Schwerpunkt. Handwerk. Nr. 3/ Info-Magazin für junge Journalisten Hanns-Seidel-Stiftung ev

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Transkript:

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2 Werkstatt/Handwerk In diesem Heft Schwerpunktthema Das ist Handwerk Handwerk im Wandel der Zeit 4 Die Organisation des Handwerks Bier aus Kulmbach Die Kunst des Bierbrauens 12 8 Rinde aus Eigenproduktion Alois Metschnabl geht neue Wege 13 Ein geglückter Spagat Kunsthandwerker aus Regensburg 15 Ein Projekt reift: ELEA Lehrlingsaustausch in Europa 17 Heute muß die Glocke werden! Glockengießerei Rudolf Perner 20 Metzger sorgen für Ernährung Engagierte Metzger sind immer noch gefragt 23 Neue Konzepte für das Sanitär- und Heizungstechnik Handwerker reagieren auf den Markt 26 Meister - Herzstück des Handwerks Warum der Handwerksmeister so wichtig ist 28 Politik muß den richtigen Rahmen setzen Interview mit Heinrich Traublinger, MdL 30 Grenzen zwischen Gut und Böse verwischen Portrait des Fotografen Till Mayer 33 Spiegelbild des Handwerks in der DHZ 50 Jahre Deutsche Handwerks Zeitung 35 Wie das Handwerk Nachwuchs findet Nachwuchs finden - Nachwuchs binden 36

Werkstatt/Handwerk 3 Vorbild für das gesamte Handwerk Interview mit Bernd Lenze 38 Lehrstellensuche per Mausklick Dienstleistung im Netz 41 Ein Dienstleister feiert Geburtstag 100 Jahre Handwerkskammer 42 Verbundstudiengang Ingenieur & Geselle Leistungsschau des Handwerks Die Internationale Handwerksmesse 48 47 Handwerk handelt Strompreis aus Strompool des bayerischen Handwerks 50 Impressum Herausgeber: Hanns-Seidel-Stiftung e.v. Hans-Peter Niedermeier (verantwortlich) Redaktionsassistenz: Roswitha Wei Internet: www.hss.de Redaktionsanschrift: Postfach 1908 46 80608 MŸnchen Layout und Satz: Matthias J. Lange Titelfoto:Studio Panetta, es zeigt den neuen Beruf : Fachkraft fÿr Veranstaltungstechnik. Auflage: 4000 TextvervielfŠltigungen gegen Belegexemplar erlaubt. Vor bernahme von Fotos zur AbklŠrung des Urheberrechtes bitte auf jeden Fall RŸcksprache mit der Werkstatt-Redaktion (Telefon 089/1258-272) nehmen. Mit Namen des Verfassers gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Druck: Stiehl Druck GmbH Kolpingring 8 82041 Oberhaching ãder Umwelt zuliebeò - Die Werkstatt wird auf sšure- und chlorfreiem Papier gedruckt (Infoteil: Recyclingpapier). Weiteres Thema Journalistisches Förderprogramm für Stipendiaten 51 Ausblick In der nächsten Werkstatt lautet das Schwerpunktthema Begabtenförderung...52

4 Werkstatt/Handwerk Das ist Handwerk Handwerk im Wandel der Zeit Von Matthias J. Lange Handwerk gibt es seit der frühesten Menschheitsgeschichte. Stets hatte es die Aufgabe, Güter herzustellen, die der Mensch zum Leben braucht - seien es Essen und Trinken, Wohnen oder Bekleidung. Schon die frühesten handwerklichen Produkte zeugen von der gestalterischen Kraft der menschlichen Natur. Auch bei einfachen Gegenständen suchten unsere Vorfahren Zweckmäßigkeit und Schönheit zu vereinen: Ob es sich dabei um Töpfereien, Werkzeuge oder Waffen handelte, war zu keiner Zeit ausschlaggebend - der Handwerker hatte die Aufgabe, Funktionalität und Formschönheit sinnvoll miteinander zu verbinden. Handwerk als Beruf erfüllte über die reine Produktion von Gebrauchsund Verbrauchsgütern hinaus wichtige kulturelle Aufgaben. Als herausragendes Beispiel dafür ist die Bauleistung des Mittel- und Spätmittelalters zu nennen, die sich unter anderem in mächtigen Kathedralen und imposanten Brückenbauten niederschlug. Es war das Handwerk, das in dieser Blütezeit neben dem wirtschaftlichen auch das gesellschaftliche und politische Leben in Deutschland entscheidend prägte. Zimmerer - immer obenauf. Zeitgemäße Architektur verlangt Holzkonstruktionen. Fotos: Panetta Aus dem Handwerk entstand im Zuge der wachsenden Technisierung die industrielle Gütererzeugung. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich aus dem Bauern- und Handwerkerstaat Deutschland ein Industriestaat. Die Industrie mit ihrer Massenfertigung wuchs rasch. Sie ermöglichte es, gewisse gleichförmige Güter kostengünstig und schnell herzustellen. Als 1871 außerdem noch die Gewerbefreiheit eingeführt wurde, war das deutsche Handwerk in ernster Gefahr. Bedeutende Wissenschaftler dieser Zeit hielten gar seinen Untergang für unvermeidlich. Doch die Geschichte zeigt: Es kam anders. Wenn es auch aus einigen Bereichen der gewerblichen Produktion verdrängt wurde, hat das Handwerk bis heute sowohl eine außerordentliche Lebensfähigkeit, als auch ein enormes Potential schöpferischer Kraft bewiesen. Dabei bedient es sich heute durchaus auch industrieller Methoden. Technologien wie beispielsweise CNC (computer numeric control) sind im Handwerk genauso selbstverständlich wie in der industriellen Produktion.

Werkstatt/Handwerk 5 Zur Zeit der Zünfte unterlag die Ausübung des Handwerks strengen Zulassungsund Bedürfnisprüfungen. Mit der Einführung der Gewerbefreiheit in den deutschen Ländern wurde die Berufsausübung im Handwerk völlig dem freien Spiel der wirtschaftlichen Kräfte überlassen. Die Folgen waren mangelhafter Ausbildungsstand bei Lehrlingen und Facharbeitern sowie Produkte, die in ihrer Qualität international nicht konkurrenzfähig waren. Dies wiederum führte zu einer internationalen Mißachtung deutscher Produkte. Der Staat reagierte mit Gesetzen, um das Handwerk wieder aufzuwerten. So wurde 1908 durch eine Gewerbeordnungsnovelle der sogenannte Kleine Befähigungsnachweis eingeführt. Er machte die Befugnis zur Lehrlingsausbildung von der Meisterprüfung abhängig. Im Jahr 1935 wurde im sogenannten Großen Befähigungsnachweis gesetzlich geregelt, daß zur selbständigen Führung eines Handwerksbetriebes ebenfalls die Meisterprüfung notwendig ist. Nach 1945 führten die Amerikaner in ihrer Besatzungszone noch einmal kurzfristig die völlige Gewerbefreiheit ein, doch seit 1953 gilt endgültig ein einheitliches Berufsausübungsrecht in Deutschland. In diesem Jahr wurde die Handwerksordnung eingeführt, die zwar inzwischen mehrfach geändert wurde, jedoch auf einem Grundsatzprinzip beruht, nämlich der Meisterprüfung als ein- Isolieren geht über Probieren - der Wärme-, Kälte- und Schallschutzisolierer. Zahn um Zahn geht es bei der Zahltechnikerin. heitlichem Befähigungsnachweis. Auch auf die Trends der jüngsten Jahre reagierten Handwerk und Politik gemeinsam. Durch Änderungen in den Jahren 1994 und 1998 wurde die Handwerksordnung den Anforderungen des Marktes angepaßt, der inzwischen ein europäischer Markt geworden ist. Wer ein Vollhandwerk selbständig betreiben will, benötigt eine Eintragung in die Handwerksrolle der regional zuständigen Handwerkskammer. Diese Eintragung stellt eine gewerberechtliche Erlaubnis dar. Voraussetzung ist eine Meisterprüfung in diesem oder einem verwandten Beruf. Unter bestimmten Voraussetzungen können auch Ingenieure in die Handwerksrolle eingetragen werden und in manchen Härtefällen (z.b. plötzlicher Tod des bisherigen Meisters) werden vereinzelt auch Ausnahmen zugelassen. Grundsätzlich benötigt der Betriebsinhaber selbst den Befähigungsnachweis. In bestimmten Fällen genügt jedoch die Beschäftigung eines Handwerks-

6 Werkstatt/Handwerk Die Meisterprüfung verleiht folgende Rechte: Führung des Meistertitels Selbständige Führung eines Handwerksbetriebes Ausbildung von Lehrlingen meisters als technischer Betriebsleiter, etwa bei handwerklichen Nebenbetrieben oder juristischen Personen (GmbH). Der Begriff Handwerk ist bis zum heutigen Tage gesetzlich nicht exakt definiert oder gar verankert. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, wie etwa Frankreich, wo das Handwerk auf bestimmte Betriebsgrößen oder Beschäftigungszahlen festgelegt ist, lebt das deutsche Handwerk von seiner enormen Vielschichtigkeit. Die Stärken des Handwerks liegen vor allem in den Bereichen Neuherstellung (einschließlich Bauleistungen, Installation und Montage), Zulieferung Hohe Ziele haben der Feuerungs- und Schornsteinbauer. Die Anlage A der Handwerksordnung faßt die 94 Handwerksberufe in sieben Gruppen zusammen I. Bau- und Ausbaugewerbe 15 Berufe II. Elektro- und Metallgewerbe 22 Berufe III. Holzgewerbe 9 Berufe IV. Bekleidungs-, Textil- und Ledergewerbe 10 Berufe V. Nahrungsmittelgewerbe 6 Berufe VI. Gesundheits- und Körperpflege sowie chemische und Reinigungsgewerbe 9 Berufe VII. Glas-, Papier-, keramische und sonstige Gewerbe 23 Berufe Aktiv für den Umweltschutz kümmert sich der Kaminkehrer im Handwerk. für die Industrie, Dienstleistungen und Reparaturen industrieller und handwerklicher Erzeugnisse. Genauso wichtig sind die kundennahen Dienstleistungen. Lebensstandard, gewachsenes Umweltbewußtsein, neue Technologien und der sogenannte Wertewandel verändern die Bedürfnisse des Einzelnen. Diese Befriedigung persönlichen Bedarfs ist wesentliche Stärke handwerklicher Leistung. Die Wünsche - etwa nach höherer Qualität, Maßarbeit oder kreativen Leistungen - werden von den handwerklich Beschäftigten in traditioneller Perfektion befriedigt. Diese kreative Energie ist die Zukunftschance des Handwerks und sorgt gleichzeitig dafür, daß es ein stabiler Faktor unseres Wirtschaftssystems ist und bleibt. Nach dem Gesetz zur Ordnung des Handwerks (Handwerksordnung) vom 17.9.1953 gehört ein Gewerbebetrieb dann zum Handwerk, wenn er handwerksmäßig betrieben wird und zu einem in der Anlage A der Handwerksordnung aufgeführten Gewerbe zählt. Dort sind heute insgesamt 94 Handwerksberufe in 7 Gruppen zusammengefaßt. Neben den genannten Gruppen des Vollhandwerks gibt es darüber hinaus Berufe des handwerksähnlichen Gewerbes. Sie haben sich zwar aus einem Handwerksberuf entwickelt, üben aber nur einfache oder stark spezialisierte Tätigkeiten aus, zu deren Beherrschung keine umfangreiche

Werkstatt/Handwerk 7 Arbeiten an der Decke: Stukkateur. Ausbildung und Meisterprüfung nötig ist. Diese Berufe unterliegen daher auch keiner besonderen gewerberechtlichen Zulassungsvoraussetzung. Insgesamt 57 Berufe sind in der Anlage B zur Handwerksordnung zusammengefaßt. Zu ihnen gehören z.b.: Holz- und Bautenschutzgewerbe, Dekorationsnäher, Bodenleger, Metallschleifer, Tankschutzbetriebe, Stricker, Schnellreiniger, Kosmetiker und das Bestattungsgewerbe. In einzelnen dieser Berufen bestehen auch staatlich anerkannte Aus- und Fortbildungsordnungen, wie z.b. Bodenleger, Kosmetiker oder Bestatter. Das Handwerk befindet sich in einem stetigen Wandel. Es ist kein statischer Wirtschaftsbereich, sondern paßt sich dynamisch den Anforderungen des Marktes an. Seine Leistungskraft liegt vor allem darin begründet, daß es gelungen ist, Arbeitsweisen zu entwickeln, die den Bedarf an individuellen Leistungen und Lieferungen decken. Handwerk ist heute in der Regel wesentlich mehr als Präzision beim Bogenmacher. reine Handarbeit. Um sich auf dem Markt erfolgreich durchzusetzen, sind Hand und Kopf gleichermaßen gefragt. Einerseits ist der Personal- Der Brunnenbauer bohrt tief in die Erde. einsatz im Handwerk sowohl von der Zahl der Mitarbeiter als auch von deren Ausbildungsstand her besonders hoch; er überwiegt eindeutig den Kapitaleinsatz. Doch andererseits bedient sich das Handwerk auch modernster technischer und betriebswirtschaftlicher Herstellungs- und Vertriebsverfahren, beispielsweise CNC- (computer numeric control) und CAD- (computer aided design) Technik, EDV oder Marketing. Neue Werkstoffe und Arbeitstechniken, Erfindungen, gestiegenes Gesundheitsbewußtsein, Lebens- und Freizeitkultur, neue Technologien und Industriezweige geben dem Handwerk zusätzliche volkswirtschaftliche Aufgaben und neue Impulse. Gestiegen sind nicht zuletzt auch die Anforderungen an den Umweltschutz - eine Thematik, die das Handwerk in den kommenden Jahrzehnten noch weit stärker fordern wird und möglicherweise einen weiteren Strukturwandel einleitet. Auch derzeit ablaufende strukturelle Umschichtungen - wie im Bekleidungs- oder Nahrungsmittelhandwerk - sind für einen merklichen Wandel mitverantwortlich. Hier hat das deutsche Handwerk allerdings gezeigt, daß es sich mit hochwertigen und individuellen Produkten durchaus am Markt behaupten kann.

8 Werkstatt/Handwerk Organisation Die Organisation des Handwerks Von Matthias J. Lange Ein so vielseitiges Gebilde wie das Handwerk benötigt Organisationen und Zusammenschlüsse. Nur durch sie sind die vielen Selbsthilfemaßnahmen und Serviceleistungen des Handwerks möglich. Schon im Mittelalter hatten sich Handwerker zu Zünften zusammengeschlossen und somit eine Organisation geschaffen, die ihre gemeinsamen Anliegen vertrat und durchsetzte. Damals wie heute war Selbstverwaltung das oberste Ziel des Handwerks. Die Handwerkskammer ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Sie vertritt die Interessen des Gesamthandwerks im Kammerbereich, der in der Regel in Bayern identisch mit dem jeweiligen Regierungsbezirk ist. Zur Handwerkskammer gehören die selbständigen Handwerker sowie deren Gesellen und Lehrlinge. Jeder Handwerker, der in einem Handwerk oder handwerksähnlichen Gewerbe tätig sein will, muß sich in die Handwerksrolle eintragen lassen bzw. in das Verzeichnis der Inhaber handwerksähnlicher Betriebe. Damit ist er automatisch Mitglied der Kammer und kann bei deren Selbstverwaltung mitwirken. Die Rechtsaufsicht über die Handwerkskammern führt in Bayern das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Verkehr und Technologie. Die Handwerkskammer hat die Interessen des Gesamthandwerks zu fördern und für einen gerechten Interessensausgleich der einzelnen Handwerke zu sorgen. Sie ist im Bereich der Berufsbildung die nach den Bestimmungen des Berufsbildungsgesetzes zuständige Stelle. Sie regelt und überwacht die Durchführung der Berufsbildung im Handwerk. Organe der Kammer Die Selbstverwaltung der Handwerkskammer wird durch Vollversammlung, Vorstand und Ausschüsse wahrgenommen. Punkt für Punkt gehen die Mitglieder der Vollversammlung jeden Tagesordnungspunkt durch. Hier ein Blick vom Podium. Foto: Lange Die Vollversammlung Sie setzt sich aus den gewählten Vertretern des gesamten Handwerks im Kammerbereich zusammen,

Werkstatt/Handwerk 9 Aufgaben der Handwerkskammer Führung der Handwerksrolle und des Verzeichnisses der Inhaber handwerksähnlicher Betriebe Erlaß von Regelungen für die Berufsbildung, Fortbildung und Umschulung. Überwachung und Förderung der Berufsausbildung durch Beratung der Ausbildungsbetriebe und Lehrlinge sowie die Führung des Verzeichnisses der Berufsausbildungsverhältnisse (Lehrlingsrolle) Abnahme von Gesellen- und Meisterprüfungen Schaffung der erforderlichen Einrichtungen zur Förderung der technischen und betriebswirtschaftlichen Ausbildung der Gesellen und Meister, um die Leistungsfähigkeit des Handwerks zu erhalten und zu steigern Bestellung von Sachverständigen, die Gutachten über die Güte der von Handwerkern gelieferten Waren oder bewirkten Leistungen und über die Angemessenheit der Preise erstellen Beilegung von Streitigkeiten zwischen selbständigen Handwerkern und ihren Auftraggebern in hierfür eingerichteten Vermittlungsstellen Förderung auf den Gebieten Finanzierung, Existenzgründung und Unternehmensführung Wirtschaftsbeobachtung und Konjunkturberichterstattung Unterstützung der Behörden durch Anregungen, Vorschläge und Gutachten Mitwirkung an Gesetzesentwürfen und -änderungen, insbesondere auf den Gebieten des Gewerbe-, Steuer-, Sozial- und Berufsbildungsrechts Mitglieder der Vollversammlung aus München. wobei zwei Drittel der Vertreter selbständige Handwerker und ein Drittel Gesellen sind. Der Vorstand Er wird aus der Mitte der Vollversammlung gewählt und besteht aus dem Präsidenten, zwei Vizepräsidenten, von denen einer als Arbeitnehmer tätig ist, und weiteren Mitgliedern nach Satzungsrecht. Zwei Drittel des Vorstandes sind selbständige, ein Drittel nichtselbständige Handwerker. Die Ausschüsse Der Berufsbildungsausschuß, der verpflichtend von der Vollversammlung gebildet werden muß, ist in allen wichtigen Angelegenheiten der beruflichen Bildung zu unterrichten und zu hören. Ihm gehören sechs selbständige Handwerker, sechs Arbeitnehmer und sechs Lehrer einer berufsbildenden Schule an. Nicht kammereigne Ausschüsse Der Gesellenprüfungsausschuß, der für jedes Handwerk zu bilden ist, besteht aus mindestens einem selbständigen Handwerker, einem Gesellen und einem Lehrer einer berufsbildenden Schule. Der Meisterprüfungsausschuß ist zwar ein staatlicher Prüfungsausschuß, die Geschäftsführung liegt jedoch bei der Handwerkskammer. Der Meisterprüfungsausschuß setzt sich zusammen aus einem Vorsitzenden, zwei selbständigen Handwerksmeistern des jeweiligen Handwerks, für das der Ausschuß errichtet wurde, einem nichtselbständigen Handwerksmeister und einem weiteren Mitglied, das vor allem über wirtschaftliche, rechtliche, berufsund arbeitspädagogische Kenntnisse verfügt. Die Innung Foto: Lange Die Innung ist der freiwillige Zusammenschluß von selbständigen Handwerkern gleicher oder einander nahestehender Handwerke. Sie ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Der Innungsbereich erstreckt sich in der Regel auf einen Stadt- bzw. Landkreis oder einen Regierungsbezirk. Die Aufsicht über die Handwerksinnung führt die Handwerkskammer. Das Präsidium der Handwerkskammer München/Oberbayern: Präsident Heinrich Traublinger, MdL (r.) und die Vizepräsidenten Gerdi Westermeyr und Peter Niederwieser. Foto: Lange

10 Werkstatt/Handwerk Gipfeltreffen aller bayerischen Präsidenten der Handwerkskammern mit Wirtschaftsminister Dr. Otto Wiesheu, MdL. Foto: FACES by Frank Kreishandwerkerschaft Die Kreishandwerkerschaft als berufsübergreifende Organisation ist der Zusammenschluß von Innungen auf Stadt- oder Landkreisebene. Sie ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Die Aufsicht über die Kreishandwerkerschaft führt die Handwerkskammer. Die Kreishandwerkerschaft vertritt die Gesamtinteressen des Handwerks und des handwerksähnlichen Gewerbes sowie die gemeinsamen Interessen der Handwerksinnungen ihres Bezirkes. Sie unterstützt die Innungen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Walter Stoy, MdS, Präsident des Bayerischen Handwerkstages. Zusammenschlüsse auf Landes- und Bundesebene Um in allen grundsätzlichen Fragen der Handwerkspolitik und der Vertretung der Gesamtinteressen des Handwerks eine einheitliche Willensbildung gegenüber den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Spitzenorganisationen des Landes und des Bundes sicherzustellen, werden auf Landes- und Bundesebene Arbeitsgemeinschaften bzw. Zusammenschlüsse gebildet. Zum Beispiel haben sich die sieben Handwerkskammern in Bayern in der Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Handwerkskammern zusammengefunden. Die Innungen des gleichen Handwerks können sich auf Landesebene im Landesinnungsverband zusammenschließen. Dieser hat die wirtschaftlichen und sozialen Interessen des von ihm vertretenen Handwerks wahrzunehmen. Unter anderem schließt er Tarifverträge ab und unterstützt und berät die ihm angeschlossenen Innungen. An der Spitze des Landesinnungsverbandes steht der Landesinnungsmeister. Alle Landesinnungsverbände und Landesinnungen sind auf Landesebene in einer Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossen, so etwa in Bayern im Gesamtverband des bayerischen Handwerks. Die bayerischen Handwerkskammern, die bayerischen Landesinnungsverbände sowie handwerksnahe Einrichtungen bilden den Bayerischen Handwerkstag. Auch auf Bundesebene bestehen Zusammenschlüsse. So sind die 55 deutschen Handwerkskammern im Deutschen Handwerkskammertag zusammengeschlossen. Die Landesinnungsverbände Der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks, Dieter Philipp (2.v.l.) auf der Meisterfeier in München. Foto: Loske schliessen sich auf Bundesebene in einem Bundesinnungsverband für ein bestimmtes Handwerk zusammen, dessen Hauptaufgabe darin besteht, die Interessen des betreffenden Handwerks auf Bundesebene zu vertreten. Der Vorsitzende des Vorstands ist der Bundesinnungsmeister. Alle Bundesinnungsverbände sind wiederum in der Bundesvereinigung der Fachverbände des Deutschen Handwerks zusammengefaßt. Der Deutsche Handwerkskammertag und die Bundesvereinigung der Fachverbände des Deutschen Handwerks bilden den Zentralverband des Deutschen Handwerks.

Werkstatt/Handwerk 11 Zentralverband des Deutschen Handwerks Bundesvereinigung der Fachverbände des Deutschen Handwerks Deutscher Handwerkskammertag Bayerischer Handwerkstag Gesamtverband des bayerischen Handwerks Arbeitsgemeinschaft der bayerischen Handwerkskammern Innungen Landesinnungsverbände Bundesinnungsverband Kreishandwerkerschaften Handwerkskammern Handwerksbetriebe

12 Werkstatt/Handwerk Bier aus Kulmbach Die Kunst des Bierbrauens Von Andrea Kinzinger & Steffen Clement Sie heißen Bernstein, Schutt und Asche oder Schwarze Tinte. Sie lassen an Schmuck, Feuer und Schule denken. Damit haben diese drei Dinge aber überhaupt nichts zu tun. Vielmehr handelt es sich um fränkische Biere, genauer gesagt um Spezialitäten, die in der Bierstadt Kulmbach gebraut werden. Prost - Bier, ein Produkt des Handwerks. Die Unterschiede dieser drei Sorten sind enorm. Bernstein beispielsweise ist nicht ganz dunkel und etwas weniger hopfig. Bei einem Alkoholgehalt von 4,9 % beträgt seine Stammwürze 12 %. Außerdem hat es einen Vorteil: Es wird immer ausgeschenkt. Dagegen gibt es Schutt und Asche, ein helles, etwas rauchiges Bier nur während der Fastenzeit, genauer gesagt von Aschermittwoch an zwei bis drei Monate. Die schwarze Tinte wiederum ist ein klassisches Dunkles und dementsprechend süffiger. Hat es doch 5 Prozent Alkohol und beträgt die Stammwürze 12,2 Prozent. Ähnlich wie die helle rauchige Spezialität kann man die schwarze Tinte nur im März genießen. Natürlich sind das längst noch nicht alle Sorten. Insgesamt bieten die vier örtlichen Brauereien (Mönchshof- Bräu, Reichelbräu, Sandlerbräu und Kulmbacher EKU), die inzwischen zur Kulmbacher Brauerei zusammengeschlossen sind, zehn verschiedene Biersorten. Dabei bilden das Quellwasser aus dem Kulmbacher Eisberg, das Malz aus einer handwerklichen Mälzerei mit dem Hallertauer Hopfen stets die Grundlage der Spezialität. Voraussetzung ist außerdem, daß die Biere nach dem Bayerischen Reinheitsgebot hergestellt werden. Das sah bereits im Jahr 1516 vor: Forthin (soll) allenthalben in unseren Städten und Märkten und auf dem Lande zu keinem Bier mehr Stücke als allein Gersten, Hopfen und Wasser verwendet und gebraucht werden." Und die Bayern honorieren diesen fast 500 Jahre alten Verbraucherschutz ihrer heimischen Brauereien. Allein im ersten Quartal 1998, also vor der Biergartensaison, tranken sie 4 839 304 Hektoliter Gerstensaft. In ganz Deutschland flutschten 23 672.534 Hektoliter Bier die Kehlen hinunter. Auch wenn während desselben Zeitraums 1997 etwa 2 Prozent mehr Bier konsumiert wurden, stehen die Deutschen im gesamteuropäischen Bereich immer noch ihren Mann. Zahlen aus dem Jahr 1996 belegen: Umgerechnet trinkt jeder Einwohner etwa 131,7 Liter Bier jährlich. Mithalten können da nur die Dänen mit 120,9 sowie die Iren mit 118,0 Liter pro Kopf. Am wenigsten sind Jetzt wird angestoßen. Italiener Fotos: Schwepfinger dem Gerstensaft zugetan. Die nämlich nehmen jeweils nur 24 Liter im Jahr zu sich. Die Mehrzahl der Brauereien, dem Bierkonsum entsprechend, befinden sich in Bayern: über 50% aller deutschen Brauereien haben ihren Sitz im Freistaat. Und sie bilden auch aus. Zum Brauer/ in oder Mälzer/in. Voraussetzung ist der qualifizierte Schulabschluß und Lust am Zupacken.

Werkstatt/Handwerk 13 Rinde aus Eigenproduktion Von Gerti Pechmann Alois Metschnabl geht neue Wege Alois Metschnabl nimmt eine Handvoll braungemaserter Würfelchen aus einer der vier Schüsseln auf seinem Schreibtisch und schnuppert. Ein würziger Geruch entströmt den kleinen Quadern. Eichenrinde. Beste Qualität, sagt Metschnabl zufrieden und gibt die Würfelchen zurück in die Musterschale. Der gebürtige Weismainer hat allen Grund, zufrieden zu sein: Die Ware stammt aus Eigenproduktion. Und da legt er sich einen hohen Qualitätsstandard auf - denn Metschnabl ist der einzige in ganz Deutschland, der Eichenrinde zerkleinert und weiterverkauft, verrät er schmunzelnd. Bei so viel Qualitätsbewußtsein hat er für die Rindenfasern in den anderen Schalen nur einen kurzen Blick übrig. Da sind noch Späne drin. Dafür würde ich höchstens eine Mark das Kilo geben Im Handel kostet ein Kilo der Fasern fünf Mark Eichenrinde ist vor allem bei Arzneimittelherstellern sehr begehrt. Cortex quercus heißt die Eichenrinde auf Lateinisch. Wegen ihres hohen Gehaltes an Gerbsäure (Tannin) ist Eichenrinde die Basis für verschiedene Heilmittel. Ob Hämhorrhoiden, Nasenbluten, Frostbeulen, Angina, Ekzeme oder Gelbsucht Eichenrinde und Eichenrindenextrakt, innerlich und äußerlich angewandt, ist Inhaltsstoff vieler Medikamente. Vor allem Heilpraktiker verschreiben Produkte So sieht der Rohstoff aus. mit Eichenrinde, weiß Metschnabl. Sogar die Naturkosmetik habe die Eichenrinde entdeckt, sagt er und stellt ein kleines Glasfläschchen auf den Tisch - Shampoo mit Eichenrindenextrakt gegen fettige Haare. Eichenrinde ist laut Metschnabl auch bei den Bauern aus der Umgebung des Jurastädtchens Weismain im Landkreis Lichtenfels sehr beliebt. Zu Pulver gemahlen stoppt die Rinde den Durchfall beim Vieh. Zwischen 60 und 70 Tonnen Eichenrinde versendet Alois Metschnabl im Jahr an Betriebe in ganz Europa. Seit 45 Jahren steht auf dem Firmenstempel Mahl- und Schneidwerk für Eichenrinde. Eine direkte Berufsbezeichnung gibt es für mich nicht, sagt Alois Metschnabl, blickt auf seine kräftigen Hände und lächelt versonnen. Die Arbeit mit der Rinde ist - neben der Familie - sein Leben. Das Geschäft führt er in der zweiten Generation. Sein Vater Franz Metschnabl übernahm 1922 in Weismain die Gerberei seines Vaters Alois Metschnabl. Um die Tierhäute zu gerben, benötigte er Fichtenund Eichenrinde, die er mit dem Pferdegespann aus den nahen Wäldern holte. Während der Wirtschaftskrise in den 30er Jahren lief das Geschäft schlecht die Bauern hatten kein Geld mehr, um das Leder zu zahlen, aus dem sie sich Schuhe anfertigen ließen. Außerdem bekam er Konkurrenz aus den großen Schuhfabriken im benachbarten Burgkunstadt, die ihre Ware billiger fertigten als der Dorfschuster. Franz Metschnabl reagierte schnell: Er stellte seinen Betrieb Mitte der 30er Jahre auf den Großhandel mit Fichten- und Eichenrinde um. Sein größter Kunde war eine Lederfabrik in Hirschberg, mit 6000 Mitarbeitern zur Zeit des zweiten Weltkrieges die größte in Europa. Bis zu 500 Waggons Eichen- und Fichtenrinde lieferte Metschnabl senior jährlich aus, davon ging die Hälfte nach Hirschberg. Fotos: Pechmann

14 Werkstatt/Handwerk Auf dem Speicher trocknen die Rindenwürfel. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Unternehmergeschick Franz Metschnabls wieder auf die Probe gestellt: Die Aufträge der Lederfabriken gingen zurück, weil nun viele Dinge billiger aus Gummi produziert und chemische Gerbmittel benutzt wurden. Franz Metschnabl reagierte wieder schnell. Zusammen mit seinen Söhnen Andreas und Alois richtete er das Mahl- und Schneidwerk ein, wie es heute noch besteht. Bange war ihm vor den betrieblichen Änderungen nicht - er hatte neue Abnehmer für Eichenrinde entdeckt: Die Scheßlitzer Firma Grießinger, die Medikamente mit Eichenrindenextrakt herstellte. Er sollte sich nicht verrechnet haben. Der Verkauf der geschnittenen und gemahlenen Rinde florierte. Bald reichte die Rinde aus den Wäldern im Bamberger Land, dem Oden- und dem Schwarzwald nicht mehr aus, um den Bedarf der Abnehmer zu decken. Metschnabl mußte Rinde aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks und Luxemburg zukaufen. Der heutige Firmenchef Alois Metschnabl hat das kaufmännische Geschick seines Vaters geerbt. Er erschloß aufgrund der steigenden Nachfrage nach Eichenrinde neue Rinden-Quellen in Polen und Bulgarien. Vor kurzem erhielt er eine Ladung Rinde aus Bulgarien. 250 Säcke mit je 30 Kilogramm warten in seiner Scheune darauf, zu Würfeln und Schnitzeln verarbeitet zu werden. Auch Speicher und Dachboden durchzieht derselbe würzige Geruch wie Metschnabls Arbeitszimmer - dort trocknen die Würfel aus der Rinde, die seit über vier Jahrzehnten die Woche des 77jährigen regelt: Montag bis Donnerstag erledigt er Büroarbeit und macht die fertig geschnittene Rinde versandfertig. Am Freitag beginnt er mit seinem Sohn Wolfgang mit der Verarbeitung. Die Rinde wird angefeuchtet, geschnitten, getrocknet und anschließend gesiebt. Am Montag siebt eine Maschine die Spelzen aus. Alois Metschnabls beste Ware ist handverlesen. Stolz beugt er sich über einen Trockenwagen und atmet den unverwechselbaren Rindengeruch ein. So lange es geht, wolle er sein Mahlund Schneidwerk weiterführen, versichert er und versinkt einen Augenblick lang in Melancholie. Denn ob sein Sohn das Schneidwerk übernimmt, weiß er nicht. Aber als sich Alois Metschnabl an seine Kur in Oberammergau erinnert, strahlt er plötzlich. Dort verordnete ihm der Arzt Bäder mit Eichenrindenextrakt. Die Rinde stammte aus Eigenproduktion. Diese Rindenwürfel stammen aus Eigenproduktion. Cortex quercus heißt die Eichenrinde auf Lateinisch. Bei Alois Metschnabl stapeln sich die Säcke mit Rinde.

Werkstatt/Handwerk 15 Ein geglückter Spagat Von Lucia Pirkl Kunsthandwerker aus Regensburg Kunsthandwerk trägt dem natürlichen Wunsch der Menschheit Rechnung, sich in der Kunst zu verwirklichen. Trotz der Widerspenstigkeit des Materials läßt mich die Faszination Glas nicht mehr los. Die Arbeit mit diesem vielseitigen Stoff bleibt nach wie vor spannend, so Hans-Jürgen Zannella. Ein nettes kleines Häuschen, versteckt in Regensburgs verschlungenen Gassen der Altstadt, nicht allzu weit von der Donau entfernt. Hier befindet sich die gemeinsame Werkstatt Kuss (Regensburger Künstlerhaus), von vieren, die es geschafft haben. Die es geschafft haben, den Spagat zwischen Handwerk und Kunst zu wagen und darin ganz erfolgreich sind. Das Künstlerhaus, das sind in erster Linie Renate Haimerl-Brosch, Hans- Jürgen Zannella, Dagmar Reinecke und Annemarie Bengler. Und doch wäre es falsch, nur diese vier aufzuzählen, denn eigentlich sind sie ja seit Kurzem zu siebt. Der kleine Raum unterm Dach ist nun an eine Heilpraktikerin (Marion Heil) und die zwei anderen Zimmer, die noch leer standen, sind an ein Ehepaar vermietet (Marianne Rusch, Klaus Bischof), die in ihrer Freizeit der Malerei frönen, aber mit Kunsthandwerk eher weniger am Hut haben. Angefangen hat alles vor fünf Jahren am 1. April 1994. Damals waren sie nur zu dritt und eigentlich wollten sie sich nur die Miete teilen: Dagmar, die mit ihren Ausbildungen zur Schauwerbegestalterin und zur Keramikerin gleich zwei kreative Berufe in sich vereint und bereits zuvor eine eigene Werkstatt hatte. Annemarie, die Glasmalerin, die bereits mehrere Aufträge für die Gestaltung von Kirchenfenstern, Spiegeln und Leuchten an Land zog und ebenfalls schon Hans-Jürgen stieß erst relativ spät zu Kuss, nämlich im September 1998. Er absolvierte zuerst eine Lehre als Fotograf, merkte dann aber, daß ihm etwas fehlte und er lieber etwas Handfestes machen wollte. Als er dann eines Tages im Rahmen seines fotografischen Schaffens mit dem Material Glas in Berührung kam, war Hans- Jürgen davon so angetan, daß ihn die selbständig war. Die dritte im Bunde ist ein Exot: Renate kam zur Kunst zwar nicht gerade wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind, allerdings erlernte sie, im Gegensatz zu den beiden anderen, ihr Handwerk nicht auf konventionelle Art und Weise, sondern brachte sich das Formen von Figuren (hauptsächlich Marionetten) selbst bei. Hauptberuflich ist sie nämlich Sozialpädagogin. Deshalb war sie auch sehr interessiert, als sie die beiden anderen kennenlernte und die ihr ihre Idee mit der eigenen Werkstatt unterbreiteten. Dies ist Dagmar. Fotos: Pirkl

16 Werkstatt/Handwerk Hans-Jürgen bei der Arbeit. Begeisterung bis heute nicht los ließ. Was lag also näher, als noch einmal in die Lehre zu gehen und die Glasbläserei von der Pike auf zu lernen. Auch Hans- Jürgen hatte bereits vor seinem Einzug ins Künstlerhaus eine eigene Werkstatt und eine Glaskunstgalerie in Regensburg. Die Werke der vier sind äußerst unterschiedlich, aber immer auf ihre eigene Art und Weise fesselnd. Auch wenn Dagmar viel Gebrauchsgeschirr und gedrehte Sachen anfertigt, bleibt ihr doch immer wieder Zeit, auch mal Einzelstücke anzufertigen. Dann entstehen riesige Skulpturen, die in Galerien (z. B. in Karlstadt) oder in Ausstellungen (unter anderem in Mainz) zu bewundern sind. Außerdem gibt Dagmar Keramikkurse an der VHS, die sich mit einem bestimmten Thema auseinandersetzen, wie z.b. etruskische Keramik. Kuss in Regensburg. Renates Moriskentänzer sind in der Galerie Kunst und Form im Bayerischen Wald zu bewundern. Im Park- Hotel hängen einige ihrer Marionetten. Waren es früher oft Keramikfiguren und Skulpturen aus Metallgeflecht, so hat Renate vor kurzem die Materialien Beton und Speckstein für sich entdeckt. Ihre Serien tragen so poetische Namen wie Melancholie und Morgengruß. Annemaries Lampen und Glasarbeiten zieren sowohl öffentliche als auch private Räume. Hans-Jürgen macht, genau wie Dagmar, viel Auftragsarbeiten, z. B. Glasfedern, die dann wieder an Einzelhändler weiterverkauft werden. Trotzdem handelt es sich hier nicht um Massenware; vielmehr hat jede Glasfeder ihren eigenen Charakter. Seine letzte Ausstellung behandelte das Thema Gegensätze. Wie lange es dauert, bis eine solche Ausstellung steht, beweist ein Werk, daß er extra dafür anfertigte und das ein halbes Jahr in Anspruch nahm: eine philosophische Gebetsmühle. Aber auch andere Werke sind nicht minder zeitaufwendig. Ein Glasteller z.b. muß zweimal gebrannt werden, bevor er fertig ist. Wenn man bedenkt, daß ein Durchgang zwölf Stunden dauert, kann von Massenproduktion nicht mehr die Rede sein. Einen geregelten Acht-Stunden Tag gibt es bei den Vieren nicht, denn Kunst muß ja auch reifen und läßt sich nicht erzwingen. Und an manchen Tagen geht eben gar nichts. Dann findet es Hans-Jürgen ganz angenehm zu sehen, daß es nicht nur ihm so geht. Die Vorteile von Kuss liegen für ihn auf der Hand: Es gibt Energie, wenn man gemeinsam in so einem Haus arbeitet. Außerdem lassen sich so leichter Kontakte knüpfen. Die Ideen für ihre Arbeiten entstehen bei den vier dadurch, daß sie sich intensiv mit einem Thema auseinandersetzen. Man kann nie vorhersagen, wann eine Serie fertig wird. Eines Tages hat man das Gefühl, das Projekt wäre rund und dann ist man am Ziel so Renate. Hans-Jürgens Arbeiten haben häufig einen philosophischen Bezug; trotz der Schwere dieses Themas versucht er aber, seine Ideen mit Witz umzusetzen. Für ihn ist es wichtig, daß Kunst Spaß macht, und zwar nicht nur ihm, sondern auch dem Betrachter: Ich mag die Kunst nicht, die mit dem Finger zeigt. Eine Kunst also, die dem Betrachter leicht zugänglich ist. Diese Auffassung teilen auch die anderen drei mit ihm. Das liegt wohl daran, daß die drei aufgrund ihrer handwerklichen Ausbildung fest im Boden verankert sind. Daß dies aber Probleme für die Kreativität mit sich bringen kann, zeigt der Fall von Dagmar: Sie fand es anfangs schwierig, sich von vollendeten, perfekten Formen zu lösen, weil man in der Lehre als Keramikerin hauptsächlich darin ausgebildet wird, Gebrauchsgegenstände zu produzieren, die nicht zu sehr von der Norm abweichen. Für die Zukunft haben sich die vier viel vorgenommen. Zum einen hoffen sie, mehr Zeit für den künstlerischen Aspekt in ihrer Arbeit zu haben, also wieder mehr Einzelstücke statt Auftragsarbeit zu machen. Renate hofft, ihren Hauptberuf als Kursleiterin bei Parasol mit der Kunst verbinden zu können oder bald von der Kunst alleine leben zu können. Außerdem steht im Herbst wieder die Planung des Weihnachtsmarktes an, an dem die vier mit ihren Werken vertreten und von dem Hans-Jürgen und Dagmar Vorstand sind. Kuss St. Leonhardsgasse 2 93047 Regensburg Tel.: 0941/ 57371 o. 566992

Werkstatt/Handwerk 17 Ein Projekt reift: ELEA Lehrlingsaustausch in Europa Von Doris Köbler Nach dreieinhalb Jahren neigt sich das ELEA-Projekt dem Ende zu und kann eine stolze Bilanz vorweisen: 60 Lehrlinge konnten acht Wochen während ihrer Ausbildung im Ausland verbringen. Organisiert wurde der Austausch von der Handwerkskammer für München und Oberbayern. Nach diesem erfolgreichen Probelauf geht ELEA jetzt in Serie. Ausbilder und Lehrlinge dienen als Multiplikatoren des ELEA-Projektes. Zwölf Lehrlinge aus Oberbayern, die acht Wochen im europäischen Ausland verbracht hatten, reisten nach Hause. Gleichzeitig kehrten vier dänische und österreichische Lehrlinge München den Rücken. Dieser Lehrlingsaustausch war Bestandteil des von der EU geförderten Projektes Euro-Lehrling/ euro apprentice oder kurz ELEA, in dem sich die Handwerkskammer seit 1995 engagiert. Für Robin, Tanja, Martin, Jesper, Hans und wie sie alle heißen, ging damit ein wertvoller aber manchmal auch harter Ausbildungsabschnitt zu Ende. Anders als bei anderen Austauschmaßnahmen war nämlich kein Betreuer mit von der Partie, der die Gruppe an der Hand nahm und ein nettes Besichtigungsprogramm organisierte. Die ELEA- Lehrlinge absolvierten vielmehr einen Teil ihrer Ausbildung in einem Betrieb im europäischen Ausland. Sowohl in der Arbeit als auch in ihrer Freizeit waren sie auf sich allein gestellt und mußten sehen, wie sie mit ihrem Ausbilder, den Kollegen oder auch den Gasteltern klar kamen. Neben der fachlichen Qualifizierung, deren Inhalte die Handwerkskammer im Projekt mit den ausländischen Partnern abgestimmt hatte, konnten sie ihre Fremdsprachenkenntnisse erweitern und Land und Leute kennenlernen. Im März diesen Jahres war es auf der Internationalen Handwerksmesse dann soweit: Über 250 Jugendliche, Ausbilder, Betriebsinhaber und Vertreter von Bildungsinstitutionen aus ganz Europa nahmen an der ersten europäischen Konferenz zur grenzüberschreitenden Ausbildung teil: Ausbildung überwindet Grenzen - Mobilität in Europa. In verschiedenen Workshops diskutierten die Teilnehmer ihre Erfahrungen bei ihrer Arbeit im Ausland. Stark beeindruckt zeigte sich auch Bundesbildungsministerin Edelgard Genaue Arbeit ist gefragt.

18 Werkstatt/Handwerk Bundesbildungsministerin Bulmahn (l.) bekam auf der Handwerksmesse ein ELEA-T-Shirt überreicht. Bulmahn von diesem Tag. Der große Andrang, nicht zuletzt vieler Jugendlicher und von Leuten aus achtzehn Nationen, zur Ausbildungskonferenz im ICM und anschließend auf dem Lehrlingstag im Aktionsforum der Handwerkskammern, auf dem grenzüberschreitende Programme vorgestellt wurden, belegten nach Ansicht von Bulmahn die Notwendigkeit eines Blicks über den nationalen Tellerrand. Das Deutsch-Französische Jugendwerk, die Carl-Duisberg-Gesellschaft und zahlreiche andere Träger stellten ihr Programm vor. Auch die Handwerkskammer für München und Oberbayern konnte sich mit ihrem ELEA-Programm präsentieren. Acht Wochen werden hier Lehrlinge jeweils in Dänemark, Großbritannien oder Österreich in einem Betrieb ausgebildet, um Kultur und Fachwissen zu lernen. ELEA war so erfolgreich, daß wir daran sind, ELEA II ins Leben zu rufen, so Rudolf Herwig, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Kammer. Und auch die Vertreter des ZDH waren von der Veranstaltung angetan: Das lief so gut, das sollten wir eigentlich in ein, zwei Jahren wiederholen, so Stefanie Kalff-Lena von der ZDH- Verbindungsstelle Brüssel. mern Informationsmaterial an, um das Konzept nachzuahmen. Damit es sich für die Ausbildungsbetriebe und Lehrlinge in Oberbayern bei ELEA nicht nur um eine Eintagsfliege handelt, sind die Fördermittel für den diesjährigen Austausch bereits beantragt. Bis zu 20 Elektroinstallateure und Maschinenbaumechaniker erhalten die Möglichkeit, zu Beginn des dritten Lehrjahres acht Wochen im europäischen Ausland zu verbringen. In einigen Betrieben ist es nun bereits Tradition, besonders gute Lehrlinge mit dem ELEA-Austausch zu belohnen, weiß Fritz Schöfinius, der den IHM-Tag organisiert hat, aus Gesprächen mit Ausbildern zu berichten. Die österreichischen, dänischen und britischen Partner stehen jedenfalls schon in den Startlöchern, um die nächsten deutschen Lehrlinge in Empfang zu nehmen. Erstmals wird sich dann auch der südtiroler Handwerkerverband am Austausch beteiligen. Was in zwei Berufen und vier Regionen funktioniert, läßt sich auch In den Medien wird seitdem laufend über das Projekt berichtet. Aus dem ganzen Bundesgebiet fordern mittlerweile Ministerien und Kam- Die Lehrlinge werden von Minister Wiesheu und Staatssekretär Spitzner empfangen. Mit Trommlerinnen auf ELEA aufmerksam gemacht. Fritz Schöfinius (r.) organisiert den Lehrlingsaustausch. auf andere Regionen und Berufe übertragen, sind Rudolf Herwig, stellvertretender Hauptgeschäftsführer, und Geschäftsführer Gerhard Ketzler überzeugt. Und schon ist das Nachfolgeprojekt ELEA II geboren. Weil im neuen Projekt nicht nur kleine Brötchen gebacken werden sollen, wird gleich noch eine neue Projektpartnerschaft ins Leben gerufen. Mit der bretonischen Partnerkammer Rennes, einer Berufsschule im belgischen Lüttich und den benachbarten Wirtschaftskammern Tirol und Salzburg soll die Arbeit Ende des Jahres starten. Ab dem kommenden Jahr können sich ausländische Bäckerlehrlinge dann in oberbayerischen Backstuben am richtigen Dreh für echte Brezen üben. Und Baguette nach original französischem Rezept wird zum Renner bei den Münchner Bäckern.

Werkstatt/Handwerk 19 Dänen werden in Bayern ausgebildet. Großer Bahnhof für die ELEA-Lehrlinge in der Handwerkskammer. Vielleicht fahren die Lehrlinge dann auch schon bald nach Südosten zum Lehrlingsaustausch. Mit dem Beobachterstatus der slowenischen Handwerkskammer bei ELEA II ist jedenfalls der erste Schritt dafür getan. Mit ELEA sind wir wegweisend für die Weiterentwicklung der Berufsausbildung in Eu- Mit dieser Zeichnung wurde für den ELEA-Tag auf der IHM äußerst erfolgreich geworben Zeichnung: Hornung ropa, erläutern Rudolf Herwig und Gerhard Ketzler. Weitere e Infos über ELEA gibt es bei: Sogar eine CD-ROM erschien. Ausbildung über europäische Grenzen hinweg. Spezifische Inhalte des Gastlandes stehen im Vordergrund. Handwerkskammer für München und Oberbayern Max-Joseph-Straße 4 80333 München Tel. 089-5119202 E-Mail: koebler@hwkmuenchen.de Internet: www.hwkmuenchen.de Den geeigneten Beruf zu finden, ist der erste Schritt für ein erfolgreiches Projekt.

20 Werkstatt/Handwerk Heute muß die Glocke werden! Glocke Glockengießerei Rudolf Perner Von Wolfgang J. Rotzsche Heute muß die Glocke werden! Der Ausspruch stammt, viele fühlen sich an die Schulzeit erinnert, aus dem Lied von der Glocke, einem Gedicht Friedrich von Schillers (1759-1805), das vor zweihundert Jahren dem Glockenguß gewidmet worden ist. Im abendländischen Bereich ist man es auch heute noch durchaus gewohnt und stolz darauf, daß die Glocken von Kirchen- und Rathaustürmen die Stunden schlagen, zum Gottesdienst rufen und Melodien spielen. Bruder Siegfried Wewers OSB von der Erzabtei St. Ottilien sieht darin freilich in erster Linie den religiösen Aspekt: Die Glocke ruft das Heilige aus in die Öffentlichkeit, verkündet sein Walten in Raum und Zeit. Die Glocke artikuliert die sonst leer verrinnende Zeit. Doch niemand macht sich noch so recht mehr Gedanken, wie eine Glocke entsteht. Ein Blick in die Dreiflüssestadt Passau ist hier hilfreich. Dort hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Firma Rudolf Perner angesiedelt. Es handelt sich dabei um die heute einzige Glockengießerei im Freistaat Bayern. In der Familie Perner hat das Gießen von Glocken eine weit über dreihundert Jahre alte, ungebrochene Tradition. Den Betrieb mit seinen rund vierzig Mitarbeitern leitet heute Rudolf Perner (30), der wohl einer der jüngsten Glockengießer Europas ist. Durch tatkräftiges Mitarbeiten im Betrieb seit seinem 14. Lebensjahr und durch den Großvater wurde er mit den Geheimnissen des Glockengießens vertraut gemacht. Nach dem Abitur ließ er sich zum Glockengießer ausbilden und schloß Zug um Zug entsteht eine Glocke. Fotos: Lange Die Glocke wird aufgehängt.

Werkstatt/Handwerk 21 das Studium der Betriebswirtschaft an der Universität Passau mit Erfolg ab. Es dauerte eine ganze Zeit, bis ein neuer Meisterpüfungsausschuß für das Glockengießerhandwerk gebildet wurde, vor dem Perner seine Meisterprüfung ablegt. Dieser Ausschuß für das Metall- und Glockengießerhandwerk wurde bei der Handwerkskammer Trier als unabhängige Prüfungsbehörde eingerichtet. Damit ist das seltene Handwerk vor dem Aussterben gerettet, macht Rudolf Perner deutlich, der sich gleich zur Meisterprüfung angemeldet hat, die ausschließlich in Trier abgelegt werden kann. Die dreijährige Berufsausbildung zum Metall- und Glockengießer bzw. zur Metall- und Glockengießerin ist durch die Verordnung vom 15. Mai 1998 geregelt. Was der Benediktiner Theophilus vor gut und gern neunhundert Jahren Rudolf Perner will die Meisterprüfung ablegen. beschrieben hat, läßt auch heute noch aufhorchen. Es scheint, als würde die Zeit stehen geblieben sein, wenn eine Glocke gegossen wird. Eine fast 1200 Grad Celsius heiße Glockenspeise aus Kupfer wird in einem alten Steinofen angerührt und mit Zinn vermengt. Mit langen Fichtenstangen wird dabei das Gußmetall gut durchgemischt, bis die Formel In Gottes Namen gesprochen wird. Diese Formel ist das Zeichen seit alters her zum Anstechen des Ofens, nachdem Geistliche und Handwerker ein Gebet gesprochen haben. Ein feierlicher Augenblick ist es, wenn die brodelnde Masse wie ein Feuerstrom durch die gemauerten Kanäle rinnt. Hier, unter Sand und Erde begraben, befindet Glockenproduktion in Passau. sich zwischen Kern und Mantel jener Hohlraum, der beim Glockenguß mit Metall ausgegossen wird. Gerade die Arbeit für diesen Hohlraum macht das Handwerk aus. Bis zu einem halben Jahr kann es schließlich an Vorbereitungen dauern, bis eine große Glocke, wie etwa die neun Tonnen schwere Budapester Friedensglocke, fertig ist. Wichtigster Schritt ist das Berechnen der Rippe, läßt Rudolf Perner wissen. Bei dieser Rippe handelt es sich um das Glockenprofil, um eine Art Schablone, die für das Gewicht der Glocke, für deren Klangfarbe und Ton ausschlaggebend ist. Heutzutage kann die Glocke rein mathematisch auf einen Sechszehntel-Halbton berechnet werden, wenngleich der Klang nicht mit allerletzter Sicherheit bestimmt werden kann. Somit gleicht keine Glocke einer anderen, sie ist ein gutes Musikinstrument, wo letztendlich immer das Individuum zählt. Die Einzigartigkeit der Rippenkonstruktion in Dur oder Moll und der weiche, volle Klang der Perner-Glocken genießen weltweite Beliebtheit, sagt Perner nicht ganz ohne Stolz. Die Glocken von Rudolf Perner schlagen unter anderen, im Dom zu Regensburg und Bamberg, im Dom zu Kattowitz (Polen) und in Bethlehem. Im Passauer Stephansdom hängen heute acht Glocken aus den verschiedenen Jahrhunderten, die älteste stammt von 1733 und wiegt 5,6 Tonnen. Die Firma Rudolf Perner hat das Geläute 1951 mit zwei Glocken ergänzt, unter anderem die schwerste Glocke, die Pummerin, die mit ihren 7850 Kilogramm und einem Durchmesser von 2430 mm ein beachtliches Volumen aufweist. Das Passauer Domgeläute, das durch Perner ergänzt wurde, stellt in sich selbst eine kleine Geschichte der Passauer Glockengießer dar, so Kurt Kramer, da alle Glocken von unterschiedlichen Handwerkern in Passau gegossen worden sind. Die Glocken warten auf den Abtransport.

22 Werkstatt/Handwerk Es wird Maß genommen. Und doch haben die Worte Schillers heute noch Gültigkeit: Festgemauert in der Erden steht die Form, aus Lehm gebrannt. Heute muß die Glocke werden, frisch, Gesellen, seid zur Hand. Von der Stirne heiß rinnen muß der Schweiß, soll das Werk den Meister loben, doch der Segen kommt von oben. Standorte und die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Viele neue Glocken aus unseren Gußgruben werden die Jahrtausendwende einläuten. Nicht nur das Gießen von neuen Glocken, sondern auch der Erhalt von Glocken mit einem Alter von mehreren Jahrhunderten als Kulturgut ist heute eine wichtige Aufgabe der Passauer und der Karlsruher Glockengießerei. Wir widmen uns dieser Aufgabe mit aller Kompetenz und Erfahrung., erklärt Karin Schneider-Andris. Die Verordnung über die Berufsausbildung sieht vor, daß innerhalb von drei Jahren bestimmte Fertigkeiten und Kenntnisse beherrscht werden müssen und im letzten Ausbildungsjahr eine Fachrichtung aus den Gebieten Zinngußtechnik, Kunst- und Glockengußtechnik sowie Metallgußtechnik gewählt werden kann. Tradition und Technik werden hervorragend auf handwerkliche Art und Weise damit verbunden. Mittlerweile ist das Repertoire bei der Firma Rudolf Perner um einige Posten ergänzt worden. Glocken, Glockenstühle und spiele gehören so zum Aufgabengebiet der Firma wie Läutemaschinen, Uhren, Armaturen und Zifferblätter. Montage und Sanierung sowie Kundendienst ergänzen den Service der traditionsreichen Firma. Vor kurzem kam es zur Fusionierung der Glockengießerei Perner Passau und der Karlsruher Glockengießerei. Zwei der ältesten deutschen Glockengießertraditionen wurden somit zusammengeführt, gerade in Hinblick auf ein vereintes und offenes Europa. 1998 hat die Firma Rudolf Perner rund 120 Kirchenglocken aus Bronze mit einem Gewicht zwischen 15 und 3840 kg angefertigt. Durch die Fusionierung sollen aber die Glocken zu kaufen Die Anschrift der Glockengießerei lautet: Rudolf Perner GmbH & Co. Glockengießerei, Stephanstraße 18 / 20, 94034 Passau, Telefon (0851) 9 55 29 0, Telefax (0851) 5 49 12. Via Email kann über Pernerpassau@t-online.de Kontakt aufgenommen werden, im Internet lautet die Adresse www.glocke.com. Eine gut aufgemachte, andere Homepage kann unter www.glocken-online.de aufgerufen werden, auch hier gibt es interessante Informationen über Glocken und sogar über kleine Hausoder Geschenkglocken. Noch kleine Arbeiten sind notwendig.