Robert Baar, Dipl. Päd. Pädagogische Hochschule Heidelberg Jungen: Die neuen Bildungsverlierer? Ein Beitrag zum Thema Geschlechtergerechte Schule
Frauen und Männer sind verschieden.
Frauen und Männer passen einfach nicht zueinander.
Frauen sind emotionaler als Männer.
Jungen weinen nicht so schnell wie Mädchen.
Ein Kleinkind braucht im ersten Lebensjahr vor allem seine Mutter.
Ehemänner sollten größer sein als ihre Frauen.
Wenn meine Tochter mit zwölf Jahren in den Fußballverein eintreten wollte, würde ich ihr das erlauben.
Wenn mein Sohn mit 12 Jahren Ballettunterricht nehmen wollte, würde ich mir Sorgen machen.
Männer reden weniger als Frauen.
Männer reden weniger als Frauen, weil Sie schon in der Steinzeit bei der Jagd still sein mussten, um die Tiere nicht zu verscheuchen.
Frauen besitzen mehr Schuhe als Männer.
Frauen besitzen mehr Schuhe als Männer, weil sie schon in der Steinzeit Sammlerinnen waren.
Männliche Lehrer haben es leichter, sich Respekt zu verschaffen.
In der Schule gibt es zu viele Lehrerinnen und zu wenig Lehrer.
Jungen werden in der Schule benachteiligt.
Gliederung Jungen: Die neuen Bildungsverlierer? 1. Zum Diskurs 2. Daten und Fakten 3. Erklärungsansätze 4. Lösungsansätze
Zum Diskurs
Männerquote Lehrerinnen machen Schüler dumm Kultusminister schlagen Alarm (Bild, 28.9.2003) Forderung nach einer Männerquote an Grundschulen durch die KultusministerInnen Busemann (Niedersachsen, 2003), Wolf (Hessen, 2003), Schavan (B.-W., 2003), Erdsiek-Rave (S.-H., 2006), Sommer (NRW, 2007)
Magazine
Der Spiegel 26/2008
Fernsehbeiträge Von Tanten umzingelt. Warum es Jungs schwer haben, Männer zu werden (MDR, Fakt ist, 2007) Wo bleiben die Jungs (ZDF, Mona Lisa, 2008) Jungs auf der Kippe Die neuen Sorgenkinder der Nation (SWR 2009) Jungs: Sind sie das neue schwache Geschlecht? (3 Sat, Mehr wissen über:, 2009)
Ratgeberliteratur
Daten und Fakten
PISA 2006: Lesekompetenz Staat Mädchen Jungen M M Griechenland 488 432 Finnland 572 521 Island 509 460 Norwegen 508 462 Tschechische Republik 509 463 Österreich 513 468 Türkei 471 427 Deutschland 517 475 Slowakische Republik 488 446 Italien 489 448 Schweden 528 488 Polen 528 487 Belgien 522 482 Ungarn 503 463 OECD Durchschnitt 511 473 Neuseeland 539 502 Australien 532 495 Spanien 479 443 Korea 574 539 Frankreich 505 470 Irland 534 500 Mexiko 427 393 Portugal 488 455 Kanada 543 511 Luxemburg 495 464 Schweiz 515 484 Japan 513 483 Dänemark 509 480 Vereinigtes Königreich 510 480 Niederlande 519 495 Differenz Jungen - Mädchen -60-40 -20 0 PISA 2006: Geschlechterdifferenzen in der Lesekompetenz nicht signifikant signifikant
PISA 2006: Einstellung zum Lesen Vergleich PISA 2000 PISA 2006 (Zustimmung in Prozent) Gesamt Jungen Mädchen 2000 2006 2000 2006 2000 2006 Ich lese nicht zum Vergnügen 42 34 55 45 29 23 Lesen ist Zeitverschwendung 31 26 41 35 20 15 Ich lese mindestens 1 Stunde täglich zum Vergnügen 13 19 9 15 18 23 Lesen ist eins meiner liebsten Hobbys 29 36 18 25 41 48
PISA 2006: Lesekompetenz Lesen ist wie bei PISA 2000 und 2003 eine Domäne der Mädchen. Die Lesekompetenz von 20% aller Jugendlichen liegt auf oder unter Kompetenzstufe I. Davon sind 65,1% Jungen und 34,9% Mädchen. Knapp 10% der Schülerinnen und Schüler gehören zur Spitzengruppe im Lesen. Davon sind 37,1% Jungen und 62,9% Mädchen.
Schülerinnen und Schüler an öffentlichen Schulen in B.-W. (2008/09) 80 60 40 20 0 SO HS RS GYM Jungen Mädchen 61% 55% 51% 48% Jungenanteil
SchulabgängerInnen (bundesweit, 2004) 60 40 20 0 ohne HS RS Abitur Mädchen Jungen Mädchen: 6,3% 25,5% 55,5% 32,3% Jungen: 10,5% 33,6% 49,1% 24,4%
PISA 2006: Mathematische Kompetenz Staat Mädchen Jungen M M Island 508 503 Griechenland 457 462 Schweden 500 505 Türkei 421 427 Norwegen 487 493 Frankreich 492 499 Belgien 517 524 Vereinigte S taaten 470 479 Spanien 476 484 Mexiko 401 410 Polen 491 500 Korea 543 552 Ungarn 486 496 Dänemark 508 518 Tschechische Republik 504 514 Neuseeland 517 527 OECD-Durchschnitt 492 503 Irland 496 507 Finnland 543 554 Niederlande 524 537 Schweiz 523 536 Kanada 520 534 Slowakische Republik 485 499 Australien 513 527 Portugal 459 474 Luxemburg 482 498 Italien 453 470 Vereinigtes Königreich 487 504 Deutschland 494 513 Japan 513 533 Österreich 494 517 Differenz Jungen - Mädchen -10 0 10 20 30 PISA 2006 Mittelwerte der mathematischen Kompetenz nach Geschlecht im internationalen Vergleich nicht signifikant signifikant
Erklärungsansätze
Erklärungsansätze Jungensozialisation als Faktor der Benachteiligung in der Schule Schulorganisation und Schulkultur als Faktor der Benachteiligung von Jungen
Jungensozialisation Kontraproduktiver Erwerb von Einstellungen und Verhaltensweisen Als erstrebenswert erachtete Fähigkeiten nicht schuladaptiv (vgl. Behnke et al. 2005) Paradigma der Coolness und des Dominanzverhaltens stehen Anforderungen der Schule entgegen (vgl. Thies/Röhner 2000)
Schulorganisation und Schulkultur Feminisierung als Problem: Quantitative Feminisierung: Fehlende männliche Rollenvorbilder (Frauenanteil GS: 88 %) Qualitative Feminisierung: Von Frauen bestimmte Schulkultur (Lehrerinnen belohnen mädchenadäquates Verhalten, Lehrpläne/Unterrichtsmethoden berücksichtigen Interessen der Jungen nicht)
Lösungsansätze
Grundsätzliche Perspektiven Jungen als heterogene Gruppe betrachten Pädagogik der Vielfalt (Prengel 1993)
Handlungsoptionen für eine geschlechtergerechte Schule Individualisierende Unterrichtsformen Theamtisierung von Geschlecht/Geschlechterunterschiede vor dem Hintergrund Chancenungleichheit Reflexion über Geschlechterstereotype: Rekonstruktion und Dekonstruktion Vielfältige Lebensentwürfe unterstützen Entdramatisierung der Geschlechterdifferenz Gelassenheit Einbeziehen anderer Kategorien
Literatur (Auswahl) Gildemeister, R./Robert, G. (2008): Geschlechterdifferenzierungen in lebenszeitlicher Perspektive, Wiesbaden Koch-Priewe, B. et. al. (2009): Jungen Sorgenkinder oder Sieger?, Wiesbaden. Schultheis, K./Strobel-Eisele,G./Fuhr, T. (2006): Kinder: Geschlecht männlich, Stuttgart. Kuhn, H. P. (2008): Geschlechterverhältnisse in der Schule: Sind die Jungen jetzt benachteiligt?, in: Rendtorff, B./Prengel, A. (Hrsg.), Kinder und ihr Geschlecht, Opladen/Farmington Hills, S.49-71. Prengel, A. (1993): Pädagogik der Vielfalt, Opladen. Baar, R. (2010): Allein unter Frauen, i.e. Behnke, I. et al. (2005): Lernen, Bildung, Partizipation, o.o. Thies, W./Röhner, Ch. (2000): Erziehungsziel Geschlechterdemokratie. Interaktionsstudie über Reformansätze im Unterricht, Weinheim. Winter, R./Neubauer, G. (1998): Kompetent, authentisch und normal?, Köln. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!