Wahrheitssuche / Entstellung von Tatsachen (Pardini c. «Bieler Tagblatt»/«Berner Zeitung») I. Sachverhalt

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Transkript:

SCHWEIZER PRESSERAT CONSEIL SUISSE DE LA PRESSE CONSIGLIO SVIZZERO DELLA STAMPA Sekretariat/Secrétariat: Martin Künzi, Dr. iur., Fürsprecher Bahnhofstrasse 5 Postfach/Case 201 3800 Interlaken Telefon/Téléphone: 033 823 12 62 / Fax: 033 823 11 18 E-Mail: info@presserat.ch / Website: http://www.presserat.ch Wahrheitssuche / Entstellung von Tatsachen (Pardini c. «Bieler Tagblatt»/«Berner Zeitung») Stellungnahme des Schweizer Presserates 14/2008 vom 28. Februar 2008 I. Sachverhalt A. Am 9. Mai 2007 berichtete das «Bieler Tagblatt» über einen «Verdacht des Lohndumpings in Dotzigen». Bei der Gewerkschaft spreche man von einem Skandal, bei den betroffenen Unternehmen von einer «organisierten Kampagne». Corrado Pardini von der Gewerkschaft Unia behaupte, tschechische Bauarbeiter würden beim Aufbau des Zentrallagers der Landi in Dotzigen massiv unter den gesamtarbeitvertraglich vorgeschriebenen Minima bezahlt. Demgegenüber behaupteten die betroffenen Unternehmen, die von der kantonalen Arbeitsmarktbehörde bewilligten, korrekten Arbeitsverträge würden zu 100 Prozent eingehalten. Die Tschechen würden in Dotzigen nicht aus Kostengründen beschäftigt, sondern weil sie in der Schweiz keine Fachkräfte gefunden hätten. Das Ganze sei vermutlich eine im Voraus geplante und medial inszenierte Kampagne. Im Artikel heisst es dazu: «Die Aktion läuft etwas hektisch ab: Angeführt von Corrado Pardini, Vizepräsident der kantonalen Arbeitsmarktkommission und Co-Präsident des Gewerkschaftsbundes des Kantons Bern schwärmen mehrere Arbeitsmarktkontrolleure und zwei Kantonspolizisten gestern Vormittag auf die Baustelle in Dotzigen aus, um die dort beschäftigten tschechischen Arbeiter aufzuspüren. Begleitet werden sie dazu von einem Medientross, den Pardini aufgeboten hat, um einen Fall von krasem Lohndumping zu dokumentieren.» B. Am 14. Juni 2007 vermeldete die Zeitung auf der Titelseite: «43 000 Franken nachbezahlt». Aufgrund einer überraschenden Wende im «Lohndumping-Fall» hätten sich Gewerkschaft und Unternehmen aussergerichtlich geeinigt. Bei einer Baustellenkontrolle in Dotzigen habe sich herausgestellt, «dass dort tätige tschechische Arbeiter anstelle der vertraglich zugesicherten 5000 Franken nur 1000 Franken erhielten. Eine Woche später reichte das kantonale Amt für Wirtschaft Strafanzeige (...) ein.» Nun zahle das betroffene Unternehmen den Arbeitern für den Monat April insgesamt 43 000 Franken nach. Die Strafuntersuchung sei von dieser Einigung nicht tangiert. Der Geschäftsführer der Firma verneine wissentliches und willentliches Lohndumping, räume aber Fehler bei der

- 2 - tschechischen Schwesterfirma ein. Tobias Graden kommentierte dazu unter dem Titel «Grosses Kino»: «Pardini, der für den Nationalrat kandidiert, zelebrierte seinen Auftritt vor den Fernsehkameras mit wahlkämpferischem Genuss und profilierte sich so als gewiefter Regisseur und Hauptdarsteller zugleich. (...) Es war eine grandiose Inszenierung gestern in Dotzigen, doch mit dem sehr realen Lohndumping als Inhalt. Ganz grosses Kino aber als Dokumentarfilm.» C. Am 19. Oktober 2007 kam das «Bieler Tagblatt» auf der Titelseite («Dotzigen: Kein Lohndumping») und im Wirtschaftsteil («Knackpunkt war das Auszahlungsdatum») erneut auf das Thema zurück. Der zuständige Untersuchungsrichter habe das Strafverfahren wegen angeblichen Lohndumpings auf der Landi-Baustelle in Dotzigen bereits am 30. August 2007 eingestellt. «Auf den ersten Blick paradoxerweise bestätigt sieht sich auch die Gewerkschaftsseite: Corrado Pardini argumentiert, ohne den im Mai mit medialer Hilfe aufgebauten Druck wären die Arbeiter nicht so rasch zu ihrem Geld gekommen.» Der Untersuchungsrichter begründe die Einstellung des Verfahrens damit, die Aussagen der tschechischen Bauarbeiter und die Vergleichszahlung stellten keinen rechtsgenüglichen Beweis einer strafbaren Handlung dar. D. Tags darauf berichtete unter Berufung auf das «Bieler Tagblatt» auch die «Berner Zeitung», das Verfahren in Dotzigen sei eingestellt worden. Die betroffene Firma sei «vom Vorwurf des Lohndumpings freigesprochen worden». E. Am 20. Dezember 2007 gelangte Corrado Pardini mit einer Beschwerde gegen die am 19. bzw. 20. Oktober 2007 in «Bieler Tagblatt» und «Berner Zeitung» erschienenen Berichte an den Presserat. Darin rügte er eine Verletzung der Ziffern 1 (Wahrheitspflicht) und 3 (Unterschlagung wichtiger Informationselemente) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten». Das «Bieler Tagblatt» habe zwei Tage vor den eidgenössischen Wahlen, bei denen er im Kanton Bern für den Nationalrat kandidierte, wider besseres Wissen eine falsche Aussage mit politischer Absicht verbreitet. Denn die Aussage «Dotzigen: Kein Lohndumping» sei falsch, weil der Untersuchungsrichter nicht das Lohndumping, sondern die Vorwürfe der Widerhandlung gegen das Ausländergesetz und der Urkundenfälschung untersucht habe. Die «Berner Zeitung» habe einen Tag später nachgezogen, ohne den Sachverhalt zu überprüfen und beispielsweise mit ihm zu sprechen. F. Am 11. Februar 2008 nahm Tobias Graden, Autor der beanstandeten Berichte, namens der Redaktion des «Bieler Tagblatt» zur Beschwerde Stellung. Die rechtlichen Verhältnisse des Falles seien komplex. Der Vorwurf des Beschwerdeführers, der Gegenstand der Strafuntersuchung sei ungenau dargestellt worden, treffe zum Teil zu. Er habe sich allerdings vor der Publikation um eine Stellungnahme des Untersuchungsrichters bemüht. Dieser sei jedoch trotz mehrerer Versuche telefonisch nicht zu erreichen gewesen. Die ungenaue Wortwahl im Bericht beruhe jedenfalls nicht auf einer politischen Absicht, sondern auf einem Irrtum.

- 3 - G. Am 21. Februar 2008 teilte Chefredaktor Michael Hug namens der Redaktion der «Berner Zeitung» mit, diese verzichte auf eine Stellungnahme zur Beschwerde. H. Das Presseratspräsidium wies die Beschwerde der 1. Kammer zu. Diese setzt sich zusammen aus Edy Salmina (Kammerpräsident), Luisa Ghiringhelli Mazza, Pia Horlacher, Dr. Philip Kübler, Klaus Lange, Sonja Schmidmeister und Francesca Snider (Mitglieder). I. Die 1. Kammer behandelte die Beschwerde an ihrer Sitzung vom 28. Februar 2008 und auf dem Korrespondenzweg. II. Erwägungen 1. Die wichtigste Grundlage der Berichte des «Bieler Tagblatts» vom 19. Oktober 2007 bildet die Einstellungsverfügung des Untersuchungsrichters vom 30. August 2007. Dieser ist zu entnehmen, dass das Untersuchungsverfahren gegen die betroffene Firma «wegen Verdachts der ANAG-Widerhandlung und der mehrfachen Urkundenfälschung eingestellt wird». Der Beschwerdeführer argumentiert insofern zutreffend, als der Untersuchungsrichter nicht unmittelbar zu untersuchen hatte, ob es auf der fraglichen Baustelle in Dotzigen Lohndumping gab oder nicht sondern allein, ob Bestimmungen des Gesetzes über den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländern (ANAG) bzw. die Bestimmung des Strafgesetzbuches zur Urkundenfälschung verletzt worden waren. Betrachtet man die Begründung der Einstellungverfügung jedoch näher, stellt man fest, dass der Untersuchungsrichter durchaus abklärte, ob es zwischen den in den Entsendevereinbarungen für die tschechischen Monteure festgehaltenen und den tatsächlich zur Auszahlung vorgesehenen Löhnen eine Differenz gab, mithin also erheblich weniger Lohn ausbezahlt werden sollte, als dies gegenüber der Arbeitsmarktbehörde deklariert worden war. Dazu stellte der Untersuchungsrichter fest, die angeschuldigte Firma habe lückenlos belegen können, dass sie ihren Monteuren sämtliche Minimallöhne korrekt ausbezahlt habe. Zwar deuteten die Aussagen der tschechischen Arbeiter und die unter dem Druck einer drohenden Baustellenschliessung vorgenommene Vergleichszahlung darauf hin, dass ursprünglich möglicherweise etwas anderes vorgesehen gewesen sei. Doch genügten diese Indizien nicht, um ein Verletzung der zur Diskussion stehenden Strafbestimmungen rechtsgenüglich nachzuweisen. Zumal die betroffene Firma geltend mache, die ersten Lohnzahlungen seien gemäss den tschechischen Usanzen ohnehin erst am 15. Mai 2007, also eine Woche nach der medial begleiteten Baustellenkontrolle ausgeführt worden. Entsprechend hätten die Monteure zum Zeitpunkt der Kontrolle noch gar keine Angaben zur Höhe des effektiv ausbezahlten Lohnes machen können. Zusammengefasst äussert sich damit die Einstellungsverfügung entgegen der anderslautenenden Behauptung des Beschwerdeführers damit zumindest indirekt zur Frage des Lohndumpings. Der Untersuchungsrichter kam dazu zum Schluss, der Vorwurf der

- 4 - krassen Unterschreitung der gesamtarbeitsvertraglichen Minimallöhne (des Lohndumpings) habe sich strafrechtlich nicht beweisen lassen. 2. Geben die beiden Berichte des «Bieler Tagblatt» vom 19. Oktober 2007 («Dotzigen: Kein Lohndumping» und «Knackpunkt war der Auszahlungstermin») diese Begründung des Einstellungsbeschlusses vom 30. August 2007 korrekt wieder oder hat die Zeitung, wie dies der Beschwerdeführer behauptet, die Leserschaft in die Irre geführt und damit die Wahrheitspflicht verletzt und wichtige Informationen unterschlagen? Liest man die Artikel, wird der Eindruck einer allfälligen Irreführung von vornherein stark gemildert. Die beiden Texte auf der Titelseite und im Inneren der Ausgabe beleuchten die Zusammenhänge aus verschiedenen Winkeln. Die Ereignisse von der Arbeitsmarktkontrolle über den Vergleich zwischen Unternehmen und Gewerkschaft hin bis zur eingestellten Strafuntersuchung werden rekapituliert und mit Details versehen. Auch der Beschwerdeführer kommt zu Wort, und dies nicht in nachteiliger Weise. Juristisch wäre es zwar genauer gewesen, von der Einstellung eines Strafverfahrens wegen des Verdachts auf Widerhandlung gegen das ANAG und wegen Urkundenfälschung zu schreiben. Journalistisch war es hingegen im konkreten Fall gerade noch vertretbar, diese juristischen Begriffe etwas unscharf zu einem «Verfahren wegen angeblichem Lohndumping» zu verkürzen. Zumal sich die Einstellungsverfügung wie ausgeführt zu dieser Frage substantiell äussert. Zudem gibt das «Bieler Tagblatt» auch die Begründung des Untersuchungsrichters korrekt wieder, wonach die Aussagen der Bauarbeiter und die Vergleichszahlung keinen rechtsgenüglichen Beweis einer strafrechtlichen Handlung darstellten. 3. Angesichts des laut Einschätzung des Journalisten für Aussenstehende schwierig zu bewertenden Sachverhalts etwas gar affirmativ kommt hingegen der Frontseitentitel «Dotzigen: Kein Lohndumping» daher. Ein Fragezeichen «Dotzigen: Kein Lohndumping?» oder beispielsweise der Titel «Richter: Kein Lohndumping» hätte den Unklarheiten wohl besser Rechnung getragen. Oder wie es im Bericht im Innenteil formuliert ist, wonach der betreffenden Firma «juristisch kein Lohndumping nachgewiesen werden» konnte. Ist diese Unschärfe im Titel jedoch als Verletzung der Ziffern 1 und/oder 3 der «Erklärung» zu werten? Nach Auffassung des Presserates ist dies knapp zu verneinen. Der Beschwerdeführer legt zwar überzeugend dar, dass in Dotzigen ein krasser Fall von Lohndumping bloss dank einer frühzeitigen Intervention von Gewerkschaft und Arbeitsmarktbehörden verhindert werden konnte. Offenbar ging zudem auch die zuständige paritätische Kommission zur Durchsetzung des Landesmantelvertrages im Bauhauptgewerbe von Lohndumping aus. Allein deshalb ist der Titel «Dotzigen: Kein Lohndumping» im Kontext der beanstandeten Publikation aber noch nicht unwahr. Anlass und Gegenstand des Berichts war die Einstellung des Strafverfahrens durch den Untersuchungsrichter. Auf den Inhalt dieses Einstellungsbeschlusses durfte der Journalist ohne zusätzliche Recherchen abstellen. Der Titel

- 5 - «Dotzigen: Kein Lohndumping» enthält im konkreten Fall bloss die journalistisch zugespitzte Quintessenz der untersuchungsrichterlichen Einstellungsverfügung. Der unmittelbar folgende Lead präzisiert, dass es um die Einstellung eines Verfahrens geht. Und spätestens nach der Lektüre des Lauftextes wird klar, weshalb das Verfahren eingestellt wurde. Unter diesen Umständen erscheint eine Irreführung der Leserschaft allein aufgrund des stark zugespitzten Titels wenig wahrscheinlich. 4. Ebenso abzuweisen ist die Beschwerde in Bezug auf die «Berner Zeitung». Zwar wurde hier fälschlicherweise geschrieben, die angeschuldigte Firma sei «freigesprochen» worden. Gleichzeitig wird jedoch mehrfach erwähnt, dass es um eine Verfahrenseinstellung ging, weil ein strafbares Handeln nicht nachgewiesen werden konnte. Unter diesen Umständen war auch diese juristisch unzutreffende Ausdrucksweise nicht geeignet, bei der Leserschaft einen falschen Eindruck zu erwecken. III. Feststellungen 1. Die Beschwerde wird abgewiesen. 2. Das «Bieler Tagblatt» und die «Berner Zeitung» haben mit ihren Berichten vom 19. und 20. Oktober 2007 über die Einstellung einer Strafuntersuchung zu einem angeblich krassen Fall von Lohndumping die Ziffern 1 (Wahrheit) und 3 (Unterschlagung wichtiger Informationen) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» nicht verletzt.