Bildpredigt Sonntag, 8. November 2015 Thomas Seifert John McNaughton: Via Dolorosa Via Dolorosa ein, wie ich finde, provozierendes Bild eines amerikanischen Künstlers aus Utah, John McNaughton. Seine neuen Bilder haben die internationale Aufmerksamkeit von Millionen Menschen in den letzten Jahren angezogen. Es sind sehr detaillierte religiöse und patriotische Themen, die im Mittelpunkt seiner Bilder stehen. Er bevorzugt Darstellungen, von denen er glaubt, dass sie zeigen, was los ist in der Welt und die damit eine aktuelle Aussage machen. So sind seine Themen, auch dieses Via Dolorosa z. T. sehr umstritten. Wie bin ich auf dieses Bild gestoßen? Im Ethik- Unterricht behandelte ich im letzten Schuljahr die Weltreligionen ein religiöser Grundkurs, um die Jugendlichen an religiöses und kulturelles Basis- und Allgemeinwissen heranzuführen. Wir behandelten den Leidensweg Christi - und stießen durch Zufall auf dieses Bild, weil die Schüler einfach nur
sehen wollten, wie es in der berühmten Via Dolorosa in Jerusalem aussieht. Das Bild löste bei meinen Schülern schon deshalb erkennbare Aufmerksamkeit aus, weil sie Figuren der Weltgeschichte erkannten und diese wie in einem Wettbewerb ganz aufgeregt auch nennen wollten. Im Zentrum des Bildes sehen wir den geschundenen Jesus Christus, das Kreuz tragend, obwohl schon völlig erschöpft am Boden kniend. Gesicht und Hände blutend, als Folge der Folter und Unmenschlichkeit, die ihm widerfahren ist. Auf dem Kopf die Dornenkrone, Symbol der Verhöhnung des Menschen, den wir als Christen auch noch 2000 Jahre nach diesen Ereignissen als Teil der Trinität Vater, Sohn, Heiliger Geist anbeten. Drum herum scharen sich über Hundert Menschen verschiedener Epochen, verschiedener Herkunft, Menschen, die die Welt in unterschiedlicher Weise beeinflussten oder auch heute noch beeinflussen Politiker, Diktatoren, Theologen, Frauen, Männer, die diese Szene in sehr unterschiedlicher Weise betrachten und begleiten. Wir sehen betende,flehende, mit leidende Menschen wie Papst Johannes Paul oder Mutter Theresa, aber auch solche, die die Faust erheben, mit dem Finger auf ihn zeigen. Wir sehen die schlimmsten Diktatoren und Schlächter der Geschichte wie Hitler, Stalin oder auch Osama bin Laden. Wir finden den Verräter Judas und die Apostel. Viele andere könnten hier noch genannt werden. Sie alle symbolisieren die Menschheit in einer Welt, die nie zur Ruhe und zum Frieden gekommen ist. Sie alle symbolisieren das Leiden sowohl als Opfer als auch als Täter, aber auch Gleichgültigkeit und Ohnmacht. Wir erkennen daraus die symbolisierte Leidensgeschichte, die sich in der Person Jesu bis in die Gegenwart immer wieder neu
gestaltet für Millionen von Menschen, die unter Krieg, Verfolgung und Vernichtung leiden, immer wieder. Menschen, die auf der Flucht sind, Menschen, die aktuell hierher zu uns nach Deutschland kommen, um Schutz zu finden. Schauen wir auf das Bild. Wo stehen wir? Erkennen wir uns wieder? Schauen wir auf den Mann im Anzug. Er ist der einzige, der bei Christus steht, ihm nahe ist, ihm seine Hand auf die Schulter legt, der in einer weiteren Geste möglicherweise die Welt zum Einhalten auffordert. Dieser Mann steht für das moderne Christentum. Dieser Mann steht für uns - für unsere Haltung, für unsere Entscheidungen. Aber..wir wissen nicht Ist er der Steuer zahlende Christ? Ist er der Weihnachtenchrist? Ist er der Spenden und Lass-mich-sonst-zufrieden-Christ? Oder Ist er der aktive und handelnde Christ, der wahrnimmt, und Unrecht auch anklagt und in seine Gebete einschließt? War er beteiligt an den Widerstandsbewegungen von Christen in der ehemaligen DDR, ohne die es nie zur sog. Wende gekommen wäre? Oder gehörte er zu den mutigen Christen, die sich im nationalsozialistischen Widerstand, beispielsweise in der Bekennenden Kirche trotz großer Gefahr für Leib und Leben engagiert haben! gegen die große Masse, die zugesehen oder aktiv am Unrecht mitgewirkt hat?
Insgesamt bewundern wir solche mutigen Menschen. Wir nehmen sie in den Geschichtsbüchern auf, setzen ihnen Denkmäler, erwähnen sie in wichtigen Reden oder Predigten. Aber aus welcher Lebenssituation heraus? Wie ehrlich meinen wir das? als Wohlstandschristen? Wir leben in Deutschland in einer Gesellschaft, die so frei ist, wie noch nie zuvor. Das Nachkriegsdeutschland hat sich eine Gesellschaft aufgebaut, in der niemand Angst vor Verfolgung oder Verelendung haben muss. Wir leben erstmalig seit dem Krieg in einem Rechtsstaat. Unsere Verfassung ist das höchste Gut gesellschaftlichen Miteinanders. Aber was machen wir daraus, statt Gott für dieses Geschenk zu danken? Wir verleugnen unsere kulturellen und religiösen Wurzeln und beklagen gleichzeitig einen zunehmenden Werteverfall. Wie geht das denn? Wie gehen wir denn um mit einer wachsenden Gleichgültigkeit? In über 60 Ländern werde Christen verfolgt. Nicht einmal einfachste Menschenrechte werden ihnen gewährt. Sie haben keine Chancen ihren Glauben frei und ohne Angst ausüben zu können. Kirchen brennen, Kirchen dürfen nicht gebaut werden, in der Bibel zu lesen, kann lebensgefährlich sein. Aber ehrlich wen interessiert es! Wie stehen wir dazu in unserer Welt der Sozialromantik? Wollen wir das überhaupt hören und wahrnehmen? Klagen wir an? Oder schenken wir wie immer - den Tätern größere Aufmerksamkeit als den Opfern?
Wo sehen wir uns auf diesem Bild? Viel eher stellen wir uns die Frage: Was ist das für ein lieber Gott, der dieses Elend, ja sogar den Tod seines eigenen Sohnes zulässt? Ist diese Frage überhaupt zulässig? Gott ist aber kein lieber Gott, wie wir ihn gerne hätten, überhaupt nicht. Er ist ein liebender, Gott. Den Unterschied müssen wir erst einmal begreifen. Natürlich, in schweren Zeiten verzweifeln viele Menschen an Gott. Beim Tod oder schwerer Krankheit eines lieben Angehörigen oder Freundes, bei Krieg und Vertreibung stellt sich die Frage schon. Das scheint menschlich eben menschlich. Aber - persönliches Schicksal können wir nicht beeinflussen - wie wir unsere Welt gestalten, schon. Denn wir sind gehalten, diese Welt verantwortungsbewusst zu gestalten. Das ist kein Freibrief und dennoch dürfen wir so frei sein. Gott lädt uns ein, in Freiheit zu entscheiden, wie wir unsere Welt gestalten. Das ist eine ungeheuerliche und großartige Einladung ohne Einschränkung. Aber sie bedeutet auch eine große Verantwortung vor Gott und den Menschen. Und diese Einladung ist personifiziert in dem Mann, der hier fast am Boden liegend, das Unrecht dieser Welt mit dem Kreuz tragend, seinem irdischen Tod durch die grausame Hinrichtung am Kreuz entgegen sieht. Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?
Millionen Menschen dieser Welt haben sich schon diese Frage gestellt könnten mit ihrem Schicksal in dieses Bild eingefügt werden - und haben dennoch immer wieder auf Gott vertraut so wie der Gekreuzigte selbst. Gott selbst beantwortet diese Frage mit seiner Liebe, die er in diese Welt senden will, genau eben durch den hier geschundenen Jesus Christus. So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. So lesen wir bei Joh.3,16 Vertrauen wir diesen Worten? Leben wir noch in dem Vertrauen, dass Gott lebt? Tot ist er jedenfalls nicht. Er ist auch nicht aus unseren Sinnen verschwunden. Oft unbewusst erinnern wir uns seiner in Sprichworten, in nicht nur religiösen Riten. Nein, selbst in der Situation der vermeintlichen Niederlage steht er hier im Mittelpunkt der abgebildeten Gesellschaft. Mitten unter uns. Warum nehmen wir ihn so wenig wahr? Seine Einladung gilt seit 2000 Jahren immer wieder neu und für alle, die sich darauf einlassen wollen in freier Entscheidung. Und in diesem Sinne möchte ich Rita Stoeresund, Simone Müller-Beck und Christian Schmidt willkommen heißen am Arbeitsplatz Hoffnungskirche. Und das ist nicht immer eine leichte Aufgabe. Danke dafür, dass Sie für unsere Gemeinde und mit unserer Gemeinde arbeiten wollen. In der Hoffnung, dass Sie sich in unserer Mitte wohl fühlen wünsche ich Ihnen von dieser Stelle aus Freude an Ihrer Arbeit und auch Erfolg mit Gottes Segen.
Amen