Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Bischof Dr. Dr. h.c. Markus Dröge, Predigt im Ordinationsgottesdienst 25. September 2016, St. Nikolai Luckau, Römer 14,17-19. Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen. I. Mir ist noch gut die Geschichte von einem Vikar im Ohr, der mir allerdings schon vor ziemlich langer Zeit von seiner ersten Predigt im Gottesdienst berichtete. Gewissenhaft hatte er über dem Text gebrütet, mehrmals Gedanken verworfen, Predigtteile umgeschrieben und sich überlegt, wie er die Gemeinde ansprechen könnte. So ist er mit großen Gedanken und tiefgehenden geistlichen Entdeckungen auf die Kanzel gestiegen, ein bisschen aufgeregt natürlich, und hat voller Leidenschaft gepredigt. Die Gemeinde am Ausgang war hoch erfreut. Und so erfreut ging er schließlich auch zu seinem Anleiter aus der Gemeinde und war gespannt auf seine Reaktion. Der aber blickte nur nach unten und sagte: Also mit ungeputzten Schuhen kann man nicht auf die Kanzel gehen. Das war s. Mehr nicht. Die Schuhe sind dem Vikar im Gedächtnis geblieben. Mehr als der Inhalt seiner Predigt, erzählte er mir. Der Vikar ist bis heute in regem und gutem Kontakt mit seinem damaligen Mentor und beide lachen über die Geschichte. Aber er hat von damals die Erfahrung mitgenommen: Es sind oft diese Kleinigkeiten, diese Nebensächlichkeiten, die das Bild eines anderen prägen, ohne dass man ihn eigentlich kennt. Die Äußerlichkeiten springen einem sofort ins Auge, und dann gehen die Schubladen im Kopf auf und man ordnet den anderen da ein. * Der Predigttext für den heutigen Sonntag hat diese kleine Geschichte wieder in mir wachgerufen. Denn dort heißt es gleich zu Beginn: Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. 1
Essen und Trinken, sprich: unsere Normalität, das Alltägliche, das Sicht- und Greifbare, geprägt von Gepflogenheiten und Sitten aber all das soll, so Paulus, nun gerade nicht die entscheidende Perspektive sein. Hinter dem Essen und Trinken, hinter den Alltäglichkeiten gilt es, etwas Gemeinsames zu entdecken. Wenn es uns gelingt, über das unmittelbar Erkennbare hinauszukommen, sensibel zu werden für das, was sich hinter den Fassaden verbirgt, hinter den eigenen und den fremden, dann können wir miteinander etwas vom Reich Gottes entdecken: - etwas von der Gerechtigkeit, einander auf Augenhöhe zu begegnen; - etwas von dem Frieden, der unser Herz mit anderen verbindet; - etwas von der Lebensfreude, die unsere Seele mit den Harmonien Gottes erfüllt. Oft bleiben wir im Alltag an den Äußerlichkeiten, den geputzten oder ungeputzten Schuhen, hängen. Die täglichen Erfordernisse, und wie wir sie bewältigen, halten uns davon ab, unsere Mitmenschen genauer wahrzunehmen. Aber viele warten darauf, genau auf das hin angesprochen zu werden, auf das, was über das Alltägliche hinausgeht. * Sie, liebe Schwestern und Brüder, die wir heute ordinieren, werden erwartet in den Gemeinden, in den Werken, in Ihrem beruflichen Umfeld. Menschen warten darauf, von Ihnen auf das Größere, das Tiefere ihres Lebens hin angesprochen zu werden. Sie warten auf Sie, liebe Ordinandinnen und Ordinanden, den den Auftrag bekommen, nicht am Äußerlichen hängenzubleiben, sondern die wesentlichen Fragen anzusprechen. Und genauso wie andere, so brauchen auch Pfarrerinnen und Pfarrer selbst diesen Blick in die Tiefe. Und so wünsche ich Ihnen, für Ihren Dienst, dass Sie sich dafür Räume schaffen, um hinter das Alltägliche zu blicken. Bei den vielen Anforderungen, die zum ordinierten Dienst gehören, brauchen auch sie die be- 2
wusste geistliche Stärkung. Sie sind gefordert in den vielen Begegnungen mit anderen Menschen. Im Gottesdienst. Bei Trauungen, Taufen und Beerdigungen. All das bringt Sie immer wieder in Kontakt mit dem Sinn hinter den täglichen Routinen. Oft nicht planbar, sondern sehr situationsabhängig. Das erfordert Präsenz und Aufmerksamkeit. Aber es ist tief beglückend, denn es führt uns hinein in die Resonanz des Lebens als Ganzem. II. Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken. Aber! So will ich gleich hinzufügen: Essen und Trinken, das gehört dennoch zu unserem Dasein wesentlich dazu. Gerade in unserer religiösen Tradition wird das Essen und Trinken stark aufgewertet. Es wird aufs Engste mit dem Reich Gottes verbunden, mit der Sehnsucht nach erfülltem Leben. In der Welt der Bibel verstand es sich nicht von selbst, dass jede und jeder immer zu essen hatte, so wie es heute in vielen Weltgegenden noch immer ist. Satt-Werden war der Inbegriff des guten Lebens und der Erweis der Treue Gottes. Die Gemeinschaft mit Gott wurde erfahrbar im Essen und Trinken. Vor dem Herrn, eurem Gott, sollt ihr essen und fröhlich sein, heißt es im 5. Buch Mose. Diese Hoffnung haben auch Jesus und die frühen Christen geteilt: Es werden kommen von Osten und von Westen, von Norden und von Süden, die zu Tisch sitzen werden im Reich Gottes. Jesu verheißt seinen Jüngerinnen und Jüngern, dass sie in seinem Reich an seinem Tische essen und trinken sollen. Diese Verheißung bildet sich ab - in den Gleichnissen vom großen Abendmahl, zu dem Arme und Behinderte eingeladen sind; - in dem Festmahl für den wiedergefundenen Sohn; 3
- in der Speisung unzähliger Menschen, wenn es gelingt zu teilen. Das sind nur wenige Beispiele dafür, dass die biblische Tradition nicht zwischen der leiblichen Erfahrung des Evangeliums und seinen geistlichen und sozialen Aspekten trennt. Essen und Trinken und die Gemeinschaft in Gerechtigkeit und Frieden und der geteilten Freude gehören zusammen, ja, die einen sind Ausdruck des anderen: Schmeckt und seht, wie freundlich der Herr ist! Wir brauchen die leibliche Erfahrung zum Leben. Wir leben nicht in abstrakten Begriffen, sondern von Mensch zu Mensch. Und was wären unsere Gemeinden, wenn wir nicht auch an festlichen Tafeln miteinander die Freude Gottes genießen würden. Das Essen und Trinken, die Leiblichkeit, die Eigenarten, die geputzten oder ungeputzten Schuhe, die religiösen Sonderlichkeiten, all das gehört mitten in unser Leben hinein. Unser christliches Leben vollzieht sich nicht in irgendwelchen Sphären, sondern im Essen und Trinken, von Mensch zu Mensch. Wenn wir dann Menschen trösten können, wenn sie sich öffnen können, wenn wir Versöhnung wagen, da bewährt sich unser Glaube. Deshalb: Das Reich Gottes ist Essen und Trinken und Gerechtigkeit, Friede und Freude im Heiligen Geist. III. In der vergangenen Woche habe ich beides eindrücklich erfahren können beim Weltgebetstreffen in Assisi, in Umbrien, nördlich von Rom. 500 Delegierte aus neun Religionsgemeinschaften hatten sich zu diesem Treffen der Religionen eingefunden, darunter Christen, Juden und Muslime. Seit dreißig Jahren gibt es dieses internationale Friedenstreffen nun schon, zu dem erstmalig 1986 der damalige Papst Johannes Paul II eingeladen hatte. Als die Gäste aus der ganzen Welt eintrafen, war das ein buntes Gemisch vielfältiger geistlicher Gewänder, ein Wirrwarr unterschiedlicher Sprachen, ein vorsichtiges Abtasten, wie man einander begrüßt, mit Handschlag, Umarmung oder nur von Ferne, je nachdem, wie es in den verschiedenen kulturellen Traditionen üblich ist. Die Unterschiede sprangen einem förmlich ins Auge und doch herrschte ein Geist der Einmütig- 4
keit. Alle haben gespürt, dass die kulturellen, nationalen und auch die religiösen Unterschiede uns in dieser Welt unterscheiden, aber nicht trennen dürfen, weil wir gemeinsam in einen größeren Horizont hineingestellt sind: um miteinander für den Frieden zu beten, geeint in einem gemeinsamen Geist, der getragen ist von der Sehnsucht nach Gerechtigkeit und Friede und geteilter Freude im Geist. Der Geist von Assisi, so wurde er auf dem Treffen genannt. Dieser Geist ist dem heutigen Predigttext ganz nah. Denn Paulus schreibt der Gemeinde über das Miteinander der Starken und Schwachen im Glauben. Und sein Beispiel sind die Unterschiede hinsichtlich der Speisevorschriften: Es geht dabei sehr wohl auch um das Essen und Trinken. Anstatt hier aber äußere Wahrheiten zu postulieren oder strikte Verbote auszusprechen oder sich auf eine Seite zu schlagen, plädiert Paulus für eine Sensibilität, die Gemeinschaft ermöglicht. Ja, so Paulus, es gibt Unterschiede, aber lasst euch doch von den Unterschieden nicht vereinzeln, sondern sucht das Gemeinsame, die Gerechtigkeit, den Frieden, die geteilte Freude. Seid sensibel für- und miteinander. Damit ihr euch nicht verhärtet. In der Schlussveranstaltung von Assisi, gefeiert unter freiem Himmel auf dem Platz vor der Basilika San Francesco, hieß es: Jeder kann ein Handwerker des Friedens sein mit der schwachen Kraft des Gebets und des Dialogs. Und: Wir alle müssen mehr wagen, denn die Welt dürstet nach Frieden. In dieser Sehnsucht sind wir alle verbunden, über Grenzen und Nationen hinweg; in dieser Sehnsucht feiern wir auch heute Gottesdienst und ordinieren Schwestern und Brüder unter uns, als ein Zeichen, dass wir Menschen senden, um die befreiende Botschaft von Gerechtigkeit, Friede und geteilter Freude zu bezeugen, zusammen mit der ganzen Gemeinde. Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere menschliche Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen. 5