1 Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. (Hebr. 13, 14, Jahreslosung 2013) Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, im vorigen Jahr stand die Jahreslosung unserem diakonischen Selbstverständnis nahe: Jesus Christus spricht: Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Das glauben und erfahren wir in unserem Alltag mit Menschen, die in ihrem Leben durch Behinderungen, durch Krankheiten oder Alter eingeschränkt werden und dennoch Lebenskraft und manchmal sogar Lebensfreude entwickeln. Das glauben und erfahren wir, wenn wir uns selbst manchmal - angesichts der Vielfalt und Größe von Problemen und Notlagen - eher schwach und hilflos fühlen und dennoch feststellen, dass wir mit unserem kleinen Beitrag anderen Menschen weiterhelfen und das Leben erleichtern können. Dass selbst in der Schwachheit Gottes Kraft Gutes wirken kann, ist eine erfreuliche Erfahrung unseres diakonischen Alltags. Deshalb hat mir die Jahreslosung 2012 gut gefallen.
2 Der Jahreslosung 2013 Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. nähere ich mich hingegen nicht so unbeschwert und unbekümmert. Riecht das nicht etwas nach Weltflucht und nach Vertröstung auf das Jenseits? Ist es nicht wichtiger, im Hier und Jetzt zu leben, statt von Zukünftigem zu träumen? Wie sollen wir also dieses Wort aus dem Hebräerbrief verstehen? Ein Blick in den Textzusammenhang macht uns deutlich, dass die Jahreslosung wohl doch nicht als Aufforderung zur Weltflucht zu verstehen ist: Der Hebräerbrief fordert die Glieder der jungen christlichen Gemeinden auf zur geschwisterlichen Liebe und zur Gastfreiheit. Er warnt vor Gier, legt das Teilen ans Herz und erwartet, dass Christinnen und Christen Gutes tun und dem Frieden nachjagen. Der Briefschreiber hat dabei Gemeinden im Blick, die Bedrückung kennen - Gemeinden, zu denen Menschen gehören, die um ihres Glaubens willen misshandelt und verfolgt wurden. Er ruft die Gemeindeglieder auf, sich trotz
3 möglicher Gefährdung nicht von den Verfolgten abzuwenden, um die eigene Haut zu retten, sondern sich der leidvollen, bedrückenden Situation zu stellen. Die Christen sollen nüchtern und realistisch mit den Herausforderungen der Gegenwart umgehen. So lässt sich die bis heute höchst aktuelle Botschaft des Hebräerbriefes zusammenfassen. Es ist zutiefst menschlich, das bewahren und festhalten zu wollen, was vertraut und mehr oder weniger gut ist. Doch diesem Festhalten erteilt der Hebräerbrief eine Absage und eröffnet uns eine neue Dimension: Wir können nicht einfach das bewahren, was war und was ist. Vielmehr geht es darum, heute für das zu sorgen, was Menschen auch morgen und übermorgen gut leben lässt. Wir sollen also nicht beklagen, was nicht mehr so ist, wie wir es gewohnt sind, sondern uns dem stellen, was jetzt und in Zukunft notwendig (also notwendend) ist. Damit kommt die Zukunft in den Blick! Die Ausrichtung auf die Zukunft bestimmt das Handeln in der Gegenwart. Warum sollte ich mich für die Gestaltung der Gegenwart einsetzen, wenn ich keine Hoffnung habe?
4 Sind es nicht vielmehr die Hoffnung und die Vision von dem, was sein könnte und was um Gottes Willen sein soll, die uns die Bedrängnisse oder Herausforderungen der Gegenwart bestehen lassen? Sind es nicht unsere Visionen einer gerechten Welt, in der kein Leid und kein Geschrei mehr herrschen, die uns heute dazu veranlassen, sich für das Menschengerechte einzusetzen und ihm zu dienen? Das Zukünftige bestimmt also unser Handeln und unser Leben heute. Dieser Brief ist wahrscheinlich an hebräische, also an judenchristliche Gemeinden gerichtet. Verschiedene Ausleger weisen darauf hin, dass die Vorstellungen von der Zeit und damit auch von der Zukunft in der uns vertrauten griechisch-abendländischen Denkkultur andere sind als in der jüdisch-orientalischen. Im hebräischen Denken wird die Zeit als von hinten her auf den Menschen zukommend vorgestellt, im griechischen als vor dem Angesicht liegend bzw. vom Menschen weglaufend. Merken Sie? Diese unterschiedlichen Zeitvorstellungen verändern auch das Gefühl für die Zeit: Wem die Zeit vorausläuft, der hat eher den Impuls, hinterher zu laufen, festzuhalten der hat eher
5 Verlustgefühle. Wem hingegen die Zeit nachfolgt, der hat eher ein dankbar empfangendes, unbesorgtes Zeitgefühl. Um die Zukunft zu sehen, muss dieser Mensch sich umwenden, er muss umkehren und die Kontinuität seines Lebens verlassen. Für viele von uns sind der Jahreswechsel, der Geburtstag oder andere Jahrestage Gelegenheiten, Rückschau zu halten. Dankbar können wir auf das blicken, was im vergangenen Jahr gelungen, geglückt und gewachsen ist. Und manchmal können wir in dieser Rückschau auch Gottes segnendes Handeln erkennen. Das stärkt und ermutigt uns für das neue Jahr. Unsere Redewendung das Zeitliche segnen erhält so eine ganz neue Bedeutung: In Rückschau und Dank erfahren wir Segen und bewerten auch das herrliche Geschenk der Zukunft neu. Das Zeitliche segnen bedeutet so verstanden, Abschied zu nehmen und loszulassen und zugleich die Zukunft in den Blick zu nehmen und neu anzufangen. Unsere Zukunft ist das Reich Gottes, das im Stall von Bethlehem als Kind in die Welt gekommen ist, - das sich im Miteinander der Menschen jetzt ereignet und dessen Vollendung uns noch bevorsteht. All unser Tun
6 als Christinnen und Christen orientiert sich an Gottes Reich und dennoch liegt seine Vollendung nicht in unseren Händen. Vielmehr dürfen wir uns unbeirrt von der Zuversicht leiten lassen, dass Gott das Heft der Geschichte in der Hand hält. Die Jahreslosung nimmt eine biblische Grundhaltung auf, die trotz aller Bewegung unseres Lebens, trotz unseres Bemühens und unserer Arbeit ja, sogar trotz schwieriger politischer oder gesellschaftlicher Rahmenbedingungen, zuversichtlich in die Zukunft schaut. Abraham und die anderen Frauen und Männer der Bibel, die auf Gottes Zusage vertrauend ihr Zuhause verlassen und neue Heimaten gesucht haben, können uns da Vorbild sein. Auch die drei Weisen, die ohne rationale Argumente dem Stern ihrer Sehnsucht gefolgt sind und in Bethlehem Heil, Licht und Leben fanden. Die Mütter und Väter der Diakonie, die sich der Not der Menschen gestellt haben und neue Wege der Bewältigung dieser Not mutig beschritten haben. Und schließlich wird uns auch Dietrich Bonhoeffer darin zum Vorbild, der gegen alle nüchterne Wahrnehmung im Foltergefängnis der Nazis Weihnachten 1944 dichtet:
7 Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen Tag. Jesus selbst war mit seinen Jüngerinnen und Jüngern unterwegs von der Krippe hin zu Kreuz und Auferstehung. Auch wir sind auf dem Weg durch dieses neue Jahr. Doch ist die Zukunft nicht mehr ungewiss. Sie mag zwar von Veränderungen und Verunsicherungen geprägt sein. Sie wird für uns in der Diakonie unbequem und schwierig sein, denn die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen unserer Arbeit werden aller Voraussicht nach auch in Zukunft den Erfordernissen nicht entsprechen. Doch ungewiss ist unsere Zukunft nicht, denn wir können darauf vertrauen, dass Gott uns in dieser Zukunft entgegen kommt und mit uns geht. Er ermutigt uns zu neuen Wegen und hoffnungsvollen Schritten. Das Lied von Klaus-Peter Hertzsch, das er 1989 in Wendezeiten gedichtet hat, werden wir gleich singen (BG 763 / EG 395). Es spricht von dieser gewissen Hoffnung, die uns Neues wagen lässt, weil unsere Zukunft mit Gott verbunden ist. Er hat uns
8 Faszinierendes verheißen: Tränen werden getrocknet, kein Leid, kein Schmerz, kein Tod werden mehr sein. Wir sind unterwegs. Wir sind noch nicht fertig mit Gott und der Welt, denn die Erfüllung dieser Verheißung steht noch aus. Bis dahin bleiben wir Suchende, Wartende, vielleicht auch Unzufriedene, Unbequeme eben Protestanten, die sich nicht abfinden mit dem, was sie vorfinden, sondern sich beharrlich einmischen und einbringen, um unsere Welt heller, wärmer und erträglicher zu machen. Die Jahreslosung erinnert uns daran, dass unser Leben und unsere Welt noch nicht ans Ziel gekommen sind. Doch sie befreit uns davon, Bestehendes zu zementieren. Sie ermutigt uns: Gib dich nicht einfach zufrieden mit dem Hier und Heute deines Lebens, brich immer wieder neu auf. Auf diesem Weg möge Gottes Segen uns geleiten! Amen. Lied: BG 763, 1 3; Vertraut den neuen Wegen (Mel. 251.6)
9 Neujahrssegen DER HERR segne dich in dem neuen Jahr, das vor dir liegt. Der Herr behüte dich bei deinen Vorhaben und deinem Planen. Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir, über deinen Wegen durch Tiefen und über Höhen. Der Herr sei dir gnädig bei deinem Tun und Lassen. Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich, auf deine Wünsche und Hoffnungen. Der Herr gebe dir Frieden, innerlich und äußerlich, zeitlich und ewig. In Jesu Namen. Amen. nach Kurt Rommel zu 4. Mose 6, 24-26