PROLOG ERSTER AKT [6] Musik. Dann, wie wenn am Himmel über dem Hafen ein Sperling von einem Adler gejagt und in seinen Krallen zerquetscht wird. Das könnte z. B. durch Percussion angedeutet werden. EIN SOLDAT Was hat das zu bedeuten, Odysseus? ODYSSEUS Ein gutes Omen, Freunde. Der Sperling ist unser Feind, der Trojaner. Wir, die Griechen, sind der Adler. Wir werden den Feind mit unseren mächtigen Krallen zerreißen, den Krieg gewinnen und zum Abendessen zu Hause sein. ALLE Odysseus! ODYSSEUS (küsst Penelope voll Liebe und Leidenschaft; dann hält er den Sohn hoch) Mein Sohn, wenn du die Glocke hörst, kehre ich heim, die Arme voller Gold und Schätze, wie du sie nicht zu träumen wagst nur für dich. ATHENE Und mit diesen Worten setzte der tapfre Odysseus, der gute Odysseus, die Segel nach einem entfernten Land, weit hinter dem Meer aus dunklem Wein. ALLE Odysseus Odysseus. Odysseus verlässt die Bühne; Penelope blickt aufs Meer hinaus. ATHENE Und sein Sohn sah ihn ziehen, aber verstand nicht, die Bedeutung des Horizonts. PENELOPE Komm, komm, mein Kleiner, dein Vater kehrt bald heim, bald heim, bald heim. Die Musik spielt leise und ahnungsvoll weiter, das entfernte Kriegsgeschehen andeutend.... Auftritt Telemach als zehnjähriger Junge. Er tritt mit gezücktem Schwert auf, gegen einen unsichtbaren Feind kämpfend. Eurymach, ein Freier seiner Mutter, schaut ihm aus dem Dunkel zu. 1
TELEMACH [7] Der Held Odysseus und sein Freund der zornige Achill sind in Gefahr. Rücken an Rücken stehen sie hundert Trojanern gegenüber. Die Trojaner stürmen auf sie zu. Die Schwerter der Helden kennen keine Ruhe Blut spritzt und abgeschlagene Körperteile fliegen durch die Luft die Trojaner sterben grausame Tode. (spielt es nach) Am Ende überleben nur zwei Männer, Odysseus und Achill doch da schießt ein Pfeil. (fällt zu Boden) Meine Ferse, meine Ferse, schreit der Held, und als er fällt, da ruft er: Leb wohl, Odysseus, lebe wohl mein Freund. (stirbt als Achill) [14] TELEMACH (hat während der Szene in seinem Zimmer gespielt; auf dem Bett stehend, das Schwert in der Hand) Odysseus, der Held und sein Freund, der zornige Achill, sind in Gefahr. Rücken an Rücken stehen sie hundert Trojanern gegenüber... (setzt sich deprimiert hin) Odysseus und Achill. (legt sich aufs Bett) Ein lauter Donnerschlag, das Licht geht kurz aus. Ein Sturmwind weht. (schreit und flüchtet ans Kopfende des Bettes, sein Kopfkissen als Schutz vor sich haltend) Zwei maskierte Soldaten kommen tanzend herein und schauen sich an... (hoffnungsvoll) Odysseus und Achill... Ein weiterer Donnerschlag. Dann fangen die Soldaten an zu kämpfen. Nein! Nein! Speere und Schilde prallen brutal aufeinander, da fällt Odysseus plötzlich zu Boden. Achill steht über ihm, den Speer zum Todesstoß bereit. Stille. 2
Telemach versteckt das Gesicht hinter seinem Kopfkissen. Während er sich so versteckt, endet der Traum. Es ist wieder sein Zimmer. Telemach senkt das Kissen. Er erhebt sich schwer atmend von seinem Bett. Ein Arm schießt unter dem Bett hervor und greift nach seinem Knöchel. Er schreit. [Albtraummusik: Multieffekt-Bassschaben & <odisea07_3m1> / E-Violine: Flageolets? / Höchste Tremoli? / Klaviersaiten- Arpeggio m. Plektrum/Sostenuto-Pedal? / Donnerschläge: Bassakkorde?] ZWEITER AKT [35] Telemach träumt. Odysseus und Achill treten auf, wie im ersten Akt, und wiederholen ihre Kampfszene. Telemach bewegt sich im Schlaf und murmelt: TELEMACH Stopp Stopp. Wie zuvor erreicht der Kampf seinen Höhepunkt in dem Moment, als Odysseus strauchelt, und Achill den Speer zum Todesstoß bereit hält. Nein! (wacht auf) ATHENE (wacht auf) Ahhh! Die Vision verschwindet. (springt auf und fällt beinahe ins Wasser) Telemach fängt sie auf und steht einen Moment lang, Athene im Arm, dann lässt er sie los. Wieder ein Traum? Telemach nickt. [36] Wie der vorherige? TELEMACH Ja, aber es ergibt keinen Sinn. ATHENE Ein Traum. Sonst nichts. TELEMACH Aber Vater und Achill waren die besten Freunde. Warum sollten sie kämpfen? ATHENE (reicht ihm etwas zu essen) Hier. Iss mehr, träum weniger. TELEMACH Ich habe keinen Hunger. ATHENE So weit ich beobachten konnte, liegt das halbe Glück, ein Mensch zu sein, im Essen. (isst lustvoll) Telemach starrt auf die See mit unbeweglichem Ausdruck. 3
VIERTER AKT [59] ODYSSEUS Schau, da ist er... Licht auf Achills "Erscheinung". Verwundet und blutverschmiert, wie an dem Tag, an dem er starb. Telemach wendet sich ab. Komm, du möchtest bestimmt mit ihm sprechen. Der Held aller Jungen, aber du musst ihm diese Schale Blut zu trinken geben, dann spricht er vielleicht, wie im Leben, sonst bleibt er der stumme Schatten, den du siehst. Telemach nimmt die Schale und bietet sie Achill an. (trinkt) Wer bist du? TELEMACH Telemach, Sohn des Odysseus und der Penelope. (zärtlich) Telemach? Warum bist du gekommen? TELEMACH Ich suche meinen Vater. Er war hier. Ja, der alte Fuchs, in aller Herren Länder und Meere zu Haus. (lächelt) TELEMACH Warum? Warum war er hier? Weil er keine Freunde mehr in der Welt da oben hat, kam er, um seinen Frieden mit ihnen in der Unterwelt zu schließen. Im Leben waren wir Freunde, aber wir hatten Streit und wurden Feinde. TELEMACH Aber warum? Worüber? Komisch, aber ich ich kann mich nicht erinnern. All der Ärger verblasst. (Pause) Warum suchst du ihn, Telemach? TELEMACH Ich weiß es nicht mehr. Ich suche schon so lange nach ihm, bin so weit gekommen, und jetzt weiß ich nicht mehr warum. Er verließ mich und meine Mutter, um einen Krieg zu führen, der uns, wie er sagte, reich machen würde. Als der zu Ende war, kehrte er nicht, wie versprochen, heim, sondern unternahm eine Kreuzfahrt ein Abenteuer. Er genoss das Leben in vollen Zügen, zum Spaß. Alle, die ihm halfen, betrog er alle, die ihn liebten, behandelte er wie Dreck, und die Männer, die ihm 4
[60] vertrauten und mit ihm fuhren, sind gestorben. Er hat alle geopfert, nur damit er etwas von der Welt sieht. Und was hat er gesehen? Hexen, Riesen, Geister. Und er kehrte nicht, wie versprochen, heim oder unternahm auch nur den geringsten Versuch dazu, und meine Mutter war fast verrückt geworden vor Angst, Einsamkeit und Furcht. Warum will ich ihn finden? Ich will es nicht. Achills "Erscheinung" verschwindet. Telemach, lass uns reden als wärst du mein eigener Sohn. Hör meine Worte und behalte sie in Erinnerung, solange du lebst. Sieh mich an, den größten Soldat eines großen Heeres. Das sind meine Wunden. Hinter mir stehen all jene, die ich mit diesen Händen umgebracht habe. Ich war wie dein Vater in den Tod verliebt aber jetzt wäre ich lieber der arme Kerl, der ein braches Feld zu pflügen hat als König der Leblosen. Tot. Führe dein Leben nicht so, wie wir es geführt haben, Telemach. Geh lieber finde deinen Vater, denn er lebt, aber hüte dich vor dem Tod, der ihn verfolgt und nach ihm schnappt, wie ein geflügelter Hund. Gib deine Suche nicht auf, denn suchen heißt leben, und trotz all dem Leid, ist Leben gut. [<odisea07_3m1> nur Gitarre ohne Rhythmus.] 5