen Fähigkeiten. Grundsätzlich soll niemand überfordert werden, aber auch eine Unterforderung möchten die Betreuer vermeiden. Da die Personenzahl auf acht Gäste beschränkt ist, können sie sich intensiv um die Gäste kümmern. Vormittags steht die kognitive Beschäftigung im Vordergrund, zum Beispiel bietet das Blättern in der Tageszeitung den Einstieg in Gespräche oder auch ein Thema, das vertieft werden kann. Letztens wurde über Kindheit gesprochen, aber dieses Thema gestaltete sich etwas schwierig, weil die meisten Gäste eine sehr schwere Kindheit hatten. Entspannte Atmosphäre Das gemeinsame Mittagessen ist ein weiterer Fixpunkt in der Tagesstruktur. Alle sitzen gemeinsam am Tisch und je nach Möglichkeit der Gäste bekommen sie Hilfestellung beim Essen. Es wird von der Küche des Robert-Breuning-Stifts gekocht und geliefert. Ab und zu bereiten die Betreuerinnen zusammen mit den Gästen Salate oder den Nachtisch selbst zu. Auffallend sind die ruhige und entspannte Atmosphäre und die freundliche und respektvolle Zuwendung, mit der die Betreuerinnen den ihnen anvertrauten Menschen begegnen. Aber nicht jeder Tag ist gleich, sie müssen sich immer wieder neu auf die jeweilige Tagesform der Gäste einstellen. Wenn zum Beispiel ein Gast ein starkes Bewegungsbedürfnis hat, ist es immer möglich, dass ihn jemand bei einem Spaziergang begleitet. Das Zusammensein mit den dementen Menschen macht allen Mitarbeiterinnen viel Freude, es ist ihnen nie zu viel, die immer wiederkehrenden Fragen zu beantworten. Einige Ehrenamtliche sind schon von Anfang an (Oktober 2005) dabei, jedoch gibt es auch Tage, die ihnen mehr abfordern. Dann ist es für Sabine Kleinschmager, die mit Unterstützung des Heimleiters die Tagesbetreuung gegründet hat, eine Herausforderung, alles im Griff zu haben. Auf die Nachfrage, wie sie sich an einem solchen Tag fühlt, gebraucht sie das Bild des Tellerjongleurs im Zirkus. Dann muss ich überall gleichzeitig sein und aufpassen, dass alle Teller sich harmonisch auf ihren Stäben drehen und mir keiner runterfällt. Selbstwertgefühl stärken Die Tagesbetreuung ist ein niederschwelliges Angebot der Mobilen Dienste. Sie ist jeden Donnerstag und Freitag von acht bis sechzehn Uhr geöffnet; es ist auch möglich, dass Gäste stundenweise kommen, wobei die Teilnahme ab mindestens zwei Stunden sinnvoll ist. Die Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit der Betreuung ist gewährleistet. Das Betreuungsteam besteht aus einer Fachkraft mit gerontopsychiatrischer Fachausbildung und derzeit acht ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen. Die Gäste treffen immer wieder dieselben Betreuerinnen, sehen immer wieder dieselben Gesichter, dadurch wird eine anfängliche Verunsicherung schnell beseitigt und Vertrauen entsteht. In der Gebor- genheit des geschützten Raumes wird das Selbstwertgefühl des Einzelnen gestärkt. Er kann so sein, wie er ist, seine Schwächen werden toleriert und er erfährt alle Hilfe, die er im Augenblick braucht. Dazu gehört neben positiver Bestätigung auch die Unterstützung beim Essen, bei der Körperpflege, beim Toilettengang. Uneingeschränkte Zuwendung Werden die Gäste nicht von ihren Angehörigen gebracht, können sie einen Fahrdienst in Anspruch nehmen. Bei der Übergabe können die Angehörigen die Betreuer über Befindlichkeiten und Tagesform der Gäste informieren. Dadurch fällt es auch denjenigen leichter, die ihre an Demenz Erkrankten schwer loslassen können, wenn sie spüren, dass diese gut aufgehoben sind. Die uneingeschränkte Zuwendung und Annahme überträgt sich wohltuend auf die alten Menschen und erweckt ein positives Lebensgefühl. Herr F. hatte zwischenzeitlich die Tagesbetreuung als sein Zuhause akzeptiert und abends in seiner Wohnung des Öfteren seine Frau bedrängt, dass sie ihn wieder dorthin zurückbringen möge. Auch dieses Problem wurde mit viel Geduld gelöst und inzwischen betrachtet er seinen Aufenthalt in der Tagesbetreuung als Besuch. Aus der Heimstiftung 4/2007 13

Freundeskreis Freundeskreis der Evangelischen Heimstiftung e.v. Geben Sie der Altenpflege ein menschliches Gesicht Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde des Freundeskreises der Evangelischen Heimstiftung, ein ereignisreiches Jahr geht zu Ende. Es bleibt der Sichtweise eines jeden Einzelnen überlassen, wie er das politisch-wirtschaftliche Klima in diesem Land beurteilt. Eines ist klar: Die Erfahrung von Armut, kontrastiert durch einen teilweise unvorstellbaren Reichtum, bleibt die belastende Spur, die sich auch in das neue Jahr hineinzieht. So sieht es auch Klaus-Dieter Kottnik, Präsident des Diakonischen Werkes der EKD. Für ihn ist kaum ein Problem in unserer Gesellschaft derzeit drängender als das der sich kontinuierlich öffnenden Schere zwischen Arm und Reich und all den persönlichen Desastern und gesellschaftlichen Verwerfungen im Gefolge einer um sich greifenden Armut. Was bleibt, ist ein übler Nachgeschmack. Auf wen können wir heutzutage eigentlich noch vertrauen? Gott. Gott enttäuscht uns nicht. Gott hält zu uns. Gott liebt uns. Geben wir doch bitte ein wenig dieser Liebe an diejenigen weiter, die unsere Liebe und Zuwendung mehr denn je brauchen. Wir möchten an dieser Stelle von denen sprechen, für die wir im Freundeskreis der Evangelischen Heimstiftung eine besondere Verantwortung übernommen haben: Ich meine die älteren, pflegebedürftigen Menschen in den Pflegeheimen. Helfen Sie bitte auch in Zukunft mit, dass diese Menschen Liebe und Zuwendung erhalten. Unterstützen Sie mit Ihrer Spende das Engagement des Freundeskreises der Evangelischen Heimstiftung. Mit Ihrer Spende finanzieren wir Projekte, die nicht über die Pflegesätze finanziert werden. Darfs a bissal mehra sei? Darfs a bissal mehra sei zu diesem Kabarett- Abend im Rahmen des Mosbacher Sommers waren die ehrenamtlich tätigen Mitarbeiter am 24. August eingeladen. In drei Autos, besetzt mit jeweils vier Personen, fuhren wir nach Mosbach, wo die Veranstaltung im Hospitalhof stattfand. Mit ihrer naiv-komischen Art hatte die Künstlerin Martina Schwarzmann die Zuhörer sofort auf ihrer Seite. Die Texte ihrer Lieder und ihrer Vorträge begeisterten immer wieder das Publikum. Es war ein gelungener Abend, für den sich die Ehrenamtlichen recht herzlich bedanken. Elisabeth Schramm, Ehrenamtliche im Dr.-Carl-Möricke-Altenstift, Neuenstadt Bitte begleiten Sie weiterhin unsere Arbeit und spenden Sie für eine gute Sache. Ich wünsche Ihnen und Ihrer Familie ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein gesundes neues Jahr 2008. Ihr Albert Thiele Vorstand des Freundeskreises In die Welt Demenzerkrankter eintreten Zahlreiche Teilnehmerinnen und Teilnehmer als Referentin für diesen Abend gewonnen folgten der Einladung der Evangelischen Heimstiftung Kloster Lorch zu einem Vortrag über die Kommunikation und Umgehensweise mit werden. Schwerpunkte des Referates waren Demenzerkrankte am 2. Oktober 2007. Das Dementen. Die lebhafte anschließende Diskussion rundete die informative Veranstaltung Pfl egeheim Kloster Lorch hatte sich entschieden, an der Veranstaltungsreihe In die Welt von ab und auch die anschließenden Gespräche Demenzerkrankten eintreten ausgehend unter den Besuchern lieferten noch zusätzlich vom Landratsamt Ostalbkreis teilzunehmen. interessante Informationen. Ein besonderes Die Ehrenamtlichen des Pfl egeheims, Angehörige und die Bevölkerung in Lorch und im gelischen Heimstiftung, mit deren Spende Dankeschön dem Freundeskreis der Evan- Ostalbkreis wurden hierzu eingeladen. diese Veranstaltung erst möglich wurde. Monika Böcker, Altentherapeutin, konnte Karen Zoller, Kloster Lorch Theaterfestival Auch in diesem Jahr haben wieder zehn Bewohnerinnen und Bewohner des Stephanuswerks bei einem Workshop des Theaterfestivals Isny teilgenommen. Der Meersburger Theaterpädagoge und Schauspieler Walter Koch hat mit einer 14-köpfi gen Gruppe behinderter und nicht behinderter Menschen im Rahmen des Kursangebots Integratives Theater an sechs Tagen kleine Theaterszenen entwickelt, die dann bei der Abschlusspräsentation aller Workshops im großen Veranstaltungszelt aufgeführt wurden. Mit ermöglicht wurde dies durch eine großzügige fi nanzielle Unterstützung des Freundeskreises der Evangelischen Heimstiftung. Anton Drescher, Stephanuswerk Isny 14 Aus der Heimstiftung 4/2007

Porträt Eine Brücke zur Außenwelt Brunhilde Setzer organisiert ehrenamtlich die Cafeteria im Karl-Wacker-Heim Am Anfang stand der Traum, eine Cafeteria für die Bewohner des Senioren- und Pflegeheims zu betreiben. Brunhilde Setzer und Pfarrer Fritz Egelhof haben ihn Wirklichkeit werden lassen und ein Team von Ehrenamtlichen aufgebaut. Dank ihrer Mithilfe hat das Café jeden Tag geöffnet und ist zu einem Ort der Begegnung geworden, den auch die Menschen im Stadtteil gerne nutzen. Wenn Brunhilde Setzer die Auslage des Kuchenbüfetts herrichtet, sind meist schon die ersten Plätze belegt und die älteren Damen warten ungeduldig, bis das Café öffnet. Für zweieinhalb Stunden herrscht dann ein munteres Stimmengewirr im Karl-Wacker-Heim: Käsekuchen und Schneckennudeln werden verzehrt, Kaffee und Cappuccino getrunken sowie das eine oder andere Viertele. Während viele Hausbewohner die Abwechslung genießen, um Schach zu spielen oder zu plaudern, haben die beiden Ehrenamtlichen alle Hände voll zu tun. Bis zu 50 Tassen Kaffee werden an einem Nachmittag aufgebrüht und wandern über die Theke. Dass der Kuchen gut, die Bedienung freundlich ist, hat sich mittlerweile auch herumgesprochen. Stammtische und Spielrunden haben sich eingefunden, ab und zu schauen auch Wandergruppen vorbei. Doch damit der Einsatz der Mitarbeiter reibungslos läuft, muss vorher alles genau abgesprochen werden. Und darum kümmert sich Brunhilde Setzer. Für den Stadtteil öffnen Mehr als 30 ehrenamtliche Helfer zählen zum Team, die meisten von ihnen sind von Anfang an dabei. Als vor sieben Jahren der Neubau eingeweiht worden war, zeigte sich bald, dass ein Café mit hauptamtlichen Mitarbeitern nicht zu finanzieren ist. Das schaffen wir, hat sich Brun- hilde Setzer vorgenommen, die dem Haus damals fast 20 Jahre verbunden war. Schon als sie noch Kirchengemeinderätin war, hat sie dort Andachten gehalten. Ihr war es immer ein Anliegen, das Heim für den Stadtteil zu öffnen. Auch heute noch besucht sie die Bewohner, wenn sie nicht gerade in der Cafeteria gefordert ist. All das hätte die Mutter zweier erwachsener Söhne nicht leisten können, wenn die Familie, insbesondere aber ihr Mann, nicht hinter ihr gestanden wären. Meine Söhne haben manchmal schon ein bisschen gescherzt: Sozialstation Setzer habe es geheißen, erinnert sie sich. Doch bei der Organisation der Helfer gibt es auch Engpässe, etwa an Weihnachten, berichtet Brunhilde Setzer. Dank Helga Linsner und Elisabeth Fischinger, die fast jeden Sonntag und noch viele Feiertage übernehmen, war die Cafeteria aber in all den Jahren noch nie geschlossen. Die Mitarbeiter spenden auch das Trinkgeld, das seit Jahren kontinuierlich steigt. Allein im vergangenen Jahr waren es mehr als 1000 Euro, die ebenfalls den Bewohnern komplett zugute kommen. Künstler werden davon bezahlt, die im Karl-Wacker-Heim für ein kulturelles Angebot sorgen, Theater spielen oder Chansons singen. Verstärkung für das Team So langsam sei es für sie Zeit, sich aus den Ehrenämtern zurückzuziehen, sagt die 73-Jährige. Um den Fortbestand der Cafeteria macht sie sich keine Sorgen: Ich bin überzeugt, dass das weitergeht, denn die Frauen sind mit vollem Einsatz dabei, obwohl manche von ihnen sogar noch berufstätig sind. Vielleicht bekommt das Team demnächst auch Zuwachs. Die Botnangerin Doris Loebel, die seit Jahren regelmäßig ins Karl-Wacker- Heim kommt, um ihre Mutter zu besuchen, wird vielleicht das Team verstärken, wenn sie demnächst in Rente geht. Sie findet, dass die Cafeteria eine große Bereicherung für das Haus ist. Für Brunhilde Setzer steht fest: Das zu Beginn gesetzte Ziel, dass die Cafeteria eine Brücke zwischen den Bewohnern des Karl- Wacker-Heims und der Außenwelt sein soll, ist ganz bestimmt erfüllt. Aus der Heimstiftung 4/2007 15

Aus meinem Leben Von der Mutter das Zitherspiel gelernt Ende 30er Jahre: Hildegard Bauernfeind (Mitte) mit Mutter und älterem Bruder Ende 30er Jahre: Hildegard Bauernfeind (auf dem Arm der Mutter) mit Vater, Opa und älterem Bruder neben dem Bienenhaus im Garten 1961: Hildegard Bauernfeind an ihrem Arbeitsplatz bei der Berufskleiderfabrik Karba in Oedheim/Kocher 1957: Der erste Auftritt mit der Zither im Gasthaus Stern in Neuenstadt/Kocher 70er Jahre: Hildegard Bauernfeind mit Hund Betti der Schwester Im Sudetenland geboren, erlebte Hildegard Bauernfeind nach einer glücklichen Kindheit in ländlichem Idyll die Schrecken des Krieges und der Vertreibung. Dabei führte sie ihr Weg ins Schwabenland, wo sie bald heimisch wurde und sich bis heute wohl fühlt. Ihr Leben im unteren Kochertal hat sie ihrem Beruf gewidmet, ihre Leidenschaft gehört den Puppen und dem Spiel einer Miniharfe. Seit Februar 2007 lebt Hildegard Bauernfeind im Dr.-Carl-Möricke-Altenstift in Neuenstadt am Kocher. Kurzbiografie Hildegard Bauernfeind, Dr.-Carl-Möricke- Altenstift in Neuenstadt am Kocher Hildegard Bauernfeind ist mein Name, geboren bin ich am 14. Dezember 1936 in Lanz bei Falkenau/Eger im Sudetenland als Zweitältestes von vier Kindern. Da gab es noch einen älteren Bruder, eine jüngere Schwester und der Jüngste war wieder ein Junge. Der Vater war Bergmann, unsere Mutter war ganz für uns da. Beide waren sehr musikalisch: Mein Vater spielte Cello, Geige, Gitarre und Mandoline, meine Mutter beherrschte das Zitherspiel. Das hat mich so fasziniert, dass ich es auch gelernt habe auf Mutters Instrument. Besonders schön fand ich, dass der Opa Imker war, denn sein Bienenhaus stand mitten in unserem großen Garten. Er kümmerte sich auch um die Hasen, unsere Ziege und das Schäfchen. Das Schäfchen mit seinem Glöckchen war natürlich unser Liebling. Alles in allem hatten wir eine schöne Kindheit und verbrachten die meiste Zeit im Freien. Selbst im Winter konnte uns fast nichts im Haus halten und die Winter waren damals noch sehr kalt. Der Höhepunkt des Tages war für uns Kinder, wenn die Eltern und andere Erwachsene mit uns am Abend die lange Rodelbahn hinuntersausten. Doch auf einmal war Krieg, und oft mussten wir direkt aus dem Unterricht in den Schutzraum rennen. In der Schule waren mein älterer Bruder und ich im selben Schulgebäude und ich weiß noch gut, wie er mich so manches Mal bei Bombenalarm an die Hand genommen hat und mit mir in den Schutzstollen gelaufen ist sozusagen zu Vaters Arbeitsplatz. Oft sind wir aber auch nach Hause gelaufen. Eines werde ich nie vergessen: Am strahlend blauen Himmel flogen zwei Flieger aufeinander zu, silberfarbig und klein wie Spielzeug, und haben sich gegenseitig beschossen. Vor Schrecken und Angst hatte ich mich da hinter einem Busch versteckt. Ich habe mich nicht getraut, zum Himmel zu schauen, so weiß ich bis heute nicht, wie die unheimliche Begegnung ausgegangen ist. Zum Glück bewahrte ein Fußleiden unseren Vater davor, eingezogen zu werden. Er musste lediglich die gefangenen Franzosen beaufsichtigen. 1948 mussten wir auch noch unser Haus aufgeben und wurden aus dem Sudetenland vertrieben. Zusammen mit anderen Familien hieß es: Rauf auf die Pritsche!, und so kamen wir per LKW nach Deutschland. Zunächst 16 Aus der Heimstiftung 4/2007

Aus meinem Leben fuhren wir ins bayerische Furth im Wald, wo wir die erste Nacht in einem abgestellten Güterzugwagen verbringen mussten. Das war wirklich sehr ungemütlich. In Furth begann dann für mich und meine Geschwister die deutschsprachige Schulzeit. Bei der deutschen Rechtschreibung hat mir der Brockhaus sehr geholfen. Schließlich bekam der Vater Arbeit in Schwandorf, wo ich eine Hutmacherlehre begonnen habe, der ich bis zu unserem überraschenden Umzug nach Neuenstadt am Kocher nachging. Sehr gerne hätte ich selbst Hüte entworfen, doch auch die spätere Arbeit als Verkäuferin in den Hutabteilungen der Kaufhäuser Merkur und Horten habe ich gerne gemacht. Später wollte ich gerne eine Bürostelle antreten und belegte Abendkurse in Steno und Maschineschreiben. Bei der Berufskleiderfabrik Karba in Oedheim bekam ich schließlich die Chance, im Büro zu arbeiten, wo ich 33 Jahre lang bis zu meinem Ruhestand 1994 in der Verwaltung saß. Ab jetzt hatte ich richtig Zeit für mein Hobby: Puppen. So bin ich immer wieder losgezogen und habe nach schönen Exemplaren auf Flohmärkten Ausschau gehalten. Das hat schon viel Geduld gebraucht, die wieder aufzumöbeln und dann auch noch schön einzukleiden. Gerne habe ich aber auch wieder Zither gespielt, solange es von den Händen her noch ging. Da hatten wir so manchen schönen Auftritt, auch Konzertreisen waren dabei. Kurz nach meinem Einzug ins Dr.-Carl-Möricke-Altenstift Anfang 2007 habe ich das Spiel der Miniharfe entdeckt. Inzwischen spiele ich das schöne Instrument leidenschaftlich gerne, da es sich auch mit einer Hand gut spielen lässt und mich auf schöne Weise für das nicht mehr mögliche Zitherspiel entschädigt. Vielleicht lässt sich die Miniharfe auch in die hier im Haus bestehende und sehr aktive Orff- Gruppe mit einbeziehen das würde mich sehr freuen. Obwohl mir die Umstellung von meiner ehemaligen Fünfzimmerwohnung in das schöne Balkonzimmer anfangs recht schwer gefallen ist, fühle ich mich jetzt sehr wohl und gut aufgehoben. Die Begegnung mit vielen netten Menschen lässt manches Wehwehchen vergessen, und ich genieße die Fürsorge der Betreuer und Betreuerinnen. Ich finde es einfach toll, dass ich zwischen diversen Freizeitangeboten wählen kann, wie Spiele-Runden, Basteln, Bibelstunde, Gottesdienst, Gymnastik, Kochen/ Backen oder Kinobesuche. Was ich auch sehr schätze, sind die musikalischen Veranstaltungen, wo man mitsingen kann. Und schön ist es auch, sich in der Cafeteria verwöhnen zu lassen oder einfach nur den schönen, großen Altenstiftspark zu genießen. Welches waren die schönsten Momente in Ihrem Leben? Da denke ich besonders an meine Kindheit. Wie herrlich wir die freie Natur genießen konnten, im Gegensatz zu Großstadtkindern. Auch an schöne Urlaubsreisen, den Führerschein und an mein erstes Auto. An welche Erlebnisse denken Sie nur ungern zurück? Als während der Kriegsjahre einmal ein Bomber tief über unser Haus geflogen ist und beim Bombenabwurf dann unser Haus bebte. Aber auch an die Vertreibung und das so genannte Durchgangslager, in dem wir acht Monate zubringen mussten. Was hat Ihr Leben besonders geprägt? Mein Beruf, auf den ich schon in frühen Jahren sehr bewusst hingearbeitet habe, da mir nichts geschenkt worden ist. Was sind für Sie die wichtigsten Lebenserfahrungen, die Sie einem jungen Menschen mit auf den Weg geben würden? Unbedingt einen Schulabschluss machen und einen Beruf erlernen, der Freude bereitet denn das Berufsleben kommt einem mitunter sehr lang vor. Aber auch Geduld, gute Laune und oft nur ein bisschen Verständnis den Mitmenschen gegenüber können das Leben schon viel einfacher machen. Christoph Ludwig Wir bedanken uns bei Hildegard Bauernfeind, die uns freundlicherweise Fotos aus ihrem privaten Fotoalbum zur Verfügung gestellt hat. 1951: Hildegard Bauernfeind (2. Reihe von oben, 4. von rechts, gemustertes Kleid) im Rahmen eines Zitherkonzerts Ende 50er Jahre: Hildegard Bauernfeind (mittleres Fenster rechts) auf Betriebsausfl ug nach Bayern 50er Jahre: Hildegard Bauernfeind (zweite von rechts) mit Chefi n (Mitte) und Kolleginnen bei der Modepräsentation auf der Wiese Aus der Heimstiftung 4/2007 17

Reportage Ein Lächeln für ein Lächeln Sechs Frauen haben über Ein-Euro-Jobs den Einstieg in den Pflegeberuf geschafft Sechs Frauen, sechs schwierige (Lebens-)Geschichten, ein glückliches Ende: Melanie und Eileen, Peggy, Karin, Galina und Sonja wurden arbeitslos, waren lange auf der Suche nach einem Arbeitsplatz, entschlossen sich zu einem Ein-Euro-Job. Inzwischen sind alle sechs fest angestellt. Nicht nur die Erleichterung ist ihnen ins Gesicht geschrieben, auch die Ängste haben Spuren hinterlassen. Die Ein-Euro-Jobberinnen sind für uns überaus wertvoll, lobt Swantje Popp, Direktorin im Johannes-Sichert- Haus. Die Einrichtung der Evangelischen Heimstiftung liegt im Grünen am Stadtrand von Tauberbischofsheim und bietet 81 Plätze bei 90 Beschäftigten, viele davon in Teilzeit. Die Frauen, geschickt auf Zeit von der zuständigen Arbeitsgemeinschaft für Arbeit und Soziales, sind eine wichtige Ergänzung der ehrenamtlichen Helfer und Helferinnen. Und, so Popp, sehr, sehr gerne hier, was sich begreiflicherweise positiv auf den Alltag im Haus auswirkt. Das Heim hat dank den Ein-Euro-Regelungen auf insgesamt 25 Mitarbeiterinnen zurückgreifen können, jede für jeweils sechs Monate. Nur in zwei Fällen gab es Probleme und schließlich die Trennung. Viele Frauen könnten wir, fachlich gesehen, sofort übernehmen, so Popp. Die sechs haben es geschafft. Sie arbeiten in der Hauswirtschaft oder als Pflegehelferinnen und Galina möchte auch noch eine Ausbildung machen. Sie ist mehrsprachig und kann ihr Russisch immer wieder gut gebrauchen, etwa bei dem freundlichen älteren Herrn, der, etwas ver- wirrt, auch schon mal vom Deutschen ins Russische fällt. Ich bin so froh, hier zu sein, sagt die 35-Jährige und spricht ihren Kolleginnen aus dem Herzen. Alle sind sie mit der großen Hoffnung auf einen Arbeitsplatz ins Johannes-Sichart-Haus gekommen. Aber Hoffnungen hatte sie auch schon früher viele, keine ging in Erfüllung, erzählt Peggy aus der früheren DDR. Schwieriger Abschied Wie die anderen fünf bringt sie Erfahrungen aus Gastronomie und Hotellerie mit. In doppelter Hinsicht sozusagen: Zum einen gehen Küchendienste oder die Arbeiten in den drei Wohnbereichen leichter von der Hand und zum andern lassen sich Vergleiche zwischen ihrer früheren und der heutigen Kundschaft ziehen. Sie fallen eindeutig aus. Als Kellnerin, berichtet Peggy, bin ich regelmäßig grundlos angemault worden. In der Altenpflege gebe es dagegen oft ein Lächeln für ein Lächeln. Keine Sonnen- ohne Schattenseiten. So erinnert sich Swantje Popp an den schwierigen Abschied von Ein-Euro- Kräften, die nicht übernommen wer- 18 Aus der Heimstiftung 4/2007

Reportage den konnten, und an die Tränen in den Augen, nicht nur bei denen, die gehen. Mehr als ein gutes Zeugnis und die besten Wünsche kann sie den Scheidenden nicht mitgeben. Immerhin nutzten einige die Tätigkeit im Heim als Sprungbrett in einen anderen Job. Oder: Es gilt eine Menge Hürden zu nehmen, ehe eine Zusammenarbeit zustande kommt. 90 Prozent der Kräfte, die von dem Haus als mögliche Mitarbeiterinnen genannt werden, melden sich nicht von selber. Man muss sehr, sehr aktiv dahinter her sein, sagt Popp. Das eine oder andere Mal habe sie beim Vorstellungsgespräch von den Arbeitslosen auch zu hören bekommen, der Termin finde nur statt, weil das Arbeitsamt das will. In der Regel allerdings lohnten sich Aufwand und Überzeugungsarbeit für beide Seiten. Bereicherung für alle Die geringfügig beschäftigten Frauen werden von Montag bis Freitag an 20 Tagen im Monat 4,5 Stunden pro Tag eingesetzt. Immer in Bereichen, in denen sie Regelarbeitsplätze ausdrücklich nicht tangieren. Die Abgrenzung ist nicht immer einfach, aber, so Popp, die Erfahrung macht s. Gezahlt wird nicht ein Euro, sondern eineinhalb, außerdem übernimmt das Haus die Fahrtkosten, im Regelfall in Gestalt einer Monatskarte. Von der Arbeitsgemeinschaft für Arbeit und Soziales werden drei Euro überwiesen. Die Differenz soll den Mehraufwand in jenen Einrichtungen honorieren, die Ein-Euro-Jobs zur Verfügung stellen, und Arbeitgeber sollen ermuntert werden, ihr Engagement fortzusetzen. Swantje Popp wird dies auf jeden Fall tun. Wir hoffen sehr, erklärt sie, dass wir die beantragten Kräfte auch weiterhin bekommen und dass die Regelungen nicht irgendwann auslaufen. Auch ihre sechs neuen Mitarbeiterinnen sehen den Ein-Euro-Job positiv. Nicht nur, weil wir übernommen worden sind, spricht Karin von einer Bereicherung für alle Beteiligten. Obendrein gibt es eine Menge Nicht sittenwidrig Offiziell handelt es sich um Arbeitsgelegenheiten mit Mehraufwandsentschädigung oder, noch technokratischer, Arbeitsgelegenheiten in der Mehraufwandsvariante. Ausgedacht wurden sie neben vielem anderen von Peter Hartz, im Rahmen der nach ihm benannten Reformen. Landläufig heißen sie indessen Ein-Euro-Jobs, sind nur mäßig beliebt und halten keineswegs immer, was sie versprechen: den leichteren Wiedereinstieg in den ersten Arbeitsmarkt. Eingeführt wurden die Ein-Euro- Jobs 2005. Parallel zum Arbeitslosengeld II erhalten die Betroffenen rund einen Euro zusätzlich pro Stunde manchmal nur 80 Cent, mit einigem Glück auch 1,50 Euro wenn sie, bis zu 30 Stunden monatlich, im öffentlichen Sektor arbeiten, in Kindergärten oder Alten- und Pflegeheimen, im Garten- und im Landschaftsbau. Natürlich sollen solche neu geschaffenen Arbeitsgelegenheiten keine regulären Arbeitsplätze vernichten, deshalb müssen sie im öffentlichen Interesse und wettbewerbsneutral sein, so die offizielle Auskunft der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Ein Ziel, das nach übereinstimmender Expertenmeinung keineswegs immer erreicht wird. Anerkennung aus dem persönlichen Umfeld, deutlich mehr als gedacht. In der Familie und im Freundeskreis, sie lächelt nicht ohne Stolz, sagen viele:,toll, was du da machst oder sogar Ich könnte das nie. Und nur wenige ahnten wohl wirklich, wie gut das tut. Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer Die Erfinder dieser extremen Form von geringfügiger Beschäftigung wollten auch der in Studien belegten Erkenntnis Rechnung tragen, dass Langzeitarbeitslose nicht nur unter ihren geringen finanziellen Möglichkeiten leiden, sondern auch darunter, nicht gebraucht zu werden. In der Realität der vergangenen zwei Jahre müssen vor allem Frauen mit den Mini-Jobs zufrieden sein. In Baden-Württemberg sind nicht nur 82 Prozent aller Teilzeitkräfte weiblich, sondern auch 75 Prozent aller geringfügig Beschäftigten, wobei die Statistik zwischen 400- und Ein-Euro-Jobs nicht unterscheidet. Immerhin befinden sich 17 Prozent aller Frauen im Land in derartigen Arbeitsverhältnissen. Zum Vergleich: Unter Männern üben nur fünf Prozent eine solche Tätigkeit aus. Die Agentur für Arbeit kann Arbeitslose zwar verpflichten, einen Ein- Euro-Job anzunehmen. Einen zulässigen und wirksamen Zwang, ihn tatsächlich anzutreten, gibt es aber nicht. Jedoch kann im Gegenzug das ALG II gekürzt werden. Als zumutbar gilt übrigens jede legale und nicht sittenwidrige Arbeit. Und: Während der sechs bis neun Monate, die die Tätigkeit in der Regel dauert, werden weder Ansprüche in der Renten- noch in der Arbeitslosenversicherung erworben. Aus der Heimstiftung 4/2007 19

Aus der Heimstiftung Selbstbestimmung statt Gängelung Pflegeforum Horizonte steht im Zeichen der Debatte über die Pflegereform Entheimt die Heime der Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung, Wolfgang D. Wanning, fordert ein Umdenken in der Altenpflege. Die anstehende Pflegereform sei eine Chance für eine echte Erneuerung. Beim Stuttgarter Pflegeforum Horizonte der Evangelischen Heimstiftung forderte Wanning, der Grundsatz ambulant vor stationär müsse zugunsten individuell differenzierter Angebote aufgegeben werden. Statt der heutigen Pflegeheime brauchen wir neue Wohnformen menschliches Antlitz statt institutioneller Prägung. menschliche Katastrophe, sondern komme die Solidargemeinschaft am Ende teurer zu stehen. Das Herzstück der Pflegeversicherung, die Rehabilitation, hat nie geschlagen, kritisierte Fussek. Die Pflegeheime, in die keiner will, werden nur gebraucht, weil ambulante Strukturen nicht vorhanden sind. Der Pflegekritiker, der seit drei Jahrzehnten für menschenwürdige Lebensbedingungen bedürftiger Menschen in der stationären und ambulanten Pflege engagiert ist, appellierte auch an die seriösen Träger stationärer Altenpflegeeinrichtungen, sich von den schwarzen Schafen der Branche stärker zu distanzieren. Deren Häuser müssen vom Markt, forderte Fussek. Der Sozialökonom Adrian Ottnad vom Bonner Institut für Wirtschaft und Gesellschaft sieht die größte Herausforderung für das Pflegesystem Vor mehr als 200 Führungskräften aus sozialen Einrichtungen, Kirche, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik plädierte Wanning für eine Entsäulung des Pflegesystems. Der Grundsatz ambulant vor stationär müsse zugunsten individuell differenzierter Angebote aufgegeben werden. Das Pflegeforum, zu dem die Evangelische Heimstiftung seit 2002 einmal im Jahr einlädt, stand unter dem Thema Vor der Reform der Pflegeversicherung: Was ist uns die Pflege älterer Menschen wert?. Der Münchner Pflegekritiker Claus Fussek warnte bei dem Podiumsgespräch davor, in der politischen Debatte nur über die Kosten zu diskutie- ren. Es ist genug Geld im System, sagte Fussek. Schuld an den jüngst vom Medizinischen Dienst der Krankenkassen öffentlich gemachten, zum Teil schweren Defiziten, seien gesetzliche Absurditäten. So würden die Krankenkassen prophylaktische Maßnahmen häufig nicht finanzieren. Wenn ein Betroffener dann zum Pflegefall werde, sei das nicht nur eine in der Bewältigung des demographischen Wandels. Die für die Sozialsysteme brisante Phase beginnt im Jahr 2015, sagte Ottnad. Die vorliegenden Pläne für die Pflegereform würden allerdings zeigen, dass die Politik sich noch nicht in ausreichendem Maße auf die demographischen Veränderungen eingestellt habe. Es reiche nicht aus, einzelne Schrauben im System neu zu justieren, um die bereits heute vorhandene strukturelle Unterfinanzierung auszugleichen. Wenn es uns nicht gelingt, auch die Pflegewahrscheinlichkeiten zu beeinflussen, laufen wir geradewegs in eine Sackgasse, warnte der Wissenschaftler. Stärkere Prophylaxe, etwa für 20 Aus der Heimstiftung 4/2007