Historische Medienkritik Platon: Sokrates Kritik am Geschriebenen von Dominik C. Bausch 1. Einleitung Eines der ältesten Medien der Kommunikationsgeschichte ist die Schrift. Ohne die Schrift wären heutige technologische Standards niemals erreicht worden, geschweige denn die zivilisierte Welt. Die Schrift ist die Grundlage für die heutige Kommunikationswirtschaft in der Information und Wissen manchmal mehr Macht bedeuten als finanzielle Kaufkraft. Dennoch wurde von einem bekannten Philosophen Kritik an diesem scheinbar wundervollen Werkzeug des Wissens geübt Platon. Diesem Artikel liegt thematisch die Kritik Platons am Geschriebenen zugrunde. Der Sinn dieses Artikels ist die Kritik an der Schrift, welche in Platons Phaidros ausgeübt wird, als Thesen aus dem Text heraus zu arbeiten und kritisch zu reflektieren. 2. Platon: Kurzbiographie (vgl. Wikipedia) * 427 v. Chr., 347 v. Chr. Platon war ein griechischer Philosoph und Schüler des Sokrates. Er gründete 387 v. Chr. in Athen eine eigene Philosophenschule, die Akademie. Platons Philosophie ist die klassische Form des Idealismus. Kern seiner Lehre sind die Ideen, die unveränderlichen Urbilder, denen im Gegensatz zu den wahrnehmbaren Dingen, den Abbildern der Ideen, wirklich Existenz zukommt. Höchste Idee ist die Idee des Guten, aus der die anderen Tugenden abgeleitet werden. In seinem Politikkonzept entwirft Platon das Bild des bestmöglichen Staates, an dessen Spitze der Beste, der mit Einsicht Regierende (Philosophenkönig) stehen soll. Seine bekanntesten Werke: Apologie, Politeia, Gorgias, Kratylos, Symposion, Phaidros, Timaios. Platons Werke haben fast alle die Form von Dialogen. In den ersten, bald nach Sokrates Tod niedergeschriebenen Dialogen ist dieser die beherrschende Gestalt. Auch in fast allen späteren Schriften spielt er eine Rolle. 3. Phaidros oder Von dem Schönen: Inhalt Auf dem Weg in die Stadt trifft Sokrates den jungen Phaidros, der gerade von Lysias kommt. Beschwingt von der Rede des Lysias überzeugt Phaidros Sokrates ihm in die Natur, an einen Bach, zu folgen um der Rede des Lysias zu lauschen. Die Rede von Lysias handelt von
Vertrauen, das man dem Nichtverliebten entgegen bringen sollte, nicht dem Verliebten, da dieser (der Nichtverliebte) zuverlässiger sei. Nachdem Sokrates und Phaidros den Bach erreicht hatten, trägt Phaidros die Rede des Lysias vor. Als Phaidros die Rede beendet hat, macht sich Sokrates im Spaße, um Phaidros zu necken, über die Rede und die Rhetorik des Lysias lustig. Erzürnt von der Kritik des Sokrates zwingt Phaidros durch geschickte verbale Attacken, Sokrates gleichermaßen eine Rede zu halten. Die erste Rede des Sokrates hat den Sinn den Inhalt der Rede des Lysias in einer besseren Rhetorik wiederzugeben. Hierbei beweißt Sokrates seine Gute Art zu Reden und bestätigt Phaidros, dass die Rede des Lysias weitaus kunstvoller gestaltet werden kann. Von seiner eigenen Rede in Fahrt gebracht will Sokrates eine zweite halten. Ebenso ist Phaidros von der Redekunst des Sokrates so begeistert, dass er ebenfalls einer weiteren Rede lauschen möchte. Diese Rede stammt von Stesichoros und wird von Sokrates in ausgezeichneter Rhetorik vorgetragen. Von den Reden aufgeheizt diskutieren Sokrates und Phaidros nun über die Redekunst im Allgemeinen und stellen fest, dass nur der ein guter Redner ist, welcher das Wesen der Dinge und die Seele der Zuhörer kennt. Des Weiteren diskutieren Sokrates und Phaidros über die Schriftlichkeit (Dieses Gespräch stellt das Zentrum dieses Artikels dar. Hierbei werden die Thesen des Sokrates herausgefiltert, kommentiert und kritisch analysiert). Mit einer Botschaft an Lysias endet das Treffen von Sokrates und Phaidros. 4. Thesen des Sokrates zur Kritik an der Schrift Im Folgenden werden die schriftkritischen Textstellen im Phaidros-Dialog herausgefiltert und analysiert. 4.1 Theuth-Mythos 4.1.1 Theuth-Mythos: Textstelle Als er aber an die Buchstaben gekommen, habe Theuth gesagt: Diese Kunst, o König, wird die Ägypter weiser machen und gedächtnisreicher, denn als ein Mittel für den Verstand und das Gedächtnis ist sie erfunden. Jener aber habe erwidert: O kunstreichster Theuth, einer weiß, was zu den Künsten gehört, ans Licht zu gebären; ein anderer zu beurteilen, wie viel Schaden und Vorteil sie denen bringen, die sie gebrauchen werden. So hast auch du jetzt [275a] als Vater der Buchstaben aus Liebe das Gegenteil dessen gesagt, was sie bewirken. Denn diese Erfindung wird der Lernenden Seelen vielmehr Vergessenheit einflößen aus Vernachlässigung des Gedächtnisses, weil sie im Vertrauen auf die Schrift sich nur von außen vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich sich selbst und unmittelbar erinnern werden. Nicht also für das Gedächtnis, sondern nur für die Erinnerung hast du ein Mittel erfunden, und
von der Weisheit bringst du deinen Lehrlingen nur den Schein bei, nicht die Sache selbst. Denn indem sie nun vieles gehört haben ohne Unterricht, werden sie sich auch vielwissend [b] zu sein dünken, da sie doch unwissend größtenteils sind, und schwer zu behandeln, nachdem sie dünkelweise geworden statt weise. (Platons Phaidros) 4.1.2 Theuth-Mythos: These Diese Textstelle bezeichnet das Medium der Schrift als Medium, welches die Menschen nicht Wissen, sondern Vergessenheit lehrt. Die Eigenschaft der Schrift Wissen durch Vervielfältigung von Werken zu vermitteln, wird bei tiefgehender philosophischer Betrachtung als negativ dargestellt. Durch die Tatsache, dass sich die Menschen nicht mehr mit dem Geschriebenen auseinandersetzen, verlieren Sie die Fähigkeit das niedergeschriebene Wissen selbstkritisch zu reflektieren und es zu hinterfragen. Hierbei wird nicht die geistige Performance gefördert, sondern lediglich die Fähigkeit, bereits erkannte Dinge wiederzugeben ohne jedoch den Weg zu kennen, der zu diesem Wissen geführt hat. Die Schrift führt sozusagen zu einem falschen Wissen, da der vermeintlich Erleuchtete sich nicht selbst zur Erkenntnis gebracht hat und somit nur bereits Erfahrungswerte und vor allem lediglich Ergebnisse eines anderen wiedergeben kann. 4.1.3 Theuth-Mythos: Kritische Betrachtung der These Die Kritik an der Schrift durch Platon ist im Grunde sehr verständlich. Natürlich ist es in vielen Fällen so, dass in Schriften nicht reflektiert, sondern das Erworbene einfach wiedergegeben werden. Jedoch muss man sich hier die Frage stellen: Was wird durch die Schrift ermöglicht? Vielleicht ist gerade der Fakt, dass man bereits Erforschtes und somit das Wissen darüber erwirbt, einer der Vorteile der Schrift. Durch die Schrift kann eine Basis zu weiteren Forschungen und Erkenntnissen geschaffen werden. Einer der Gründe für eine rasche kulturelle Weiterentwicklung der Menschheit ist die Schrift. Sie hat ermöglicht, der Allgemeinheit eine breite Wissensbasis zu liefern, um bereits Erkannte Dinge weiter zu entwickeln und weitere Erkenntnisse daraus zu ziehen. Selbstverständlich ist es um den Prozess der Weiterentwicklung voran zu treiben eine Notwendigkeit, das Niedergeschriebene kritisch zu reflektieren und das Wesen der Erkenntnis zu begreifen. Schrift ist also nicht zwangsläufig ein schlechtes Medium. Platon geht in seiner These davon aus, dass der Mensch nach dem Gelesenen kein näheres Interesse an der Erkenntnis entwickelt und somit langfristig nicht mehr als eine Erkenntnis-Kopier-Maschine ist. Meiner Meinung nach ist die Schrift ein Medium, welches Interesse weckt. Dieser Prozess basiert auf der Wissensvermittlung, die durch das Geschriebene stattfindet. Hierdurch wird man zum Nachdenken angeregt, man wird mit Erkenntnissen und Theorien anderer konfrontiert, welche das Voranschreiten in einem kontinuierlichen Entwicklungsprozess positiv unterstützen.
4.2 Die Hilflose Schrift 4.2.1 Die Hilflose Schrift: Textstelle Denn dieses Schlimme hat doch die Schrift, Phaidros, und ist darin ganz eigentlich der Malerei ähnlich; denn auch diese stellt ihre Ausgeburten hin als lebend, wenn man sie aber etwas fragt, so schweigen sie gar ehrwürdig still. Ebenso auch die Schriften. Du könntest glauben, sie sprächen, als verständen sie etwas, fragst du sie aber lernbegierig über das Gesagte, so enthalten sie doch nur ein und dasselbe stets. Ist sie aber einmal [e] geschrieben, so schweift auch überall jede Rede gleichermaßen unter denen umher, die sie verstehen, und unter denen, für die sie nicht gehört, und versteht nicht, zu wem sie reden soll, und zu wem nicht. Und wird sie beleidigt oder unverdienterweise beschimpft, so bedarf sie immer ihres Vaters Hilfe; denn selbst ist sie weder sich zu schützen noch zu helfen imstande. (Platons Phaidros) 4.2.2 Die Hilflose Schrift: These Diese Textstelle zielt auf den Kommunikationsprozess ab, der durch die Schrift ermöglicht wird. Die Schrift wird als totes Medium ausgezeichnet und lässt auf diese Weise keinen dynamischen Kommunikationsprozess zu. Platon geht davon aus, dass beim Medium der Schrift immer der Sender der Botschaft anwesend sein muss, um dem Rezipienten zu ermöglichen, den Text weiter zu hinterfragen, da die Schrift bzw. der Text allein dem Rezipienten das Wesen der Erkenntnis, also die Grundlage der Botschaft, nicht näher bringen kann. Um einen dynamischen Prozess zu entwickeln, ist eine direkte Verbindung vom Sender der Botschaft und Rezipient der Botschaft notwendig. 4.2.3 Die Hilflose Schrift: Kritische Betrachtung der These Unter Betrachtung der damaligen technischen Situation und der Tatsache dass der Sender in vielen Situationen weit entfernt war, hat Platon in seiner Kritik Recht. Geschriebenes war damals ein totes Medium, dass zu weiterer Hinterfragung jemanden bedurfte, der das Wesen des Geschriebenen kennt z.b. der Sender der Botschaft. In der heutigen Zeit wurde durch die neuen Kommunikationswege der Schrift ein lebendigeres Wesen verliehen. Texte können jederzeit kritisch hinterfragt werden, da die Sender der Botschaften leicht und schnell erreichbar sind (E-Mail, Telefon etc.). Zum weiteren Verständnis des Geschriebenen sind oft tiefere Kenntnisse erforderlich und machen im Bezug auf die Schrift immer noch den Sender zum Protagonisten des modernen Kommunikations- und Vermittlungsprozesses. 4.3 Das falsche Wissen 4.3.1 Das falsche Wissen: Textstelle
Dass wenn, es sei nun Lysias oder ein anderer, jemals etwas geschrieben hat oder schreiben wird, in besonderen Angelegenheiten oder in öffentlichen, indem er Gesetze vorschlägt, also eine Staatsschrift verfasst, in der Meinung, es sei große Gründlichkeit und Klarheit darin, das gereicht dem Schreibenden zu Schimpf, es mag es ihm nun einer vorrücken oder nicht. Denn Tag und Nacht nicht unterscheiden zu können im Gerechten [e] und Ungerechten, Bösen und Guten, das ist in der Tat unabwendlich das allerschimpflichste, und wenn auch das ganze Volk es lobte (Platons Phaidros) Wer aber weiß, dass in einer geschriebenen Rede über jeden Gegenstand vieles notwendig nur Spiel sein muss, und dass keine Rede gemessen oder ungemessen, sonderlich der Mühe wert geschrieben sei noch auch gesprochen, so viele nämlich ohne tiefere Untersuchung und Belehrung nur des Überredens wegen zusammengearbeitet und gesprochen worden, sondern in der [278a] Tat auch die besten unter ihnen nur zur Erinnerung gedient haben für den schon unterrichteten. (Platons Phaidros) 4.3.2 Das falsche Wissen: These In diesen Passagen zieht Sokrates ein Fazit über die Gefährlichkeit der Schrift. Wenn der Mensch (hier das Volk) das Geschriebene nur lobt, ohne es zu hinterfragen, läuft es Gefahr, durch das Sender-Schrift-Rezipientenverhältnis getäuscht zu werden, da das Grundwesen des Wissens, also die Erkenntnis, beim Sender bleibt. Somit wird eine Fehlinterpretation möglich, z.b. Verbreitung falscher Ideologien bzw. Fehlinformationen im Allgemeinen. Es besteht die Notwendigkeit jede Botschaft zu prüfen und für sich selbst ihren Inhalt zu reflektieren, um das Wesen zu begreifen. Die Aussage dieser Textstellen ist, dass man nicht blind der Schrift folgen darf, sondern immer nach dem tieferen Sinn bzw. des Erkenntnisweges streben sollte. 4.3.3 Das falsche Wissen: Kritische Betrachtung der These Gerade in der heutigen Zeit sehe ich Platons Ansichten mehr bestätigt denn je. Im Zeitalter der modernen Kommunikationsmedien werden Informationen schnell generiert und weitergeleitet. Texte, die weltweit zur Verfügung gestellt werden, sind kaum vollständig auf ihren Inhalt und vor allem auf ihre Richtigkeit prüfbar. Diese undurchsichtige Situation bietet Nährboden für falsches bzw. auch gefährliches Wissen. Wie die Geschichte mehrfach gezeigt hat, neigt der Mensch dazu, Wissen wenig zu hinterfragen und sich somit auf Gräueltaten einzulassen, die ihm von einem Sender als wahrhaft und Gut angepriesen werden. Prüft man seine Texte bzw. Informationen nicht gründlich genug, ist es unausweichlich, dass der Redner denkt er hätte Wissen zum Lehren, jedoch weiß er nichts, da er das Wesen der Dinge nicht erkannt hat. (Platons Phaidros) 5. Fazit Als Schlussresümee über Platons Kritik am Geschriebenen kann man durchaus sagen, dass seine Kritik sehr wohl angebracht und treffend ist. Die Schrift ist ein Medium, welches zur Vermittlung und nicht zur Bildung von Information dient. Die tiefere Erkenntnis über das
Wesen der Botschaft bzw. der Texte bleibt beim Sender der Information. Der Rezipient wird das Wesen (Seele der Nachricht) nur erkennen, wenn er im direkten Austausch mit dem Sender der Botschaft steht und die Botschaft kritisch reflektiert. Dennoch ist nicht zu vergessen, dass die Schrift allein, als neues Kommunikationsmedium zur damaligen Zeit, die Grundlage für die heutige Informationswirtschaft geliefert hat. 6. Quellenhinweise Literatur: 1. Platon (1994): Sämtliche Werke. Band 2. Reinbek bei Hamburg. Internet: 2. Wikipedia: Platon. Online unter: http://de.wikipedia.org/wiki/platon (Zugriff 22.03.2007)