Andrea Braner Hinterm Bibeltor geht s los Biblische Geschichten erleben im Ausdrucksspiel Unter Mitarbeit von Heide Neumann Mit einem Beitrag von Petra Freudenberger-Lötz Vandenhoeck & Ruprecht
Kinder in der Kirche Wir danken den Kindern und Erwachsenen, die sich abbilden ließen; die Fotos wurden im Rahmen der praktischen Arbeit der Autorin mit Kinder- und Gemeindegruppen aufgenommen. Mit zahlreichen Abbildungen Umschlagabbildung: Andrea Braner Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-63013-6 ISBN 978-3-647-63013-7 (E-Book) / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Oakville, CT, U. S. A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Satz: textformart, Göttingen Druck und Bindung: freiburger graphische betriebe, Freiburg Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
Inhalt Geleitwort 7 Vorwort 9 1 Kinder und biblische Geschichten 11 1.1 Das ist doch wie bei uns! 11 Kinder entdecken sich selbst in biblischen Geschichten 11 1.2 Ich bin Daniel in der Löwengrube und Gott schickt mir seinen Engel! 12 Kinder erleben in biblischen Geschichten Rettung und Heil 12 2 Jeux Dramatiques. Ausdrucksspiel aus dem Erleben 13 2.1 Aber keiner guckt zu, ja? 13 Ausdrucksspiel aus dem Erleben Theater, wie es Kindern gefällt 13 2.2 Und wer spielt mit? 14 Jeux Dramatiques Theater für alle! 14 2.3 Niemand lacht mich aus! 16 Die Regeln des Ausdrucksspiels 16 2.4 Ich hol mir das lila Tuch! 17 Der Ablauf eines Spieles 17 2.5 Hast du deine Koffer mit? 18 Vom Verkleiden 18 2.6 Gleich ist schon wieder Schluss 22 Von einigen Vorzügen des Ausdruckspiels 22 2.7 Ich hab mich ganz stark gefühlt! 23 Was das Ausdrucksspiel bewirken kann 23 3 Jeux Dramatiques und Theologisieren mit Kindern 25 Und was denkst du? Theologische Gespräche mit Kindern führen (Petra Freudenberg-Lötz) 25 5
4 Biblische Geschichten im Ausdrucksspiel erleben Praktische Entwürfe 33 4.1 Wie sind die Entwürfe aufgebaut? 33 4.2 Das Bibeltor steht offen! 35 Einlass-Ritual 35 4.3 Aus dem Alten Testament 37 Gott macht aus Chaos die Erde (1 Mose 1 2,4a) 37 Noah und die Arche (1 Mose 6 9) 41 Abraham zieht los (1 Mose 12,1 9) 44 Josef und seine Brüder (1 Mose 37,45 46) 46 Der Weg in die Freiheit (2 Mose) 50 Debora Eine Frau spricht Recht (Richter 4 5) 56 David und Goliat (1 Samuel 17) 60 Gott ist im sanften Wind (1 Könige 19) 63 Gott ist mein guter Hirte (Psalm 23) 67 Sie steigen auf mit Flügeln wie Adler (Jesaja 40,30 31) 71 Daniel in der Löwengrube (Daniel 6) 73 4.4 Aus dem Neuen Testament 77 Jesus kommt auf die Welt Weihnachten (Lukas 2,1 20) 77 Jesus und der Sturm (Markus 4,35 41) 81 Alle werden satt! (Markus 6,32 44 und Johannes 6,9 15) 83 Jesus und die Kinder (Markus 10,14 16) 88 Der blinde Bartimäus (Markus 10, 46 52) 90 Der barmherzige Samariter (Lukas 10,30 37) 94 Vom Verloren-Sein und Gefunden-Werden ( Lukas 15) 97 Vom verlorenen Schaf (Lukas 15,3 7) 99 Von der verlorenen Münze (Lk 15,8 10) 100 Vom verlorenen Sohn (Lk 15,11 32) 102 Der Zöllner Zachäus (Lk 19,1 10) 105 Die Salbung in Betanien Eine Passionsgeschichte (Mt 26) 108 Gott schenkt neues Leben Passion und Ostern (Mt 26 28) 112 Gott schenkt seinen Geist Pfingsten (Apg 2) 118 5 Anhang 123 Abkürzungsverzeichnis der Liederbücher 123 Literatur und Literaturempfehlungen 123 6
Geleitwort Spielend die Welt entdecken, lustvoll ernsthaft den inneren Spuren folgen, in bekannten und unbekannten Rollen erleben, was hinter den Dingen ist das ist Jeux Dramatiques. (Heidi Frei) Was Heidi Frei, die Mitbegründerin der Methode Jeux Dramatiques, schon vor 30 Jahren formulierte, ist auch heute unser Motto. Das Spiel mit dem eigenen Ausdruck verliert nie an Aktualität, es ist ein menschlicher Urtrieb. Und so werden die Grundsätze der Jeux Dramatiques von der Arbeitsgemeinschaft Jeux Dramatiques Deutschland e. V. als tradierter Wert seit mehr als 25 Jahren auf unterschiedliche Weise gepflegt und verbreitet. Neben der Wahrung der Tradition und Qualität der Methode weiß die Arbeitsgemeinschaft aber auch um die Bedeutung der Öffnung und Durchlässigkeit für neue Impulse. So bleibt die Methode lebendig und eröffnet neue Erfahrungsfelder. Tanz, Theater, Kunst, Musik, Märchen, Themenzentrierte Interaktion, Gewaltprävention, Sprachförderung, Ausdrucksschreiben/-malen und nicht zuletzt das breite Feld der Religionspädagogik und Spiritualität gehen eine synergetische Verbindung mit den Jeux Dramatiques ein und ermöglichen den Teilnehmenden neue Perspektiven im Spiel mit dem eigenen Ausdruck. Religionspädagogik und Spiritualität werden innerhalb der dreistufigen Ausbildungsstruktur der Jeux Dramatiques als Spezialisierungskurs in drei Modulen (insgesamt 10 Tage) angeboten. Im Spiel mit dem eigenen Erleben werden existenzielle Motive anschaulich, gar sichtbar. Die im Spiel gewonnenen Erkenntnisse können ein tieferes Verständnis für die Themen des Spiels wecken und die subjektive Sicht auf das eigene Leben beeinflussen. Ob es sich um Bibelgeschichten, Feste oder die großen Fragen des Lebens handelt die Jeux Dramatiques bereiten Wege, sich diesen Themen spielerisch zu nähern und sich auf neue Weise mit ihnen auseinanderzusetzen. Manchmal ist es der Weg zu sich selbst, der neue Wege eröffnet Jeux Dramatiques bringen Leben ins Spiel und Spiel ins Leben! Petra Illing (Vorsitzende/i. A. der Arbeitsgemeinschaft Jeux Dramatiques Deutschland e. V.) 7
Vorwort Biblische Geschichten im Ausdrucksspiel zu erleben, ist für mich persönlich während meiner fast zehnjährigen Tätigkeit als Pfarrerin im Kindergottesdienst zur Entdeckung schlechthin geworden. Bei allem, was wir als Mitarbeitende für den Kindergottesdienst tun, achten wir darauf, dass Inhalte und Methoden kindgemäß, ganzheitlich und elementar sind. Ein weiteres Ziel ist, Kinder mit biblischen Geschichten vertraut zu machen. Darüber hinaus bemühen wir uns in unserer Arbeit zunehmend darum, Kinder selbst zu Wort kommen zu lassen. Was denken und fühlen sie? Wie drücken sie sich aus? Nicht die Belehrung durch die Mitarbeitenden steht im Vordergrund, sondern dass Kinder und Erwachsene miteinander das Geschenk des Lebens feiern, auf Augenhöhe nach Gott und der Welt fragen und gemeinsam Schritte auf dem Weg des Glaubens gehen. Das Ausdrucksspiel aus dem Erleben entspricht diesen Anliegen auf wunderbare Weise. Die Kinder tauchen (gemeinsam mit Erwachsenen) aktiv in biblische Geschichten ein. Alle können mitspielen, Erfahrungen machen und zum Ausdruck bringen. Wie oft wurden mir im Ausdrucksspiel schon die Augen geöffnet für mögliche Deutungen biblischer Geschichten, auf die ich durch theologische Auslegung allein nicht gekommen wäre! Mit wie viel Leben füllen die Spieler/innen wenige Sätze aus dem Alten oder Neuen Testament in ihrem Ausdrucksspiel! Bedanken möchte ich mich bei meinen beiden inspirierenden Ausbilderinnen zur Jeux Dramatiques-Spielleiterin, Margit Sänger und Rottraut Knapp aus dem Odenwaldinstitut und bei Herrn Dr. Frithard Scholz, der diese Ausbildung von Seiten der Landeskirche von Kurhessen-Waldeck nach Kräften unterstützt hat. Frau Professorin Dr. Petra Freudenberger-Lötz danke ich für ihren fundierten und anregenden Beitrag zum Thema Theologische Gespräche mit Kindern bzw. Kindertheologie. Mein ganz besonderer Dank gilt Heide Neumann, die von Anfang an meine liebenswerte Wegbegleiterin im Ausdrucksspiel war. Ihr reicher Erfahrungsschatz aus ihrer Arbeit mit Kindern ist in dieses Buch mit eingeflossen. Nun wünsche ich allen LeserInnen fruchtbare Erfahrungen mit den Modellen und Vorschlägen dieses Werkbuchs. Andrea Braner, Hofgeismar, im Februar 2011 9
1 Kinder und biblische Geschichten 1.1 Das ist doch wie bei uns! Kinder entdecken sich selbst in biblischen Geschichten Vor einigen Jahren las ich unserer damals etwa siebenjährigen Tochter Lotte die Geschichte vom Auszug aus Ägypten aus ihrer Kinderbibel vor. Ich erzählte vom Schilfmeer-Wunder: Die Hebräer ziehen trockenen Fußes hindurch, die ägyptischen Verfolger ertrinken in den Fluten. Kann ich das einfach so stehen lassen?, überlegte ich mit besorgtem Blick auf Lotte. Was uns die Bibel da erzählt, ist ganz schön grausam, oder?, fragte ich darum Lotte. Sie guckte mich erstaunt an. Aber Mama! Das ist doch wie bei uns! Wenn ich die Ulla (Lottes kleine Schwester) ärgere, krieg ich Ärger mit dir! Und hier kriegen die Ägypter Ärger mit Gott, weil sie zu den Mose-Leuten gemein sind! Ich musste feststellen, dass mein Problem mit einem biblischen Text nicht unbedingt das eines siebenjährigen Mädchens ist. Kinder finden eigene Zugänge zu biblischen Geschichten. Sie stellen Fragen und geben aus ihrem kindlichen Erfahrungshorizont heraus Antworten. Es ist ihr gutes Recht, ganz persönlich und altersspezifisch zu deuten, und wir Erwachsenen sollten sie dabei ernst nehmen und begleiten. Unsere Aufgabe darf es sein, Kinder mit biblischen Geschichten bekannt zu machen. Auf diese Weise öffnen wir ihnen ein großes Tor, hinter dem sie die reichhaltigen Erfahrungen, die Menschen in Jahrtausenden mit Gott gemacht haben, finden. Von Angst, Leid und Kummer wird erzählt, aber auch von Hoffnung, Freude und Glück. Von Erfahrungen also, die alle Menschen miteinander teilen. Ob als Kinder oder Erwachsene, wir können uns mit unseren eigenen Geschichten in den biblischen wiederfinden und die Botschaft von Gottes Rettung und Bewahrung deshalb auch für uns selbst hören und annehmen. Wir laden in diesem Arbeitsbuch dazu ein, Kindern das große BIBELTOR weit zu öffnen und sie einzulassen in die Geschichten von Gott und der Welt, damit sie darin ihre Rollen finden und daraus Halt und Zuversicht für ihr Leben schöpfen. 11
1.2 Ich bin Daniel in der Löwengrube und Gott schickt mir seinen Engel! Kinder erleben in biblischen Geschichten Rettung und Heil Die biblischen Geschichten sind Heilsgeschichten. Wir lernen in ihnen Gott als den Schöpfer, Retter und Bewahrer kennen. Wenn wir Rollen des Heils spielen, hat das Auswirkungen auf unser Leben. Dem Spiel wohnt nämlich eine die Wirklichkeit und uns selbst verändernde Kraft inne. Wer biblische Geschichten spielt, erfährt, dass Gewalt und Krieg verheerend sind und Gott den Frieden will, dass die Liebe den Hass besiegen kann und das Leben den Tod. Wer bedroht und gefährdet ist, wird bewahrt und gerettet. Gott begleitet und schützt den, der finstere Täler durchwandert. Erniedrigte und Verachtete erfahren Wertschätzung. Bei alldem dürfen wir der Kraft des Spieles viel zutrauen. Das, was wir im Spiel erleben, wirkt sich in unserem realen Leben aus. Gottvertrauen und Nächstenliebe werden eingeübt. Gottes heilvolles Handeln, das im Spiel erlebt wird, kann im Alltag weiterwirken, sich entfalten und so unser eigenes Leben heiler machen. 12
2 Jeux Dramatiques Ausdrucksspiel aus dem Erleben 2.1 Aber keiner guckt zu, ja? Ausdrucksspiel aus dem Erleben Theater, wie es Kindern gefällt Viele Kinder lieben es, Theater zu spielen. Nicht unbedingt vor Publikum und mit zugewiesenen Rollen und Texten. Aber für sich, unbeobachtet, gern zusammen mit Geschwistern oder Freunden. Ich wär jetzt mal, erklärt das Kind den anderen und taucht mit viel Lust und Fantasie spontan ein in die Rolle seiner Wahl. Es erlebt sich als jemand ganz andere/r und dabei hilft vielleicht nur ein unscheinbares Tuch, das um die Hüften geschlungen wird oder ein Stöckchen in der Hand. Im Spiel probiert sich das Kind aus: Wie fühlt es sich an, krank zu sein und Hilfe zu brauchen? Wie ist es, als Monster anderen Leuten Angst einzujagen? Und wie finde ich es, als Prinzessin die Schönste im ganzen Land zu sein? Auf diese Bedürfnisse reagiert die Theaterspielmethode Ausdrucksspiel aus dem Erleben / Jeux Dramatiques. Ihre Wurzeln liegen in der humanistischen Pädagogik und im Theater Konstantin S. Stanislawskis, Schauspieler und Regisseur mit eigenem Theater in Moskau Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts. Ihm ging es vor allem um das authentische Spiel. Anhänger fand seine Methode in den USA. Noch heute wird an Schauspielschulen und in Studios in New York und Hollywood nach seiner Methode unterrichtet. Der französische Pädagoge Léon Chancerel übersetzte das Werk Stanislawskis. Von ihm übernahm sie Heidi Frei, schweizerische Pädagogin und Pfadfinderführerin. Sie entwickelte die Methode zusammen mit Kolleg/innen für die Pädagogik weiter. Heute ist diese Form des Theaterspielens in der Schweiz, in Österreich, Italien, Russland und Deutschland bekannt. 1 Im Ausdrucksspiel erfahren die Kinder Inhalte mit Leib und Seele, nicht nur über den Verstand. Diese ganzheitliche Aneignung ist lustvoll und kindgemäß, 1 Vgl. Barbara Kriebeler, Jeux Dramatiques das etwas andere Theater, S. 7 8. 13
nein, überhaupt uns Menschen gemäß, sind wir doch keine reinen Kopf-Wesen! Die Spieler/innen entdecken, dass sie sich nicht nur über die Sprache, sondern mit dem ganzen Körper ausdrücken können. Emotionen werden nicht verbannt, sondern ausgelebt. Das kann ein sehr heilsamer Prozess sein. Das Ausdrucksspiel aus dem Erleben ermöglicht allen, spontan und ohne Publikum mitzuspielen, ob wir schüchtern oder selbstbewusst, ruhig oder temperamentvoll, noch sehr jung oder schon älter, sprachlich versiert oder wenig sprachtüchtig, körperlich oder geistig behindert und Mädchen/Frau oder Junge/Mann sind. Jede/r sucht sich eine Rolle der eigenen Wahl: eine sehr exponierte und aktionsreiche oder eher eine passive Statistenrolle, die Rolle eines Lebewesens oder die eines Gegenstandes. Eine Bewertung des Spiels erfolgt nicht, jede/r spielt aus dem eigenen Empfinden heraus, so wie es sich gerade richtig und gut anfühlt. Das schafft eine angstfreie, unbefangene und lustvolle Atmosphäre. 2 2.2 Und wer spielt mit? Jeux Dramatiques Theater für alle! Ich habe die Jeux Dramatiques inzwischen in beinahe allen Altersgruppen eingesetzt. Die Jüngsten waren Kindergartenkinder ab 4 Jahren, die Ältesten Frauen eines Seniorenkreises, die zum Teil älter als 80 Jahre waren. Diese verkleideten sich mit ebenso viel Spaß und Fantasie wie jüngere Spieler/innen und zeigten sich auch nicht stärker gehemmt. Im Gegenteil: Ihr Ausdrucksspiel der Pfingstgeschichte ist unvergessen und sie waren sich im Feedback einig, dass sie zukünftig beim Hören jeder Pfingstpredigt die Bilder und Szenen ihres eigenen Ausdrucksspiels vor sich sehen würden. Als besonders intensiv und beeindruckend habe ich immer generationenübergreifende Jeux erlebt, etwa auf Familienfreizeiten. Kinder genießen es, wenn Erwachsene sich verkleidet mit ins Spiel begeben, was im Alltag eher nicht passiert. Und Erwachsene genießen es, sich gemeinsam 2 Ausführlichere Informationen zu den Jeux Dramatiques befinden sich auf der Homepage der deutschen Arbeitsgemeinschaft Ausdrucksspiel aus dem Erleben e. V., www.jeux.de. Literatur zum Thema finden Sie im Anhang. 14
mit den Kindern ins Spielen zu vertiefen, was viele seit der eigenen Kindheit nicht mehr getan haben. Das Beste an den Jeux ist, dass für jede/r eine passende Rolle zu haben ist. Zurückhaltende, vielleicht zunächst ängstliche Spieler/innen wählen sich versteckte Rollen, z. B. das Blümchen am Mauerrand, die Maus in ihrem Loch oder den Baum, der alles nur schweigend mit ansieht. Temperamentvolle Spieler/innen suchen sich Action-Rollen. Sammelt die Spielleiterin/der Spielleiter über längere Zeit mit derselben Gruppe Erfahrungen im Spiel, kann sie/er irgendwann die Spieler/innen auch mal dazu ermutigen, sich bewusst andere Rollen auszusuchen, die eine gewisse Herausforderung darstellen und nicht gleich ihre erste Wahl wären. Wer gar nicht mitspielen möchte, wird nicht gegängelt, sondern darf als Miterlebende/r am Rand sitzen und zuschauen. Die Sprachkompetenz der Spieler/innen spielt für die Jeux Dramatiques keine Rolle, da nonverbal gespielt wird. Das ist ein großer Vorteil z. B. für Kinder, die in der Schule auf Grund ihrer sprachlichen Defizite im Nachteil sind. Auch Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung bleiben nicht außen vor. Sie finden die Rolle, die sie nach ihren Möglichkeiten ausfüllen können. Es gibt kein Richtig und Falsch! Jede/r spielt, wie ihr oder ihm zumute ist. Das Nachgespräch fällt bei sehr jungen Spieler/innen natürlich anders aus als bei Erwachsenen. Aber schon Kindergartenkinder erzählen gern auf ihre Weise, was sie erlebt haben. Auch theologische Gespräche 3 lassen sich bereits mit Kindergartenkindern führen. Das wird sich nicht nach jedem Spiel ergeben, ist aber durchaus möglich. Für die Spielleiter/innen gilt, dass sie mit Konzentration und Einfühlungsvermögen, aber auch mit großer Gelassenheit die Jeux Dramatiques begleiten sollten. Sie wissen nie, wie sich das Spiel entwickeln wird, und sind auch nie für dessen Gelingen und für die Empfindungen der Spieler/innen verantwortlich! Mit der Zeit stellt sich in der Leitung Erfahrung und Souveränität ein, die nicht von Anfang an erwartet werden darf! 3 Vgl. Kapitel 3. 15
2.3 Niemand lacht mich aus! Die Regeln des Ausdrucksspiels Kurze Regeln geben dem Spiel, den Spieler/innen und der Spielleitung Sicherheit. Im Folgenden sind sie so formuliert, dass auch Kinder sie leicht verstehen können: Ich-Bereich Du spielst für dich selbst und nicht für Zuschauer. Du suchst dir deine Rolle selbst aus. Du spielst so, wie du dich fühlst. Du kannst nichts falsch machen! Wenn du erst mal lieber nicht mitspielen möchtest, bist du Miterlebende/r und setzt dich an den Rand. Sozial-Bereich Achte darauf, dass du niemandem weh tust! Lache niemanden aus! Bestimme nicht über andere! Spiel-Bereich Beim Spielen darfst du nicht reden. Du kannst Geräusche und Töne mit deinem Körper oder mit Gegenständen und Rhythmusinstrumenten machen. Achte darauf, dass deine Verkleidung nicht bis zum Fußboden hängt, damit du nicht stolperst. Spielregeln für Spielleiter/innen Wir streben eine angstfreie Atmosphäre an. Wir geben uns selbst und den Spieler/innen genügend Zeit. 16
Wir nehmen die Ideen der Spieler/innen auf. Wir versuchen, uns von vorgefassten Meinungen zu lösen, um die Ausdrucksmöglichkeit der Kinder nicht zu hemmen. Wir bewerten das Spiel der Kinder nicht. Im Ausdrucksspiel aus dem Erleben können sich die Spielenden lösen von dem Anspruch, etwas unbedingt gut machen zu müssen. Es gibt kein Richtig und Falsch! Es geht eher um ein Zulassen und Geschehenlassen dessen, was sich aus meinem Inneren heraus einen Weg bahnen will, um im Spiel zum Ausdruck zu kommen. 2.4 Ich hol mir das lila Tuch! Der Ablauf eines Spieles Das Setting Der Raum ist so gut wie möglich leer geräumt, damit die Spielfläche ausreichend groß ist. Am Rand stehen Tische mit den Tüchern und anderen Verkleidungsutensilien 4. Ein Stuhlkreis ist vorbereitet. Nach der Rollenwahl werden die Stühle zur Seite geräumt und später vielleicht gern zur Gestaltung der Spielplätze genutzt. Alle sitzen im Kreis. Der Spielleiter/Die Spielleiterin liest die Geschichte vor. Alle tragen Ideen zusammen: Welche Rollen könnte es geben? Lebewesen, Gegenstände, Naturgewalten Alles ist spielbar! Rollenwahl: Der Reihe nach werden die Kinder gefragt: Wer oder was möchtest du sein? Es folgt eine weitere Runde, in der erneut gefragt wird, eventuell verändert sich der Rollenwunsch bei einigen nochmals. Rollen können durchaus mehrfach besetzt werden! Bleiben mögliche Rollen unbesetzt, wird diese Textpassage einfach nur gelesen und nicht gespielt. Schwierig ist es, wenn wichtige Hauptrollen nicht besetzt 4 Zur Verkleidung und den erforderlichen Utensilien siehe 2.5. 17
sind. Dann stellt die Spielleiterin/der Spielleiter die Frage, ob die Geschichte so überhaupt spielbar ist. Empfehlenswert ist, dass auch die erwachsenen Mitarbeiter/innen mitspielen. Es soll ja keine Zuschauer/innen geben. Sie können, wenn nötig, wichtige unbesetzte Rollen übernehmen. Die Spieler/innen verkleiden sich und richten ihre Spielplätze ein. Dazu gestalten sie sich Plätze/Orte im Raum mit vorhandenem Mobiliar und Tüchern. Die Spieler/innen nehmen ihre Ausgangsposition ein. Die Spielleiterin/Der Spielleiter geht von Spielerin zu Spieler und fragt jede/n: Wer bist du? Was möchtest du? Und was möchtest du gar nicht? Ein Beispiel: Ich bin ein Baum. Ich möchte gern, dass die Vögel mich besuchen. Ich möchte nicht, dass der Wind meine Wurzeln ausreißt und mich umwirft. Die letzte Frage dient also dem Selbstschutz. Die Spielleiterin/Der Spielleiter eröffnet mit einem Gongschlag das Spiel. Die Spielleiterin/Der Spielleiter liest die Geschichte erneut vor, die Spieler/innen spielen alle gleichzeitig dazu. Kommt der Wind z. B. erst im letzten Teil der Geschichte vor, kann er trotzdem von Anfang an mit agieren! Ein Gongschlag beendet das Spiel. Die Spieler/innen nehmen in ihrer Verkleidung auf dem Boden Platz. Nachgespräch: Was hast du in deiner Rolle erlebt? Wie hast du dich in deiner Rolle gefühlt? Die Spieler/innen erzählen aus der Ich-Perspektive und werden von niemandem korrigiert oder kommentiert. 2.5 Hast du deine Koffer mit? Vom Verkleiden Welche Utensilien brauchen wir zum Ausdrucksspiel? Einen Koffer voll mit möglichst einfarbigen Tüchern in vielen verschiedenen Farbtönen und Größen aus unterschiedlichen Materialien: seidige, pelzige, fellige, weiche, harte, grobe, feine Stoffe. Warum möglichst einfarbig? Gefühle, Befindlichkeiten lassen sich mit einfarbigen Tüchern sehr viel besser ausdrücken als mit bunten. Habe ich zum Beispiel die Rolle eines trauernden Menschen, greife ich 18
vermutlich gern zu gedeckten, dunklen Farben. Spiele ich ein Wesen, das vor Wut explodiert, nehme ich mir vielleicht gern ein grell-rotes Tuch. Toll ist, wenn auch glitzernde Stoffe darunter sind, die werden von vielen Mädchen geliebt. Und natürlich dürfen sich auch ein paar wenige bunte dazu gesellen. Ein Körbchen mit Wäscheklammern steht bereit, damit sich die Spieler/innen ihre Tücher gegebenenfalls am Körper befestigen können. Ein Set verschiedenfarbiger Chiffontücher, in einem Korb aufbewahrt, ist unentbehrlich. Oft werden die Chiffontücher in den Einstiegsspielen eigesetzt, aber auch gern für die Verkleidung genutzt (Kopfschmuck, etwas zum Verschenken an andere ). Ein weiterer kleinerer Koffer beinhaltet alte Hüte, Haarreifen, Mützen, aber auch (unechte Modeschmuck-)Ketten, Armreifen, Bänder. In kleine Kartons sind außerdem Natur- und andere Legematerialien gepackt: ein Karton mit leeren Schneckenhäusern, einer mit Muscheln, einer mit Federn, einer mit Steinen, einer mit Kunstblumen, einer mit Kastanien, einer mit Muggelsteinen Dieser Krimskrams ist manchmal nützlich, wenn zum Beispiel jemand im Spiel etwas verkaufen oder verschenken möchte oder ein Festmahl vorbereitet wird Des Weiteren ist ein kleiner Korb mit Rhythmusinstrumenten wünschenswert (Rasseln, Glöckchen, Trommeln, Schellen ). Vieles davon lässt sich selbst herstellen und kann auch beim Singen als Begleitung gut genutzt werden. Je nachdem, was ich mit den Kindern spiele, setze ich auch schon einmal Schminkutensilien ein, z. B. in der Geschichte von Ester (nicht im Buch), in der Frauen für einen Schönheitswettbewerb gepflegt und geschmückt werden. Meistens sind die Farben aber entbehrlich und Sie ersparen sich und den Kindern das weniger angenehme Abschminken, wenn Sie ganz darauf verzichten. Plätze gestalten Die Materialien werden nicht nur zur Verkleidung, sondern auch zum Gestalten von Plätzen/Orten benutzt: Wenn ich die Rolle eines Baumes spiele, lege ich mir vielleicht mit einem grünen Tuch eine Wiese, setze Blumen darauf und wachse dann selbst dort. 19
Materialien beschaffen Das ist eigentlich nicht schwierig. Die kleinen Kartons füllen Sie einfach, indem Sie draußen in der Natur oder im Haushalt auf die Suche gehen und sammeln. Meine Tücher habe ich sehr günstig erworben in einem Stoffgeschäft, das kurz vor der Auflösung stand. Aber Sie können auch im Bekanntenkreis fragen oder im Gemeindeblatt eine Bitte veröffentlichen: Wer hat möglichst einfarbige Tücher in allen möglichen Größen und Materialien? Auch alte weiße Gardinen mit und ohne Spitze eigenen sich sehr gut. Sie selbst können die Tücher dann noch kürzen, wenn Sie mit kleinen Kindern spielen, damit sie nicht stolpern. Für die Lagerung empfiehlt es sich, ein Stück nicht eingepackte Duft-Seife mit in den Koffer zu legen. Es hält Motten fern und vertreibt muffigen Geruch, ein paar zusätzliche Mottenkugeln können auch nicht schaden. Einmal im Jahr wasche ich alle Tücher farblich sortiert in der Waschmaschine, bloß keine Glitzerstoffe, sonst ist nachher die ganze Wohnung mit Glitzer-Pünktchen berieselt J. Die Koffer Meine Tücher habe ich in zwei großen Koffern verstaut. Mit ihnen entsteht eine ganz andere Spiel-Atmosphäre als mit Plastikkisten etwa. Am schönsten sind alte, abgewetzte Koffer. Kennen Sie Siebenstein mit ihrem Raben Rudi und dem sprechenden Koffer? So ähnlich empfinden Kinder die Verkleidungskoffer auch: Darin steckt zusammen mit den Tüchern viel Fantastisches, vor allem Geschichten, die sie nachher zusammen zum Leben erwecken werden. Weniger ist mehr Für alle Materialien gilt: Es muss gar nicht so viel sein! Besser ist es, mit Wenigem anzufangen, rechnen Sie pro Spieler/in 2 Tücher. Wenn einer Gruppe das Ausdrucksspiel noch ganz unbekannt ist, kann es sonst passieren, dass sich die Spieler/innen von der Materialfülle schier erschlagen fühlen. Selbst bei Kindergartenkindern habe ich das erlebt. Sie griffen nur sehr zögerlich nach einem Tuch, manche lehnten es ganz ab. Erst als ich deutlich weniger Material mitbrachte, verspürten sie Lust, dieses zu entdecken und auszuprobieren. Gar nicht so selten kommt es vor, dass Kinder dann wochenlang bei ihrem Tuch bleiben. Ein 20
Junge, der sich ein grünes langes Tuch auserkoren hatte, verkleidete sich damit ausschließlich, egal, welche Rolle er gewählt hatte: grüner Baum, grünes Tier, grüner Mensch. Das ist völlig in Ordnung, denn die Verkleidung soll den Spieler/innen ja einfach helfen, in eine andere Rolle zu schlüpfen. Der sieht doch gar nicht aus wie ein Frosch?! Genau wie für das eigentliche Spiel gilt auch für die Verkleidung: Du kannst nichts falsch machen! Verkleide dich so, wie du magst, wie es sich gut für dich anfühlt. Für die Mitspieler/innen gilt entsprechend: Kritisiere niemanden für seine/ihre Verkleidung. Jede/r bestimmt für sich, wie er/sie sich verwandeln möchte! Natürlich dürfen sich die Spieler/innen gegenseitig helfen, die Tücher zu befestigen, Schmuck umzulegen Beim Verkleiden wird erfahrungsgemäß auch viel gelacht, aber nicht im Sinne von Auslachen, sondern weil es einfach viel Spaß macht und der Anblick des Gegenübers so ungewohnt ist. Übrigens gilt das Redeverbot nur für die Spielphase, während des Verkleidens darf durchaus miteinander gesprochen werden. Spieglein, Spieglein an der Wand In meiner eigenen Ausbildungsgruppe, die ausschließlich aus Erwachsenen bestand, gab es immer einen großen Spiegel, der auf einem der Materialtische stand. Er wurde beim Verkleiden rege benutzt, die Frauen standen manchmal Schlange, um einen Blick auf ihr verändertes Aussehen zu erhaschen. Wer mit Kindern arbeitet, sollte auf einen Spiegel eher verzichten. In ihrer Verkleidung fühlen sich viele Kinder fantastisch und sehr schön. Sehen sie dann ihr Spiegelbild, ist das ein völlig anderes als das in ihrer inneren Vorstellung. Sie sind enttäuscht, fühlen sich ungeschickt verkleidet, schämen sich möglicherweise. Besser den Spiegel gar nicht erst einsetzen. Und wer räumt auf? Wurden die Tücher vor dem Spiel von den Mitarbeitenden farblich sortiert auf bereit stehenden Tischen verteilt, so helfen nach dem Spiel alle mit! Auch das gehört 21
zu den Regeln. Auf diese Weise verabschieden sich die Spieler/innen von ihrer Verkleidung, gewinnen Abstand zum Spiel und finden zurück ins reale Leben. Zu zweit falten die Spieler/innen große Tücher zusammen. Es entstehen Farb-Stapel: Alle grünen Tücher übereinander, alle gelben Und schon werden sie wieder in den Koffern verstaut und warten auf ihren nächsten Einsatz. 2.6 Gleich ist schon wieder Schluss Von einigen Vorzügen des Ausdrucksspiels Haben Sie die Utensilien einmal beisammen, ist der organisatorische Aufwand sehr gering. Die beiden Verkleidungskoffer nehmen im Keller oder auf dem Dachboden nicht viel Platz weg und sind immer fertig gepackt griffbereit, ebenso die kleinen Kartons, wenn Sie diese in einer Stapelkiste aufbewahren. Wer alles im Gemeindehaus oder in der Kirche lassen kann, hat nicht einmal mehr den Transport zu bewerkstelligen. Bieten Sie Ihrer Gruppe das Ausdrucksspiel zu einer Geschichte an, haben Sie die zur Verfügung stehende Zeit oft schon ausgefüllt. Wer nur eine Stunde Kindergottesdienst feiert, kann neben den liturgischen Teilen nur kurze Geschichten spielen oder den Teil einer Geschichte. Schön ist, wenn Sie Kinderkirche über einen etwas längeren Zeitraum (1,5 2,5 Stunden) feiern. Dann bleibt neben dem Spiel der Geschichte gut Zeit für Liturgie und Essen/Trinken. Je öfter Sie spielen, desto selbstverständlicher werden den Kindern Ablauf und Regeln und es kann gleich losgehen. Weitere Aktionen und damit verbundene Vorbereitungen sind nicht nötig: Basteln und malen entfällt, auch der körperliche Bewegungsdrang wird im Ausdrucksspiel befriedigt. Alle sind beschäftigt, es wird nicht langweilig. Und für viele gewinnt die Geschichte durch das eigene Erleben im Spiel an größerer Tiefe als wenn sie nur vorgelesen und anschließend dazu gebastelt würde. 22
2.7 Ich hab mich ganz stark gefühlt! Was das Ausdrucksspiel bewirken kann Das eigentliche Spiel, das zwischen den beiden Gongschlägen zum gelesenen Text stattfindet, ist nonverbal, die Spielenden reden nicht, dürfen nur Geräusche machen. Trotzdem findet dabei eine rege Kommunikation, auch ohne Sprache, statt: Ich begegne anderen Spielenden und reagiere auf sie. Vieles entwickelt sich im Spiel, das nicht vorhersehbar war. Gefühle stellen sich ein und finden ihren Ausdruck. Die Vorüberlegungen und die Reflexion nach dem Spiel geschehen hingegen verbal. Nun kann in Worte gefasst werden, was im Ausdrucksspiel erlebt wurde. So lernen die Spielenden, aufeinander zu hören, sie erfahren von den Gefühlen und Erfahrungen anderer und sind dazu angehalten, diese ohne Wertung gelten zu lassen und zu respektieren. Auf diese Weise üben sie sich in Sozialverhalten und Empathiefähigkeit ein, andererseits aber auch in Selbständigkeit und Selbstverantwortung, müssen sie doch auch lernen, zu ihrem eigenen Verhalten und Gefühlsleben zu stehen. Das Ausdrucksspiel fördert das Gefühl Ich bin so, wie ich bin, in Ordnung! 5 In Bezug auf das Spielen biblischer Geschichten ermöglichen die Jeux Dramatiques Kindern, diese selbst zu deuten. Die Akteure interpretieren die Geschichten durch ihr Ausdrucksspiel und tauschen sich hinterher über ihre Erfahrungen und Entdeckungen aus, ohne von Erwachsenen darüber belehrt zu werden, wie die Geschichten denn nun wirklich zu verstehen seien. Ich halte diese Methode darum für hervorragend geeignet, die sogenannte Kindertheologie zu unterstützen. Kinder theologisieren selbst, das heißt, sie verstehen und erklären auf ihre kindgemäße Weise, machen eigene Glaubens- und Gotteserfahrungen und drücken diese spielerisch aus. Die Spieler/innen erfahren, dass ihre Mitspieler/innen durchaus anders erleben und deuten und üben ihnen gegenüber Toleranz und Respekt ein: Ein wichtiger Beitrag in Zeiten unserer multireligiösen und -kulturellen Gesellschaft für ein friedliches Miteinander! 5 Vgl. Barbara Kriebeler, Jeux Dramatiques das etwas andere Theater, S. 5, in WDK- SPEZIAL, 4/2008 23
24
3 Jeux Dramatiques und Theologisieren mit Kindern Und was denkst du? Theologische Gespräche mit Kindern führen Mit großer Spannung habe ich die Seiten dieses Buches bis zu dieser Stelle gelesen. Und hier bin ich zu einem Beitrag über Kindertheologie gebeten worden (und ich werde danach natürlich weiterlesen). Ja, Jeux Dramatiques und Kindertheologie sind hervorragend aufeinander zu beziehen. Die Grundhaltung, die in diesem Buch Kindern gegenüber erkennbar wird, ist die Grundhaltung, die auch die Kindertheologie anstrebt: Kinder ernst nehmen, sie zu Wort (oder ins Spiel) kommen lassen, ihre Deutungen würdigen, diese aufgreifen und die individuelle religiöse Entwicklung begleiten. Der achtsame Umgang miteinander spielt eine ebenso große Rolle wie der achtsame Umgang mit den Gedanken eines jeden einzelnen Kindes. Die Bewegung für Kindertheologie hat sich in der Religionspädagogik und vor allem in der Praxis des Religionsunterrichts seit einigen Jahren etabliert. Die Begriffe Kindertheologie, Theologisieren mit Kindern und Theologische Gespräche mit Kindern werden weitgehend synonym gebraucht. Leitender Grundgedanke ist, in einem theologischen Gespräch Kindern ernstzunehmende theologische Deutungen zuzutrauen. Ist das nicht eine Provokation? Können wir wirklich guten Gewissens behaupten, Kinder seien Theologen? Es wäre ein grundsätzliches Missverständnis, anzunehmen, Kinder seien Theologen im Sinne der wissenschaftlichen Theologie. So will die Bewegung für Kindertheologie ganz und gar nicht verstanden werden. Doch wenn wir Theologie als Reflexion des Glaubens verstehen, als denkende Auseinandersetzung mit dem Glauben, so können Kinder durchaus als Theologen anerkannt werden. Denn sie reflektieren ihren Glauben auf eine ernsthafte und tiefsinnige Art und Weise und diese Reflexionen sind vor dem Hintergrund ihrer eigenen Lebenserfahrungen und ihrer eigenen Deutungsperspektiven stimmig. Kinder sind Experten ihrer Lebenswelt, ihrer Fragen und ihrer Sinnsuche. Wer Kinder begleiten möchte, muss hier ansetzen: die Deutungen anregen, würdigen, aufgreifen und Impulse zur 25