Für Eile fehlt mir die Zeit

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Transkript:

Leseprobe aus: Horst Evers Für Eile fehlt mir die Zeit Mehr Informationen zum Buch finden Sie auf rowohlt.de. Copyright 2013 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

«Evers Geschichten sind federleicht, voll fatalistischen Humors. Einfach klasse.» Süddeutsche Zeitung In «Für Eile fehlt mir die Zeit» erzählt Horst Evers Geschichten: ausgesprochen komische Geschichten aus dem Hier und Jetzt. Geschichten, die sich hüten, auch nur einen einzigen Ratschlag zu erteilen aber trotzdem helfen. «Horst Evers kann alles: kabarettieren, musizieren, Taxi fahren. Und schreiben, das kann er auch.» Frankfurter Rundschau «Was für ein Vergnügen.» Brigitte Informationen zum Autor und zu seinem Werk finden Sie auf Seite 303.

Horst Evers Für Eile fehlt mir die Zeit Rowohlt Taschenbuch Verlag

Sonderausgabe Juli 2013 Veröffentlicht im Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg, Juli 2012 Copyright 2011 by Rowohlt Berlin Verlag GmbH, Berlin Einbandgestaltung any.way, Cathrin Günther (Abbildung: Bernd Pfarr VG Bild-Kunst, Bonn 2010) Satz aus der Minion PostScript, InDesign, bei Pinkuin Satz und Datentechnik, Berlin Druck und Bindung CPI Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 978 3 499 26675 1

Für Roberta und Gabi

Inhalt Frühling Für Eile fehlt mir die Zeit 11 Das Haus in Brandenburg 19 Gepresste Lebensqualität 24 Ich könnte auch Heidi Klum sein 31 Gibt es Gott? 34 Das Wunder der Schale 40 Fahrradskelette 46 Die amtliche Führungspersönlichkeit 56 Der Plan der Außerirdischen 60 Das Paar im Zug 66 Sommer Auf Lunge 73 Mathematik macht schön 80 Großer Bahnhof 83 Wildschweine oder Was würde Captain Kirk jetzt tun? 90 Jäger und Fallensteller 99 Gescheiterte Beziehungen 104

Schusswaffen für alle 113 Das kriminelle Genie 116 Das Geheimnis des Tanztheaters 121 Herbst Der weinende Engel 129 Gutenberg 2.0 137 Was Günter Grass von mir denkt 141 Wir feiern den Tag der Deutschen Einheit 146 Wenn Mücken twittern könnten 153 Was viele denken 163 Der große BVG-Streik 167 Nobelpreisträger wie du und ich 171 Niedersächsischer Herbst 177 Säugetier mit U 183 Im schönen Odenwald 192 Winter Romantik 199 Beim Arzt Dr. Molde 208 Wenn ich Jack Bauer wär 212 Die schönsten Weihnachtsmärkte der Welt 216

In der Gewalt der Schlummertaste 223 Der Nikolaus kommt früh nach Haus 227 Die beige Einzelzelle der Liebe 231 Wann lacht der Eskimo? 237 Worst ever 240 Gesichter der Stadt 245 Zweiter Frühling Der graue Alltag der Revolution 251 Das Geheimnis von Schottland 261 Kinderträume 268 Sportstadt Nummer eins 271 World of Mother 275 Sintflut für alle 280 Im Schlafen genial 285 Kulturstadt Bielefeld 288 Böser Horst 296

Frühling Am Anfang wurde das Universum erschaffen. Das machte viele Leute sehr wütend und wurde allenthalben als Schritt in die falsche Richtung gesehen. Douglas Adams, britischer Autor Für Eile fehlt mir die Zeit Sitze im Zug und arbeite am Computer. Kann mich nicht gut konzentrieren. Neben dem Fahrgeräusch hört man ein lautes Krächzen, Röcheln und Krachen. Als würde in der Radaufhängung etwas schleifen oder so ähnlich. Klingt gar nicht gut. Zerrt auch ziemlich an den Nerven, das Geräusch. Unangenehm. Jetzt gibt es sogar leichte Schläge. In die Seite. Oder mehr so ein Stupsen. Und jetzt ruft es: «Halloooo! Hallo, Sie! Das stört doch sehr! Wachen Sie auf! Halloooo!!!» Ich reiße die Augen auf und schaue in das ärger 11

liche, aber wunderschöne Gesicht einer Frau mit ganz, ganz vielen Haaren. Als sie sieht, dass ich wach bin, schwebt sie zurück zu ihrem Platz zwei Reihen weiter. Ich versuche, zu mir zu kommen. Immerhin, in dem Moment, wo sie mich geweckt hat, haben auch diese krächzenden, röchelnden, krachenden Geräusche in der Radaufhängung aufgehört. Der Zug ist wieder heile. Eine Sorge weniger. Schaue mich ein wenig um. Alle Reisenden aus dem Waggon starren mich an. Fühle mich unwohl, verkrieche mich ganz, ganz tief in den Sitz. Der Jugendliche gegenüber grinst. Versuche, möglichst beiläufig zu fragen: Hallooo, wie lange war ich denn weg? Knapp ne Stunde. Seit kurz hinter Offenburg. Uiiihh, und ich hab wohl auch ein bisschen geschnarcht, oder? Er lacht. Ein bisschen? Obwohl, anfangs war es noch recht leise. Erst die letzten vier, fünf Minuten wurde es dann richtig laut. Wie laut? Von einem Sitz vier Reihen weiter hinten ruft jemand: Na, so richtig laut. Klang wie ne Knochensäge am Unfallort! 12

Von vorne kommt Widerspruch: Nee, ich find eher wie ein Abflussrohr nach einer Wassersperrung! Nein, als wenn man bei einem Auto den vierten Gang nicht richtig reinkriegt, es minutenlang versucht, aus Verzweiflung immer mehr Gas im Leerlauf gibt und dann aus Trotz einfach mal den Rückwärtsgang einlegt! Plötzlich hat jeder eine Meinung zu meinen Schnarchgeräuschen, doch die aufkommende, lebhafte Diskussion wird von der Durchsage, der Zug erreiche in wenigen Minuten Mannheim, jäh abgewürgt. Mir ist es sehr recht, dass offensichtlich ein Großteil der Reisenden aussteigt. Auch der Jugendliche räumt seine Sachen zusammen. Im Aufstehen raunt er mir noch zu: Ich fand ja das Gerede im Schlaf vorher viel unangenehmer. Gott sei Dank waren keine Kinder im Abteil. Dann grinst er wieder so, dass man nicht genau weiß, ob er einen Scherz gemacht hat. Die Frau mit den ganz, ganz vielen Haaren versucht, mich zu beruhigen: Ach, machen Sie sich keine Gedanken, für einen Mann in Ihrem Alter ist so was völlig normal. Jetzt bin ich wirklich aufgewühlt. Frage sie aber lieber nicht, wie alt ein Mann in meinem Alter 13

wohl so sei. Und auch nicht, was für den dann völlig normal sei. Vielleicht hat die Frau ja auch nur einen Scherz gemacht. Denke, während die Frau lachend im Gang steht: Wie schafft so ein Kopf das nur, mit so vielen Haaren? Das muss doch irrsinnig anstrengend für den Kopf sein, die alle mit Nährstoffen zu versorgen. Oder bei Gegenwind. Ich wäre wahrscheinlich noch viel müder, wenn ich für so viele Haare die Verantwortung tragen müsste. Ein neuer Fahrgast steigt ein und setzt sich an meinen Tisch. Wobei, er setzt sich an meinen Tisch ist stark untertrieben. Im Hinsetzen holt er schon seinen Laptop raus, klappt ihn auf, schaltet ihn ein, nimmt das Ladegerät, fragt mich, wo die Steckdose ist, steckt den Stecker ein, telefoniert währenddessen mit dem Handy, checkt seine Mails, stellt plötzlich seinen Coffee to go, einen Take-away-Bag von der Sandwich-Station und einen Obstshake all das muss er wohl die ganze Zeit in der Hand gehabt haben auf dem Tisch ab, telefoniert immer noch, tippt parallel was in den Laptop, holt einige Unterlagen aus der Tasche, verstaut die Tasche, telefoniert immer noch, verschickt Mails, beginnt nebenher die drei Zeitungen aus seiner Manteltasche durchzusehen, fängt an zu essen, telefoniert immer noch, holt 14

ein zweites Handy raus, tippt dort auch noch was und beendet dann, bevor der Zug überhaupt losgefahren ist, sein Telefonat mit den Worten: «Ich bin im Zug und die ganze Zeit erreichbar. Mache ohnehin gerade nichts.» Denke, für das, was dieser Mann allein während des Einsteigens in einen Zug macht, brauche ich ungefähr anderthalb Wochen. Schaue fasziniert dabei zu, wie er jetzt gleichzeitig isst, tippt, liest, trinkt, etwas auf seinem ipod hört und, wie gerade erwähnt, ganz nebenbei auch noch nichts tut. Um nicht völlig abzustinken, schaue ich ebenfalls mal auf mein Handy. Ach guck, zwölf SMS. Das ist ungewöhnlich. Bin ein bisschen stolz. Sage möglichst lässig in Richtung des Mannes: «Hui, da hab ich ja schon wieder zwölf SMS bekommen. Die Leute, die Leute, da guckt man dreißig Minuten nicht aufs Handy, zack! sind wieder zwölf SMS da. Aber so ist das nun mal.» Vom Mann kommt keine Reaktion, er tut, als würde er mich gar nicht hören. Na, ist wahrscheinlich neidisch auf meine zwölf Kurzmitteilungen. Die sind allerdings sehr verwirrend. Sie reichen von «Was soll der Quatsch?» über «Iiiiihh, ist das eklig!» bis zu «Boah, siehst du scheiße aus!» und 15

«Wer hat denn die Fotos gemacht?». Seltsam, und wann habe ich überhaupt mein Handy auf lautlos gestellt? Bekomme ein mulmiges Gefühl. Schaue in den Gesendet-Ordner. Na toll, der Jugendliche hat mich offensichtlich mit meinem Handy beim Schnarchen fotografiert. Mit offenem Mund und Zunge draußen und Schlabbern inklusive. Uääääwwwhh, nicht so schön. Dann hat er die Fotos offensichtlich an möglichst viele Nummern aus meinem Handyadressbuch geschickt. Da kommt noch eine SMS. Von Micha. «Super Fotos, Horst, voll eklig, coole Sache, hab sie gleich an alle meine Nummern weitergeschickt und auf Facebook gepostet. lg Micha.» Ach wie wunderbar, denke, du mich auch lg. Mittlerweile tippt und tickert und klappert es im Waggon richtig heftig. Stimmt, zwischen Mannheim und Frankfurt gibt es im ICE neuerdings ein funktionierendes WLAN. Praktisch jeder hat jetzt einen Laptop vor sich und klackert vor sich hin. Na, da kann ich mir ja mal auf Facebook die Bescherung anschauen. Sehe schnell, dass Micha ganze Arbeit geleistet hat. Er hat das auch noch vergrößert und die Zunge eingefärbt. Warum macht er das, und wieso grün? Rufe Micha an, er soll den Quatsch löschen. Krie 16

ge nur seine Mailbox, will schon wieder auflegen, als irgendetwas in mir befiehlt, ich solle laut in mein Handy sprechen. Rede also ganz laut sinnloses Zeug wie: «Hallo, Micha, ja, ich sitze noch im Zug. Stell dir vor, mittlerweile kann man hier sogar während der Fahrt ins Netz. Ich fahre mit über zweihundert Stundenkilometern und bin im Internet. Kann ich gleichzeitig. Und nebenbei telefoniere ich noch. Wahnsinn, was? Und das Tollste, über dieses Zug-WLAN kann man sich auch ganz einfach in die Computer der anderen reinhacken. Ich habe praktisch vollen Zugriff auf alle Computer hier im Zug!» Das Klackern verstummt. Einige klappen ihren Laptop zu, alle starren mich an. Zehn Sekunden herrscht völlige Stille. Überlege, wie viele Millionen Bruttosozialprodukt dieser kleine Scherz das Land jetzt wohl kostet. Dann rufe ich: «War nur ein Scherz! Hier, ist nur ne Mailbox, nur ein Scherz! Haha! Ich bin Spaßmacher, ich wollte nur mal gucken, was passiert, wenn ich so was sage.» Ein paar lächeln gequält. Die meisten widmen sich wieder ihrem Computer. Zwei Männer aber packen ihr Gerät weg. Sie trauen mir wohl nicht. Der Mann an meinem Tisch nimmt sein Handy und telefoniert. Er ruft: «Ey, du glaubst es nicht, aber das Bild, das du mir gerade geschickt hast. 17

Von dem sabbernden, schnarchenden Mann im Zug. Der sitzt mir gegenüber, grad hat der schon wieder einen Superscherz gemacht!» Und in der Werbung sagen sie, demnächst wollen sie die Leitungen und alles noch viel schneller machen. Wahnsinn.

Das Haus in Brandenburg Micha will sich ein Haus kaufen. In Brandenburg. Micha, der schon seit Jahren und bislang noch ohne greifbares Ergebnis überlegt, ob er sich mal eine eigene Blumenvase kaufen sollte, ist plötzlich fest entschlossen, ein Haus zu kaufen. In Brandenburg. Für die Familie. Das ist eine großartige Idee. Findet Micha. So großartig, dass er einige entscheidende und elementare Fragen, die sich so rund um einen Hauskauf auftun, noch gar nicht so richtig bedacht hat. Fragen wie: Warum? Micha starrt mich fassungslos an. Wie warum? Ich präzisiere: Warum willst du das Haus kaufen? Na, weil das total billig ist. Wie billig? Na, billig eben, jetzt gerade auch im Vergleich. Im Vergleich zu was? Na, jetzt so zu anderen Häusern oder einer Wohnung in Berlin. Wieso ist denn eine Wohnung in Berlin so viel teurer? 19