Vom Traum zur Realität: Blechteile für Prototypen wie diesen Maybach Exelero lassen sich sehr schnell und mit vertretbarem Aufwand formen, wenn man Kunststoffwerkzeuge verwendet Bild: DaimlerChrysler UMFORMWERKZEUGE Kunststoff senkt die Kosten im Kleinserien-Karosseriebau Blechformteile als Prototyp oder in Kleinserie zu fertigen geschieht immer unter starkem Zeit- und Kostendruck. Um ihm zu widerstehen, forscht man an generativen Verfahren und arbeitet daran, Kunststoffe zur Werkzeugherstellung stetig zu verbessern. Als Ergebnis solcher Bemühungen gibt es jetzt ein besonderes Kunststoff-Massivgusssystem. Im Rahmen einer Kooperation von Ebalta und DaimlerChrysler ließ sich die Prozesseignung dieses Systems nachweisen. Die Werkstoffkosten konnten um 35 Prozent gesenkt, die Zeitanteile zum Spanen der Werkzeuge um 60 Prozent verkürzt werden. BLECHFORMTEILE haben ausgezeichnete mechanische Eigenschaften bei vergleichsweise niedrigem Werkstückgewicht. Die Verarbeitbarkeit in automatisierten Produktionsanlagen sichert eine maximale Produktivität bei größtmöglicher Stückzahl. Die Massenfertigung rechtfertigt wiederum den enormen Kapitalaufwand für die Produktionsanlagen und die Bereitstellung der kostenintensiven Tiefziehwerkzeuge. Ein Werkzeugsatz zur Herstellung sämtlicher Blechformteile einer Automobilkarosserie der oberen Mittelklasse enthält derzeit bis zu 5200 Einzelwerkzeuge und bedeutet ein Investitionsvolumen von mehreren hundert Millionen Euro [1 und 2]. Industriell verwendet werden im Wesentlichen verschleißfeste Stahl- und Gusswerkzeuge. Infolge des Trends zur Individualisierung des Nachfrageverhaltens sind Automobilhersteller zunehmend gefordert, Fahrzeuge mit individuellem Erscheinungsbild und komplexen Formen anzubieten, die sich von der Masse abheben. Das führt zu einer zunehmenden Modellvielfalt und Nischenproduktion bei verringertem Produktionsvolumen für die jeweilige Fahrzeugvariante. Zur Sicherstellung einer wirtschaftlichen Produktion sind zunehmend kostengünstige Umformwerkzeuge erforderlich, bei denen ein wesentlicher Teil des Preises vom 36 Carl Hanser Verlag, München BLECH InForm 4/2005
SPECIAL Werkzeugwerkstoff bestimmt wird. Eine kostengünstige Alternative zu den konventionellen Stahl- und Gusswerkstoffen sind Kunststoffe. Zum herrschenden Kostendruck addiert sich ein stetig zunehmender Zeitdruck für die Bereitstellung der Werkzeuge. Aufgrund der hohen Verarbeitungsflexibilität (gieß- oder frästechnisch) und der guten Zerspanbarkeit bei sehr hohen Zerspanvolumina haben auch in dieser Beziehung Kunststoffe gegenüber metallischen Werkzeugen vielfache Vorteile. Kunststoff hat Tradition als Werkzeugwerkstoff Ziel einer Kooperation zwischen der DaimlerChrysler AG in Sindelfingen (Bereich Entwicklung Pkw/Vorbetriebe, www.daimlerchrysler.com) und der Ebalta Kunststoff GmbH in Rothenburg/Tauber (www.ebalta.de) war die Untersuchung der Eignung moderner Kunststoffe für das Umformen höherfester Stahlblechgüten. Der anvisierte Stückzahlbereich entsprach mit BLECH InForm 4/2005 Aufwärtstrend: Anteil von Nischenfahrzeugen an den Neuzulassungen in Deutschland. Quellen: Kraftfahrzeugbundesamt, VDA, DaimlerChrysler ungefähr 350 Blechformteilen der Größenordnung einer Vorserie. Die Verwendung von Kunststoffen im Werkzeugbau hat in Deutschland eine lange Tradition. 1950 wurden erstmals Epoxidharze verwendet; in den 70er-Jahren folgten Polyurethansysteme. Seitdem sind die Möglichkeiten der Anwendung von Kunststoffen als Blechumformwerkzeuge stark gestiegen. Einerseits lassen sich Werkzeugkomponenten aus Kunststoff beliebig mit Werkzeugelementen aus Metall kombinieren, andererseits können 37
neben Blockmaterialien verschiedenste Gießsysteme als Massivguss (homogener Werkzeugaufbau) sowie als Frontschichtguss und Gel-Coat (jeweils separate Oberflächenschicht und Hinterbaumaterial) eingesetzt werden. Die Wahl des Aufbauverfahrens und des verwendeten Oberflächenharzes richtet sich nach der jeweiligen Umformaufgabe, etwa danach, welcher Blechwerkstoff in welcher Blechdicke in welche Geometrie umgeformt werden soll [3 und 4]. Hierbei sind die Aufgaben klar definiert: Das Hinterbaumaterial muss über eine hohe Druckfestigkeit verfügen, um der Stützfunktion der Oberflächenschicht zu genügen. Die Oberflächenschicht dagegen muss sehr gute Gleiteigenschaften haben, um dem Blechwerkstoff ein Einfließen in den Ziehspalt zu ermöglichen. Die Aufbauverfahren Frontschichtguss und Gel-Coat erfordern einen zusätzlichen Aufwand in Form manueller Arbeitsschritte. Mit Kunststoff lässt sich viel Schmierstoff einsparen Aus diesem Grund und infolge des gestiegenen Leistungsvermögens moderner Fräsmaschinen ist ein starker Trend in Richtung Massivgusssysteme erkennbar, die in Blöcken vergossen und beim Kunden gefräst werden. Die technologischen Anforderungen an diese Systeme entsprechen einem Spagat. Eine hohe Druckfestigkeit beispielsweise ist in vielen Fällen Spareffekt: In Streifenziehversuchen mit Umlenkung ermittelte Reibwerte verschiedener Werkzeugwerkstoffe Ermittelt Reibwerte: Streifenziehanlage am IFUM Hannover. Maximale Ziehkraft 12 kn, größte Flächenpressung 80 MPa, maximale Anpresskraft 50 kn, Zugzylinderhub 500 mm, Ziehgeschwindigkeit bis 200 mm/s nur durch eine gezielte Beimengung von abgestimmten Füllstoffmischungen erreichbar [5 und 6]. Diese wiederum können die Gleiteigenschaften herabsetzen, weil sich die Füllstoffpartikel im oberflächennahen Bereich befinden und in adhäsiven oder abrasiven Kontakt mit der Blechoberfläche treten. Infolge einer gezielten Entwicklungstätigkeit des Herstellers Ebalta ist es nun gelungen ein Massivgusssystem bereitzustellen, das sowohl eine hohe Druckfestigkeit als auch gute Gleiteigenschaften hat. Als tribologische Vorversuche wurden Streifenziehversuche (zur Untersuchung des Reibverhaltens) und Verschleißversuche (zum Ermitteln der Verschleißfestigkeit) durchgeführt. Zur Untersuchung des Reibverhaltens diente der Versuchsaufbau Streifenziehanlage mit Umlenkung am Institut für Umformtechnik und Umformmaschinen (IFUM) der Universität Hannover (www.ifum.unihannover.de). Dieser Versuchsaufbau ermöglicht die Nachbildung des Reibzustands an der Ziehkante eines Umformwerkzeugs in Abhängigkeit von verschiedenen Prozessparametern wie Werkzeugwerkstoff, Blechwerkstoff, Ziehgeschwindigkeit, Schmierzustand oder Flächenpresssung. Ergebnisse der Versuche sind im unteren Bild auf dieser Seite zu sehen. Innerhalb der Versuchsreihe wurde die Schmiermitteldosierung variiert. Es ist erkennbar, dass beim Kunststoff jeweils der niedrigste Reibwert auftritt. Die Ergebnisse zeigten auch, dass die Schmiermittelmenge deutlich reduziert werden kann, wenn man den Werkzeugwerkstoff wechselt, zum Beispiel von Grauguss GG25CrMo zu Kunststoff. Verschleißfestigkeit erreicht die Werte von Metall Zur Ermittlung der Verschleißfestigkeit verschiedener Werkzeugwerkstoffe diente der Verschleißprüfstand des Instituts für Umformtechnik und Umformmaschinen. Während des Versuchs wurde intermittierend Blechmaterial (Spaltband, 60 mm breit) vom Coil mit einer zuvor festgelegten Ziehtiefe und Flächenpressung in einem Winkel von 90 um einen Werkzeug- 38 Carl Hanser Verlag, München BLECH InForm 4/2005
SPECIAL Ermittelt Verschleiß: Ein weiterer Prüfstand am IFUM Hannover. Maximale Ziehtiefe 55mm, größte Flächenpressung 40 MPa, Ziehgeschwindigkeit bis 30 mm/s Plast hält mit: Ergebnisse der Verschleißprüfung nach 10 000 Zyklen probekörper herumgelenkt. Ein Zyklus entsprach einem Hub. Das verbrauchte Blechmaterial wurde auf einer zweiten Haspel aufgenommen. Der Werkzeugprobekörper entsprach in der Geometrie einer geraden Ziehkante mit festgelegtem Ziehringradius; Blechwerkstoffe waren Tiefziehstahl DC05 und Aluminium AA6016 T4 (AlMg0,4Si1,2). Als Messgröße galt die Aufweitung des Ziehkantenradius. Der größte Verschleiß zeigte sich bei der niedrig schmelzenden Legierung ZnAl4Cu3 Zamak, der niedrigste beim Grauguss GG25CrMo. Das Massivgusssystem bewies eine sehr gute Verschleißfestigkeit die erzielten Werte lagen nahezu in der Mitte zwischen denen der beiden Metalle. Im Anschluss folgten Tiefziehversuche mit dem Massivgusssystem. Als Werkstückgeometrie wählte man ein Verstärkungsblech im Türschlossbereich für ein Nutzfahrzeug. Dieses Blechformteil sollte aus dem mikrolegierten, höherfesten Blechwerkstoff H250 mit einer Dicke s 0 von 1,2 mm gefertigt werden. Ziele der Praxisversuche waren neben der Ermittlung der Leistungsfähigkeit in Hinblick auf Verschleißfestigkeit und Prozesseignung des Kunststoffes die resultierende Maßgenauigkeit der Blechformteile sowie letztlich die Möglichkeit einer schmiermittelreduzierten Umformung. Zugeführter Schmierstoff sättigt die Oberfläche Die endformnah gegossenen und getemperten Massivguss-Werkzeugblöcke stellte Ebalta zur Verfügung. Das Fräsen der Werkzeuge (Niederhalter, Stempel und Matrize) und die umformtechnischen Versuche übernahm Daimler- Chrysler in Sindelfingen. Als Versuchsmaschine (Verfahrensprinzip Verdrängen ) diente eine einfach wirkende hydraulische Presse. Um Falten erster Art (Faltenbildung im Flanschbereich infolge tangentialer BLECH InForm 4/2005 39
Druckspannungen) zu vermeiden, wurden die ersten Tiefziehversuche mit einer Niederhalterkraft durchgeführt, die 40 Prozent oberhalb der Vorgabe für ein Stahlwerkzeug lag. Sollgeometrie wurde in jedem Fall eingehalten Entsprechend dem Tiefziehergebnis wurde die Niederhalterkraft schrittweise auf ein Optimum verringert. Der optimale Wert ergab sich bei einem spezifischen Niederhalterdruck von etwa 11 MPa. Als Stößelkraft wurde synonym zur Verwendung eines Stahlwerkzeugs ein Wert von 1000 kn eingestellt. Eine Schmierung der Blechplatinen erfolgte lediglich bei den ersten zehn Zyklen. Im Anschluss daran wurden alle weiteren Blechformteile ohne weitere Zufuhr von Schmierstoff hergestellt. Das ist mit Kunststoff deshalb möglich, weil sich der anfangs zugeführte Schmierstoff in der Oberflächenstruktur einlagert. Somit ist die Werkzeugaktivfläche flächendeckend mit Schmierstoff benetzt beziehungsweise gesättigt. Dieser Schutzfilm ist für nachfolgende, trocken durchgeführte Tiefziehversuche weiterhin aktiv, weil nur eine sehr kleine Menge Schmierstoff von den umgeformten Platinen ausgetragen wird. Im Anschluss an die Herstellung der anvisierten Stückzahl von 350 Blechformteilen folgte die obligatorische Qualitätsprüfung der hergestellten Blechformteile und der Werkzeuggeometrie. Die Messberichte zeigten ausnahmslos, dass die hergestellten Werkstücke den Sollvorgaben entsprachen. Eine geometrische Vermessung der Werkzeuggeometrie ergab ebenfalls eine sehr gute Übereinstimmung mit der Sollgeometrie, was darauf hindeutet, dass eine Vielzahl weiterer Blechformteile herstellbar wäre. Die Versuchsergebnisse bestätigen also, dass moderne Kunststoffe sehr gut für das Tiefziehen von Feinblech geeignet sind. Tribologische Untersuchungen machen deutlich, wie ein Kunststoffwerkzeug aufgrund seiner gleitfähigen Oberfläche den Schmiermittelverbrauch reduzieren hilft. Die hohe Verschleißfestigkeit ermöglicht die Fertigung von Stückzahlen bis in die Kleinserie hinein. Materialkosten sanken um 35 Prozent Folgende Feststellung kann am Ende der Untersuchungen getroffen werden: Wenn man Kunststoff als Werkzeugwerkstoff für das Tiefziehen von Feinblech verwendet, lässt sich ein großes Einsparpotenzial in ökonomischer und ökologischer Hinsicht erschließen. So sparte man in den Versuchen Materialkosten im Vergleich zu Grauguss GG25CrMo von 35 Prozent ein. Die Zeit für das Zerspanen der Umformwerkzeuge verkürzte sich sogar um 60 Prozent. Angesichts dieser Vorzüge von Kunststoff als Werkzeugwerkstoff für das Tiefziehen von Feinblech scheint einer zunehmenden Verwendung dieses Werkstoffes in der Einsatz vor Ort : In die Presse eingebaute Werkzeuge aus Kunststoff (Niederhalter, Stempel und Matrize) Typisch Karosseriebau: Für die Tiefziehversuchsreihen ausgewählte Blechteile Blechbearbeitung zukünftig nichts mehr im Wege zu stehen. Dr.-Ing. GÜNTER DEILER Ebalta Kunststoff GmbH, Rothenburg/Tauber www.ebalta.de THOMAS SCHWEIKER DaimlerChrysler AG Mercedes-Benz Technologie Center Sindelfingen www.daimlerchrysler.com 40 Carl Hanser Verlag, München BLECH InForm 4/2005