Schnittwerte im praktischen Test Dipl.-Ing. Christiane Rehm 1 Problemstellung Die Anwendbarkeit Neuronaler Netze zur Bestimmung von Schnittparametern kann nur über den praktischen Nachweis geführt werden. In /DFG-97/ werden Versuche beschrieben, bei denen für unterschiedliche Werkzeuge, Werkstoffe und Schnittiefen die Schnittwerte berechnet wurden. Die praktischen Tests ergaben, daß die vom Neuronalen Netz ermittelten Werte akzeptabel sind. In weiteren Versuchen sollte ermittelt werden, welche zulässigen Lösungsräume die Berechnungsergebnisse haben, d.h. wie kann die Treffsicherheit und die Generalisierungsfähigkeit beurteilt werden.. Dazu wurde ein Versuch aus /DFG-96/ ausgewählt. Die Entscheidung für den nachfolgend aufgeführten Versuch wurde deshalb getroffen, weil durch das sehr zähe Material (210Cr46) ein schneller Schneidplattenverschleiß eintritt, es so in kurzer Zeit möglich ist, aussagefähigen Ergebnisse zu erhalten. Die vom Netz berechneten Schnittwerte gelten dabei als Werte für den Grundversuch. Vorschub- und Schnittgeschwindigkeit werden in den anderen Versuchen verändert. 2 Stand der Technik Anhand von Prozeßmodellen wird versucht, den Fräsprozeß optimal auszulegen. Dazu werden auch Neuronale Netze eingesetzt, unter anderem um das Verschleißverhalten der Werkzeuge einschätzen zu können. Um die Genauigkeit der vom Netz berechneten Daten bzw. Verläufe bestimmen zu können, sind praktische Tests erforderlich /KLO-97/. Im folgenden soll nicht das Verschleißverhalten der Schneidstoffe untersucht werden, sondern ermittelt werden, ob die vom Neuronalen Netz berechneten Werte hinsichtlich Standzeit, Bearbeitungszeit und Kosten als optimal einzuschätzen sind. 3 Versuchsbedingungen und planung Folgende Forderungen /nach BIE-94/ müssen an die Versuche gestellt werden: - Die Schnittwerte müssen kontrolliert variiert werden. - Alle Versuchsparameter sind zu protokollieren. - Werkstückmaterial und Schneidstoff sollten für alle Versuche aus der gleichen Charge stammen. - Jeder Versuch ist dreimal zu wiederholen. Sollten die Ergebnisse der Versuche stark voneinander abweichen, ist die Versuchszahl zu erhöhen. Bereits im Vorfeld der hier beschriebenen Versuche wurden praktische Tests /DFG-96/ durchgeführt, welche die Anwendbarkeit der vom Neuronalen Netz berechneten Werte bestätigte. Deshalb wird jetzt von nur 3 Wiederholungen pro Versuchsreihe ausgegangen. Konstante Bedingungen für alle Versuche: Werkstückmaterial: 210Cr46 Werkzeug: Bohrnutenfräser F2037.5.25.100.025, Durchmesser 25 Eingriffsbedingungen: Wendeschneidplatten P 27215.00 100% des technisch möglichen radialen und axialen Schnittwerte Rehm 1
Verschleißmessung: Kraftmessung: Eingriffs des Werkzeugs Profilprojektor Kistler Kraftmeßplattform Typ 9257B SN 462184 mit Auswertesoftware Dia/Dago Vom Netz berechnete Schnittwerte: Vorschubgeschwindigkeit: 125,7 mm / U Schnittgeschwindigkeit 0,049 m / min Variable Bedingungen: Um die von Netz berechneten Schnittwerte bewerten zu können, müssen sie so variiert werden, daß die Ergebnisse der neuen Schnittwerte nicht mehr in den Toleranzbereich der vom Netz berechneten Werte fallen bzw. eine Unterscheidung der Bereiche noch möglich ist. Von den Werkzeugherstellern wird angegeben, daß je nach Werkstofflieferung (Chargen) und Zustand der Maschinen zu 20% niedrigere oder höhere Schnittwerte notwendig sein können /WIDIA/. Die Testreihen wurden an einem Werkstückblock und mit Schneidplatten aus einer Lieferung durchgeführt, um diese Streubreite zu reduzieren. Da 20% Abweichung als akzeptabel gelten, wurden die Schnittwerte um 20% reduziert bzw. erhöht. Diese Werte sind wieder in einem Toleranzfeld von +/- 20% zu betrachten. Vorschub: Schnittgeschwindigkeit: 80%, 100% und 120% des vom neuronalen Netzes berechneten Wertes 80%, 100% und 120% des vom neuronalen Netzes berechneten Wertes Durch die möglichen Kombinationen von Schnitt- und Vorschubgeschwindigkeit ergeben sich 5 Versuchsreihen: Versuchsnummer Vorschubgeschwindigkeit Schnittgeschwindigkeit 1 (Grundversuch) 125,7 mm / U 0,049 m / min 2 150 mm / U 0,049 m / min 3 100 mm / U 0,049 m / min 4 125,7 mm / U 0,04 m / min 5 125,7 mm / U 0,06 m / min Dreimaliges Durchführen der Versuche 1-5 und Erfassung der Verschleißmerkmale 1. Fräsen einer Bahn mit Versuchsparametern. Schnittwerte Rehm 2
2. Erfassen der Verschleißmarkenbreiten auf den Frei- und Nebenfreiflächen bzw. des Eckenverschleißes jeder Schneide mit dem Werkstattmikroskop. 3. Messen der Rauheit mit dem Tastschnittgerät am Ende der Fräsbahn. Wiederholen der Tätigkeiten 1-3 das Standzeitende der Wendeschneidplatten erreicht ist. Die Meßintervalle werden je nach Verschleißfortschritt vergrößert oder verkleinert. Als Verschleißmarkenbreite, die das Ende der Standzeit angibt, wurden 0,4 mm /KLO-97/ festgelegt. Bei einer Verschleißmarkenbreite von 0,4 mm ist es möglich, daß der Fräsprozeß nicht mehr sicher ist. Die Versuchsreihe soll dann eher abgebrochen werden. 4 Versuchsergebnisse Versuch 1 (Grundversuch, Werte entsprechend Neuronalem Netz) Die Testreihen wurden bei einer Verschleißmarkenbreite VB von 0.22mm bzw. 0.24mm abgebrochen. Die Maßnahme wurde notwendig, da die Schwingungen am Werkzeug sehr stark anstiegen, und die Späne sich anlaßfarben verfärbten. Weiterhin zeigt sich am Versuchsende plötzlich ein sehr starker Eckenverschleiß, der das Verschleißkriterium übersteigt. In Tabelle 1 ist für beide Versuchsreihen der Eckenverschleiß zusammengefaßt. Versuch Schnittweg Eckenverschleiß [mm] [mm] Schneide 1 Schneide 2 Schneide 3 1.1. 4140 0.55 0.6 0.6 1.2. 3795 0.61 0.67 0.67 Tabelle 4 Tabelle 1 Eckenverschleiß für Testreihe 1 /NEU-98/ Versuch 2 (Schnittgeschwindigkeit unverändert, Vorschub verringert) Die Versuchsreihen 2.1., 2.2., 2.3. endeten bei Verschleißmarkenbreiten von 0.21mm, 0.21mm und 0.22mm (Bild 1). Schnittwerte Rehm 3
Verschleißmarkenbreite VB [mm] 0,45 0,4 0,35 0,3 0,25 0,2 0,15 0,1 0,05 0 Verschleiß der Hauptschneiden im Versuch 2 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000 4500 Schnittweg s [mm] V c =100.7m/min f z =0.049mm Vers.:2.1. Vers.:2.2. Vers.:2.3. V.-Grenze Bild 1 Verschleißfortschritt der Wendeschneidplatten im Versuch 2 /NEU 98/ Der Grund des Abbruchs besteht in der starken Zunahme der Bearbeitungsgeräusche (Schwingungen), dem Entstehen von glühenden Spänen, sowie des starken Eckenverschleißes (Tabelle 2). Versuch Schnittweg Eckenverschleiß [mm] [mm] Schneide 1 Schneide 2 Schneide 3 2.1. 4485 0.40 0.39 0.46 2.2. 4485 0.53 0.69 0.66 2.3. 4140 0.62 0.45 0.53 Tabelle 2: Eckenverschleiß für Testreihe 2 /NEU 98/ Versuch 3 (Schnittgeschwindigkeit unverändert, Vorschub erhöht) Die Testreihe 3.1. wurde bei nahezu gleichen Erscheinungen (hoher Geräuschpegel, glühende Späne) wie die vorhergehenden Versuche beendet. Die Verschleißmarkenbreite beträgt 0.19mm. Durch die hohe Verschleißmarkenbreite der Wendeschneidplatten entstanden glühend sprühende Späne oder Spanbrocken, die zum Teil nicht abtransportiert werden konnten und sich so mit der Werkstückwandung verschweißten. Weiterhin sieht man eine sehr stark thermisch beeinflußte Randzone am Werkstück, die etwa 0.4mm breit ist. Solche Effekte Schnittwerte Rehm 4
müssen im praktischen Einsatz vermieden werden, da durch Oberflächenschädigung Aufhärtungen und Risse entstehen, und nachfolgende Arbeitsgänge mit höherem Werkzeugverschleiß verbunden sind. Aus Sicherheitsgründen wurde keine dritter Testreihe ausgeführt. Der Versuch 3.2. wurde jedoch zu einer Verschleißmarkenbreite von 0.4mm durchgeführt. Dieser Test sollte zeigen, wie weit die Beendigunge aller herigen Testreihen von Standzeitkriterium (vb=0,4) der Wendeschneidplatten entfernt sind. Dieser Abstand beträgt in diesem Fall 690 mm Schnittweg. Da eine akute Gefahr eines Wendeschneidplattenbruches besteht und damit der Werkzeughalter ebenfalls zerstört wird, ist dieser Versuch zwar als Laborvariante möglich, aber keinesfalls als praxisrelevant zu betrachten. Die Zusammenfassung der Ergebnisse des Versuchs 3 sind Tabelle 3 zu entnehmen. Versuch Schnittweg Eckenverschleiß [mm] [mm] Schneide 1 Schneide 2 Schneide 3 3.1. 3430 0.55 0.6 0.62 3.2. 2760 0.62 0.61 0.59 Tabelle 3: Eckenverschleiß im Versuchsreihe 3 /NEU 98/ Versuch 4 (Vorschub unverändert zum Grundversuch, Schnittgeschwindigkeit verringert) Die Versuchsreihen 4.1. und 4.2. wurden mit einer Verschleißmarkenbreite von jeweils 0.21mm beendet. Die Versuche konnten auch hier auf Grund von Schwingungen, eines zu großen Eckenverschleißes und der Färbung der Späne nicht fortgeführt werden. Den Eckenverschleiß der Wendeschneidplatten zeigt Tabelle 4. Versuch Schnittweg Eckenverschleiß [mm] [mm] Schneide 1 Schneide 2 Schneide 3 4.1. 4485 0.55 0.6 0.62 4.2. 4485 0.53 0.57 0.48 Tabelle 4: Eckenverschleiß für Versuchsreihe 4 /NEU 98/ Versuch 5 (Vorschub unverändert zum Grundversuch, Schnittgeschwindigkeit erhöht) Diese Versuchsreihe endete bei ca. 2400mm Schnittweg und vollem Werkzeugeingriff mit einem Werkzeugbruch. Die Versuchsparameter ermöglichten keine Bearbeitung mehr. Deshalb werden im weiteren nur die ersten 4 Versuche bewertet. Schnittwerte Rehm 5
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5 Versuchsauswertung Die Standwege, welche in den einzelnen Versuchen erzielt wurden, sind im Bild 2 dargestellt Bild 2: Standwege /NEU 98/ Durchschnittliche Standwege der einzelnen Versuche 5000 4500 4000 3967,5 4370 Standweg [mm] 3500 3000 2500 2000 1500 2760 2760 1000 500 0 Versuch 1 Versuch 2 Versuch 3 Versuch 4 Für die Anwendbarkeit der Ergebnisse eines Neuronalen Netzes sind vor allem ökonomische Betrachtungen heranzuziehen. Zu diesen gehören: 1.Größe des Zeitspanvolumens 2.Gewährleistung eines sicheren Prozesses (ISO 9000) 3.Auslastung der Schneidstoffe 4.Auslastung der Maschine 5.Erfüllung bestimmter Qualitätsanforderugen Im Allgemeinen besteht in erster Hinsicht das Ziel, einen Prozeß mit geringen Fertigungskosten bei einschätzbarer Prozeßsicherheit zu erreichen. Eine verkürzte Kostenrechnung zeigt, daß der Versuch 1 bei einem Maschinenstundensatz von 120 DM und einem Preis pro Schneide von 5 DM der günstigste hinsichtlich der Fertigungskosten ist. Der Fräsvorgang läuft sicher ab, was auf einen gut beherrschbaren Prozeß, auch bei anderen Bauteilgeometrien, schließen läßt. Die erzeugte Oberflächengüte ist zufriedenstellend. Die Parameter des Versuches 3 sind wegen der hohen Schnittgeschwindigkeit, der daraus resultierenden Wärmeentwicklung, was die Ursache der thermischen Oberflächenschädigung ist, nicht empfehlenswert. Schnittwerte Rehm 7
Die Schnittwerte des Versuches 2 sind in Bezug auf die Prozeßsicherheit zu empfehlen. Die Fräsmaschine läuft als Folge der niedrigen Schnittparameter ruhiger. Ein Vergleich der Kosten zum Versuch 1 zeigt jedoch, das die dieses Versuches um 11% höher sind, und deshalb der Versuch nicht zu bevorzugen ist. Die Parameter des Versuches 4 sind aus Kostengründen nicht vertretbar. In Tabelle 5 werden die Versuche mit Bewertung gegenübergestellt. Versuch Stand- Zeitspann- Prozeß- Oberflächen- Kosten Summe weg volumen sicherheit Qualität 1...Min 4...Max 1...Min 4...Max 1...schlecht 4...sehr gut 1...schlecht 4...sehr gut 1...teuer 4...kosten -günstig 1 3 3 3* 4 4 17 2 4 1 3* 3 2 13 3 1* 4 3* 1* 3 12 4 1* 2 2 1* 1 7 5 1 ** Min...Ergebnis mit minimalem Standweg bzw. Zeitspanvolumen Max...Ergebnis mit maximalem Standweg bzw. Zeitspanvolumen * Versuche mit gleichem Ergebnis ** Grund für Abbruch der Versuchsreihe Tabelle 4: Bewertung der Versuchsergebnisse Die Bewertung erfolgte so, daß jeweils für das beste Ergebnis die höchste Punktzahl vergeben wurde. Die höchste Gesamtsumme zeigt damit den Versuch an, der insgesamt zu favorisieren ist. Der Versuch 1 wurde mit den vom Neuronalen Netz berechneten Werten durchgeführt. Diese Werte konnten in den Versuchsreihen als akzeptabel (im Sinne einer prozeßsicheren und kostengünstigen Fertigung) nachgewiesen werden. Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß das Neuronale Netz gut anwendbare Technologiedaten liefert. Schnittwerte Rehm 8
Literatur /BIE-94/ /DFG-96/ K.Biebler: Beitrag zur Entwicklung und Testung neuer Strategien und Modelle zur Primärdatengewinnung sowie zur Standzeit- und Reststandzeitprognose für spanende Werkzeuge Diss.A, TU Dresden, Fakultät Maschinenwesen, 1994 DFG-Zwischenbericht zum Thema: Grundlagenuntersuchung zur Wissensakquisition für Schnittwerte beim Fräsen unter Nutzung von Neuronalen Netzen, TU Dresden, Institut für Produktionstechnik, Lehrstuhl Produktionsautomatisierung/Steuerungstechnik, 1996 /DFG-97/ DFG-Zwischenbericht zum Thema: Grundlagenuntersuchung zur Wissensakquisition für Schnittwerte beim Fräsen unter Nutzung von Neuronalen Netzen, TU Dresden, Institut für Produktionstechnik, Lehrstuhl Produktionsautomatisierung/Steuerungstechnik, 1997 /KLO-97/ F.Klocke, W.Severt, M.Reuber, M.Rehse: Auslegung von Fräsprozessen mit Hilfe neuronaler Netze Vorabdruck zu wt-produktion und Managment, Heft 5/1997 /NEU-98/ /WIDIA/ J.Neumann: Praktische Testung von technologischen Werten zur Fräsbearbeitung unter Anwendung von Berechnungsergebnissen Neuronaler Netze Großer Beleg, TU Dresden, Institut für Produktionstechnik, Lehrstuhl Produktionsautomatisierung/Steuerungstechnik, 1998 WIDIA, Richtwerte für das Fräsen von Eisenwerkstoffen. KRUPP WIDIA GMBH Werkzeugtechnik, Essen Schnittwerte Rehm 9