Von der Würde des Menschen

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Transkript:

BEREICHE 1 Unser humanistisches Menschenbild 2 Gleichberechtigung, Toleranz und Respekt 3 Persönliche Freiheit, Verantwortung, Solidarität 4 Mündigkeit und Demokratie 5 Rechtssicherheit und Rechtsstaat 6 Bildungsbereitschaft und kulturelle Begegnung 7 Mensch und Natur ZIELE / KOMPETENZEN Verstehen, dass das Menschenbild entscheidend ist für den Einzelnen und die Gesellschaft Erschließen, auf welche Weise das in Europa heute dominante Menschenbild historisch gewachsen ist. Textkompetenz erweitern Aktuelle Themen unter dem Aspekt der Menschenwürde kritisch diskutieren UNTERRICHTSFÄCHER Geschichte und Sozialkunde PUP Ethik Religion fächerübergreifender Unterricht KLASSE 10. - 13. Schulstufe DAUER 3-4 Unterrichtseinheiten Von der Würde des Menschen Das humanistische Menschenbild Was Sie in diesem Modul erwartet Welche Werte in einer Gesellschaft bestimmend sind, hängt maßgeblich davon ab, welches Menschenbild im Lauf der Geschichte bestimmend geworden ist. In Europa hat sich trotz vieler Krisen und Rückschläge (Kriege, Diktaturen) das humanistische Menschenbild durchgesetzt. Menschenwürde ist ein Kernbegriff dieses Menschenbilds. Er steht daher auch im Zentrum dieses Moduls. Inhalte / Ziele / Methoden Sie lernen die Ursprünge dieses Menschenbilds in der römischen Antike kennen. Sie erfahren, in welcher Weise die christliche Religion den Grundsatz der Menschenwürde aus dem jüdischen Tanach (christlich Altes Testament) übernommen und weitergeführt hat. Sie analysieren einen Haupttext des Renaissance-Humanismus im Hinblick auf das Menschenbild (Pico della Mirandola: De hominis dignitate) Sie beschäftigen sich mit aufgeklärten Varianten des humanistischen Menschenbildes, die sich nicht mehr explizit auf die christliche Lehre beziehen (Kant, Schiller, Goethe) Sie erschließen Rechtsbestimmungen, die Menschenwürde im humanistischen Sinne zum Inhalt haben. Sie diskutieren aktuelle Problemthemen, die mit Menschenwürde zu tun haben. STICHTWORTE / THEMEN Europäisches Menschenbild in historischer Entwicklung, Menschenrechte und Menschenwürde, Freiheit und Verantwortung wertekompass-ooe.edugroup.at 1

1. Ursprung in der griechisch-römischen Antike In der griechischen Philosophie gibt es Menschenwürde als Begriff noch nicht, sehr wohl aber als Idee. Die Vorstellung des Philosophen Platon (428/427 bis 348/347 v. Chr.), jeder Mensch habe eine Seele, in der sein unveränderbares Wesen beheimatet sei, gibt dem Menschen gegenüber anderen Lebewesen eine Sonderstellung, man könnte auch sagen: eine besondere Würde. Die Seele ist etwas Göttliches, ihre Vervollkommnung durch ein tugendhaftes Leben ist Platon zufolge die eigentliche Lebensaufgabe des Menschen. Das lateinische Wort dignitas steht für menschliche Würde. Cäsar und Cicero haben es in ihren Schriften verwendet. Man verstand darunter in erster Linie die Würde, die an ein Amt und an einen sozialen Status gebunden ist, so zum Beispiel die Würde eines Senators oder eines Konsuls, in Zeiten der Monarchie die Würde des römischen Kaisers. Das Amt bringt Würde mit sich, aber der Amtsinhaber muss sich auch durch ein würdevolles Verhalten seines Amtes würdig erweisen. Diese Bedeutung des Wortes der Rechts- und Sozialphilosoph Dietmar von der Pfordten nennt dies die kleine Menschenwürde hat mit der heute üblichen Bedeutung nur teilweise etwas zu tun. Denn wir verstehen heute unter Menschenwürde vor allem einen Wert, der für alle Menschen aufgrund ihres Menschseins gilt, also unabhängig von ihrer sozialen Stellung in der Gesellschaft ( große Menschenwürde ). Der römische Staatsmann und Philosoph Marcus Tullius Cicero verwendet allerdings in seinem Werk De officiis den Begriff dignitas nicht nur im Sinne der kleinen Menschenwürde, sondern auch im Sinne der großen. Cicero sprach: [ ] nachweislich von allgemeiner Menschenwürde als Wesensmerkmal [ ], die er auf die [ ] Vernunftfähigkeit und den Geist des Menschen zurückführt, die ihn über alle Tiere erheben. Wie die antiken Griechen bewertet Cicero den aufrechten Gang und die Hände als äußere Zeichen menschlicher Wertbesonderheit. Allerdings steht im Mittelpunkt seiner Ausführungen die Menschenwürde weniger als Wesensbestimmung, sondern als Gestaltungsziel. Demnach ist Menschenwürde für Cicero weniger eine metaphysische Vorgabe als vielmehr eine konkrete Aufgabe. Er definiert sie hauptsächlich über innere Selbstbeherrschung, äußere Selbstdarstellung und gesellschaftliche Stellung. Menschenwürde kommt, so Cicero, durch Mäßigung und Geringschätzung der Leidenschaften, Seelenruhe, Herrschaft der Vernunft wie auch durch einen gepflegten Körper sowie ein kontrolliertes Auftreten in der Öffentlichkeit und damit zusammenhängend durch eine gehobene soziale Position zustande. (Wetz 2011, S. 33) Würde wird bei Cicero mit der menschlichen Natur in Verbindung gebracht und auf diese Weise als eine im Kern unveränderliche, notwendige und allgemeine Eigenschaft des Menschen verstanden. Festigen Sie Ihr Verständnis! (von der Pfordten 2016, S. 18) Erklären Sie, wie der griechische Philosoph Platon die besondere Würde des Menschen begründet. Beschreiben Sie die zwei Bedeutungsvarianten von Menschenwürde, die wir in Ciceros Schriften finden und die Dietmar von der Pfordten als große und kleine Menschenwürde bezeichnet. 2. Christlicher Humanismus Die christliche Theologie nahm auch Gedankengut aus der griechisch-römischen Antike auf, aber ein wesentlicher geistiger Bezugspunkt blieb für sie der Tanach, das heilige Buch der jüdischen Religion. Das Christentum hat die Bücher des Tanach übernommen und in etwas anderer Anordnung als Altes Testament kanonisiert. Im Buch Genesis wird dem Menschen eine Sonderstellung in der Schöpfung zugesprochen. Genesis 1,26-28 Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie. Gott segnete sie und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen. (Universität Innsbruck 2016, [Online]) 2

Die herausragende Stellung, die der Mensch in Gottes Schöpfung einnimmt (Gottes Ebenbild), ist eine wesentliche Grundlage seiner Würde. Der Mensch hat eine unsterbliche Seele, er hat Anteil an der Vernunft als göttlichem Schöpfungsprinzip ( logos ) und dadurch auch Freiheit des Willens. Er kann im Unterschied zum Tier sein Verhalten abwägen und entscheiden. Wesentlich ist auch, dass der christliche Humanismus universale Gültigkeit hat. Allen Menschen, nicht nur den Christen, kommt aufgrund ihres göttlichen Ursprungs, ihrer Seele und ihrer Vernunft Würde zu. Dieses Menschenbild lässt sich schon im frühen Christentum nachweisen. Bedauerlicherweise hat die Kirche nicht immer danach gehandelt. Der Islam hat, ähnlich wie das Christentum, das jüdische Bild vom Menschen als göttlichem Geschöpf sinngemäß übernommen. Die Sure 17/70 im Koran lautet: Und wahrlich, Wir zeichneten die Kinder Adams aus und trugen sie zu Land und Meer und versorgten sie mit guten Dingen und bevorzugten sie hoch vor vielen Unsrer Geschöpfe. Zur Festigung! (Henning, 1991, S. 275) Fassen Sie zusammen, welche Merkmale dem Menschen im christlichen Menschenbild zugesprochen werden. Gibt es im Hinblick auf den göttlichen Ursprung menschlicher Würde Gemeinsamkeiten zwischen den monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam? 3. Menschenwürde Auszeichnung und Aufgabe Der Renaissance-Humanismus (15./16. Jh.) basiert auf dem christlichen Humanismus, er modifiziert und erweitert ihn aber und steht in mancher Hinsicht auch in Gegensatz zum christlichen Verständnis. Während von manchen christlichen Theologen die Sündhaftigkeit des Menschen betont wird, sein Scheitern an den Aufgaben, die ihm Gott übertragen hat, vertreten die Renaissance-Humanisten ein eher optimistisches Menschenbild. Als repräsentatives Werk für den Renaissance-Humanismus gilt De hominis dignitate (Über die Würde des Menschen) von Pico della Mirandola (1463 bis 1494). Menschenwürde wird in diesem Werk hauptsächlich als Aufgabe des Menschen gesehen. Gott hat nur die Voraussetzungen dafür geschaffen, die Verwirklichung ist Sache des Menschen. Der italienische Humanist schildert eingangs den Schöpfungsvorgang und lässt Gott zu Adam Folgendes sagen: Keinen bestimmten Platz habe ich dir zugewiesen, auch keine bestimmte äußere Erscheinung und auch nicht irgendeine besondere Gabe habe ich dir verliehen, Adam, damit du den Platz, das Aussehen und alle die Gaben, die du dir selber wünschst, nach deinem eigenen Willen und Entschluß erhalten und besitzen kannst. Die fest umrissene Natur der übrigen Geschöpfe entfaltet sich nur innerhalb der von mir vorgeschriebenen Gesetze. Du wirst von allen Einschränkungen frei nach deinem eigenen freien Willen, dem ich dich überlassen habe, dir selbst deine Natur bestimmen. In die Mitte der Welt habe ich dich gestellt, damit du von da aus bequemer alles ringsum betrachten kannst, was es auf der Welt gibt. Weder als einen Himmlischen noch als einen Irdischen habe ich dich geschaffen und weder sterblich noch unsterblich dich gemacht, damit du wie ein Former und Bildner deiner selbst nach eigenem Belieben und aus eigener Macht zu der Gestalt dich ausbilden kannst, die du bevorzugst. Du kannst nach unten hin ins Tierische entarten, du kannst aus eigenem Willen wiedergeboren werden nach oben in das Göttliche. Welch übergroße Freigebigkeit des Vatergottes, welch übergroßes und bewundernswertes Glück des Menschen, dem gegeben ist zu haben, was er wünscht, und zu sein, was er zu sein verlangt. Die Tiere bringen bei ihrer Geburt aus dem Mutterleib (so sagt Lucilius) alles mit sich, was sie besitzen werden. Die höchsten Geister sind entweder von Beginn an oder bald darauf gewesen, was sie von Ewigkeit zu Ewigkeit sein werden. Dem Menschen hat bei der Geburt der Vater Samen jedweder Art und Keime zu jeder Form von Leben mitgegeben. Die, die jeder pflegt, werden sich entwickeln und ihre Früchte an ihm tragen: Sind sie pflanzlicher Natur, wird er zur Pflanze werden. Sind es Keime der Sinnlichkeit, so wird er zum Tier werden. Sind es Keime der Vernunft, so wird er zum himmlischen Lebewesen werden. Sind es Keime des Geistes, wird er ein Engel sein und Gottes Sohn. Klären Sie Ihr Textverständnis (Pico della Mirandola 2009, S. 9f) Pico della Mirandola lässt Gott zu Adam sprechen. Wie beschreibt Gott die Stellung des Menschen im Vergleich mit anderen Geschöpfen? Erklären Sie die Aufgabe, die Pico della Mirandola für den Menschen aus dessen besonderer Stellung ableitet. Worin besteht die Aufgabe eines jeden Menschen, sein eigenes Leben betreffend? 3

4. Aufklärung und deutscher Idealismus Immanuel Kant (1724 bis 1804) ist der überragende Philosoph der Aufklärung in Deutschland. In seiner Ethik kommt dem Begriff Menschenwürde eine zentrale Bedeutung zu. Kant beruft sich dabei nicht mehr ausdrücklich auf die biblische Überlieferung, sondern etwas vereinfacht auf folgende Wesensbestimmung des Menschen: Der Mensch hat eine sinnliche-körperliche Natur. Das verbindet ihn mit dem Tier. Aber der Mensch hat auch Vernunft und Freiheit des Willens. Er kann sittliche Entscheidungen treffen, auch gegen seine naturwüchsigen Eigeninteressen und Triebe. Aus dieser Orientierung auf das Sittengesetz ergibt sich die menschliche Würde. Auch Kant betont so wie Pico della Mirandola die Verwirklichung der Menschenwürde als Aufgabe, der sich die Menschen stellen müssen. Würdelos sind für Kant zum Beispiel Geiz, Verleumdung, Hochmut, Lüge, Kriecherei aber auch die Selbsttötung, worüber andere humanistische Philosophen (z.b. der Römer Seneca) eine andere Meinung hatten. Auch Dichter des 18. und frühen 19. Jahrhunderts waren von diesem idealistischen Menschenbild der Aufklärung beeinflusst, zum Beispiel Friedrich Schiller (1759 bis 1805). Das lässt sich in seinem künstlerischen Werk und in seinen theoretischen Schriften (Über Anmut und Würde, Über die ästhetische Erziehung des Menschen) nachweisen. Auch bei Johann Wolfgang von Goethe (1749 bis 1832, gemeinsam mit Friedrich Schiller der Repräsentant der Weimarer Klassik) bezieht sich in seinen Werken mehrmals auf das idealistische Menschenbild in humanistischer Tradition. Johann Wolfgang von Goethe: Das Göttliche Edel sei der Mensch, Hülfreich und gut! Denn das allein Unterscheidet ihn Von allen Wesen Die wir kennen. Heil den unbekannten Höhern Wesen Die wir ahnden! Ihnen gleiche der Mensch; Sein Beispiel lehr uns Jene glauben. Denn unfühlend Ist die Natur; Es leuchtet die Sonne Über Bös und Gute, Und dem Verbrecher Glänzen wie dem Besten Der Mond und die Sterne. Wind und Ströme Donner und Hagel Rauschen ihren Weg, Und ergreifen Vorübereilend Einen um den andern. Auch so das Glück Tappt unter die Menge, Faßt bald des Knaben Lockige Unschuld Bald auch den kahlen Schuldigen Scheitel. Nach ewigen ehrnen Großen Gesetzen Müssen wir alle Unseres Daseins Kreise vollenden. Nur allein der Mensch Vermag das Unmögliche, Er unterscheidet Wählet und richtet, Er kann dem Augenblick Dauer verleihen. Er allein darf Dem Guten lohnen, Den Bösen strafen; Heilen und retten Alles Irrende, Schweifende Nützlich verbinden. [ ] Zum Textverständnis (Goethe 1987, S. 90f) Johann Wolfgang von Goethe positioniert den Menschen zwischen Himmel und Erde (Engel Mensch Tier). Damit steht er in der Tradition des Humanismus. Er spricht aber nicht mehr von Gott, sondern vom Göttlichen bzw. von höhern Wesen, in anderen Texten auch von den Göttern. Die Dichter der deutschen Klassik greifen hier ganz bewusst auf die religiösen Bilder der Antike zurück, ohne deswegen an die Götter der griechischen oder römischen Antike zu glauben. Allerdings erkennt man daran eine Distanzierung vom Gottesbild der christlichen Theologie. Welche Forderungen stellt Goethe an den Menschen (1. Strophe)? 4

Goethe führt beispielhaft aus, in welchen Punkten sich der Mensch von der unfühlenden Natur und vom planlosen Schicksal unterscheidet, in welcher Hinsicht er göttlich sein kann. Führen Sie diese Punkte an. 5. Menschenwürde in internationalen Rechtsdokumenten Dass in internationalen Rechtsdokumenten nach 1945 der Begriff Menschenwürde häufig verwendet wurde, ist eine Reaktion auf die Verbrechen totalitärer Ideologien (Nationalsozialismus, Stalinismus) gegen die Menschlichkeit. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte durch die UNO (10. Dezember 1948) Artikel 1: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geiste der Brüderlichkeit begegnen. Artikel 22: Jeder Mensch hat als Mitglied der Gesellschaft Recht auf soziale Sicherheit; er hat Anspruch darauf, durch innerstaatliche Maßnahmen und internationale Zusammenarbeit unter Berücksichtigung der Organisation und der Hilfsmittel jedes Staates in den Genuß der für seine Würde und freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte zu gelangen. Artikel 23: Jeder Mensch, der arbeitet, hat das Recht auf angemessene und befriedigende Entlohnung, die ihm und seiner Familie eine der menschlichen Würde entsprechende Existenz sichert und die, wenn nötig, durch andere soziale Schutzmaßnahmen zu ergänzen ist. Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 18. Dezember 2000. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen. (zit. n. Wetz 2011, S. 192f) Zum Textverständnis Erklären Sie, aufgrund welchen Menschenbilds in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von menschlicher Würde gesprochen wird. Interpretieren Sie Artikel 22 und 23. Welche Voraussetzungen für ein Dasein in Würde sprechen diese Artikel an? 6. Aktuelle Fragen, bei denen Menschenwürde Thema der Auseinandersetzung ist 6.1 Was darf die Satire? Satire ist eine Kunstform, mit der Personen, Ereignisse oder Zustände kritisiert, verspottet oder angeprangert werden. Typisches Stilmittel der Satire ist die Übertreibung. So lesen wir auf Wikipedia. Satirische Darstellungsmittel findet man in der Literatur, im Film, in der bildenden Kunst, aber auch im Journalismus. Daher gilt für die Satire die Freiheit der Kunst und der Presse, wie sie in demokratischen Rechtsstaaten üblich ist. Die Satire darf alles schrieb der deutsche Schriftsteller Kurt Tucholsky in seinem Essay zur Frage Was darf die Satire? - Aber so einfach ist es nicht. Die Geschichte zeigt, dass auch in Demokratien Gerichtsprozesse gegen Satirezeitschriften zustande kommen, weil karikierte, verhöhnte Objekte der Satire ihre Menschenwürde verletzt sehen. Dazu ein Beispiel: Papst Benedikt XVI. wehrte sich gegen eine Karikatur im deutschen Satiremagazin Titanic. Papst lässt aktuellen Titanic-Titel verbieten Benedikt stoppt per einstweiliger Verfügung die Verbreitung des Satiremagazins. Auf dem Titel ist er in weißer Soutane mit einem gelben Fleck im Schritt zu sehen gewesen. Benedikt XVI. hat eine einstweilige Verfügung gegen das Satiremagazin Titanic erzwungen. Das Blatt darf den Papst nicht mehr mit einem großen gelben Fleck vorne und einem braunen Fleck hinten auf der Soutane auf Titelbild und Rückseite zeigen, sagte eine Sprecherin des Landgericht Hamburg. Titanic dürfe unter Androhung eines Zwangsgeldes die Hefte nicht weiter verbreiten und die Bilder nicht im Internet veröffentlichen. Allerdings müssten die bereits an den Handel verschickten Ausgaben nicht zurückgerufen werden. Benedikt hatte einen Rechtsanwalt beauftragt, wegen Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte 5

durch das aktuelle Titelbild gegen das Blatt vorzugehen. Ein Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz sagte, die Titanic überschreite jedes Maß an Zumutbarem. Das Foto mit dem Fleck auf dem Gewand ist als Anspielung auf die Spitzelaffäre der Kurie zu verstehen: Halleluja im Vatikan Die undichte Stelle ist gefunden. Auf der Rückseite der Ausgabe ist ein dunkler Fleck am Gesäß des Gewands zu sehen, darüber steht: Noch eine undichte Stelle entdeckt. [ ] Das traditionsreiche Satiremagazin holte sich in seiner Geschichte schon etliche Klagen mit satirischen und provokanten Titelbildern ein. Politiker, Unternehmen und die katholische Kirche zogen mehrfach gegen das Blatt vor Gericht mit unterschiedlichem Erfolg. nach einer längeren Verbüßung (jetzt fünfzehn Jahren) eine realistische, rechtliche Chance hat, auf Bewährung freizukommen (BVerfGE 45, 187 (227 ff, 245)). Die bloße Hoffnung, Gnade zu erlangen, genügt dafür nicht. Ohne Chance der Freilassung ähnelt die lebenslange Haft der Sklaverei und der Zwangsarbeit. (von der Pfordten 2016, S. 112) Begründet wird diese Sichtweise damit, dass der / die Gefangene in seinen Primärbedürfnissen stark fremdbestimmt und eingeschränkt wird: streng geregelter Tagesablauf, eng begrenzter Lebensraum, eingeschränkter Sozialkontakt, Entfaltung von Aktivitäten kaum möglich. Die Erfüllung von Sekundärwünschen wie geselliges Leben, Sport, Musik ist daher nur sehr eingeschränkt möglich. Dadurch wird die Menschenwürde verletzt. (ZEIT ONLINE 2012, [Online]) 6.2 Widerspricht die lebenslange Freiheitsstrafe der Menschenwürde? Eine lebenslange Haft verstößt - so das (deutsche, Anm.) Bundesverfassungsgericht - nicht gegen die Menschenwürde, wenn der Strafgefangene Zur Diskussion Diskutieren Sie die in den beiden Beispielen angesprochenen Themen und formulieren Sie Ihre eigene Meinung in einer kurzen Stellungnahme. Literaturnachweis Della Pico Mirandola, Giovanni (2012): De hominis dignitate. Pisa: Edizioni della Normale. Die Bibel in der Einheitsübersetzung. Das Buch Genesis, Kapitel 1. Online verfügbar unter https://www.uibk. ac.at/theol/leseraum/bibel/gen1.html, zuletzt geprüft am 19.09.2016. Goethe, Johann Wolfgang von; Lange, Victor; Richter, Karl; Zehm, Edith (Hg.) (1987): Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Ungekürzte Lizenzausg. Gütersloh: Bertelsmann-Club. Henning, Max (1991): Der Koran. Durchges. und verb. Ausg., [Nachdr.]. Stuttgart: Reclam. Pfordten, Dietmar von der (2016): Menschenwürde. Originalausgabe. München: Verlag C.H. Beck. Wetz, Franz Josef (Hg.) (2011): Texte zur Menschenwürde. Stuttgart: Reclam. Wikipedia (2016): Satire. Online verfügbar unter https://de.wikipedia.org/wiki/satire, zuletzt aktualisiert am 19.09.2016. ZEIT ONLINE (2012): Papst lässt aktuellen Titanic-Titel verbieten. Online verfügbar unter http://www.zeit.de/ gesellschaft/2012-07/titanic-papst-klage, zuletzt geprüft am 19.09.2016. Impressum Herausgeber: Amt der Oberösterreichischen Landesregierung, Direktion Bildung und Gesellschaft, Bahnhofplatz 1, 4021 Linz Autor: Dr. Christian Schacherreiter Satz & Layout: Education Group GmbH Inhaltliche Leitung: LSR Oberösterreich Stand: September 2016 6