Wer nicht mit der Zeit geht, (der) geht mit der Zeit!? Vom Wandel musikalischer Wertschöpfungsketten im Long Tail



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Transkript:

Wer nicht mit der Zeit geht, (der) geht mit der Zeit!? Vom Wandel musikalischer Wertschöpfungsketten im Long Tail Sebastian Vogt, München, 11.11.2011

I. Mediamorphosen des Musikschaffens Erste grafische Mediamorphose (Antike) Zweite grafische Mediamorphose (ab dem 15. Jhd.) Chemisch-mechanische Mediamorphose (ab dem 19. Jhd.) Elektronische Mediamorphose (ab den 1920er Jahren) Innovation grafische Unikate Druckpresse + Druckpapier = massenhafter Notendruck Tonträger u.a. Phonograph, Grammophon, Schellack-Schallplatten elektronische Medien u.a. Film, Fernsehen, Hörfunk Effekt Musiker = Dienstleister + Live-Darbietende Musiker abhängig von Mäzenen sowie Rezipienten Produktionsseite (Komponist) Distributionsseite (Verleger) Tantieme (Urheberrecht) Aufnahme und Vertrieb von musikalischen Darbietungen Tonträgerindustrie neue Einkommensmöglichkeiten in der Kulturindustrie i. A. a. Sperlich, R. (2007). Popularmusik in der digitalen Mediamorphose : Wandel des Musikschaffens von Rock- und elektronischer Musik in Österreich. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag.

I. Mediamorphosen des Musikschaffens Digitale Mediamorphose (ab den 1970er Jahren) Mikroprozessoren u.a. in (Musik-)Computern Innovation digitale Netzwerke Reduzierung der Markteintrittsbarrieren durch neue Produktions- und Vertriebsmöglichkeiten Effekt Disintermediation traditioneller Musikmarktmittler i. A. a. Sperlich, R. (2007). Popularmusik in der digitalen Mediamorphose : Wandel des Musikschaffens von Rock- und elektronischer Musik in Österreich. Wiesbaden: Deutscher Universitäts-Verlag.

II. Forschungsansatz: Long Tail Theorie Wandel der Wertschöpfungskette in der Musikindustrie in Folge der Digitalisierung (i. A. a. Anderson, 2007) Demokratisierung der Produktionsmittel Peer Production Demokratisierung des Vertriebs Verbindung von Angebot und Nachfrage Studie: Vogt, S. (2011). Ich bin der Musikant mit Laptop in der Hand!? Vom Einfluss technischer Innovationen auf den Produktionsprozess von elektronischer Musik. Ein Rückblick auf die Jahre 1997 bis 2007. Ilmenau: Universitäts-Verlag Ilmenau.

Innovation - Virtualisierung des Tonstudios = native Generierung und Verarbeitung von Audio auf Standard-PCs Ich habe jetzt eine Maschine (Anmerkung: zeigt auf einen Apple Laptop), mit der ich arbeite. Sie ist so groß wie eine GEO- Zeitschrift. Die klappe ich auf und dann stehen mir 50 Spuren in 24-Bit-Wave-Qualität sowie Bearbeitung und Automation zur Verfügung. (Richter, 2008, Z31) Es gibt heute niemanden mehr in der westlichen Welt, der ernsthaft behaupten kann, sein musikalisches Walten scheitert an Produktionsmitteln. Das ist ein Riesenschritt. Es ist wirklich ein Durchbruch für die Menschheit. (Behles, 2008, Z44)

Innovation - Digitale Vernetzung: Peer Producation / Co-Located Musical Networks Wir haben ja auch diese neuen Formen der Laptop-Musik oder Notebook-Musik, wo wir uns überall treffen und vernetzen können. Vernetzung in diesem Sinne ist schon gelebte Realität. Dass man kommt und sagt, wir vernetzen jetzt unsere beiden Notebooks und setzen uns nebeneinander auf das Sofa und jammen ein bisschen. (Großmann, 2008, Z129)

Innovation - Digitale Vernetzung: Peer Production / Music Composition Support Systems asynchrone, internetweite Produktion via Email MIDI-Daten Audio-Daten Ich arbeite an einem Pop-Projekt mit einem Kollegen aus Hamburg zusammen [ ] Wir telefonieren permanent:,ich mache jetzt gerade diese Änderungen. Ich schicke dir das gleich per Email. Dann kannst du das in das Projekt einbauen. Fünf Minuten später ist die MIDI-Datei bei mir. (Richter, 2008, Z45) Je nach Produktion arbeite ich bspw. mit Instrumentalisten in Los Angeles zusammen. Ich bastel tagsüber das Arbeitsplayback zusammen und versende es dann per Email als mp3 an die Musiker [ ] Und wenn ich am nächsten Morgen wieder im Studio bin, sind die Instrumente fertig aufgenommen, liegen als Wave-Datei in meinem Postfach, klingen gut und ich muss sie nur noch in die Session einsetzen. (Zier, 2008, Z38) Projekt-Daten Mein Partner hat ein Studio in Düsseldorf, das sieht in etwa so aus wie meins [ ] Wir tauschen unsere Songs als Logic-Projekt via Email aus. (Bartos, 2008, Z35)

Innovation - Digitale Vernetzung: Peer Production / Music Composition Support Systems Ich habe vor zwei Jahren ein eigenes CT Projekt mit Filmmusik gemacht. Es sollte Filmmusik für wirklich existierende oder imaginäre Filme geschrieben werden [ ] Ich würde vielleicht maximal zwei Personen im Umkreis von Köln oder in meinem Bekanntenkreis finden, die sich für so etwas interessieren. Aber im Internet findet man für relativ spezielle Interessen Leute [ ] Das ist halt ein lebendiges Kollektiv. Und es ist sehr viel einfacher, Mitstreiter für bestimmte Dinge zu finden und das auch dann durchzuziehen [ ] Man hat den Austausch [...] Geld verdienen wir damit nicht. (Peters, 2008, Z44) asynchrone, internetweite Produktion in virtuellen Gemeinschaften

III. Forschungsergebnisse (Auswahl) Innovation - Digitale Vernetzung: Peer Production / Music Composition Support Systems Ich kann auf meinem Keyboard ganz gut Saxophon-Phrasen spielen. Mittlerweile gibt es genügend Samples, die einigermaßen klingen wie ein Saxophon. Aber wenn ich mir einen richtigen Saxophonisten über Digital Musician nehme, ist mein synthesizer-emuliertes Saxophonspiel albern dagegen [...] Durch die Internetgeschichte hat man wieder die Möglichkeit, wirklich reale Musiker zu finden und auf seinen Produktionen zu haben oder selbst mitzuspielen bei anderen Leuten. Das finde ich sehr gut. Das holt einen aus dieser Isolation des sogenannten Homerecordings heraus, was ja dreißig Jahre lang Thema war. (Rürup, 2008, Z43) asynchrone, internetweite Produktion 2004: Digital Musician Net im onlinebasierten Tonstudio

Innovation - Digitale Vernetzung: Peer Production / Music Composition Support Systems Ich war auf den Live Looping Festival in Santa Cruz eingeladen, bin aber nicht hingefahren. Es gab die Möglichkeit, Internetjams zu machen, die auch live waren. Herr Boysen, ein Flötist aus Stockholm war vor Ort. Er hat vor Publikum live gespielt mit Loops [ ] Und dann habe ich praktisch, bei denen war das Konzert nachmittags, im Schlafanzug mitternachts hier gesessen und mit NINJAM einen Jam gemacht [...] Ich habe das gehört, was er spielte. Und die Leute im Saal haben gehört, was ich spiele. Das Konzert war schon fast auf der anderen Seite der Erde. (Peters, 2008, Z106) 2005: NINJAM synchrone, internetweite Performance

Innovation - Digitale Vernetzung: Demokratisierung des Vertriebs Der klassische physische Tonträgermarkt ist ein auf Massenkopien ausgelegter Reproduktionsprozess. Kleinstauflagen (< 1000 Stück) lohnen sich nicht. Wenn im klassischen Musikvertrieb ein Umsatz x nicht in der Zeit y kommt, dann fliegt der Artikel aus dem Rechner raus und ist nicht mehr gelistet. Und dann kann auch kein Händler ihn mehr bestellen. (Becker, 2008, Z52) In virtuellen Musikmärkten wird das massenhafte Abdecken der Nachfrage nach Nicht-Hits (Nischenmusik) in Kleinstmengen zu einem wichtigen Geschäftsfeld. Long Tail Aggregatoren selten Gatekeeper in den Distributionskanälen Für die Platzierung der virtuellen Ware auf den verschiedenen Musik-Portalen, dem Verhandeln und Abrechnen von Vergütungshöhen pro Download sowie dem Einpflegen von Metadaten sind die Dienste von spezialisierten Intermediären notwendig (Gorges, 2008, Z33; Dommert, 2008, Z49).

Innovation - Digitale Vernetzung: Verbindung von Angebot und Nachfrage Plattforminnovationen Do-It-Yourself - Werkzeuge für den Aufbau und die Pflege von virtuellen Gemeinschaften Soziale Netzwerke Generierung von Reputation Live-Auftritte Tätigkeiten in der Medienund Kulturgüterindustrie Marketing Künstler Produkte Musik und Künstler (wieder) entdecken Kollaboration Marktbeobachtung

Dr. Sebastian Vogt Lehrstuhlvertretung FernUniversität in Hagen Lehrgebiet Bildungstechnologie Universitätsstr. 11 (TGZ) D-58084 Hagen sebastian.vogt@fernuni-hagen.de