Vollständiger Impfschutz nach den STIKO-Empfehlungen als Voraussetzung für den Besuch von Gemeinschaftseinrichtungen für Kinder und Jugendliche

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Transkript:

Vollständiger Impfschutz nach den STIKO-Empfehlungen als Voraussetzung für den Besuch von Gemeinschaftseinrichtungen für Kinder und Jugendliche Stellungnahme der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.v. Impfungen gehören zu den wichtigsten Maßnahmen der primären Prävention von Infektionskrankheiten. In Gemeinschaftseinrichtungen wie Kinderkrippe, Kindergarten oder Schule wird die Übertragung von Infektionskrankheiten durch die dort unvermeidbaren engen Kontakte begünstigt. Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte hat bereits im Juni 2005 auf dem 35. Kinder- und Jugendärztetag in Berlin die Bundesländer aufgefordert, die Aufnahme von Kindern in Krippen, Kindergärten und Schulen von einem kompletten nach STIKO-Empfehlungen durchgeführten Impfschutz abhängig zu machen [4]. 2006 forderte der 109. Deutsche Ärztetag in Magdeburg, dass in die genannten Einrichtungen nur Kinder aufgenommen werden sollten, die einen vollständigen Impfstatus entsprechend den nach 20 (3) IfSG von den obersten Landesgesundheitsbehörden öffentlich empfohlenen Schutzimpfung dokumentiert vorweisen können, es sei denn, nach ärztlichem bzw. amtsärztlichem Urteil wäre eine Impfung bei dem Kind oder Jugendlichen kontraindiziert [10]. Trotz dieser Aufforderungen sind bei Bund und Ländern bisher keine Initiativen zu erkennen diese Forderungen umzusetzen. Regionale Ausbrüche von Maserninfektionen, 2006 in Nordrhein-Westfalen [11,12] und Niederbayern [2], 2007/2008 in der Schweiz [14] mit Ausbreitung nach Baden-Württemberg [13], sowie die Masernausbrüche in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich 2008 [15] belegen die Aktualität des Themas. Die Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin möchte daher die Forderungen des deutschen Ärztetages von 2006 erneut ins Bewusstsein rufen und die zuständigen Stellen zum Handeln aufrufen. Durch Impfungen konnten bedrohliche Infektionskrankheiten wie Diphtherie, Poliomyelitis, Keuchhusten und Masern weltweit zurückgedrängt oder wie die Pocken bereits ausgelöscht werden. Die heute verfügbaren Impfstoffe sind effektiv und gut verträglich. Durch Unterbrechung der Infektionskette tragen Impfungen zum Schutz Nichtgeimpfter bei (Herdenimmunität). Die meisten impfpräventablen Infektionskrankheiten werden als Tröpfchen- oder Schmierinfektion übertragen. Sie treten häufig schon im Säuglingsalter auf und können zu schwerwiegenden Komplikationen führen. Impfungen werden daher zum frühestmöglichen Erreichen eines Impfschutzes bereits im Säuglings- und Kleinkindesalter IK_SN_Impfpflicht_final_060209_korr.doc 1 von 6

empfohlen, in Deutschland durch die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch- Institut. Besucht ein ungeimpftes Kind eine Gemeinschaftseinrichtung, besteht einerseits für dieses Kind selbst das Risiko, sich dort eine impfpräventable Krankheit zuzuziehen, andererseits besteht die Gefahr, dass dieses Kind andere ungeschützte Kinder ansteckt. Dabei sind insbesondere Kinder gefährdet, die aufgrund von Kontraindikationen, z.b. bei angeborenem Immundefekt oder immunsuppressiver Therapie, nicht geimpft werden können und für ihren Schutz auf Herdenimmunität angewiesen sind. Gefährdet sind aber auch junge und daher nach STIKO-Empfehlungen noch unvollständig geimpfte Kinder im ersten und zweiten Lebensjahr. Mit dem verstärkten Ausbau der institutionellen Krippenbetreuung wird der Anteil dieser Altersgruppe in Gemeinschaftseinrichtungen stark zunehmen. Sowohl bei diesen jungen Kindern als auch bei Kindern, bei denen Kontraindikationen zum Impfen bestehen, ist ein erhöhtes Risiko eines schweren, ggf. tödlichen Krankheitsverlaufs oder eines bleibenden Gesundheitsschadens gegeben. Untersuchungen in Deutschland zeigen, dass Kinder oft nicht zeitgerecht, sondern deutlich später als von der STIKO empfohlen, geimpft werden [1]. Daher sind viele Kinder möglicherweise noch ungeschützt, wenn sie nach STIKO-Empfehlungen bereits geimpft sein könnten. Andere Kinder erhalten empfohlene Impfungen überhaupt nicht. Die jüngsten Masernausbrüche in Gemeinschaftseinrichtungen in mehreren Bundesländern haben gezeigt, dass durch ungeimpfte Kinder eine rasche Ausbreitung in der Bevölkerung erfolgte und viele ungeschützte Menschen schwer erkrankten [11]. Die Sorge um einen frühzeitigen und vollständigen Impfschutz liegt in der Verantwortung von Staat, öffentlichen Einrichtungen, betreuenden Ärzten und Eltern. Die Bundesrepublik Deutschland hat die UNO-Konvention zum Schutz der Kinder sowie das Zusatzprotokoll der Sondertagung der UNO aus dem Jahre 2002 ratifiziert [5,6]. In Artikel 24 erkennen die Vertragsstaaten das Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit an mit der Verpflichtung, sich zu bemühen dass alle Kinder die notwendige ärztliche Hilfe und Gesundheitsfürsorge erhalten. Im Zusatzprotokoll wird den Kindern das Recht auf Impfung gegen verhütbare Krankheiten und die Durchführung der Routine- Impfungen konkret zuerkannt, um das Recht der Kinder auf Gesundheit zu gewährleisten. Impfungen werden in Deutschland auf freiwilliger Basis durchgeführt. Die von der STIKO empfohlenen Impfungen werden in der Regel von den Bundesländern nach 20 (3) des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) öffentlich empfohlen [7]. Damit haftet der Staat für mögliche IK_SN_Impfpflicht_final_060209_korr.doc 2 von 6

Gesundheitsschäden aufgrund empfohlener Impfungen. Bundesregierung und Bundesländer können nach 20 (6) IfSG bei bedrohlichen Krankheiten eine Impfpflicht einführen. Nach 34 (10) IfSG haben Gemeinschaftseinrichtungen und Gesundheitsämter die Aufgabe, Eltern über einen ausreichenden Impfschutz ihrer Kinder - gemäß den aktuellen STIKO- Empfehlungen - und über die Verhinderung übertragbarer Krankheiten aufzuklären. Ärztinnen und Ärzte sind nach dem Urteil des Bundesgerichtshofes von 15.2.2000 verpflichtet, im Rahmen des Behandlungsvertrages und ihrer Sorgfaltspflicht den Patienten auch über präventive Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit aufzuklären [3]. Dies gilt auch für Impfungen. Dabei sind Vor- und Nachteile der Impfung auf Basis des aktuellen Wissens zu erläutern. Die STIKO-Empfehlungen sind nach diesem Urteil medizinischer Standard. Die Aufklärung über mögliche, auch seltene Nebenwirkungen ist verpflichtend. Die ärztliche Aufklärung und die Entscheidung der Eltern sind zu dokumentieren. Werden diese Vorgaben nicht umgesetzt und treten Folgen durch unterlassene oder falsche Informationen auf, drohen berufs-, haftungs- und/oder strafrechtrechtliche Konsequenzen. Der 109. Deutsche Ärztetag 2006 in Magdeburg hat die Ärztekammern zur Prüfung aufgefordert, ob gegen Ärzte, die sich explizit und wiederholt gegen empfohlene Schutzimpfungen nach 20 (3) des Infektionsschutzgesetzes aussprechen, berufsrechtliche Schritte eingeleitet werden können, da sie mit ihrem Verhalten gegen das Gebot der ärztlichen Sorgfalts- und Qualitätssicherungspflicht verstoßen [9]. Eltern haben nach 1626 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge) [8]. Die Personensorge umfasst nach 1631 BGB (1) insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. Auch Entscheidungen über medizinische Fragen (Arztbesuche, Operationen, medizinische Behandlungen) gehören dazu. Grundsätzlich muss die elterliche Sorge zum Wohl des Kindes ausgeübt werden. Bei Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohles des Kindes wegen mangelnder elterlicher Sorge muss das Familiengericht Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr treffen, damit öffentliche Hilfen wie z.b. Leistungen der Gesundheitsfürsorge in Anspruch genommen werden. Bei Gegenüberstellung der Rechte der Eltern und des Wohles des Kindes sind diese Rechtsgüter nicht gleichrangig, sondern das Wohl des Kindes hat Vorrang. Versäumte Impfungen allein stellen nach derzeitiger Rechtsprechung keine Gefährdung des Kindeswohles dar, so dass Eltern auf der Basis des BGB und familiengerichtlicher Maßnahmen nicht zur Durchführung von Impfungen verpflichtet werden können. IK_SN_Impfpflicht_final_060209_korr.doc 3 von 6

Während der weit überwiegende Teil der Eltern seine Kinder durch Impfungen schützt, gibt es andere Eltern, die ihrem Kind aus ideologischen Gründen oder aus mangelnder Sorgfalt Impfungen vorenthalten. Eltern, die ihrer elterlichen Sorge zum Impfen nicht nachkommen, gefährden allerdings nicht nur die Gesundheit des eigenen Kindes, sondern auch anderer Menschen. Durch die Impfung ihres Kindes übernehmen Eltern Verantwortung für die Gesellschaft, indem sie dazu beitragen, den Impfschutz der Bevölkerung (Herdenimmunität) zu verbessern. Sie verhindern damit auch, dass erkrankte Kinder und Jugendliche Infektionen außerhalb der Einrichtung weiter verbreiten. Durch Impfungen vermeidbare Infektionskrankheiten wie Masern, Mumps und Varizellen führen jenseits der Kindheit und bei Immungeschwächten (z.b. Tumorpatienten unter Chemotherapie) oftmals zu schweren Krankheitsverläufen. Infektionskrankheiten wie Röteln und Varizellen gefährden die Gesundheit und das Leben ungeborener Kinder. Stellungnahme der Kommission Die UN-Kinderkonvention spricht jedem Kind das Recht auf Impfung gegen verhütbare Krankheiten zu. Die Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin will die Forderungen des deutschen Ärztetages und des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte, die Aufnahme von Kindern in Krippen, Kindergärten und Schulen von einem vollständigen Impfstatus entsprechend den nach 20 (3) IfSG von den obersten Landesgesundheitsbehörden öffentlich empfohlenen Schutzimpfungen bzw. einem altersentsprechend kompletten nach STIKO-Empfehlungen durchgeführten Impfschutz (Standardimpfungen für Säuglinge und Kleinkinder und entsprechende Auffrischimpfungen) abhängig zu machen, erneut ins Bewusstsein bringen und die zuständigen staatlichen Stellen zum Handeln aufrufen, aber auch auf Verantwortlichkeiten von Eltern und Ärzten hinweisen. Die Kommission fordert die Bundesregierung auf, das Infektionsschutzgesetz dahingehend weiter zu entwickeln, dass der Besuch einer Gemeinschaftseinrichtung nur dann zulässig ist, wenn Kinder und Jugendliche über einen altersgemäß vollständigen Impfschutz zumindest gegen die unmittelbar von Mensch zu Mensch übertragbaren Infektionskrankheiten Diphtherie, Pertussis, Haemophilus influenzae Typ B, Hepatitis B, Poliomyelitis, Pneumokokken, Meningokokken Gruppe C, Masern, Mumps, Röteln und Varizellen nach den Empfehlungen der STIKO verfügen, sofern keine Kontraindikationen bestehen, IK_SN_Impfpflicht_final_060209_korr.doc 4 von 6

die Länder auf, zur Verbesserung des Impfschutzes in ihren Gesetzen zur institutionellen Betreuung in Kindertageseinrichtungen einheitliche Regelungen zur verbindlichen ärztlichen Überprüfung des Impfstatus und Hinwirken auf Komplettierung vor der Aufnahme sowie zur Dokumentation des Impfschutzes in den Einrichtungen aufzunehmen, die Länder auf, die Aufklärung der Eltern über Infektionskrankheiten und altersgerechten Impfschutz nach 34 Infektionsschutzgesetz flächendeckend und kontinuierlich umzusetzen, Eltern auf ihre Verantwortung hinzuweisen, die sie durch die Impfung des Kindes für ihr Kind und das Gemeinwohl übernehmen und auf eine konsequente Durchführung der Standardimpfungen hinzuwirken, die Landesärztekammern auf, den Beschluss des 109. Deutsche Ärztetages 2006 umzusetzen und rechtliche Schritte gegen Ärztinnen und Ärzte einzuleiten, die mit ihrem Verhalten gegen das Gebot der ärztlichen Sorgfalts- und Qualitätssicherungspflicht verstoßen, die Eltern auf, das Recht der elterlichen Sorge zum Wohl des Kindes auszuüben und ihr Kind durch Impfungen vor vermeidbaren schweren Infektionskrankheiten zur schützen. Literatur 1. Bader HM, Rasche S (2007) Impfschutz bei Aufnahme in den Kindergarten Schleswig- Holstein 2006. Schleswig-Holsteinisches Ärztebl 9:45-50 2. Bernard. H., Siedler A. Zu einem Masernausbruch in Niederbayern im 1. Halbjahr 2007. Epidemiol Bull 37:344-347 3. BGH-Urteil vom 15. Februar 2000 Az. VI ZR 48/99; NJW 2000:1784-1788; www.bundesgerichtshof.de/entscheidungen 4. BVKJ: Kinder- und Jugendärzte fordern allgemeine Impfpflicht, 35. Kinder- und Jugendärztetag 2005. http://www.kinderaerzte-im-netz.de 5. Deutsche Bundesregierung (1992) Übereinkommen über die Rechte des Kindes. Gesetz vom 17.02.1992. BGBl II:121 6. Deutsche Bundesregierung (1992) Hinterlegung der Ratifikationsurkunde beim Generalsekretär der Vereinten Nationen. Bekanntmachung vom 10.07.1992. BGBl II:990 7. Deutsche Bundesregierung (2000) Infektionsschutzgesetz vom 20.07.2000. BGBl. I:1045 IK_SN_Impfpflicht_final_060209_korr.doc 5 von 6

8. Deutsche Bundesregierung (2008) Bürgerliches Gesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 2.01.2002 (BGBl. I:42, 2909; 2003 I:738), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 04.072008. BGBl. I:1188 9. Deutscher Ärztetag (2006) Prävention/Impfen, 11. Impfungen. Beschluss 109. Deutscher Ärztetag, Berlin, www.baek.de/page.asp?his=0.2.20.1157.3920.3977.4007.4018 10. Deutscher Ärztetag (2006) Prävention/Impfen, 13. Impfstatus in Gemeinschaftseinrichtungen, Beschluss 109. Deutscher Ärztetag, Berlin, www.baek.de/page.asp?his=0.2.20.1157.3920.3977.4007.4019 11. Horacek U (2007) Arbeitsgruppe Masern in NRW: Masern: Zu einem Ausbruch in NRW 2006 Konsenspapier einer Arbeitsgruppe der beteiligten Gesundheitsämter. Epidemiol Bull 13:109-112 12. Santibanez S (2007) NRZ Masern, Mumps, Röteln am RKI, Masern Zur Situation in Deutschland. Epidemiol Bull 37:341 344 13. Pfaff G, Mezger B, Santibanez S, Hoffmann U, Maassen S, Wagner U, Siedler A. Measles in south-west Germany imported from Switzerland a preliminary outbreak description. Euro Surveill. 2008;13(8):pii=8044; www.eurosurveillance.org/viewarticle.aspx?articleid=8044 14. Richard J, Masserey-Spicher V, Santibanez S, Mankertz A (2008) Measles outbreak in Switzerland an update relevant for the European football championship (EURO 2008). Euro Surveill. 2008;13(8):pii=8043; www.eurosurveillance.org/viewarticle.aspx?articleid=8043 15. Siedler, A,RKI (2008) Zu den Masernausbrüchen in Deutschland, in der Schweiz und in Österreich. Epidemiol Bull 19:152-153 Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der DAKJ: Prof. Dr. Dr. P. Bartmann, Prof. Dr. U. Heininger (Kommissionssprecher), Prof. Dr. H. I. Huppertz, Dr. M. Kinet, Dr. R. Klein, Prof. Dr. C. Korenke Korrespondenzadresse: Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.v. Prof. Dr. med. Hans-Jürgen Nentwich, Generalsekretär Chausseestr. 128/129 10115 Berlin Tel.: 030.4000588-0 Fax.: 030.4000588-88 e- Mail: kontakt@dakj.de Internet: www.dakj.de IK_SN_Impfpflicht_final_060209_korr.doc 6 von 6